Kulturelles Leben
Anglizismen at their best. Kein Deutsch mehr ohne Englisch
Viele Deutsche kommen kaum noch ohne Englisch aus. Eine Gruppe von Sprachforschern sieht darin eine Bereicherung und kürt Anglizismen.
Berlin. Morgens beim Toast schon mal die Mails checken, im Job die To-do-Liste abarbeiten und danach beim Body-Workout oder Sale relaxen, um die Work-Life-Balance nicht zu gefährden: Englische Begriffe haben sich so stark in den Alltag eingeschlichen, dass viele Menschen sie kaum noch als Fremdsprache wahrnehmen. Manche halten das für normal, andere empfinden sie als überflüssig.
Der Berliner Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch dagegen sieht Anglizismen eher als etwas "Natürliches, Kreatives und Bereicherndes". Er wollte den aus seiner Sicht oft "kulturpessimistischen und von Angst um die deutsche Sprache geprägten Diskussionen" etwas Positives entgegensetzen und hat vor vier Jahren die Initiative "Anglizismus des Jahres" ins Leben gerufen. Gestern [am 28. Januar 2014] haben er und Kollegen wieder eine Liste mit den fünf Erstplatzierten veröffentlicht.
Aus 100 Vorschlägen wählte die vierköpfige, unabhängige Jury um Stefanowitsch die Nachsilbe "-gate" auf Platz eins. Der Begriff, der mit dem Watergate-Skandal von 1972 aus den USA nach Deutschland kam, hat sich aus Sicht der Experten immer stärker in Deutschland etabliert. Allein 2013 wurde er mehr als ein dutzend Mal genutzt, um Affären und Affärchen zu beschreiben - wie etwa den Abhörskandal um das Kanzlerinnen-Handy ("Handy-Gate") oder das Verschwinden einer Mops-Skulptur in Stuttgart ("Mops-Gate").
Die Vorsilbe "Fake-" (Fälschung), "Whistleblower" (Enthüller), "Selfie" für selbst gemachte Porträtfotos und "Hashtag", ein Rautezeichen zum Verschlagworten von Begriffen im Internet, belegten die weiteren Plätze.
Wie viele Anglizismen es inzwischen ins Deutsche geschafft haben, kann niemand so genau sagen. Von den 140 000 Stichwörtern im aktuellen Duden, die auch nur ein Teil des deutschen Wortschatzes sind, stammen nach Angaben der Redaktion etwa 3,7 Prozent aus dem Englischen. "Das ist deutlich weniger, als viele erwartet hätten", sagt Mitarbeiterin Kathrin Kunkel-Razum. Deutlich mehr Fremdwörter kämen immer noch aus dem Griechischen und Lateinischen.
Und: "Das deutsche Sprachsystem ist stark und schafft es, Fremdwörter gut zu integrieren" - so das Argument.
Gesellschaft für Deutsche Sprache bleibt gelassen
Auch die Gesellschaft für Deutsche Sprache sieht keine Bedrohung in den Anglizismen. "Sprachen beeinflussen sich schon immer, da gab es seit jeher einen regen Austausch", sagt Sprachberater Lutz Kuntzsch. Auch er hält Anglizismen dort für sinnvoll, "wo sie berechtigt sind, etwas Neues ausdrücken und sich ins Deutsche einfügen". "Gegen Wörter wie googeln oder mailen haben wir überhaupt nichts, weil es unökonomischer wäre, das mit deutschen Wörtern auszudrücken", sagt Kuntzsch.
Verein Deutsche Sprache: Anglizismen-Index
Eine Liste von etwa 8000 Anglizismen hat der Verein Deutsche Sprache zusammengetragen. Der auch im Internet abrufbare Index soll eine Orientierungshilfe sein für Menschen, die englische und pseudoenglische Begriffe nicht verstehen, sie ablehnen oder sie vermeiden wollen. Der Verein unterscheidet zwischen Wörtern, die das Deutsche ergänzen, differenzierend oder verdrängend wirken. Letztere sind deutlich in der Mehrheit. "Anglizismen sind dann überflüssig, wenn es schon gute deutsche Begriffe gibt. Warum spricht man beim Fußball von einem Referee, wenn man auch Schiedsrichter sagen kann?", fragt Vereinssprecher Holger Klatte.
Quelle: Anja Sokolow, dpa, in: Schwäbisches Tagblatt vom 29. Januar 2014
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