Umweltthemen
Strenger Winter kostet viele Eisvögel das Leben
Ein Opfer des Frostes: Dieser Eisvogel kann nicht mehr jagen und fressen, da sowohl sein Gefieder als auch sein Schnabel vom Eis verklebt sind.
Kleiner Sympathieträger mit großen Problemen – Interview mit dem Experten Ralph Sturm
Der Januar hat heuer nicht mit Schnee und Eis gegeizt. Was die Wintersportler freut, macht der Tierwelt das Leben schwer. Einer, der in Zeiten strenger Fröste eine besonders harte Zeit hat, ist der Eisvogel. Naturfotograf Ralph Sturm aus Rain, der auch in der Kreisgruppe des LBV (Landesbund für Vogelschutz) aktiv ist, hat sich in den letzten Jahren mit diesem Vogel besonders intensiv befasst. Im Interview gibt er Einblick in die Lebenswelt des Eisvogels.
In den letzten Jahren war der Eisvogel einer Ihrer fotografischen Schwerpunkte. Gibt es im Landkreis Straubing-Bogen denn viele Eisvögel?
Ralph Sturm: Im Landkreis ist der Eisvogel durchaus regelmäßig anzutreffen. Erstaunlich ist nur, dass er trotz der intensiven Orange- und Blaufärbung im Ufergestrüpp von Bächen und Flüssen kaum auffällt. Seine kleine Größe und seine kontrastreiche Färbung lassen ihn für viele Menschen optisch mit dem lebhaften Hintergrund verschwimmen. Solange er sich nicht bewegt, fällt er kaum auf. Es ist zudem eine Eigenart des Vogels, dem Betrachter seine orange-braune Brustfärbung zuzudrehen, die dem Herbstlaub gleicht und nicht auffällt. Die glänzend stahlblaue Rückenfärbung wendet er meist geschickt vom Betrachter ab. Erst, wenn er unvermittelt auffliegt, wird er gesehen. – Allerdings nicht lange, denn die glitzernde Wasseroberfläche, in der sich der Himmel spiegelt, tarnt seine blau-grün-türkisglänzende Rückenseite auch wieder perfekt.
Wie sieht ein typisches Eisvogel-Revier aus?
Sturm: Der Vogel ist unumwunden an Wasser gebunden. Er hält sich immer in der Nähe von Gewässern aller Art auf. Dabei sitzt er nicht allzu hoch über der Wasseroberfläche auf überhängenden Zweigen oder Ästen. Ob es sich um ein Fließgewässer, ein ruhendes Gewässer, einen Gartenteich oder einen Wassergraben handelt, spielt keine Rolle. Wichtig ist lediglich das Vorkommen von kleinen Fischen wie Moderlieschen, Elritzen, Groppen und Stichlingen. Die Wassertiefe spielt auch nur eine untergeordnete Rolle, denn der Eisvogel taucht in tiefere Regionen mit bis zu 50 Zentimetern Tiefe genauso wie in Flachwasserzonen mit nur zehn Zentimetern Tiefe.
Die letzten Winter waren relativ mild. Heuer hat der Januar mit starkem Frost aufgewartet. Sind aufgrund der Witterung große Verluste in der Eisvogel-Population zu befürchten?
Sturm: Die lang anhaltenden tiefen Temperaturen werden die Populationen mit Sicherheit schwächen, viele Eisvögel werden solche Winter nicht überleben. Das ist die Natur!
Warum macht ein strenger Winter gerade dem Eisvogel so große Probleme?
Sturm: Es ist von vorneherein ungewöhnlich, dass der Eisvogel bei uns heimisch ist und zudem auch den Winter bei uns verbringt. Die Familie der Eisvögel ist ausschließlich in den Tropen beheimatet. Nur eine einzige Art innerhalb dieser großen Familie von leuchtend bunten Vögeln ist hier bei uns vertreten, unser Eisvogel: Alcedo atthis! Die Temperatur ist nicht das große Problem, sondern die Begleiterscheinungen wie die großflächige Vereisung von Gewässern. Als Einzelgänger duldet der Eisvogel keine Artgenossen in seiner Nähe. Bei zugefrorenen Gewässern müssen die Einzelgänger nun enger an offenen Stellen zusammenrücken, und das endet meist in wilden Verfolgungs- und Vertreibungsflügen, die sehr viel Energie verbrauchen. Um den Energiebedarf zu decken, muss oft getaucht und gejagt werden – dazu noch erfolgreich gejagt! Nach Tauchjagden muss dann das Gefieder getrocknet, gepflegt und gefettet werden. Wird dieser Vorgang oft unterbrochen, trocknet das Gefieder nicht ganz, und verbleibende Restnässe gefriert schnell. Erneute Tauchversuche führen dann schnell zu einer Vergrößerung der Eispartikel, und schließlich können der Schnabel und auch das Gefieder zusammenfrieren. Damit ist es dem Eisvogel unmöglich, Fische zu fangen, geschweige denn zu fressen. Er wird nach einigen Tagen mit großer Wahrscheinlichkeit verhungern.
Haben Sie in diesem Winter schon viele tote Eisvögel gefunden?
Sturm: Bei meinen Aufenthalten im Revier habe ich in diesem Winter bisher zwei tote Eisvögel gefunden, die teilweise im Eis eingeschlossen waren. Sie scheinen in den kalten Nächten vor Entkräftung regelrecht vom Ast gefallen zu sein. Die Dunkelziffer der Kälteopfer liegt sicher höher und ist nicht einfach zu erfassen. Tote Eisvögel werden – wie andere verendete Tiere auch – von Aasfressern wie Fuchs, Dachs, Iltis, aber auch Greifvögeln verschleppt und damit nicht aufgefunden und registriert.
Singvögel kann ein Naturfreund durch Winterfütterung unterstützen. Gibt es auch etwas, das dem Eisvogel hilft?
Sturm: Nein, hier gibt es keine Möglichkeit. Er ist wirklich auf sich alleine gestellt. Wie soll man denn weitläufige Gewässer eisfrei halten? Wie soll man denn Kleinfische anbieten, damit er sie auch findet? All diese Faktoren sind in der Praxis nicht umzusetzen oder durchzuführen. Einzig die Vermeidung von Störungen und die damit einhergehende Energieersparnis durch häufiges Auffliegen und Flucht kann einen winzig kleinen Beitrag liefern. Wenn also ein Eisvogel im Winter an einem Gewässer gesehen wird, sollte man ihm nicht nachstellen, sondern Abstand halten, um ihn nicht absichtlich zu versprengen. Die Vögel sind sehr, sehr scheu und haben eine große Fluchtdistanz. Also besser einige Schritte zurückgehen als noch einige Schritte in seine Richtung setzen.
Haben Sie mit Ihrem Expertenwissen schon einmal einen retten können?
Sturm: Gott sei Dank konnte ich bisher einige Eisvögel retten und gesundpflegen, wenn sie mir von aufmerksamen Naturfreunden gebracht oder gemeldet wurden. Teilweise waren es stark geschwächte Frostopfer, teilweise unerfahrene Jungvögel, die bei Tauchversuchen fast ertrunken sind, oder auch verletzte Vögel, die an Fensterscheiben geflogen sind oder von Katzen gefangen wurden. Leider überwiegen aber die Totfunde.
Und so sieht ein geretteter Eisvogel kurz vor seiner Freilassung aus: Er wehrt sich und kann die Freiheit kaum erwarten. Ralph Sturm weiß, wie er die Vögel – die im Winter übrigens keine warmen Räume oder geheizten Käfige vertragen – füttern und gesundpflegen kann. (Fotos: Ralph Sturm)
Warum heißt der Eisvogel, obwohl er mit Eis überhaupt nicht gut klarkommt, eigentlich ausgerechnet Eisvogel?
Sturm: Der Name hat mit Eis nichts zu tun! Obwohl seine eisblaue Färbung auf Eis hindeutet. Ein alte Bezeichnung für den Eisvogel lautet „Eisenkeil“ und da steckt die ursprüngliche Erklärung drin. Tatsächlich entspringt sein Name dem alten Begriff „eisan“, was so viel wie „glänzend, schillernd, glitzernd“ bedeutet. Im Eisen spiegelt sich der Himmel und glitzert in vielen Blautönen, genau wie im Rückengefieder des Vogels.
Und warum hat der LBV sich gerade dieses Tier als „Wappenvogel“ für sein Logo ausgesucht?
Sturm: Der Eisvogel steht als Symbol für intakte Umwelt und ruhige Naturlandschaft. Er gilt als schlau, gewandt und geschickt. Er nimmt zudem eine Sonderstellung in unserer Tierwelt ein, sei es durch seine auffallende Körperform oder seine außergewöhnliche Lebensweise. Der Eisvogel besitzt einen nicht vergleichbaren Bekanntheitsgrad und ist querbeet ein absoluter Sympathieträger. Er hat es als einziger Vogel überhaupt geschafft, zweimal zum Vogel des Jahres gewählt zu werden, 1973 und 2009. Das muss erst mal ein anderer Vogel nachmachen . . .
Quelle: Andrea Prechtl/BOG Zeitung vom 30. Januar 2017 (Zeitversetzte Übernahme aufgrund einer 14-tägigen Sperrfrist.)
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