Der Tag, an dem der Eiserne Vorhang fiel

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15. Februar 1990: Zwischen Prennet und Maxberg reißen Soldaten der CSSR-Grenzwache den Vorzaun nieder, vier Tage später folgt der Hauptzaun.

Vor 25 Jahren begann die CSSR mit dem systematischen Abbau der Sperranlagen an der Grenze

 

Bad Kötzting. Über Nacht hatte es mächtig geschneit, noch am Vormittag waren die Straßen wie Rutschbahnen. Nicht gerade die besten Bedingungen für eine Fahrt ins tschechische Grenzgebiet, wo die Straßen bestimmt noch schlechter geräumt sind als bei uns. Doch die Aussicht, Zeugen eines historischen Moments zu werden, ist zu verlockend. So machen wir uns auf den Weg hinter den Eisernen Vorhang. Unser Informant hatte nicht zuviel versprochen: An diesem Tag begann die CSSR mit dem systematischen Abbau der Sperranlagen.

Bis zu jenem 15. Februar 1990 stand der Eiserne Vorhang der Tschechoslowakei an der Grenze zur Bundesrepublik Deutschland fest wie eh und je. Die Hinweise auf den bevorstehenden Rückbau der Sperranlagen nach dem Vorbild der Staatsgrenze der CSSR zu Österreich hatten sich in den letzten Wochen verdichtet. Zumal auch schon der 1. Juli als Tag für die Wiedereröffnung alter Grenzübergänge feststand, verbunden mit der Aufhebung der Visumspflicht. Dass der Eiserne Vorhang ausgerechnet im tiefsten Winter fallen sollte, kam aber doch überraschend.

Zum Glück mussten wir nicht mehr den Umweg über Waidhaus und Rozvadov – bis Januar der einzige Grenzübergang, an dem man ein Tagesvisum bekommen konnte – machen, um ins tschechoslowakische Sperrgebiet jenseits von Eschlkam zu gelangen. Wir hatten uns vorsorglich ein Dauervisum besorgt, das zur Einreise an allen Grenzübergängen berechtigte. Und so gelangten wir über Furth im Wald-Folmava auf die alte Straße in Richtung Taus (Domazlice) und bogen hinter Kubitzen (Ceska Kubice) nach rechts auf die Straße nach Neumark (Vseruby) ab. Zum Glück hatte es inzwischen zu schneien aufgehört. Unter Missachtung der vielen Verbotsschilder, von denen wir seit unserem letzten Besuch am 29. Januar wussten, dass sie ihre Gültigkeit verloren hatten, gelangten wir ins Sperrgebiet.

Auf dem von Wachtürmen gesäumten Kolonnenweg, vor Kurzem noch ausschließlich den Patrouillenfahrzeugen der Grenztruppe vorbehalten, gelangten wir durch das alte Prennet (Spanelec). Am Ortsende endlich die Bestätigung unserer Information: Der dem Spurenstreifen vorgelagerte Vorzaun des Eisernen Vorhangs liegt im Schnee, die mit Schneehauben bedeckten Haltepfosten stehen entblößt wie Zahnstocher in der weißen Landschaft. Wir wagen uns noch ein Stück weiter und stoßen nach ein paar hundert Metern auf einen Trupp junger Soldaten, die sich bestens gelaunt an den Sperranlagen zu schaffen machen: Mit einem Bolzenschneider lösen sie den Zaun von den Pfosten, um ihn dann mit bloßen Händen einzureißen und mit ihren Stiefeln in den Schnee zu treten. Unsere vorsichtige Frage, ob wir sie denn bei der Arbeit fotografieren dürften, beantworten sie mit einem breiten Grinsen: Samozrejme! – Selbstverständlich!

Wie lange haben wir auf diese Bilder gewartet. Jetzt aber schnell, bevor die Soldaten es sich anders überlegen und ihr Vorgesetzter uns womöglich die Kamera abnimmt und den Film beschlagnahmt! Was mit dem Hauptzaun passiert, wollen wir noch wissen. Antwort: Fragen Sie doch unseren Chef in Maxberg, der kann Ihnen alles sagen.

Also nichts wie hin zur Kaserne in Maxberg. Kaum stehen wir vor dem Tor des heruntergekommenen Gehöfts, kommen auch schon zwei Wachsoldaten auf uns zu. Ob der Chef zu sprechen wäre, fragen wir höflich. Die beiden Soldaten verschwinden im Hauptgebäude des mit einem eigenen Stacheldrahtverhau umgebenen Areals. Wenig später torkelt ein leibhaftiger Hauptmann der CSSR-Grenztruppe auf das Tor zu. Der gute Mann ist sturzbetrunken und sagt uns bereitwillig alles, was wir wissen wollen: Ja, der komplette Draht kommt weg und am nächsten Montag um 8 Uhr wird die „Bedna“ (Kiste), wie die elektrotechnische Überwachungsanlage im Jargon der Grenztruppe bezeichnet worden ist, abgeschaltet.

Exklusive Bilder und Informationen aus erster Hand: Mit dieser Ausbeute unseres Ausflugs an die Grenze hatten wir nicht im Traum gerechnet. Auf der Fahrt zurück in die Redaktion wird uns bewusst, dass wir Augenzeugen eines historischen Ereignisses geworden sind. Die Nachricht vom systematischen Abbau des letzten Stücks Eiserner Vorhang in Europa wird entsprechend aufbereitet und erscheint auch auf der Politikseite.

Am nächsten Montag sind wir schon wieder drüben, diesmal mit einem Kollegen von der Further Redaktion der Chamer Zeitung. Wir möchten wissen, ob der Hauptmann von Maxberg die Wahrheit gesagt hat und die „Kiste“ abgeschaltet ist. Und tatsächlich: Zwischen Vollmau und Prennet haben Soldaten bereits ein paar hundert Meter Signalzaun umgelegt und eingerollt. Damit ist der Eiserne Vorhang Geschichte.

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Im Gespräch mit Redakteur Franz Amberger: Dr. Zahora, Kommandeur der Grenztruppenbrigade Taus, und sein Grenzbeauftragter Pucelik. Fotos: Archiv

Jetzt möchten wir nur noch wissen, wie die CSSR-Grenzorgane sich auf die neue Situation einstellen. Wir sind so frei und fahren direkt zum Brigadestab der Grenztruppe nach Taus. Dort empfängt uns der Kommandeur persönlich. Im Beisein des Grenzbeauftragten Pucelik gibt Oberstleutnant Dr. Zahora bereitwillig Auskunft auf alle unsere Fragen, wie es an der offenen Grenze weitergehen soll. Damit nicht genug, unterbreitet er uns am Ende des Gesprächs noch ein großzügiges Angebot: „Wenn Sie möchten, können Sie jetzt zur Grenze fahren und Fotos vom Abbau der Sperranlagen machen.“ Etwas verschämt gestehen wir: „Von dort kommen wir gerade.“

Der Tag, an dem der Eiserne Vorhang fiel, war der 19. Februar 1990.


 

Quelle: Franz Amberger, in: Bogener Zeitung vom 23. Februar 2015 (zeitversetzt übernommener Beitrag aufgrund einer Sperrfrist)

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