Brauchtum
Holzkirchener Pfingstwallfahrt. „Einem Unglück beim Kerzentragen folgt Krieg“
Diese Zeichnung mit der Signatur „A. Hilmer“ verweist auf die Tochter Amalie des Malers und Vergolders Josef Hilmer, der 1871 seinen bisherigen Wohnort Schwarzach verlassen hatte und sich im Markt Bogen niederließ. Amalie Hilmer lernte bei ihrem Vater das Malerhandwerk.
Eine volkskundliche Untersuchung der Holzkirchener Pfingstwallfahrt auf den Bogenberg
Um die Holzkirchener Kerzenwallfahrt, deren Beginn und Anlass nur ungefähr zu vermuten sind, hat sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine dramatische Erzählung entwickelt, die in ihrem Wahrheitsgehalt und in ihrer Entstehung im Folgenden untersucht werden soll. Die Erzählung behauptet, dass es einen Krieg gebe, sobald die Kerze beim Tragen „umfällt“, die „Spitze der Kerze den Boden berührt“, „kippt“ oder „bricht“. Die verwendeten Begriffe beschreiben zwar unterschiedliche Vorgänge, letzthin aber nur ein „Unglück“, das man beim Tragen der Kerze miterlebt oder gehört hat.
Vor dem 19. Jahrhundert findet sich weder in Büchern noch in Zeitungen oder in niedergeschriebenen mündlichen Überlieferungen diese Aussage. Die Berichte über die zahlreichen früheren Kriege, auch der des 19. Jahrhunderts (1866 und 1870/71), erwähnen verständlicherweise darüber gar nichts. Lediglich die Holzkirchener Pfingstwallfahrt als solche findet mehrmals Erwähnung. Passauer Zeitungen schreiben etwa am 9. Juni 1840:
„Bogen. Gestern fand hier die alljährliche Stangen-Kerzen-Opferung aus dem Rotthale statt, welcher eine ungeheure Menschenmenge beiwohnte. Die Stange hat eine Länge von ungefähr 17 Klaftern und ist von unten bis oben mit einer Wachskerze umwunden.“, oder am 23. Mai 1858:
Die bekannte „lange Stange“
„Straubing. Unterm Heutigen begaben sich mehrere Parthien nach dem Wallfahrtsorte Bogen, mit Blechmusik begleitet, an welchem Tage die bekannte lange Stange, von einer bedeutenden Anzahl Betender begleitet, über den hohen Berg in die Kirche getragen wird, allein die üble Witterung, welche plötzlich eintrat, verhinderte viele Fußgänger dahin ...“.
Sogar der Rosenheimer Anzeiger berichtet am 14. Mai 1894:
„Vilshofen. (Wie alle Pfingstsamstage) kamen auch heuer wieder eine größere Anzahl Wallfahrer aus der Pfarrei Holzkirchen mit einer haushohen Wachskerze hier durch, um dieselbe auf dem Bogenberge zu opfern, wohin dieselben einem von ihren Vorfahren zur Zeit der Pest gemachten Gelübde zufolge alljährlich an diesen Tagen wallen“.
Seit dem Jahre 1896 ging man im Markt Bogen daran, die Pfingstwallfahrt durch die Feier eines Jubiläums (1896: 400 Jahre) allgemein bekannt zu machen – man könnte auch sagen zu vermarkten – denn es standen tatsächlich wirtschaftliche Gründe dahinter und man musste das bevorstehende Jahrhundertereignis des 800-jährigen Wallfahrtsjubiläums im Jahre 1904 rechtzeitig vorbereiten. Die abgebildete Zeichnung entstand in eben diesem Zeitraum. Die Signatur „A. Hilmer“ verweist auf die Tochter Amalie des Malers und Vergolders Josef Hilmer, der 1871 seinen bisherigen Wohnort Schwarzach verlassen hatte und sich im Markt Bogen im Haus Nr. 85 ½ niederließ.
Begabte Zeichnerin
Amalie Hilmer lernte bei ihrem Vater das Malerhandwerk, schuf 1876 das Altarblatt des heiligen Thomas in Herrnfehlburg, und war, wie das Bogener Pfingstwallfahrtsbild beweist, eine sehr begabte Zeichnerin. Das Original findet als farbige Ansichtskarte seit 1896 im Bogener Verlag des Anton Hartmannsgruber bis heute Verwendung und wurde im Jahre 1900 von Max Feldbauer im „Buch für alle“ kopiert.
Max Friedl, Bogener Schulrat und Ehrenbürger, erlebte den Ersten Weltkrieg und die damaligen Pfingstwallfahrten selbst mit. 1914 und 1922 verfasste er „nach geschichtlichen Quellen“ jeweils ein Wallfahrtbüchlein. Richard Seefried, ebenfalls Weltkriegsteilnehmer, seit 1923 Leiter des Museums und Chronist des Marktes Bogen, tat es Schulrat Friedl nach und schrieb im Jahre 1929 ein weiteres Bogenberger Wallfahrtsbuch. Heinrich Lautensack (1920), Otto Hartmann (um 1920), Hans Fröhler (1921), Kajetan Schwertl (1925) und Christian Schreiber (1928) veröffentlichten eindrucksvolle Stimmungsbilder zum Bogenberg, die Pfingstwallfahrt spielte immer eine Rolle. Nirgends aber, auch nicht in den Pfingstausgaben 1913 und 1914 des Straubinger Tagblatts, steht etwas von einem Unglück beim Kerzentragen oder gar von einer Verbindung zum 1. August 1914. Lorenz Moederl formulierte noch 1929 in einem Aufsatz zum „525-jährigen Bestehen der Wallfahrt [von Holzkirchen]“, dass trotz der Strapazen und des windigen Wetters die Kerze „noch nie umgefallen sein soll“. Moederl hatte sich also erkundigt und ihm wurde die übliche Überlieferung mitgeteilt.
1913 abgebrochen
Tatsächlich jedoch existiert in der Gemeinde Holzkirchen eine undatierte handschriftliche Notiz, dass „1913 die Kerze abgebrochen [ist] in Bogenberg droben“. Das kann eigentlich nur geschehen sein beim Umlegen der langen Stange vor der Kirche oder in der Kirche beim Aufstellen und Befestigen an der Kirchenwand. War das vielleicht der Grund für die Entstehung der interessanten Erzählung?
Im Jahre 1928 wurde in Bogen ein „Wallfahrtskomitee“ gegründet mit dem Zweck, „die altehrwürdige Wallfahrt wieder zu heben“. Da die beteiligten Herren – die Landtagsabgeordneten Danner und Wartner, Bürgermeister Neueder, Pfarrer Gstettner, und die Gemeinderäte Schuhbauer, Lechner, Lanzinger, Gilch – in ihrer Vereinsgründung „eine Kundgebung katholischen Lebens allerersten Ranges“ sahen, wollten sie neben der Pfingstwallfahrt auch neue Wallfahrten zum Bogenberg initiieren, was auch gelang.
Wie der Volksmund die Wahrheit verändern kann, zeigen auch die Berichte zum Kriegsbeginn 1939. Zunächst lassen sich wie beim Ersten Weltkrieg in Druckwerken ebenfalls keine Nachweise finden. Sogar Richard Seefried, der damals den Wallfahrtsausschuss führte, die jährlichen Pfingstwallfahrten von 1936 bis 1942 selbst begleitete, gewissenhaft schilderte und 1948 sein zweites Wallfahrtsbuch herausgab, erwähnt nichts zu einem Kerzen-Unglück.
Zweite Bruch-Überlieferung
Wiederum aber hielt die Holzkirchener Chronistin in ihrer Handschrift fest, „dass 1938 die Kerze gebrochen [ist] abends beim Probe tragen bei uns, da hat’s der Schmied in Galla zusammen gemacht.“ Auch diese Notiz beschreibt ein anderes „Abbrechen der Kerze“ und kann nur in ungenauer Interpretation mit der aufgestellten These in Verbindung gebracht werden, noch dazu der Zeitungsbericht des Straubinger Tagblatts vom 2. Juni 1938 ebenfalls nichts von einem Trageunglück weiß.
Ein Jahr später berichtet der Straubinger Redakteur am 30. Mai 1939 ausführlich über die „Feier am Pfingstsonntag“. Dabei erwähnt er ein gewiss seltenes Ereignis, das bisher völlig unbekannt geblieben ist und aus dem wohl die Prophezeiung zu erklären ist:
Umgelegt in die Kirche
„Der Wettergott machte am Pfingstsonntag ein böses Gesicht. Immer wieder gingen Regenschauer nieder ... Immerhin versammelten sich bis zum Eintreffen der Holzkirchner ... 5000 Menschen um den herrlich gelegenen Wallfahrtsberg ... Die 13 Meter lange und fast einen Zentner schwere Opferstange wurde unter großer Mühe, verursacht durch den starken Wind, bis zum Kalvarienberg getragen und hier wurde die Kerze mit Rücksicht auf den immer stärker werdenden Sturm umgelegt und in die Kirche gebracht ...“
Jetzt kann man sich gut vorstellen, wie das „Umlegen der Kerze wegen des Sturms“ beim Weitererzählen zu einem „Umfallen der Kerze“ wurde und wie der Volksmund bis heute den Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 damit in Verbindung gebracht hat. Hoffen wir aber alle, dass die starken Holzkirchener Kerzenträger seit über 500 Jahren ihr Gelübde zuverlässig und ohne Unfall erfüllen können.
Quellen: Passavia. Zeitung für Niederbayern, Passau 1840, 184; Donau-Zeitung, Jahrgang 68, Passau 1858; Rosenheimer Anzeiger, Tagblatt für Stadt und Land, Rosenheim 1877 und 1894; Straubinger Tagblatt, Ausgaben zum Pfingstfest 1862, 1866, 1870, 1913, 1914, 1929, 1938, 1939; Moederl, Lorenz: Die lange Kerze vom Bogenberg. Zum 525-jährigen Bestehen der Wallfahrt, in: Die Heimat.; Beilage zu Münchner neueste Nachrichten, München 1929, Nr. 32, 127f; Seefried, Richard: Chronik des Marktes Bogen, Band 2, um 1940; Neueder, Hans: Geschichte der Gemeinde Bogenberg, in: Heimatbuch der Stadt Bogen, Bogen 1982, 151-170; Ragaller, Sabine: Die Holzkirchener Kerzenwallfahrt nach Bogenberg, Holzkirchen 1995, 100ff; Neueder, Hans: Der Bogenberg in Niederbayern. 900 Jahre Marienheiligtum. Geschichte der Wallfahrt.; Mirakelbücher, Verlag Attenkofer, Straubing 2004
Quelle: Kreisheimatpfleger Hans Neueder, in: Bogener Zeitung vom 20. Mai 2015 (zeitversetzte Übernahme des Beitrags aufgrund einer 14-tägigen Sperrfrist)
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