1000 Jahre Geschichte um Mitterfels (64 a)

Vor gut 830 Jahren tauchte der Name Mitterfels das erste Mal in einer Urkunde auf; Gschwendt im Kinsachtal kann auf 900 Jahre zurückblicken; vor 960 Jahren übernahmen die Grafen von Bogen den östlichen Donaugau von den Babenbergern; Metten, im Jahre 766 gegründet, rodete zu Füßen der schützenden Bergkette zwischen Vogelsang und Hirschenstein . . . über 1000 Jahre interessante Geschichte, in die wir in halbmonatlich wechselnden Kapiteln eintauchen.

Zu den vorhergehenden Kapitelbeiträgen können Sie sich im Menue rechts in der Grafik „1000 Jahre Geschichte um Mitterfels“ durchklicken.

64 00 Tagebuch aus dem Zweiten Weltkrieg Teil 1 c w 

Am 25. April 1945 stand auch in nächster Nähe eine amerikanische Panzerabteilung bereit, in Mitterfels einzumarschieren. (Repro: AK Heimatgeschichte Mitterfels, Fotograf unbekannt) - Vergrößern durch Anklicken!

Tagebuch aus dem Zweiten Weltkrieg 1939-1945 - Teil 1

Über 200 Mitterfelser Söhne mussten in den Krieg ziehen, und ein knappes Hundert aus Neubürgerfamilien kam noch dazu. Auf einem Gedenkblatt vom 12. März 1950 hatte Bürgermeister Albert Dietl die Namen von 79 Gefallenen und Vermissten zusammengestellt und auch die von 218 Heimkehrern zwischen 1945 und 1950.

Am 26. September 1939 war der erste Mitterfelser gefallen: der 26-jährige Unteroffizier Ludwig Käser. In Pfarrer Brettners Traueransprache fanden sich da noch große Worte, aber mit jedem weiteren Gefallenen wurde es stiller und bedrückter. Am schwersten traf es die Familie Maurer von Unterhartberg: Da waren vier Söhne an der Front geblieben, drei waren es in den Familien Käser und Engl, zwei in den Familien Graf (Kohlham), Wartner (Scheibelsgrub) und Lehmann (Heimatvertriebenenfamilie).

In Mitterfels war wenigstens die Heimat unzerstört und erhalten geblieben, und das Kriegsgeschehen zeigte sich hier nur noch in der geradezu harmlosen Auslaufphase. Hauptlehrer Karl Heiß hatte schon während des Kriegs Tagebuch geführt, die letzten Tage und auch die Wochen danach dann bis in alle Einzelheiten geschildert.

Hauptlehrer Heiß hatte im Ersten Weltkrieg an der Front gestanden und war bei Verdun verschüttet worden. Jetzt war er ein guter Beobachter und hat uns ein lebendiges Bild aus jenen Tagen hinterlassen.

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Hauptlehrer Karl Heiß „in seiner Schule“ (Foto: Archiv AK Heimatgeschichte Mitterfels). Vergrößern durch Anklicken!

Als der Krieg am 1. September 1939 begann, war er noch weit vom Bayerischen Wald entfernt, doch warf er schon die ersten Schatten in diesen stillen Winkel. Lebensmittelkarten wurden ausgegeben, Bezugsscheine für Stoffe, Schuhwerk und Haushaltswaren und schließlich die Reichskleiderkarte.

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Seit 1939 waren Lebensmittel und andere Güter nicht mehr frei käuflich. Sie waren rationiert und nur noch mit Lebensmittelkarten (Fett-, Zucker-, Mehl- und Brotkarten u. a.) oder mit Bezugscheinen zu erwerben. (Quelle: Landesarchiv Baden-Würtemberg) - Am 27. August 1939, vier Tage vor Beginn des Zweiten Weltkrieges (und drei Tage nach dem ursprünglichen Angriffsbefehl für den Überfall auf Polen), war die Verordnung zur vorläufigen Sicherstellung des lebenswichtigen Bedarfs des deutschen Volkes erlassen worden, mit der die Rationierung und Bezugsscheinpflicht für eine große Anzahl an Verbrauchsgütern eingeführt wurde.  Vergrößern durch Anklicken!

Die Bauern mussten festgesetzte Kontingente an Getreide und Kartoffeln abliefern. Die Schulkinder von Mitterfels hatten im Sommer 1939 lange Ferien; denn sie halfen bei der Einbringung der Ernte mit. Solche, deren Eltern keinen oder weniger als zehn Tagwerk Grund besaßen, gingen mit den beiden Lehrkräften zum Kartoffelklauben.

Erst am 6. November konnte der Schulunterricht beginnen, und er musste vom Januar bis Ostern 1940 schon wieder wegen Kohlenmangels ausfallen.

In Mitterfels mieteten sich viele Norddeutsche, besonders Berliner, in den Gasthäusern oder privat ein. Die Deutsche Reichspost hatte gleich zu Kriegsbeginn mit dem Gasthof Abriel einen Vertrag abgeschlossen. Im vierzehntägigen Wechsel kamen demzufolge sächsische und kölnische Postbeamte zur Erholung. Als die Ernährungsgrundlage langsam schlechter und besonders das Schweinefleisch immer knapper wurde, machten diese Leute natürlich auch Beutezüge nach "schwarzen" Lebensmitteln in die umliegenden Ortschaften.

Schon 1940 kamen vorübergehend Schulklassen aus den vom Krieg bedrohten Gegenden am Rhein nach Mitterfels, einmal Mädchen aus Duisburg. Sie wohnten bei den Englischen Fräulein in der „Villa Maria“ und wurden in der Schule oder im Saal bei Abriel unterrichtet.

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„Villa Maria“ der Englischen Fräulein, zuerst Kindergarten, dann Erholungsheim für Kinder aus vom Krieg bedrohten Städten. (Repro AK Heimatgeschichte Mitterfels)  - Vergrößern durch Anklicken!

1941 mussten die Schwestern ausziehen (siehe auch vorausgehendes Kapitel). Bürgermeister Hafner ließ durch verschiedene Bauern die Habe der Schwestern und ihre Einrichtung an verschiedene Plätze fahren, und in die Villa zogen nun nacheinander Klassen aus Duisburg und Hamburg mit ihren Lehrern; auch eine Hamburger Oberschule war einmal zu Gast.

1943 um Mitternacht vom 16. auf den 17. April hörten wir die ersten Feindflieger. Ein großer Bomberverband überflog unsere Gegend in südöstlicher Richtung. 1½ Stunden dauerte das ungewohnte, erregende Dröhnen, das alle aus den Betten schreckte.


„Man hörte auf unseren Straßen fast nur noch hamburgerisch reden.“


Bald darauf, im Juli 1943 begannen die furchtbaren Bombenangriffe auf Hamburg. Alle Fremden, die bis dahin bei uns gewohnt hatten, mussten innerhalb von 24 Stunden den Ort verlassen; es hieß, der Bayerische Wald würde für die Aufnahme der norddeutschen Flüchtlinge und Evakuierten eingerichtet.

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Die Auswirkungen der britischen und amerikanischen Bombenangriffe im Juli 1943 auf Hamburg waren im entfernten Mitterfels zu spüren, weil viele der evakuierten Frauen und Kinder hierhergebracht wurden. (Quelle: wikipedia commons/Dowd J (Fg Off), Royal Air Force official photographer)  - Vergrößern durch Anklicken!

Schon Anfang August kam der Strom der ausgebombten Hamburger. Man sah ihnen voll Mitgefühl entgegen; doch erwies sich die Berührung bald als frostig, oft sogar unfreundlich. Viele von den Frauen und Kindern stellten unerfüllbare Anforderungen, wollten nach den ausgestandenen Schrecken wie Sommergäste behandelt und bedient werden, lagen faul in den Betten und beschimpften obendrein ihre Gastgeber. Als sie von Hamburg abfuhren, hatten ihnen gewisse Parteifunktionäre erklärt, sie kämen in ein Land mit Milch, Butter, Fleisch und tadellosen Unterkünften. Manchen war gesagt worden, die Bayern seien bereits in die Ukraine abgewandert. So fehlte oft nicht viel zu Tätlichkeiten und Schlägereien.

64 05 Volkssurm BriefmarkeManche von den evakuierten Frauen verließen den Ort wieder, wo es ihnen nicht recht gefallen wollte; dafür kamen andere ins Dorf; mit ihren Kindern, denen es draußen in den Einöden und Weilern noch viel weniger gefallen hatte. Viele waren anständig und vernünftig, aber viele waren in ihrer Unzufriedenheit unverträglich, unverschämt, auch diebisch. Bei den Bauern blieben sie nur so lange, als sie kein anderes Quartier auftreiben konnten; oder es begann die "Geschichte mit dem Igel und dem Maulwurf". Viele Hamburger Frauen erschraken, als sie hörten, dass sie bei den Hausfrauen mitkochen müssten. Eine Schlesierfrau mit zwei Kindern erhielt vom Bürgermeister ein Quartier beim Bauern Josef Feldmeier in Buchberg zugewiesen. Der Bauer fuhr ihre Habseligkeiten in seinen Hof; aber am Nachmittag war die Frau wieder in Mitterfels und ließ sich einen Platz im Massenquartier des Schulhauses geben, statt auf dem einsamen Hof zu bleiben.

Man hörte auf unseren Straßen fast nur mehr Hamburgerisch reden. Die Züge nach Straubing waren überfüllt mit fremden Frauen und Kindern. Sie fuhren in die Stadt, fast tagtäglich, ins Kino, zum Friseur, zum Einkaufen. Sie hatten als Ausgebombte natürlich viel mehr Bezugsscheine als die Einheimischen, und sie nützten das mit Recht aus, machten Einkäufe bis nach Regensburg und sogar bis Passau und Wien. Kein Wunder aber auch, dass die einheimischen Frauen ihre eigene Knappheit an Wäsche, Kleidern, Material, besonders an Metallwaren und Möbelstücken, nun doppelt bedrückend empfanden.

Die Gewerbetreibenden bekamen jetzt Holz- und Eisenscheine zum dringendsten Bedarf. Seit März 1943 durften die Schneider und die Näherinnen keine neuen Kleider mehr anfertigen, nur noch alte ausbessern und ändern. Sogar im eigenen Ort kamen die Mitterfelserinnen ins Hintertreffen. Denn traf ja einmal Ware ein, so rannten die Fremden, die viel Zeit hatten, schneller zum Krämer, zum Kaufmann, und die Einheimischen hatten das Nachsehen.

Im Mai 1944 mussten vier Glocken der Pfarrkirche und zwei von der Friedhofskapelle abgeliefert werden. Das Kupfer in den Häusern war schon längst dem Krieg geopfert worden. Die Ernten der letzten Jahre waren schlecht und die Winter ungewöhnlich kalt.


Erlass Hitlers vom 25. Sept. 1944: Bildung eines „Volkssturms“ – Mitterfelser Zielsetzung: „Rundumverteidigung“


Im Dezember 1944 wurde auf Befehl der Obrigkeit in Mitterfels, wie überall, der "Volkssturm" eingerichtet. Alle Männer von 16 bis 60 Jahren, die nicht der Wehrmacht angehörten, oder schwerbeschädigt waren, wurden dazu ausgehoben. Das Kommando über die 732 Mitglieder im Kreisgebiet hatte der stellvertretende Ortsgruppenleiter Hans Hausladen; zum Kompanieführer wurde der Landwirtschaftsrat Lauk ernannt. Bataillonsführer war der Kommandant des Gefangenenlagers in Haggn, das Engländer beherbergte. "Ortskommandant" von Mitterfels wurde zu seinem Leidwesen der Hauptlehrer Heiß. Der Volkssturm wurde vereidigt und trat dann regelmäßig an den Sonntagen um 8.30 Uhr auf dem Dorfplatz zusammen. Es gab zwei oder auch vier Stunden Dienst, entweder Unterricht im Schulhaus oder Exerzieren im Gelände mit Schießunterweisung. Später, als die Amerikaner immer näher rückten, wurde der Volkssturm beauftragt, an der Straße nach Steinburg, östlich bei der Höllmühle, eine Panzersperre zu bauen. Dann musste nördlich von Mitterfels ein 600 Meter langer Panzergraben ausgehoben werden, der die Straßen nach Ascha und Haselbach abzusperren hatte. Auch beim Moosmüller sollte noch eine große Sperre errichtet werden, so dass die "Rundumverteidigung" von Mitterfels vollständig war. Hauptlehrer Heiß sollte sie leiten mit 83 Mann und 6 Gewehren.

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„Rundumverteidigung“ von Mitterfels: Der Volkssturm sollte Mitterfels durch Panzersperren und -gräben sichern.  - Vergrößern durch Anklicken!


Babylonisches Sprachgewirr auf den Straßen von Mitterfels


Der Schulbetrieb wurde immer armseliger. Im Winter 1944/45 gab es keine Lesebücher mehr, keine Rechenbücher; die Hälfte der Kinder hatte keine Tafeln; in den Schulzimmern fehlten Besen, Bürsten, Schwämme und Lappen. Es wurde wenig gelernt, aber umso mehr gesammelt: Alteisen, Knochen, Papier, Stanniol, Kräuter, alte Kleider. In den Klassenzimmern hörte man, wie draußen auf den Straßen, alle Dialekte, Hamburger, Münchner, Nürnberger, Wiener, von Aachen, Frankfurt, Regensburg, von der Saarpfalz und Schlesien, bald auch das Deutsch der Vertriebenen aus der Batschka, aus Kroatien, dem Banat. Es war eine Sprachverwirrung, wie weiland in Babel.

Für Februar 1945 waren neue große Flüchtlingstransporte angesagt. Wieder wurden die Wohnungen besichtigt; eine Frau der NS-Kreisverwaltung, der Bürgermeister Schmatz und Gendarmeriewachtmeister Fuchs gingen zu dritt im Dorf herum. Jedes freie Zimmer und jedes ungenützte Bett wurden beschlagnahmt. Am 24. Februar kamen die Flüchtlinge, diesmal aus Schlesien. Sie konnten privat untergebracht werden. Bald trafen auch Wiener, Rheinpfälzer und Ungarndeutsche ein. Die Wiener mussten in Massenquartiere verteilt werden und hausten nun im Schulhaus und in den Gasthaussälen. Die Ungarn wurden auf die Tanzsäle bei Gürster in Scheibelsgrub, bei Abriel, bei Baumgartner und beim Moosmüller verteilt.

Der Wohnraum wurde von Woche zu Woche knapper. Ende März verlegte die Kreisleitung Straubing ihre Amtsräume in das Mitterfelser Schloss. Das Amtsgericht hatte ja schon längst seinen Betrieb verkleinert und war zu einer Nebenstelle des Amtsgerichts Bogen geworden.

Am 13. April wurde auch noch der Stab des Oberkommandos des Feldmarschalls Kleist nach Mitterfels verlegt. Er wurde im Amtsgefängnis, in der Gendarmerie und im Haus Stolz untergebracht; die bisher dort hausenden Flüchtlinge mussten ausziehen und ein anderes Unterkommen beziehen. Ich fragte einen Soldaten, was sie hier den ganzen Tag treiben. Er antwortete: "Wir warten, bis wir gefangengenommen werden."


Mitterfels zum Bersten voll – Lebensmittel wurden knapp


Nun war Mitterfels zum Bersten voll. Oft hausten drei und mehr Personen in einem einzigen Raum, und mehrere Hausfrauen kochten hintereinander auf demselben Herd. Welche Unannehmlichkeiten, welcher Ärger und Streit! 960 Fremde musste unser Ort in diesem Februar, März und April 1945 aufnehmen, beherbergen und teils auch verköstigen.

Eine Zeitlang diente die Glasveranda bei Abriel als Notraum für Unterricht; am 18. April hörte der Schulbetrieb auf.

Zum Bahnhofsvorstand Stumbeck kam ein Oberst. Der hatte den Auftrag, die Gleisanlagen und die Umgebung des Bahnhofs zu besichtigen, ob sie für die Aufstellung von Eisenbahngeschützen geeignet seien. In diesem Falle sollte er die Anlagen einrichten und gut tarnen. Der zu Tod erschrockene Stumbeck verwies den Oberst auf Rattenberg, dessen Steinbrüche für seinen Zweck viel günstiger seien. Die Gefahr verzog sich dann von selbst, weil am 16. April die Eisenbahnbrücke bei Bogen und am 19. und 20. April [nach Erwert: 18. April!] der Flugplatz und der Bahnhof in Straubing zerstört wurden. Über die von den Amerikanern zerbombte Donaubrücke kamen keine Eisenbahngeschütze mehr; aber dafür wurde auch der Nachschub an Lebensmitteln aus dem Donautal empfindlich gestört, so dass viele Lebensmittelkarten nicht mehr beliefert werden konnten und verfielen.

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Die Kraterlandschaft in der Umgebung der Eisenbahnbrücke bei Bogen kurz nach dem Bombenangriff am 16. April 1945. Das Foto wurde zwei Stunden nach der Bombardierung von einem Aufklärungsflugzeug in 7100 m Höhe (23.300 Fuß) aufgenommen. Die Rauch- und Staubwolken haben sich ge­legt, die Abendsonne steht tief im Südwesten und zeichnet ein Schattenbild der Brücke auf den Strom. Die Streuung der Einschläge ist groß, einige Kra­ter von zu spät ausgeklinkten Bomben sind vereinzelt am Ufer der alten Donau und am Südostrand des Marktes Bogen sichtbar (rechts unten). (Aus: Erwert, Feuersturm... sh. Quellen) Vergrößern durch Anklicken!

Die Bäckerei Engl allein konnte den Bedarf an Brot kaum mehr decken; viele radelten nach Bogen oder gingen zu Fuß dorthin, um etwas Brot zu bekommen. Das war aber wegen der Feindflieger gefährlich. Allmählich wurde den Einheimischen und Flüchtlingen auch das Geld knapp; Lohnüberweisungen, Renten, Geldsendungen usw. fielen seit dem März dieses Jahres fast ganz aus.


Der Krieg nähert sich Mitterfels


Der Krieg näherte sich unserem Ort. Am 5. April 1945 wurde der Kaminkehrermeister Josef Kerscher von Mitterfels beerdigt. Als die Einsegnung vorgenommen werden sollte, kam aus Nordosten ein sehr großer Bomberverband, in vielen Wellen, beängstigend. Die anwesenden Trauergäste stellten sich unter die Bäume im Friedhof, an die Friedhofmauer und um die Kapelle. Rasch wurde die Einsegnung vorgenommen; und die Teilnehmer eilten dann gleich der Pfarrkirche zu, denn schon kam aus Nordosten ein neuer Verband. Der Durchflug schien kein Ende zu haben, der Trauergottesdienst wurde auf den anderen Tag verschoben. Von nun ab hatten wir keine Ruhe mehr. Jeden Tag kreisten Kampfflieger über uns, die den Rückzug der deutschen Wehrmacht zur Donau stören wollten; unheimlich war oft das Feuern anzuhören. Die Bauern auf den Feldern blieben unbelästigt. Der Landwirt Bachl von Scheibelsgrub ackerte unbekümmert weiter, obwohl in geringer Höhe Maschinen über ihm kreisten. Zu dem ackernden Landwirt Johann Lehner in Weingarten neigte sich ein Flugzeugführer und winkte mit der Hand, worauf Lehner zurückgrüßte. Jeden Tag erschienen die amerikanischen Bomben- und Kampfgeschwader am Himmel. Bei ihrem Herannahen liefen viele Leute, besonders die evakuierten Städter, trotz der Gefahr ins Freie, um die Flugzeuge genauer zu sehen, eilten von einer Straßenseite auf die andere und gafften.

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Eine viermotorige "Fliegende Festung" der US-Luftwaffe (B 17 genannt) mit Begleitjägern. Dieser Bomber war häufig über unserem Himmel. 174 solcher Maschinen waren am 18.4.1945 über Straubing und warfen hier ihre Bomben ab. (Aus: Erwert, Feuersturm... sh. Quellen) Vergrößern durch Anklicken!

Am 20. April schossen Flugzeuge mit Bordwaffen in das Dorf, griffen einen Flüchtlingszug an, der die Steinburger Straße heraufzog; die Höllmühle erhielt drei Treffer in das Hausdach; Pferde in den Trecks wurden erschossen; später fand man viele Durchschüsse an den Bäumen im nahen Wald.

Auch auf den Nebenstraßen war jetzt viel deutsches Militär, das sich vor den von Cham anrückenden Amerikanern zurückzog. Es waren geschlossene Formationen, aber auch kleine Gruppen, Fuhrwerke, einzelne Soldaten, die bei Tag und Nacht Straubing, Bogen und Steinach zustrebten, die noch in deutscher Hand waren. Geschütze kamen keine; die Soldaten hatten nur Gewehre, und oft selbst diese nicht. Das Heer war in der Auflösung begriffen.

Am 19. April bekamen wir keine Zeitung mehr; auch die Telefonanlagen waren alle von Wehrmachtsstellen belegt. Doch ging an diesem und am nächsten Tag noch ein Zug bis Bogen. Josef Kräh und Max Schmid, die bis jetzt die Milch nach Steinach gebracht hatten und von dort Butter heimbrachten, stellten am 20. April ihre Fahrten ein. Nun waren wir von der Welt ganz abgeschnitten, und obendrein verfielen die Buttermarken. Am 23. April hieß es, Cham sei von den Amerikanern besetzt worden, und sie könnten jede Stunde bei uns erscheinen; große Unruhe und Aufregung erfasste die Menschen. Bei Ascha stürzte ein amerikanisches Kampfflugzeug ab. Der Pilot konnte sich mit dem Fallschirm retten und vor dem Suchkommando des Volkssturms in die Wälder entkommen. Am Abend brannte das Schloss Steinach lichterloh. Viele Leute aus dem Dorf standen mit mir beim Moosmüller und starrten die gewaltige Feuersbrunst an. Das Schloss beherbergte seit zwei Jahren die Reichsleitung der Partei. Nun wurde es von den Angestellten mitsamt den Akten vernichtet. Damit diese gut brannten, wurden sie mit Benzin übergossen.

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Das teilzerstörte Neue Schloss Steinach (Foto: Nachlass von Liane von Schmieder, überlassen von Hubertus Meckel, München; aus: Webseite AK Heimatgeschichte Steinach)  Vergrößern durch Anklicken!

Weitere Einzelheiten zum Brand des neuen Schlosses Steinach finden sich auf der Webseite des AK Heimatgeschichte Steinach: https://heimatgeschichte-steinach.de/schloesser-und-gut/neues-schloss/schlossbrand.html

In der folgenden Nacht schliefen die meisten Mitterfelser nicht oder nur wenig, fast alle aber mit den Kleidern in den Betten. Am 24. April stürzte eine deutsche Maschine am Schlossberg in der Nähe des Paulushauses ab und brannte aus. Wieder rannten viele Leute an die qualmende Maschine heran. Der Flugzeugführer war trotz der geringen Höhe mit dem Fallschirm abgesprungen und ging in der Nähe des Hofes von Michael Fuchs in Hinterbuchberg nieder. Er brachte die erste sichere Kunde, dass sich die Amerikaner von Cham her der Donau näherten. 

 


Volkssturmleute gegen die Wahnsinnsidee Mitterfels zu verteidigen


Die ganzen Tage her hatte der Volkssturm an den befohlenen Panzersperren gearbeitet. Eine Abteilung grub die Straßen auf, eine andere fällte Bäume im nahen Wald und zersägte sie. Auch die in Mitterfels einquartierten Rumäniendeutschen mussten mit Hand anlegen. Ein Unteroffizier und dann nochmals der Pionierfeldwebel Otto Druxeis begingen abschließend die fertigen Sperren. Noch am 23. April wurde daran gearbeitet, aber viele Männer waren schon nicht mehr angetreten.

Am Vormittag des 24. April wurden die Volkssturmleute alarmiert, um den Ort, wie vorgesehen, zu verteidigen. Es erschienen so wenig Männer, dass sie wieder heimgeschickt wurden. Abends wurde nochmals Alarm gegeben und telefonisch mit dem Einsatz von SS-Einheiten gedroht. Auch das war fruchtlos. Fast jeder Volkssturmmann war der Ansicht, dass eine Verteidigung des Ortes nicht nur nutzlos war, sondern ein wahnsinniges Narrenstück bedeutete. Nur ganz wenige wollten sich zur Wehr setzen und schießen. So holten besonnene Männer die Gewehre des Volkssturms ein und verwahrten sie sicher. Damit löste sich der Volkssturm eigentlich noch vor dem Eintreffen der Amerikaner auf. 

 


25. April 1945: KZ-Todesmarsch und Einmarsch der Amerikaner


Der 25. April wird allen Mitterfelsern unvergesslich bleiben. Um 10 Uhr vormittags sahen wir SS-Leute, die auf der Straße von Haselbach nach Mitterfels mehrere Hunderte von Sträflingen aus dem KZ-Lager Flossenbürg dem Ort zutrieben. Die Begleitmannschaft fuhr auf einem Wagen; Hunde umkreisten den traurigen Zug und hetzten Zurückbleibende den anderen nach. Durch Schläge auf das Hinterhaupt mit einem Stock, der etwa einen Meter lang und vier Zentimeter dick war, wurden diese abgezehrten Gestalten vorangetrieben, seit 19 Tagen, wie es hieß. Voll tiefster Erschütterung starrten wir auf diese Unglücklichen, die mit aufgehobenen Händen um Brot und Wasser bettelten. Wahrscheinlich sollten sie noch bis Dachau gebracht werden, da ein SS-Mann von der Begleitmannschaft einen Mitterfelser fragte, wie weit es noch bis Dachau wäre. Immer wieder drängten sich Männer und mitleidige Frauen an den Zug, um den halb Verhungerten und Verdürsteten eine Kleinigkeit zu reichen; doch immer wieder wurden sie von den Soldaten wortlos zurückgedrängt. Völlig Erschöpfte wurden durch den Ort von etwas kräftigeren Leidensgenossen gezerrt und geschleppt; doch als der Zug verschwunden war, hörten wir einzelne Schüsse.

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Die KZ-Todesmärsche sollten vom Konzentrationslager Flossenbürg nach Oberbayern führen. (Ort auf Foto unbekannt – Repro: AK Heimatgeschichte Mitterfels) Vergrößern durch Anklicken!

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Am 25. April 1945 stand auch in nächster Nähe von Mitterfels eine amerikanische Panzerabteilung bereit, in Mitterfels einzumarschieren. (Repro: AK Heimatgeschichte Mitterfels, Fotograf unbekannt) Vergrößern durch Anklicken!

Als die SS-Mannschaft erfuhr, dass die Amerikaner schon in Ascha wären, schwenkten sie bei Scheibelsgrub auf die Straße nach Bogen ab. Hernach fanden wir die armen Opfer, durch Genickschüsse erledigt; sechs lagen im Grimmholz bei Rogendorf, 18 bei Scheibelsgrub. Kein Mensch kannte ihre Namen, ihren Stand oder ihren Wohnort. Der Landwirt Johann Wartner von Scheibelsgrub versuchte, bei Bürgermeister Schmatz zu erfahren, was denn nun mit den Toten geschehen solle. Er erreichte den Bürgermeister nicht und rief Gendarmeriewachtmeister Fuchs an. Der wies die Scheibelsgruber an, die Ermordeten an Ort und Stelle zu beerdigen. Das geschah dann gegen fünf Uhr. Als Schlossermeister Ernst Stapf den Durchzug der Häftlinge um 11 ¼ von seinem Haus aus sah, nahm er Josef Kräh auf sein Motorrad und fuhr nach Ascha, den Amerikanern entgegen. Die beiden trafen im Ort auf eine Panzerabteilung, die von Pilgramsberg her kam. Stapf zog das Taschentuch und verlangte einen amerikanischen Offizier. Im vierten Panzer meldete sich einer, und diesem erzählte er, dass etwa 400 politische Sträflinge durch Mitterfels, wahrscheinlich Agendorf zu, getrieben worden seien. Stapf und Kräh konnten in einem Panzerspähwagen bis Au bei Gschwendt mitfahren. Dort mussten sie aussteigen und nach Ascha umkehren, da die Amerikaner deutsche Truppen in der Nähe vermuteten. Die beiden fuhren auf dem Motorrad wieder heim. Von ihnen erfuhren wir, dass die "Ami" in Ascha seien und dass eine Abteilung die Straße von Ascha herangefahren und nach Haselbach abgebogen sei. Bürgermeister Schmatz und Schlossermeister Stapf fuhren bis an die Straßengabelung und erwarteten dort die Amerikaner. Der Bürgermeister gab die Versicherung ab, dass Mitterfels nicht verteidigt werde. Der Offizier sagte, dass der Bürgermeister mit seinem Kopf für Ruhe bürgen müsse. Wir im unteren Dorf hörten dann, dass die Amerikaner jetzt beim Sattlermeister Hösl, dann beim früheren Feuerwehrhaus und schließlich bei der Gendarmerie stünden. Voll Schrecken lief alles hin und her. Ich ging um ½ 3 Uhr zur Gendarmerie und sah dort zwei Panzerwagen auf der Straße; amerikanische Soldaten mit Maschinenpistolen gingen herum. Soldaten der deutschen Wehrmacht sammelten sich gerade in der Nähe, legten ihre Waffen und ihre Ausrüstung ab. Aus allen Häusern hingen weiße Fahnen. Ein Befehl des amerikanischen Oberbefehlshabers General Eisenhower wurde eben angeschlagen, wonach alle Waffen, Feldstecher und Fotoapparate beim Bürgermeister abzugeben seien.

Ein zweiter Anschlag verkündigte, dass alle Organisationen der NSDAP aufgelöst seien.

Dann fuhren die Amerikaner wieder ab, und wir gingen heim. Auf den Feldern zwischen Schmid Michl, Hafner und Attenberger Josef fanden wir alles zertrampelt, die Saat in den Boden gestampft, von Autos zerwühlt. Hier war für kurze Zeit ein Feldverbandsplatz errichtet worden. Und auf den Landstraßen nach Norden stauten sich unabsehbare Schlangen von Fahrzeugen, die nach Süden nicht mehr weiterkamen.


Einquartierung der amerikanischen Soldaten in Mitterfelser Häusern: Vorliebe für Eingemachtes und Eier


Abends halb sechs Uhr kam motorisierte Infanterie ins Dorf. Ihre Quartiermacher und unser Bürgermeister forderten die Bewohner der Häuser auf, innerhalb von zehn Minuten die Wohnungen zu verlassen. Der Bürgermeister sagte uns, dass wir morgen früh um acht Uhr wieder einziehen könnten.

Was das heißt, mit wenigen Habseligkeiten sein Heim verlassen zu müssen und fremde Leute darin schalten und walten zu lassen, kann nur der ermessen, der es erlebt hat. Wir hatten wohl Wertgegenstände vergraben, unsere Lebensmittel versteckt; doch dass wir aus dem Haus müssten, darauf waren wir nicht vorbereitet.

Bald standen Männer, Frauen und Kinder mit Rucksäcken, Schachteln und Wägelchen auf der Straße, um bei Bekannten oder Verwandten Unterkunft zu finden. Bei Wiesbeck Benno nächtigten 39 Personen. Ich fand bei Stolz Unterkunft. Zu fünft nächtigten wir in einem Dachstübchen. Die Haustüren mussten offenbleiben, ebenso alle Kisten, Kästen und Behälter. Wo jemand die Türen geschlossen hatte, wurden sie von den "Amis" aufgesprengt.

Es war eine unruhige Nacht; Schüsse peitschten immer wieder durch die Stille; dann hörten wir die lauten Stimmen und das Lachen der Soldaten. An Schlaf war kaum zu denken.

 

 

Teil 2 folgt! 

 

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