Pressestimmen (sz): Schule, Eltern, Dialekt

Mundart im Unterricht ist längst nicht mehr verpönt

 

Landshut - Der früher recht behäbig wirkende Freistaat ist zu einer Art Turbo-Bayern mutiert, das in einem atemberaubenden Tempo sein Gesicht verändert. Auch die Sprache, die aus der langen Geschichte dieser Region herausgewachsen ist, erlebt durch Zuzug, Medienflut und Globalisierung einen tiefen Wandel. In den Großstädten sind die Ortsdialekte bereits einer oft undefinierbaren Hochsprache gewichen, auf dem Land aber ist die Mundart noch zu hören. Die daraus resultierende sprachliche Kluft wirft unter anderem die Frage auf, ob der Dialekt im bunten Nationalitätengemisch des Schulalltags noch eine Berechtigung hat.

Vor diesem Hintergrund wurde am Dienstag bei den Landshuter Literaturtagen das Grundverhältnis zwischen Dialekt und Schule hinterfragt, das in der Vergangenheit gerne negativ konnotiert wurde etwa mit dem Vorurteil, die Mundart behindere die Sprach- und Lernfähigkeit der Kinder. Es wurde sogar behauptet, dass Schüler, die Dialekt sprechen, dümmer seien als die in der Hochsprache sozialisierten Altersgenossen.

Vor allem in den 70er Jahren wurden diese Thesen populär und der Dialekt als Bildungshindernis verunglimpft. Obwohl diese Position von der Hirnforschung längst widerlegt ist, lebt sie in vielen Elternhirnen bis heute fort. Dabei hat sich die Ausgangslage völlig verändert. Mittlerweile herrscht in der Bildungsdiskussion Einigkeit darüber, dass die sogenannte innere Mehrsprachigkeit, also das Erlernen von Dialekt und Hochsprache, die sprachliche, kognitive und soziale Entwicklung der Kinder positiv beeinflusst. Die in Landshut versammelten Lehrer und Schulleiter bekräftigten unisono, dass der Dialekt aus heutiger Sicht eine Bereicherung für die Schule darstelle. Allerdings müsse das Phänomen wegen der Inhomogenität der Schullandschaft differenziert betrachtet werden. In jenen Milieus, in denen der Dialekt noch lebendig sei, sollten im Unterricht entsprechende Freiräume geschaffen werden, Anderswo, etwa in den Gymnasien im Münchner Norden, sei das Thema jedoch irrelevant. In den dortigen international und multikulturell besetzten Klassen gehe es nicht mehr um Dialektpflege. "Die haben ganz andere Sorgen. Wo der Dialekt nicht mehr ist, werden Sie ihn nicht mehr beleben", sagte Hermann Ruch vom Staatsinstitut für Bildungsforschung.

In Niederbayern und in der Oberpfalz gibt es dagegen noch viele dialektsprechende Kinder. Man solle sie ruhig darin bestärken, denn ihre Sprache sei ausdrucksstark und ein Identifikationsfaktor, sagte Judith Wenzl, die niederbayerische Vorsitzende des Lehrerinnen- und Lehrerverbands. Früher sei der Dialekt ein Minuspunkt gewesen, jetzt sei er ein Eigenwert, den es zu pflegen und zu schützen gilt.

Woher aber rührt die Skepsis vieler Eltern? Sepp Obermeier vom Förderverein Bairische Sprache beklagte die Dialektfeindlichkeit an den Kindergärten. Dies hänge mit der Erwartungshaltung der Eltern zusammen und deren Angst, Mundart könne den Weg zum Abitur verbauen. Der Deutschlehrer Christian Ferstl sagte, man müsste eigentlich die Eltern unterrichten, ihnen sagen, dass der Dialekt keine Schande sei, sondern den Spracherwerb fördere.

Dass Dialektsprecher Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung hätten, wurde als These verworfen. Wer sich eine innere Mehrsprachigkeit aneigne, gehe gestärkt daraus hervor, er werde flexibler und sprachlich wendiger. Der Autor Harald Grill warb für die Schönheit aller Dialekte. Es sei aber ratsam, das unterschwellige Mia-san-mia-Gehabe, das in Bayern manchmal zu spüren sei, nicht aufkommen zu lassen, Dialektsprecher sollten sich gegen die allgemeine Nivellierung wehren und die Identität aller Dialektregionen wertschätzen, nicht nur die eigene.

 


Quelle: Hans Kratzer, in: Süddeutsche Zeitung vom 10. November 2011

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