„Ins America“: Herzogsreuter siedelten in Chicago

Auswanderer1 wAuswandererschiff der Emma Stadler, von ihr beschriftet. (Fotos: Archiv Hildegarde Clemens)

Frie­de­mann Fe­gert ge­stal­tet Aus­stel­lung im Na­tio­nal­park zur Aus­wan­de­rung zwi­schen 1845 und 1930

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts sind mehr als 300 Menschen aus den Dörfern zwischen Mauth, Finsterau und Herzogsreut (Kreis Freyung-Grafenau) in die USA ausgewandert. Deshalb zeigen der Nationalpark Bayerischer Wald und die Gemeinde Mauth bis 16. Juni die Ausstellung „Ins America“, die der Karlsruher Migrationsforscher Friedemann Fegert erstellt hat. Im Gespräch mit unserer Zeitung spricht er anschaulich über Motive der Europa-Müden, die Vorbereitungen, die Abenteuer der Überfahrt und den schweren Start in der „Neuen Welt“. Ausgehend von den Forschungsergebnissen für sein Buch „Ihr ghönt es Eich gar nicht vorstelen wie es in Amerigha zu ged“ spürte Fegert rund 90 regionalen Schicksalen nach. Bürger der Gemeinde Mauth und amerikanische Nachkommen haben dazu Bilder, Briefe und Erinnerungsstücke zur Verfügung gestellt und lassen so deren Geschichten wieder aufleben. Erst seit dem „Freizügigkeitsvertrag“ von 1845 zwischen dem Königreich Bayern und den Vereinigten Staaten konnten sich auswanderungswillige Bayern die Reise in die Neue Welt überhaupt leisten. Denn nun fiel die „Auswanderungstax“, eine Abgabe von 15 Prozent des Vermögens, für die Erlaubnis zur Auswanderung weg. Gründe für eine Auswanderung gab es viele. Generell hofften die Menschen auf eine bessere Zukunft. Denn im Norden der heutigen Oberpfalz und des Bayerischen Waldes drückte die Armut. Die Höhenlage über 800 Metern minderte den landwirtschaftlichen Ertrag. Das Anerbenrecht ließ alle Nachkommen bis auf einen ohne Erbe zurück. Doch wer ohne Landbesitz war, erhielt keine Heiratserlaubnis. Fegert verfolgte in den untersuchten Dörfern die Geschichten von mindestens zehn jungen Frauen mit unehelichen Kindern, die in Amerika endlich heiraten und „einen eigenen Herd gründen“ wollten. Durch die Auswanderung entzogen sich einige junge Männer der Militärpflicht, aber auch Gemeinden sahen darin einen Weg, Strafentlassene loszuwerden. „Bittschön gebts dem schnell an Pass!“, zitiert Fegert einen Bürgermeister.


Amerika als Land der Hoffnung und Zukunft

An Einzelschicksalen schildert der Forscher weitere Motive. Manche hofften einfach auf das große Glück. Josef Wühr aus Arndorf ging deshalb weit in den Westen in die Rocky Mountains. Er erwarb einen Anteil an einer Silbermine, doch der Erfolg stellte sich nicht ein. Die Arbeit kostete ihn das Augenlicht und schließlich das Leben. Seine Erben in der Heimat erhielten laut Fegert die bescheidene Summe von acht Dollar pro Kopf. Die landschaftlichen Reize und die Freiheit hatten es beispielsweise dem passionierten Jäger Michael Troiber angetan. Er reiste in der Erwartung besserer Jagdmöglichkeiten mit seiner Familie aus der Gegend um den Dreisessel samt zwei Gewehren, einem Geweih und Kuckucksuhr in die Neue Welt. Da es aber auch dort Vorschriften sprich Zollgebühren gab, versenkte er im Zorn das Geweih gleich nach der Ankunft im Hafen von New York. Seine Tochter Luise berichtete später, wie er durch sein Jagdgeschick Freundschaft mit den Indianern schloss und sie einlud. „Einmal brachte er sogar so einen Rothaut mit nach Hause. Die Großmutter bekreuzte sich eilig und wir flüchteten alle aus der Küche.[...] Unser Essen mundete dem Rothaut gut, selbst die Knödel verschlang er gierig, nur an dem Sauerkraut roch er, misstrauisch den Kopf schüttelnd herum und aß nichts davon.“ Troiber fand in der Ferne Glück, aber auch Enttäuschung. Er wollte Teilhaber eines Hotels werden, wurde betrogen und endete schmählich als Anzünder von Gaslaternen.
Einmal pro Tag an Deck Frischluft schnappen

Zur Mitte des 19. Jahrhunderts fand die Reise nach Amerika per Segelschiff statt und dauerte bis zu zwei Monate. Ohne Tageslicht waren die weniger wohlhabenden Bayern im Zwischendeck auf Doppelpritschen untergebracht. „Die Reise im Zwischendeck bedeutete damals den Lärm der Schiffsmaschinen unter dir, pro Tag einen Ausflug an Deck – ein Dahinvegetieren, mit Seekrankheit und Cognac als Überlebenshilfe“, fasst Fegert zusammen. Die Ankunft in New York und der Blick auf die Freiheitsstatue habe die Auswanderer entsprechend euphorisch gestimmt. Die Reise sei damals nicht nur unangenehm, sondern oft sogar gefährlich gewesen. Die beengten Zustände hätten immer wieder zu Vergewaltigungen geführt, schildert Fegert. Erst ab 1870 habe man in Hamburger Schiffen auf separate Unterbringung der Geschlechter geachtet sowie einen Bordarzt verpflichtet. Auch die zunehmende Verwendung von Dampfschiffen ab etwa 1860/70 habe die Reise erleichtert. So habe sich die Reisedauer auf acht bis zehn Tage verkürzt. Überdies habe die Überfahrt von Hamburg nach Amerika enorm viel gekostet. Um 1880 entsprachen die Kosten zwei Jahreslöhnen eines Knechts. 1923 waren es immerhin noch gut zwei Monatsgehälter einer Sekretärin in einem Industriebetrieb. Dazu addierte sich der Weitertransport in Amerika. Natürlich trieben auch damals Schlepper und Betrüger ihr Unwesen. Hilfsorganisationen, wie der Sankt-Raphaels-Verein, kümmerten sich deshalb um deutsche Einwanderer in den USA.


Die ersten Auswanderer fanden viele Nachahmer

Unter den ersten Migranten waren viele junge Leute zwischen 20 bis 24 Jahren. Sie strebten nach einem besseren Leben: „Schlimmer wie daheim kanns nimmer kommen“, zitiert Fegert. Hatten sie erst Fuß gefasst, schilderten sie den Daheimgebliebenen ihr neues Leben und regten damit Verwandte zur Nachahmung an. Auf diese Weise zogen nach und nach oft ganze Familienverbände los, was als Kettenwanderung bezeichnet wird. Doch die Nachrichten nach Deutschland waren zum Teil geschönt. Fegert stellt fest: „In den Schreiben kamen selten Probleme vor. Wer will schon ein Scheitern zugeben und Angehörige beunruhigen? Keiner.“ Denn die Bedingungen waren nicht einfach und die Sprachbarriere bremste viele Hoffnungen aus. Der Forscher fand als Beleg die ungewöhnlich ehrliche Nachricht: „Wenn du ned amerikanisch kannst, lebst wia a Hund.“ Natürlich suchten die Zuwanderer in den USA Arbeit. Die Bayerwaldler kannten die Mühen der Landwirtschaft und strebten daher in die Industriebetriebe der großen Städte. Je nach Erfahrung wurden sie in Steinbrüchen oder Sägewerken tätig. Junge Frauen arbeiteten zum Beispiel in Pralinenfabriken, die bekannte Volksdichterin Emerenz Meier braute in der Prohibitionszeit illegal Bier. Erschwerend für die Bayern war der Zeitpunkt der Emigration. Fegert erzählt von der Auswanderungswelle der Pfälzer und Baden-Württemberger, die sich bereits ab 1800 an der Ostküste niedergelassen hatten. Als um 1845 die Bayern ankamen, waren die Arbeitsplätze rund um New York vergeben. Daher mussten sie weiter in den Westen ziehen – an die „frontier“. Sie lebten im Bereich der oberen Seen, in Illinois, Wisconsin und in der um 1890 bedeutendsten amerikanischen Stadt Chicago. Rund 65 Prozent der Bayerwaldler haben dort gesiedelt, erklärt Fegert.


In Chicago gab es ein Herzogsreuter Viertel

Auswanderer2 wKatharina (Kathy) Stadler (2. v. l.) mit Cousine Kathy und den Cousins Anton (r.) und Oswald Kern bei der Überfahrt 1926.

In Chicago bildete sich schließlich ein Herzogsreuter Viertel, in dem die Waldler bis zum Zweiten Weltkrieg versuchten, gemäß ihrer Traditionen zu leben. Sie gründeten Trachtenvereine, pflegten die Volksmusik und bayerische Esskultur. Über Briefe und Tagebücher von Emma Stadler, die 1924 aus Herzogsreut ausgewandert war, erfuhr Fegert viele Details zum Leben der Einwanderer bis 1954. Unter anderem entdeckte der Forscher ein Bittschreiben der Feuerwehr von Herzogsreut. Zum Jubiläum baten sie die „lieben Bekannten in America“ um 500 Mark zur Finanzierung einer Fahne, da die wirtschaftlichen Verhältnisse im Bayerischen Wald schlecht seien und sie „mit bestem Willen die Mittel nicht aufbringen“ könnten. In ihrer Antwort bedauert Stadler nur 80 Dollar (320 Reichsmark) gesammelt zu haben und zählt 21 Spender auf. Zwanzig davon stammten aus Herzogsreut und lebten in Chicago eng beieinander. Emmas Schwester Katharina eröffnete die „Home Tavern“, eine bayerische Kneipe. In dieser trafen sich die Bayerwaldler Freitagabend nach ihren Auftritten als Volksmusiker und aßen zum Beispiel Kartoffelsalat. Diese Home Tavern gibt es noch heute und vieles ist unverändert. Fegert fand dort im Jahr 2015 einen alten, noch funktionierenden Kühlschrank, der bereits auf Fotos von 1935 abgebildet war.


Bayerisches Brauchtum wird bis heute nachgelebt

Auswanderer3 wDer Auswanderer Fritz Kandlbinder (hinten, rechts) schloss sich dem Bayernverein in Chicago vor dem Jahr 1910 an. (Foto: Archiv Fany Kandlbinder)

Für die Enkel und Urenkel der Auswanderer spielen die Herkunft und alte Traditionen immer noch eine Rolle. Viele beherrschen einige Ausdrücke im Dialekt und pflegen bayerisches Brauchtum. Einmal pro Monat wird in einer Kirche im „Herzogsreuter Viertel“ auf Deutsch gepredigt, es gibt die deutsche Zeitung „Eintracht“ und deutsche Lebensmittel. Die Nachkommen lieben Fotos in Tracht und sind Mitglied im Edelweiß-Club. Auch ein Oktoberfest wird gefeiert. Bei seinen Erkundungen profitierte Fegert vom Interesse der Amerikaner an ihren Wurzeln. Nachfahren der Auswanderer wie Charles Hackl, ein Neffe von Emma Stadler, sind mit ihm befreundet. Einige sandten Videogrüße für die Ausstellung, um die Verbindung zum Bayerischen Wald aufrechtzuhalten. Weitere Informationen Ausstellung:„Ins America“ Auswanderung aus Mauth und Herzogsreut in die USA – Große Geschichten von kleinen Leuten, Nationalpark- und Gästeinformation, Mühlweg 2, Mauth, täglich geöffnet von 9 bis 12 Uhr und Montag bis Freitag: 12.30 bis 17 Uhr Tel. 08557/3059978, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.nationalpark-bayerischer-wald.de.

Quelle: Gertraud Wittmann/BOG-Zeitung (Zeitversetzte Übernahme aufgrund einer 14-tägigen Sperrfrist.)

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