Kunst, Literatur
Mitterfels. Buch über Traumata der Elterngeneration nach dem Zweiten Weltkrieg
Autor Wolfgang Hammer hat ein bewegendes Buch über einen traumatisierten Jungen und seine Kindheit in der Nachkriegszeit geschrieben. (Foto: erö)
„Das Leiden geht weiter“
Der Mitterfelser Autor und Traumaberater Wolfgang Hammer hat kürzlich unter dem Pseudonym Wolf Hamm ein weiteres Buch beendet. Unter dem Titel „Ich will doch noch leben“ will er deutlich machen, dass die Kriegsfolgen auch heute noch Menschen zerstören können. Wolfgang Hammer hat außerdem den Heimatkrimi „Kommissar Grantinger und das Vierte Reich“, einen Kinderkrimi, zwei Kinderromane mit geschichtlichem Hintergrund sowie mehrere Fachbücher geschrieben und arbeitet für die Zeitschrift „Geschichte für heute“.
Herr Hammer, Sie haben in Ihrer Tätigkeit als Gymnasiallehrer auch als Beratungslehrer und Traumaberater gearbeitet und zum Thema „Traumata“ Beiträge veröffentlicht und einen Roman geschrieben. Dabei geht es um einen schwer traumatisierten Jungen und seine Kindheit in der Nachkriegszeit. Was ist Ihnen an dem Thema „Traumatisierte Kindheit“ so wichtig?
Wolfgang Hammer: Ich wollte exemplarisch darstellen, wie sich die Traumata der Elterngeneration nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Erziehung der Kinder ausgewirkt haben. Der Krieg setzte sich nach dem Friedensschluss in Denken und Handeln fort. Die Kinder lebten damals mit Eltern zusammen, die sich psychisch quasi immer noch im Kriegszustand befanden und entsprechend reagierten. Der Kriegsgott dominierte die Menschen auch in der Nachkriegszeit. Diesen „Miterzieher“ wollte ich hervorheben.
Ihr Roman trägt den Titel „Ich will doch noch leben“. Worum geht es in diesem Buch und wo haben Sie die Personen und ihre Charaktere gefunden?
Hammer: Menschen reagieren auf lebensbedrohliche Situationen mit drei Verhaltensmöglichkeiten: fight, flight, standstill (Kampf, Flucht, Totstellen). Dieses Schema habe ich für die Familie Angsterer, die Hauptfiguren, verwendet. Die Mutter zieht sich zurück, der Vater lindert seinen inneren Druck durch aggressives Verhalten und der Sohn Wolfram will der Familiensituation entfliehen. Um diese Grundstruktur habe ich dann Situationen und Beispiele angeordnet. Dabei steht der Vater mit seinem Symptom der Übererregbarkeit (hyperarousal) im Mittelpunkt. Er ist Opfer (als Soldat) und Täter zugleich.
In der Familie des Erzählers tritt Traumatisierung in den verschiedensten Formen auf von der behinderten Mutter über den gewalttätigen Vater bis hin zu dem jungen Wolfram, der als „Dicker“ ein Außenseiter ist und ungewöhnlich viele traumatisierende Erlebnisse hat. Ist das nicht etwas überzeichnet?
Hammer: Verglichen mit vielen Berichten ist das Schicksal von Wolfram nicht extrem. Oft verharmlosen Erwachsene die Misshandlung von Kindern. Nach meinen Erfahrungen erdulden so manche Kinder mehr als Wolfram. Um einer Verharmlosung entgegenzuwirken, habe ich nicht überzeichnet, aber deutlich gezeichnet.
An welche Leser wenden Sie sich mit Ihrem Buch?
Hammer: Es ist ein Buch für ältere Leser, die die Nachkriegszeit erlebt haben, aber auch für jüngere. Ich denke an einen Jungen, den der Vater, der zwei Jahre lang gefoltert wurde, regelmäßig extrem quälte, viel schlimmer als meine Hauptfigur von seinem Vater, der zwei Jahre in einem Foltergefängnis gesessen hatte, geprügelt wurde. Gerade in der Gegenwart werden Traumata durch Misshandlungen und Krieg massenhaft produziert.
Sie beschreiben die Situation des Jungen sehr bildhaft. Klingen da eigene schwere Erfahrungen an, die Sie beim Schreiben ein wenig aufarbeiten konnten?
Hammer: Dies Buch ist keine Autobiografie. Natürlich habe ich Beobachtungen und Erfahrungen aus meiner Kindheit einfließen lassen. Aber nach Kenntnis vieler Lebensgeschichten war meine Kindheit in dieser Hinsicht nicht außergewöhnlich. Mir ist vieles in meiner Beratungstätigkeit bewusster geworden als vielleicht üblich. Dass Schreiben immer persönliche Erlebnisse „aufarbeitet“, ist mir als Deutschlehrer schon bewusst. Deswegen halte ich Schreiben für ein wichtiges Mittel zu Selbsterkenntnis und Selbsterziehung. Das ist ja der pädagogische Kernpunkt des Deutschunterrichts.
Im Titel „Ich will doch noch leben“ spiegeln sich zugleich Angst und Hoffnung. Finden Sie nach all dem Schrecklichen einen tröstlichen Schluss?
Hammer: Nun soll man den Schluss eines Buches nicht preisgeben. Wir alle kennen den Schluss der Nachkriegszeit. Wir leben ja noch. Aber es ist ja nicht Schluss. Die Kriege gehen weiter und das Leiden daran auch, über viele Generationen hinweg.
***
Das Buch „Ich will doch noch leben“ von Wolfgang Hammer schließt mit dem bewegenden Gedicht „Im Schatten des Krieges“. Das Buch ist im Buchhandel als Normaldruck, Großdruck und als Pocketausgabe erhältlich und wird im November in Mitterfels öffentlich vorgestellt.
>>> zum Interview in der Bogener Zeitung vom 26.10.2015 als pdf-Datei [... hier].
Interview: Elisabeth Röhn
>>> Ankündigung: Lesung von Wolfgang Hammer am 20. November 2015, 19.30 Uhr, in der Burg. [... mehr]
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