Wallfahrten im Böhmerwald: Die Tussetkapelle
Zwischen Wallern (Volary), Eleonorenhain (Lenora) und der Landesgrenze liegt der Tussetberg (Stožek). Südlich vom Hauptgipfel (1065 m) unter einer mächtigen Felsengruppe (973 m) und den Trümmern eines alten Wartturmes steht die Tussetkapelle. Dieser Ort ist eng mit der Geschichte Wallerns verbunden.
Der Wachturm ist wahrscheinlich schon im 13. Jahrhundert zum Schutz der Säumer errichtet worden, die jahrhundertelang ihre Waren von Passau nach Prachatitz befördert haben. In Kapellen auf diesem langen Weg hielten die Kaufleute eine Andacht. Nach einer ersten, mündlichen Wallerner Überlieferung stand im 17. Jahrhundert unweit der Säumerbrücke eine kleine Holzkapelle mit einem Marienbild.
Im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) brachten die Schweden Not, Elend, Krankheit und Tod in das beschauliche Moldautal. Es trug sich zu dieser Zeit zu, dass ein Vogelfänger, "ein braver Mann namens Wenzel" genötigt ward, den Schweden den richtigen Weg durch die unwirtlichen Wälder zu zeigen. Er fürchtete um das Marienbild, und alsbald versteckte er es in einem wilden Steingeklüft am Tussetberg, so dass das Bild den Krieg heil überdauern konnte. Säumer haben später das Marienbild wieder gefunden und an einem Baum nahe einer Quelle befestigt. Daneben stellten sie eine Opferbüchse auf, deren Erträge armen und verunglückten Säumern zukommen sollten.
Wie über alle Wallfahrtsorte gibt es auch hier am Tussetberg zahlreiche Legenden. So soll ein lutherischer Soldat mit seinem Säbel auf das Bild eingeschlagen haben. Da ging vom Bild ein solcher Lichtschein aus, dass der Übeltäter sogleich geblendet zu Boden stürzte. Er fiel auf die Knie und glaubte ab jetzt an die Muttergottes. Lange Zeit hörte man nichts mehr von diesen wunderbaren Vorfällen. Die erste verlässliche schriftliche Nachricht vom Bild der Gottesmutter vom Tussetberg erfahren wir 1791.
Der Wallerner Schmiedemeister Jakob Klauser, der schon drei Jahre blind war, hörte, wie jemand im Traum zu ihm sprach: "Du wirst wieder dein Augenlicht erhalten, aber geh nur in den Tussetwald, dort wirst du ein Bild finden!". Er betete vertrauensvoll zur Gottesmutter, und seine blinden Augen öffneten sich. Nach stundenlangem Umherirren im Tussetwald fand er endlich am Abend an der Quelle beim großen Felsen einen Baum, daran ein Marienbild hing. Jakob Klauser gelobte, an dieser Stelle eine Kapelle zu bauen. Er fuhr schon nach vier Tagen mit einem Ochsenfuhrwerk und dem nötigen Baumaterial zum Tussetberg und begann mit dem Kapellenbau. Als der kleine Holzbau wohl noch 1791 fertig war, holte Klauser das Marienbild vom Baum und stellte es hinein. Bald wurde seine Andachtsstätte zum Wallfahrtsziel vieler Leute, vor allem Kranker und ganz besonders Augenleidender.
Die Kapelle und das Gnadenbild
Die von Jakob Klauser 1791 erbaute Holzkapelle litt sehr unter den Witterungseinflüssen, so dass die Marktgemeinde Wallern 1804 eine steinerne bauen ließ. Auch das alte, schon recht brüchige Gnadenbild "Maria mit der Rose" wurde durch ein neues, größeres ersetzt. Im Laufe der Jahre entstanden andere zusätzliche Kopien des Waldfahrtsbildes. Weil bei den immer größer werdenden Wallfahrten die Kapelle nicht alle Pilger fassen konnte und man den Gottesdienst, besonders am 15. August, 2. Juli (Maria Heimsuchung) und am Ostermontag vor einem Waldaltar feierte, ließ der Pfarrer von Böhmisch-Röhren ein weiteres Bild malen.
Als am 10. August 1867 der Kardinal und Fürsterzbischof von Prag und sein Bruder, Fürst Adolf Johann von Schwarzenberg, die Gnadenstätte besuchten, ließ die Herrschaft auf Bitten der Bevölkerung um Vergrößerung der Kapelle einen Vorbau "im Schweizerstil" erbauen. Auf dem Felsen hat man ein Kreuz errichtet. Und immer wieder haben die Leute um den Tussetberg Hand angelegt, wenn es galt, die Kapelle der Schutzfrau des Böhmerwaldes zu pflegen und zu erhalten. Die Tussetkapelle wurde zum Heiligtum der Böhmerwäldler und war bis Ende des 2. Weltkrieges ein vielbesuchter Wallfahrtsort. Nachdem die Deutschen aus ihrer Heimat vertrieben waren, verfiel die Kapelle immer mehr. Während der kommunistischen Ära wurde der Gnadenort der Vernichtung preisgegeben. Votivgaben und Hinterglasbilder wurden geraubt, die Fenster zerschlagen, Opferstock und Kirchenbänke zertrümmert, Bilder durchschossen.
Die neue Tussetkapelle bei Philppsreut
1980 war diese Waldkapelle in einem trostlosen und erschütternden Zustand. Die Tussetkapelle verlor in dieser Zeit ihre alte religiöse Bedeutung, Niemand kam mehr als Wallfahrer hierher. „Der Bau war ein Zeugnis des künstlerischen Niveaus und des handwerklichen Könnens der böhmerwäldler Waldarbeiter, welche in dieser Art in der Vergangenheit ihr Gefühl und ihre Überzeugung ausdrückten“ (Dr. Vaclav Stary).
So entschlossen sich 1983 ehemalige Bewohner der obermoldauer Gegend eine neue Tussetkapelle nur wenige Kilometer entfernt von der alten zu errichten. In einer Bauzeit von 3 Jahren haben sie in der Patengemeinde Philippsreut, nahe der Grenze zur Heimat, ihr Vorhaben verwirklicht. Bei der Einweihung dieser neuen Kapelle am 27. Juli 1985 durch den Passauer Bischof Franz Xaver Eder war die alte Kapelle in einem verfallenen Zustand. Der Altar in Philippsreuth ist ein naturgetreues Abbild des alten Altars auf dem Tussetberg. Der Kreuzweg in der Kapelle von 1914 stammt aus der Böhmerwaldheimat. Schon traditionsgemäß findet alljährlich am 15. August eine Wallfahrt zur neuen Tussetkapelle statt.
Erst vor wenigen Jahren wurde auch die alte Kapelle wieder neu aufgebaut, so dass heute nur wenige Kilometer voneinander entfernt diese 2 Schmuckstücke stehen, welche an die Vergangenheit der Böhmerwäldler erinnern sollen.
Die neue alte Tussetkapelle
Es sah und hörte sich wie ein Wunder an: Wo es vor 1990 kaum einem Menschen gestattet war, seinen Fuß hinzusetzen, weil Stacheldraht und Verbotsschilder dies verwehrten, hatte der Tussetwald an einem Augustsamstag 1990 neues Leben erhalten. Von vielen Seiten kamen Böhmerwäldler und Tschechen, die dabei sein wollten, als der Bischof von Budweis mit zahlreichen Geistlichen einen Gottesdienst mit der Segnung der wieder aufgebauten Tussetkapelle feierte. Der Bischof in seiner Predigt: "Wir kommen von beiden Seiten der Grenze, um Frieden zu stiften. Unser Weg sollte eine Friedenswallfahrt, eine Versöhnungswallfahrt und eine Vergebungswallfahrt werden…… Maria, Mutter und Schutzfrau des Böhmerwaldes, bitte für uns".
Bericht und Bilder : Dr. Hans Aschenbrenner, SR-Tagblatt 10.8.2013
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