AK Heimatgeschichte Mitterfels e.V.
AK Heimatgeschichte Mitterfels. Ein Abend mit Autoren - Teil 2
Für alle, die den Abend noch einmal Revue passieren lassen, etwas nachlesen oder gar nachsingen möchten, oder für diejenigen, die nicht dabei sein konnten, stellen wir ihn hier mit Text, Bild und Noten zur Verfügung:
7. Heinrich Vogl: Erinnerung an meine Kindheit in Haselbach
Nach "Bänkelsängerart" wurde bei jeder Lesesequenz ein Plakat aufgedeckt, das den Text bildhaft untermalte. Durch Klick auf das Bild können Sie es vergrößern.
Anmoderation durch Herbert Becker: Es ist nicht ganz einfach, zu unterscheiden, was Zeitgeschichte ist und was ganz persönliche, subjektive Erinnerung. Auf jeden Fall war Selbsterlebtes, waren persönliche Erinnerungen an vergangene Zeiten schon immer ein Thema für das MM, und sie sind es noch. Einer, der seine Kindheitserinnerungen für das MM aufgeschrieben hat, war Heinrich Vogl, der Vater von Elisabeth Vogl. Er war 1927 in Ascha geboren, seine Eltern haben in Rattiszell eine Land- und eine Gastwirtschaft betrieben. Aufgewachsen ist er in Haselbach. Agnes Nirschl liest uns etwas aus seinen Erinnerungen vor. :
Mein erster Kirchgang
Ein ganz besonderes Erlebnis, das mich sehr beeindruckt hat, war mein erster Kirchenbesuch in der Pfarrkirche Haselbach. Voll gefüllt mit Eindrücken kam ich nach Hause und erzählte meine Erlebnisse. Mein Vetter, der Frankl Hans, späterer Bruckhofbauer und Firmpate erzählte mir davon auch noch viele Jahre später: Der Herr Pfarrer sei in einem aufgehängten „Holzschaffl“ (Kanzel) gestanden und hätte die Leute geschimpft und der Himmelvater sei unter einer Anrichte gelegen (es war in der Karwoche - das „Heilige Grab“ war alle Jahre unter dem rechten Seitenaltar zu sehen).
Auch der alljährliche Gang zur Christmette wird mir immer in Erinnerung bleiben. Der Weg ins Dorf war weit. Grimmige Kälte, tiefer Schnee, schlechtes Schuhwerk (die Füße wurden schon nach kurzer Zeit nass) und eine eiskalte, ungeheizte Kirche konnte mir das große, freudige Erlebnis nicht schmälern - ist doch das Christkind selber ein paar Stunden zuvor bei mir zu Hause gewesen. Freilich war das Christkind damals nicht so reich wie heute. Aber die Weihnachtsplätzchen schmeckten damals fast so gut wie die so seltenen frischen Semmeln vom Bäcker.
Mein erster Schultag
Wegen meines Geburtstages am 30. Juli konnte ich gerade noch als einer der Jüngsten im September 1933 in die Schule aufgenommen werden. Meine Mutter brachte mich am ersten Tag zur Schule, denn der Schulweg war weit und beschwerlich und außerdem kannte ich keinen meiner zukünftigen Schulkameraden. Ich war so entlegen in der Einöde aufgewachsen, daß ich außer unserer Familie nur noch Bekannte aus drei oder vier Familien kannte. Meine Welt war so wunderbar geordnet, so klein und so überschaubar, dass das Erlebnis des ersten Schultages mit so vielen Kindern kaum zu begreifen war. Die Lehrerin, ich glaube es war Frau Baier, schien mir nicht von dieser Welt zu sein. Sie hatte feinere Kleider und eine andere Sprache als diejenigen Menschen, die ich bisher kennen gelernt hatte. Für Kinder der damaligen Zeit gab es aber keine Probleme - ich war sehr neugierig und alle neuen Eindrücke empfand ich als äußerst positiv.
Der Schulweg war zwar beschwerlich, er war aber landschaftlich schön und abwechslungsreich. Da war einmal der böse „Bräuhund“, der manchmal nicht angekettet war und eine Gänsemeute mit einem, für mein Empfinden überdimensionalen „Ganserer“. So war es manchmal notwendig, Umwege, d.h. einen großen Bogen um den Hof zu machen. In so einem Fall musste ich den Rest des Schulweges laufen, um rechtzeitig die Schule zu erreichen.
8. Franz Schötz mit "In d' Schui gäih gern"
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9. Herwig Hoinkes: Erinnerungen an die ersten Nachkriegsjahre
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Anmoderation HB: Die Erinnerungen von Heinrich Vogl gehen zurück in die 30er Jahre. Wir haben hier jemanden, den Herwig Hoinkes, dessen Erinnerung fast ebenso weit zurück reicht, nämlich bis in die 40er Jahre, in die unmittelbare Nachkriegszeit. Allerdings war er da noch sehr klein. Seine Familie war mit ihm aus Schlesien geflohen und im April 1945 in Eggerszell angekommen. 46 fand sie in Hinterascha eine Bleibe. In seinen Erinnerungen an die ersten Nachkriegsjahre schildert Herwig Hoinkes ein paar der Probleme, mit denen die Menschen damals konfrontiert waren und ein paar der Restriktionen, denen sie unterlagen. Weil Herwig Hoinkes erkrankt ist liest Franz Tosch aus dessen Erinnerungen vor:
Verkehrsprobleme 1945 - 1947
Ein ganz spezieller Ausweis, der kurz nach Kriegsende am 14. Mai 1945 vom Bürgermeister der Gemeinde Eggerszell ausgestellt wurde, zeigt in besonderer Weise, unter welchen Bedingungen man sich damals kurz nach Kriegsende von einem Ort zum anderen bewegen konnte:
Ausweis für Umquartierten Rudolf Hoinkes bei Seidl Hinterascha Hn. 7. Vorgenannter ersucht um Genehmigung nach Bogen zu Fuß reisen zu dürfen, um für sich zum Zahnarzt und in die Apotheke für ein krankes Kind kommen zu können.
Der Bürgermeister
der Gemeinde Eggerszell den 14. Mai 45
Wegerer
Die folgenden zwei Beispiele können die Verkehrsprobleme in den ersten Jahren nach dem Krieg charakterisieren. Zum Transport von Personen und Waren in die Stadt Straubing und zurück aufs Land bis nach Zinzenzell diente ein Lastwagen, der manchmal noch mit einem busähnlichen Aufbau versehen war. Wie damals für Lastwagen üblich, wurde er durch Holzgas angetrieben, d. h. in einem Kessel wurden durch sogenannte trockene Destillation Holzklötzchen verkohlt und das dabei entstehende Gas zum Antrieb des Motors verwendet. Bei diesem Verfahren entsprechen 2,5 kg Holz etwa 1 Liter Benzin. Die Grenzen dieses Antriebs wurden häufig erreicht, wenn der vollbeladene Lastwagen auf der Rückfahrt von Straubing oberhalb von Ascha den steilsten Streckenabschnitt, die sogenannte „Höflbauern Reim“, erreichte. Dann kam aus dem Führerhaus das Kommando: „Alles aussteign, schuim!“ Alle einsatzfähigen Männer sprangen daraufhin von der Ladefläche und mit vereinten Kräften gelang es eigentlich immer, die steilen Kurven zu überwinden und die Fahrt fortzusetzen.
Als weiteres Beispiel damaliger Verkehrsprobleme kann ich den Transport meines Großonkels ins Krankenhaus nach Straubing anführen. Er hatte im Februar 1947 einen Schlaganfall und sollte dringend ins Krankenhaus gebracht werden. Die Donaubrücke war aber nicht benutzbar und so sollte der Transport über die Fähre Sand erfolgen. Da die Donau in jenem extrem kalten Winter zugefroren war, ergab sich schließlich folgender, aus der Kostenabrechnung ablesbarer Ablauf der Fahrt:
Eggerszell – Sand 22,- RM
Schlitten 5,- RM
2 x Ausschaufeln 10,- RM
Sand – Krankenhaus 11,70 RM
48,70 RM
10. Albert Dietl jun.: Aus dem Amt geplaudert
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Anmoderation HB: Von 1947 bis 1956 hatte Mitterfels einen Bürgermeister namens Albert Dietl. Albert Dietl junior, genau gesagt. Er war ein ausgesprochen rühriger und zukunftsorientierter Bürgermeister, außerdem war er zu seiner Zeit der jüngste Bürgermeister Bayerns. Manches von dem, was er in seinem Amt erlebt hat, hat er aufgeschrieben, und einiges davon hat das MM abgedruckt. Wir dürfen uns freuen, dass wir aus Dietls Erzählungen etwas über die damalige Zeit – eine schwierige und bewegte Zeit – erfahren, unter anderem über die Bedeutung von Dingen, die für uns heute ganz selbstverständlich sind, wie das Telefon und die Fernwasserversorgung, aber auch über die Unterbringung von Flüchtlingen, die heute so unsäglich schwierig ist. [Herbert Becker liest.]
Als Festredner beim „Wasserfest” (Einweihung der Wasserleitung) am 20.10.1949 im Abriel-Saal war der „Vater der Mitterfelser Wasserleitung”, Baudirektor Fritz Stimmelmayr, Präsident des Bayerischen Landesamtes für Wasserversorgung, München, eingeplant.
Um 18 Uhr sollte es losgehen. Es ist 1/4 Stunde vorher: Immer noch kein Stimmelmayr da! Den jungen Albert Dietl treibt es umeinander „wia a legade Henn”! Da wird er zum Telefon gerufen: „Ja, hier Stimmelmayr. Wir haben Pech, Herr Bürgermeister, ich sitze hier auf der Rusel fest und halte den Schwanz einer Quelle, die statt nach Deggendorf nach Plattling abhauen möchte! Ich werde mich verspäten!” Der Dietl Albert richtet sich stark deprimiert an, den etwa 500 wartenden Bürgern im Saal die Panne beizubringen. Als er ans Rednerpult trat, konnte er stattdessen den Hauptredner Stimmelmayr begrüßen und ankündigen; denn dieser ging soeben die Saaltüre herein.
Des Rätsels Lösung: Stimmelmayr war in die Post-Agentur (schräg gegenüber der „Friedenseiche” beim Bäcker Schwarz) zum Postfräulein Hedwig Lang gegangen und verlangte die Nummer 229 (Abriel-Wirt), um den Bürgermeister zu sprechen. Nachdem ihm der Scherz gelungen war, ging er die paar Schritte von der Post zum Abriel und freute sich köstlich über die Nervosität des Bürgermeisters ...! Die Wasserfeier war gerettet!
Da tauschen sich die Kirchgänger am Sonntag vor der Kirche immer die neuesten Dorf- und Weltnachrichten aus. Da „dischkerieren” zwei Kleinlandwirte:
„Miassma eam dankbar sei, dem junga Burgermoaster, dass ma iatz a a Wassa ham.” Der Angesprochene: „Ja, ja - owa wos fia oans! Des Röhrlwassa schmeckt nach goa nix! Mei Brunnwassa hod wenigstns an Gschmo ghabt! Na, na - so dankbar bin i eam ned!”
Der das sagte, war ein Verwandter vom Bürgermeister, der zuvor täglich Kadaverteile an Fröschen, Mäusen und Ratten heraufgepumpt hatte. Den „Gschmo” konnte das Buchetwasser natürlich nicht bieten!
Er hatte ein Haus mit 12 Zimmern, der Mitterfelser Geschäftsmann. Da musste ich wenigstens zwei Räume beschlagnahmen für Flüchtlinge. Noch an der Haustüre schien er wegen meines Besuches und Anliegens zu sterben. Er fiel zu Boden und zitterte, röchelte und stöhnte. Ich rief den Dr. Müller um Hilfe. Der beruhigte mich: „Der stirbt nicht, der wäre der beste Schauspieler für mein Staatstheater! Haben Sie keine Hemmungen, Herr Bürgermeister. Bei ihm können Sie fünf Zimmer beschlagnahmen - ohne Risiko!”
11. Franz Schötz mit "Das alte Graffl"
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12. Gertrud Graf: Wildkräuter und Quitte
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Anmoderation HB: Bis jetzt haben wir in erster Linie zurückgeschaut. Auf dem MM steht aber „gestern – heute – morgen“. Also wenden wir uns jetzt der Gegenwart zu, dem Unmittelbaren, dem, was uns Tag für Tag beschäftigt: Dem Essen, der Ernährung, der Gesundheit, dem Genuss. Wenn es um Küche und Kräuter, Gartenbau und Botanik im Allgemeinen geht, dann heißt das beim MM, dass Gertrud Graf in Aktion tritt. Sie erzählt uns unter anderem etwas über die Quitte. Das ist eine Frucht, die lange Zeit fast vergessen war, obwohl schon die alten Griechen – Hippokrates zum Beispiel, der so genannten Vater der Medizin – ihre Heilkraft gepriesen hat. Auch Hildegard von Bingen hat im 12. Jahrhundert bei Durchfall und Fieber, Magenproblemen und Halsentzündungen, Geschwülsten und gichtisch-rheumatischen Beschwerden Extrakte, Aufgüsse und Absude der Quitte empfohlen. Jüdische und arabische Ärzte haben sogar behauptet, dass Frauen, die in der Schwangerschaft viel Quitte essen, schöne, kluge und sinnreiche Kinder kriegen. Nicht, dass unsere Schönheit, Klugheit und unser Sinnreichtum noch vermehrt werden müsste, aber nach Gertruds Lesung gibt es Kostproben aus ihrer experimentellen Küche, die auf jeden Fall eins sind: Schmackhaft!
Als Wildkräuter bezeichnet man Wildpflanzen, die in Gärten, im Ackerland, am Waldrand und Wegrändern wachsen. Unkraut ist ein negativ belasteter Ausdruck, er wird vor allem im Agrarbereich benutzt. Unter dem Begriff Wildkräuter, auch Wildgemüse oder Beikraut werden in der Küche und in Rezeptsammlungen die Pflanzen zusammengefasst, die zum Verzehr geeignet und nicht züchterisch bearbeitet sind. Darin liegt auch deren Besonderheit: Seit vorgeschichtlichen Zeiten wurden Wildkräuter genutzt und ihre Zellen und Struktur wurden nicht durch menschliche Eingriffe verändert. Die Ziele der Züchtung waren dagegen Krankheitsresistenz, hoher Ertrag, milder Geschmack und lange Haltbarkeit. Dabei bleiben leider die gesundheitlich wertvollen Inhaltsstoffe auf der Strecke. Wurden die Wildkräuter früher von der armen, meist ländlichen Bevölkerung und in Kriegs- und Notzeiten genutzt, so erleben sie seit den 1980er Jahren eine Renaissance im Zug der Umweltbewegung und des wachsenden Gesundheitsbewusstseins.
Den Hintergrund bildet die Sehnsucht nach unbehandelten Nahrungsmitteln und nach einem einfachen, natürlich ausgerichteten Leben. Geschätzt und genutzt werden Wildkräuter von Vegetariern, Anhängern der „Slow Food“-Bewegung, aber auch in der sogenannten „Steinzeitküche“ – „back to the roots“. Ein weiterer Grund für den Langzeittrend darf nicht unerwähnt bleiben: Viele Menschen leiden unter zahlreichen Lebensmittelallergien. Der Mensch braucht, um sich wohl zu fühlen – und dazu gehört vor allem eine gute Verdauung – die sekundären Pflanzenstoffe, Vitamine und Mineralien. Diese sind im Obst, Gemüse, Getreide und eben besonders auch in Kräutern enthalten.
Besonders angetan hat es mir die Brennnessel: Die Brennnessel wächst an Mauern, Waldrändern und in nicht gepflegten Gärten. Sie hat Wirkungen ähnlich dem Ginseng – daher war sie im Mittelalter wegen ihrer aphrodisierenden Wirkung für Nonnen und Mönche tabu. Kaum hat sie im Frühjahr ausgetrieben, kann ein wunderbar grüner Entschlackungstee aufgebrüht werden. Sie findet Verwendung zu gesunden Delikatessen im Salat, in der Suppe und im Bennnesselspinat. Im Sommer kann aus der Pflanze weiterhin Tee gekocht werden. Die Samen können roh, getrocknet oder geröstet verzehrt werden.
In einer kleinen Pause können Sie Häppchen mit Brotaufstrich von Wildkräutern und (süß!) Quitten verkosten.
>>> Zum 3. Teil "Abend mit Autoren" gelangen Sie [... hier].
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