Kultur
Kann ich meine Regenauffangwanne zum Sperrmüll legen?
Scheibelsgrub, Am Thalberg 6 - Vergrößern durch Anklicken!
Ein kleiner Rundgang in Scheibelsgrub hat meinen Blick auf Regenauffanggefäße gelenkt. Da gibt es allerhand technische Raffinessen.
Eine Klappvorrichtung öffnet das Regenabfallrohr zur Regentonne hin. (Bild 1) Eine Staffelung von Wannen auf abschüssigem Gelände gestalten die Wassermassen zu einem „Katarakt”. (Bild 2) Ein Verbindungsrohr, ein Überlaufstutzen und ein Auslaufschlauch in entsprechenden Höhen gestatten eine „Reihenschaltung”. (Bild 3) Alle diese Regentonnen sind aus Kunststoff hergestellt und werden in reicher Auswahl auf dem Markt angeboten.
Bild 1: Am Thalberg 9
Und dann ist da noch meine Regenauffangwanne am Thalberg 6. (Bild 4 und Bild 5) Sie ist weit, oval, flach; fasst reichlich Wasser, und man kann die Gießkanne zum Füllen bequem untertauchen und leicht herausheben. Sie besitzt an den beiden Schmalseiten einen Griff und auf Bodenniveau einen kurzen Auslaufstutzen, der mit einem Korken verschlossen ist und außen ein Gewinde aufweist, so dass er früher durch eine Schraube abgedichtet werden konnte. Von den zwei etwa handgroßen Korkstücken dicht unter der Oberkante einer Längswand ist eine abgefallen. Ihre Funktion ist mir ohnehin unklar. Die Wanne besteht aus verzinktem Metall und bekommt am Boden schon leichte Risse mit Rostansatz. Deshalb streiche ich sie jedes Jahr im Frühling mit grauer Metallfarbe. Da werde ich schon manchmal gefragt: „Warum werfen Sie Ihre Regenauffangwanne nicht zum Sperrmüll und kaufen sich eine pflegeleichte, moderne Regentonne?”
Bild 2: Am Thalberg 11 - Bild 3: Birkenweg 8
Bild 4: Am Thalberg 6 - Bild 5: Am Thalberg 6
Aber das kann ich nicht, weil meine Wanne eine Geschichte hat, eine lange Geschichte und eine ganz persönliche noch dazu: Meine Eltern heirateten 1937 in Berlin. Dort richteten sie in dem Mietshaus in der Berlichingenstraße 15 ihren Hausstand ein, wozu sie diese Wanne kauften für die Waschküche im Speicher. Sie wurde außerdem zur Badewanne für uns Kinder, die wir 1938, 1939 und 1940 geboren wurden. Unsere Mutter liebte es, uns drei sauber zu waschen, adrett anzuziehen und ordentlich zu frisieren. (Bild 6)
1939 war der Krieg ausgebrochen. Am 1. Juli 1941 wurde mein Vater zu den Waffen gerufen. Die Bevölkerung Berlins erzitterte unter den Luftangriffen. Wir Kinder wurden mit Trainingsanzug und Schuhen ins Bett gelegt, das Köfferchen mit dem Nötigsten stand immer bereit. Wenn die Sirenen heulten, flüchteten wir in den Luftschutzkeller. Hierhin wanderte auch unsere Badewanne als Behälter für drei wertvolle Porzellanvasen und einen besonderen Krug, für meine Mutter alles Andenken aus ihren Mädchenjahren. Die Vasen hatte Mama von einer Apothekersfrau aus Magdeburg bekommen für liebevolle Betreuung während eines Sommeraufenthaltes in Söcking/Starnberg, der Heimat meiner Mutter. Der Krug war ein Geschenk der Gemeinde Söcking an den Vater meiner Mutter, als dieser nach jahrelanger englischer Kriegsgefangenschaft, vorher schon tot gemeldet, vom Ersten Weltkrieg heimkehrte.
Am 1. August 1943 waren die Straßen Berlins mit Flugblättern übersät: Frauen und Kinder verlasst Berlin, heute Nacht noch!
Meine Mutter holte schnell meine Schwester aus dem Krankenhaus, wo diese gerade von Scharlach genesen war. Sie raffte das Allernötigste zusammen, und wir erreichten den letzten Zug aus Berlin. Der Zug war so überfüllt, dass wir auf den eisernen Plattformen über der Kupplung zweier Waggons zum Schlafen gelegt wurden. Zum Glück hatte meine Mutter einige Zigaretten, wodurch man ihr beim Umsteigen behilflich war. Unser Ziel war Falkenfels, die Heimat meines Vaters. Am Bahnhof Straubing wurden wir von BDM-Mädchen der Mutter aus den Armen gerissen und alle zusammen in ein Hotel gebracht. Dort gab es Verpflegung und ein Zimmer mit zwei Betten für uns vier. Am nächsten Tag wurden wir mit einem Lastauto nach Falkenfels zu Verwandten befördert. Am 1. November 1943 kam mein Vater auf Urlaub und besorgte uns eine Wohnung, bestehend aus zwei Zimmerchen, in einem Haus in Forst/Falkenfels, wo wir das Kriegsende abwarten sollten. (Bild 7)
Bild 6: Nach dem Bad in der Wanne - Bild 7: Forst 72 (Foto von 1995)
Kurz darauf schrieb Nachbar Plank aus Berlin: „Sie wurden am 23. November total ausgebombt. Aus ihrer Wohnung konnte nichts mehr gerettet werden.”
Daraufhin bekam mein Vater im Januar 1944 Bombenurlaub. Er fuhr mit meiner Mutter nach Berlin, um aus dem Luftschutzkeller die Erinnerungsstücke zu holen. Aber unsere Wanne stand leer dort; der Inhalt war gestohlen, obwohl damals auf solche Diebstähle Todesstrafe stand. Mein Vater und meine Mutter packten die Wanne je an einem Henkel, schoben sich mit ihr in die überfüllte Straßenbahn, wobei einige Leute schimpften, andere wiederum tuschelten: „Die zwei wollen wohl heiraten.” Meine Eltern drückten sich mit der Wanne in den Zug in Richtung Straubing. Dort verstauten sie das Trumm im Postauto bis Ascha. Hier packten sie wieder selber an und trugen sie den Weinberg hinauf nach Falkenfels und hinaus nach Forst in unsere kleine Wohnung. Diese war ausgestattet mit einem Schulpult von der Lehrersfrau Kracher, zwei eisernen Bettgestellen vom Speicher der Hausbesitzerin, einem „Kanonenöfchen”, vier Stühlen und ein wenig Geschirr, das wir auf Bezugsschein vom Geschäft Plank in Mitterfels erhalten hatten. Dazu kam jetzt die Wanne als „eiserner Bestand”. Ihre Funktion wurde erweitert. Neben Wäsche- und Badewanne wurde sie nach gründlicher Reinigung auch zum Vorratsbehälter für Blaubeeren. Diese wurden schon gepflückt, wenn sie vereinzelt reif waren, aber vom Krämer noch nicht gekauft wurden. So konnte man am ersten Kauftag eine etwas größere Summe einlösen. Entweihen ließ unsere Mutter aber die Wanne nie. Einmal hätte unsere Hauswirtin ihr Schaf vor dem Scheren darin säubern wollen, wogegen meine Mutter heftig protestierte.
Bild 8: St. Johann, Zuhäuschen (Foto von 1972)
Die Wanne wurde auch mitgenommen beim Umzug ins „Zuhäuschen” von St. Johann/Falkenfels im Jahre 1947. (Bild 8) Dieses bestand aus einem einzigen Stübchen von neun Quadratmetern, zusätzlich einer Nische von vier Quadratmetern. Es diente als Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer und Badezimmer für vier Personen, meiner Mutter und uns drei Kindern. Mein Vater war vom Krieg nicht mehr heimgekommen, vermisst.
Jetzt kann ich mich auch gut erinnern, wie jeden Samstagnachmittag die Wanne in die Mitte der Stube gestellt, Wasser am Ofen erhitzt und in die Wanne geschüttet wurde. Einer nach dem anderen durfte in die Wanne steigen, alle in das gleiche Wasser.
Auch die vielen Schwammerl, die wir aus dem Wald holten, wurden in der Wanne gesäubert. So bekamen sie ein schöneres Aussehen, und wir konnten sie auf dem Markt in der Simon-Höller-Straße in Straubing, wohin wir sie mit einem alten Fahrrad brachten, leichter verkaufen.
1950 kam ich zum Studium nach München. So erlebte ich nicht mit, wie 1951 unsere geringe Habe auf einem von Rindern gezogenen Fuhrwerk in die neue Wohnung nach Falkenfels, Forsthaus Degen, befördert wurde. Das Geschirr wurde dabei in der Wanne verstaut.
Bild 9: Hornstorf/Straubing
1958 bezogen wir ein eigenes Häuschen in Hornstorf/Straubing. Das hatte ein Bad. So wanderte die Badewanne zunächst in die Waschküche. Dort wurde sie bald von Plastikwannen abgelöst, die allmählich in Mode kamen. Sie hatte aber noch nicht ausgedient. Sie rückte ins Freie als Auffangwanne unter das Ausflussrohr des Schlagbrunnens, der unterm Schatten des Kirschbaums seinen Platz hatte. (Bild 9)
Als meine Mutter ihr Haus ihrem Sohn übergab und im Herbst 1981 zu mir nach Scheibelsgrub zog, vergaß sie nicht, die Wanne mitzunehmen. Wir fanden eine neue Verwendung unter der Regentraufe.
Meine Regenwanne hat mich mein ganzes Leben begleitet. Sie ist ein Teil von mir. Ich kann sie nicht ausmustern. Sie gehört zu meinem Paradies am Thalberg 6. (Bild 10) Und wenn ich meine Wanne mit neuer Schutzfarbe versehe, wird mir jeder Pinselstrich zu einem liebevollen Streicheln.
Quelle: Therese Fendl, in Mitterfelser Magazin 2/1996 – und ursprünglich in: Das war mein Leben (Manuskript) - Fotos: Edda Fendl
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