Erinnerung an die Kindheit

 

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„Wir hatten nur eine Kuh, wie man sieht, wurde die auch als Zugtier gebraucht", schreibt Liesl Wacker zu diesem Bild. Die Frau darauf zeigt ihre schon lange verstorbene Tante Lene aus Köln.

Liesl Wacker erzählt

Der Vater ist an der Front, die Mutter muss sich alleine um Haus, Hof und Kinder kümmern. So ging es während des Zweiten Weltkrieges vielen Familien. Eine Erinnerung von Liesl Wacker aus Mitterfels:

Im Märzen der Bauer die Rösser einspannt – so lernten wir als Kinder dieses schöne Lied. Später lernte ich es unseren Kindern und wir sangen es gerne und oft. Heute singe ich es still vor mich hin und dabei fiel mir ein Kindheitserlebnis ein.

Während des Krieges hatten meine Eltern ein kleines, altes Bauernhaus mit etwas Grund erworben. Wir hatten eine Kuh, Hühner, manchmal ein Schaf oder auch mal ein Schwein im Stall. Mutter hatte Glück und fand in einem Nachbarort in einer Konservenfabrik eine Arbeit als Bürokraft. Vater war Landwirt, Hausmann, versorgte meinen Bruder und mich, und versuchte nebenbei etwas zu verdienen. Das ging auch gut, bis Vater einen Stellungsbefehl erhielt und sich innerhalb weniger Tage mit gewissen Papieren in Straubing melden musste.

Da unsere Mutter eine Großstädterin war, hatte sie von der Landwirtschaft überhaupt keine Ahnung. Vater gab ihr nun im Eilverfahren einen Schnellkurs. Als Vater nach vier Tagen von uns drei Abschied nahm, konnte Mutter unsere Kuh einigermaßen melken, aber sonst war von diesem Schnellkurs nicht viel haften geblieben. Da ich mit fast zehn Jahren ein gutes Jahr älter als mein Bruder war, fühlte ich mich schon für vieles verantwortlich.

Ob ein Angrenzer Äste oder kleinere Bäume von uns als ein Eigentum betrachtete und absägte, ich verteidigte unsere Sachen mit Erfolg. Oder wenn im Frühjahr Saatgut oder Gunkelpflanzen (Rüben) besorgt werden mussten, ach es gab so viele Probleme. Dann kam wieder einmal eine ganz schlimme Situation.

Es wird wohl im März gewesen sein, unsere vier Ackerl (kleine Felder) waren noch nicht für die Aussaat vorbereitet. Ich sprach Mutter immer wieder darauf an, aber ich erhielt immer die Antwort: „Wer soll uns denn da helfen?" Ich sagte ihr dann: „Du musst zum Herrn X gehen, der ist doch Ortsbauernführer (ich glaube, so wurde dieser Herr genannt), der muss doch eine Lösung finden." Aber Mutter wollte die Notwendigkeit nicht einsehen. Also sah ich es als meine Pflicht an, allein etwas zu unternehmen.

Ich ging in den nächsten Tag gleich nach der Schule rauf ins Dorf zu diesem, wie ich überzeugt war, zuständigen Herrn X, klopfte an, und eine wie mir schien, brummige Stimme sagte „herein". Ich grüßte freundlich und sagte: „Ich bin's, Betzdeandl und soll von meiner Mutter ausrichten, sie würde bitten um ein Gespann, welches unsere Ackerl für die Aussaat herrichten würde!" Dieser Herr X schaute mich ganz überrascht an, lachte und sagte, wie ich auf den Gedanken kommen würde, er sei da zuständig: Er könne da auch nicht helfen. Er wurde ziemlich laut und sehr unfreundlich.

Aber für solche „schweren Fälle" hatte ich immer einen Spruch parat, absolut nicht kindgerecht und auch nicht respektvoll, doch oft wirksam. Der lautete: „Für solche Leut wie ihr seids, ist mein Vater an der Front und hält seinen Kopf hin. Ja pfui Deife".

Meist schaute ich dann, dass ich schnell meinen „Kampfplatz" verließ. So auch an diesem Tag, als dieser Herr X zu seiner erwachsenen Tochter sagte: „Geh mach mal die Tür auf"! Er schickte sich an, mich hinauszuwerfen. Ich verließ schimpfend den Raum. Auf dem Heimweg kam ich durch eine Hohlgasse, dort setzte ich mich auf die Böschung und weinte mir dieser Niederlage und dieses Nicht-helfen-Können von der Seele. Jetzt konnte nur noch ein Wunder helfen – und dieses Wunder geschah.

Als wir den nächsten Morgen beim Frühstück saßen, bellte der Hund. Vorm Haus stand ein Pferd mit Wagen und ein älterer Mann. Ich rannte sofort raus, aber bevor ich etwas sagen konnte, meinte dieser „aha, gell du bist des Betzdeandl? I bin da alte Strassbauer und soll hier wos ackern und eggen". Einen Augenblick war ich sprachlos, dann erklärte ich ihm alles.

Als er unsere „Ackerl" sah, meinte er „no ja, vui is ja net, oba so buglat. Jedenfalls musst du des Ross führn." Als ich bestimmt recht ängstlich dreinschaute, meinte er, „geh weida, du und Angst, des gibt's doch net".
Und schon ging es los, acht Furchen nach hinten, acht Furchen nach vorne und schon war ein „Ackerl" fertig. Als wir Zwei gepflügt hatten, meinte der Strassbauer „Jetzt hama uns a Brotzeit verdient." O Schreck, eine Brotzeit. Doch der gute Mann sah mein ratloses Gesicht und meinte: „A Brotzeit hob i dabei, oba zum Trinken brauch ma awos". Und ich sagte ganz stolz, dass wir ein ganz gutes, frisches Quellwasser oder eine „gestandene Milch" hätten. Ja meinte er, eine „Milli" wär schon recht, ich solle aber zwei Löffel bringen.

Ich lief schnell zum Haus vor und holte aus der Speisekammer einen Topf saure Milch und zwei Löffel. Als ich wieder aufs Feld kam, saß der Bauer schon unter einem Apfelbaum, auf seiner ausgebreiteten Joppe und sagte gleich, ich solle mich neben ihn setzen. Er gab mir ein großes Stück Bauernbrot, dann säbelte er immer ein Stück vom geräucherten Speck ab. Ein Stück für ihn, ein Stück für mich, für mich war es das reinste „Tischlein deck dich!" Als die vier Ackerl gepflügt und geeggt waren, säte der Bauer auch noch das größere Feld mit Gerste an. Als wir nach getaner Arbeit wieder im Hof waren und den Wagen mit den Geräten beladen hatten, meinte ich: „So Strassbauer, wos sama denn jetzt schuldig?" Da legte er seine schwere Hand auf meine Schulter und sagte. „Nix, des hob i fir di do und wenn i dir wieder a mal helfen kann, dann kimmst glei zu mir."
Ich habe ihn wirklich noch einmal um Hilfe gebeten, wie es dann weiterging, ich weiß es nicht mehr. Als unser Vater nach Jahren von der Kriegsgefangenschaft heimkam, pendelte sich nach einer gewissen Zeit alles wieder ein. Aber an den alten Strassbauer habe ich noch lange voll Dankbarkeit gedacht.

Quelle: Liesl Wacker, in: Bogener Zeitung vom 26. Juli 2014, Seite 23

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