Niederbayerischer Archäologentag 2013: Forscher auf Spuren einer 5800 Jahre alten Kultur

 

Führten Altheimer Krieg um schöne Frauen?

 

Deggendorf. Was ist geschehen in und rund um eine wohl mit Graben, Wällen und Palisaden bewehrte Siedlung oder Burg im fruchtbaren Land um Altheim bei Landshut? Ist das "Erdwerk", wie sein erster Ausgräber Paul Reinecke 1914 vermutete, in einer dramatischen Schlacht untergegangen, in der die Verteidiger in ihrer Verzweiflung selbst die Koch- und Vorratstöpfe auf die Angreifer warfen, nachdem sie alle Pfeile verschossen hatten? Die in Fachkreisen weltberühmte Fundstätte und die nach ihr benannte Kultur, die in Bayern von 3800 bis etwa 3300 vor Christus blühte, war Schwerpunktthema des 32. Niederbayerischen Archäologentags.

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Schwerpunktthema war diesmal die Altheimer Kultur, die in Bayern von etwa 3800 bis 3300 vor Christus blühte und Relikte wie diese Gürtelschnalle aus Hirschgeweih hinterließ, die in Ergolding (Landkreis Landshut) gefunden wurde. - Erneut konnten die Organisatoren des Niederbayerischen Archäologentags, die Kreisarchäologen Dr. Ludwig Husty und Dr. Karl Schmotz, wieder mehrere hundert Geschichtsinteressierte aus nah und fern in der Deggendorfer Stadthalle begrüßen. Das Bild zeigt sie zusammen mit dem Deggendorfer Landrat Christian Bernreiter (rechts) und Professor Dr. Bernd Paefgen (links), dem Vorsitzenden der Gesellschaft für Archäologie in Bayern. (Fotos: es)

Nur ganz wenige Menschen würden heute noch von Johann Pollinger reden, dem Landshuter Hauptlehrer und Vorsitzenden des damals schon traditionsreichen Historischen Vereins für Niederbayern, hätte er nicht im Jahr 1911, ein Jahr vor seinem Tod, bei einer Zugfahrt von Landshut nach Regensburg eine herausragende Entdeckung gemacht: Kurz vor dem Dorf Altheim (Markt Essenbach, Landkreis Landshut) erblickte er vom Fenster seines Zugabteils aus im Schräglicht mehrere sich als dunkle Verfüllungen abzeichnende Gräben.

Wahrscheinlich hatte ihm, wie die Archäologin Dr. Isabella Denk (Museen der Stadt Landshut) schilderte, der Grundbesitzer Scherben und Feuersteine gezeigt, die beim Tiefpflügen aus den verfüllten Gräben ans Tageslicht gekommen waren. Zweimal, 1914 und 1938, fanden hier Ausgrabungen statt.

 

Mächtiger Ring um ein 35 mal 60 Meter großes Innen-Areal

Die Forscher stießen auf eine dreifach gestaffelte Wall-Graben-Kombination, die einen mächtigen Ring um ein 35 mal 60 Meter großes Innen-Areal schlossen - und auf eine Unmenge Funde: In den teils noch über zwei Meter tiefen Gräben fanden sie über 200 Pfeilspitzen, faustgroße Steine, die verstreuten Skelettreste von 22 Menschen, die Scherben von mehreren hundert Krügen und Schalen sowie unter anderem Mahlsteine, Tierknochen, ein Kupfer-Amulett und ein Kupferbeil - es ist die Epoche des Gletschermanns Ötzi.

Obwohl es so viele Funde gibt - von denen allerdings die Skelette in einer Bombennacht des Zweiten Weltkriegs in München vernichtet wurden - gibt es auch Dutzende in der Wissenschaft diskutierte Deutungen, was sich hinter den Gräben und Wällen vor gut 5500 Jahren abgespielt hat. Der Fundplatz, der früher oft im gleichen Atemzug mit Stätten wie Troja, Mykene, Tiryns und Knossos genannt und abgebildet wurde, ist und bleibt bis heute ein Rätsel. War hier ein Kultplatz, ein Gutshof, eine Festung, ein Bestattungsplatz gar oder ein ganz normales Dorf?

Prof. Dr. Thomas Saile von der Universität Regensburg hat die Spur neu aufgenommen auf Anregung von Dr. Bernd Engelhardt (Landshut), hat Funde und Forschungsgeschichte unter die Lupe genommen - und damit begonnen, die beiden Grabungskampagnen und ihre Funde auseinanderzuklamüsern, um Fragen zu beantworten wie: Worauf haben die Ausgräber von 1914, denen Saile sehr wohl Lob zollte, bevorzugt geachtet, was vielleicht übersehen oder geringgeschätzt?

 

Neue Erkenntnisse kann letztlich nur eine Grabung bringen

Den Zeitgeist darf man nicht außer Acht lassen: 1914 stand Europa auf dem Höhepunkt des Imperialismus und unmittelbar vor der Katastrophe des Ersten Weltkriegs: Kriegs-und Schlacht-Szenarien waren en vogue. Auch die Ausgräber vom "SS-Ahnenerbe" zog 1938, am Abgrund des nächsten Völkermordens, die blutrünstige Variante an.

Thomas Richter, der neue Kreisarchäologe des Landkreises Landshut, lieferte, gestützt auf eine Sichtung von Feuersteinen und Pfeilspitzen, Argumente für die Dorf-Version. Eine These, mit der Prof. Saile durchaus Probleme hat: Warum konzentrieren sich die Pfeilspitzen auf den Raum um das Tor der Anlage? Aus zeitgleichen "Burgen" in England sind Spuren von Kämpfen bekannt, ähnlich wie in Altheim.

Neue Erkenntnisse kann letztlich nur eine Grabung erbringen, wie sie Prof. Saile für diesen Sommer plant. Sollte sich die Kriegs-Variante bestätigen, braucht man sich nach Saile, der in punkto Sozialstruktur mehrfach Parallelen zog zwischen Altheimer Kultur und steinzeitlichen Gemeinschaften in Neuguinea, über die Motive für Krieg und Kampf kaum Gedanken zu machen: Männer schlugen sich schon von jeher die Köpfe ein im Ringen um Macht und Besitz - und um Frauen.

Das kommt sogar in den besten Hochkulturen vor, wie das Beispiel Troja belegt.

Quelle: Elmar Stöttner, in: SR-Tagblatt vom 29. April 2013, Seite 10

 

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