Nationalpark Bayerischer Wald
Langzeitstudie zu Borkenkäfer-Effekt im Nationalpark Bayerischer Wald
Kleiner Käfer, große Wirkung: Der nur wenige Millimeter große Fichtenborkenkäfer Ips typographus hat einen nachweislich positiven Einfluss auf die Artenvielfalt in fichtendominierten Waldökosystemen.
Trinkwasserqualität bleibt ausgezeichnet, Artenvielfalt steigt
Forscher konnten anhand einer Studie über einen Zeitraum von 28 Jahren zeigen, dass die Trinkwasserqualität in Fließgewässern, wie sie von Nationalpark-Gemeinden und von der Wasserversorgung Bayerischer Wald für Trinkwassergewinnung genutzt werden, konstant von ausgezeichneter Qualität ist. Trotz großflächigem Borkenkäferbefall im Einzugsgebiet liegen alle für die Nitratkonzentration gemessenen Werte weit unter dem Grenzwert für Trinkwasser der Weltgesundheitsorganisation WHO von 50 mg/l. Darüber hinaus konnte für Nationalparkareale mit natürlicher Borkenkäferdynamik ein messbar positiver Einfluss auf die Artenvielfalt, insbesondere auf die Häufigkeit von „Rote-Liste-Arten“ belegt werden (vergl. Conservation Letters Jan/2015, DOI: 10.1111/conl.12153).
Die Nitratkonzentrationen (türkis, obere Kurve Maximal- und untere Kurve Minimalwerte) im Einzugsgebiet der „Großen Ohe“ reagierten nur mit geringfügigen Schwankungen auf Borkenkäferausbrüche (braun, Fläche mit abgestorbenen Altfichten, die als stehendes oder liegendes Totholz im Untersuchungsgebiet belassen wurden) und blieben in der Regel immer auf dem Niveau nährstoffarmer natürlicher Gewässer (unter 10 mg/l, einzige Ausnahme: Markungsgraben mit 25 mg/l in einem einzigen Jahr). Relevante Trinkwassergrenzwerte (50 mg/l nach WHO und deutscher Trinkwasserverordnung) wurden nicht annähernd von den Entwicklungen tangiert
Weitere Informationen: http://www.nationalpark-bayerischer-wald.de/nationalpark/index.htm
Natürliche Störungen in Wäldern – zum Beispiel durch Stürme oder Insekten – nehmen bedingt durch den Klimawandel weltweit zu. In Nationalparken, in denen in ausgedehnten Bereichen derartige natürliche Prozesse ungestört ablaufen, werden immer wieder Fragen zur Trinkwasserqualität, z. B. zum Nitratgehalt, oder zum Erhalt der Artenvielfalt diskutiert. In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch der Nationalpark Bayerischer Wald, weil er in seinen Naturzonen die gesetzlich verankerte Philosophie „Natur Natur sein lassen“ konsequent befolgt.
In einer fachübergreifenden Studie werteten Wissenschaftler des Nationalparks sowie nationale und internationale Experten jetzt einen umfangreichen Datensatz über 28 Jahre Gewässer-Monitoring in dem rund 20 km² großen Wassereinzugsgebiet der Großen Ohe aus, das neben den in Bächen abfließenden Oberflächenwasser auch das Sicker- und Grundwasser berücksichtigte. Mit einem Höhengradienten zwischen 770 und 1.447 Metern über N. N. repräsentiert das Untersuchungsgebiet ein typisches Bergbachsystem im für die Region charakteristischen Bergmischwald. Nach Lage und Größe des Einzugsgebietes sind die Große Ohe und ihre zuführenden Quellbäche zudem repräsentativ für Gewässer, wie sie typischerweise von Nationalpark-Gemeinden und von der Wasserversorgung Bayerischer Wald (Talsperre Frauenau) für Trinkwassergewinnung genutzt werden. Eine Fichtendominanz von 70 % machte das Gebiet außerdem zu einem Areal mit hohem Borkenkäfer-Befallsrisiko, und so traten während des Untersuchungszeitraums auch zwei intensive Borkenkäferwellen im Abstand von rund zehn Jahren auf (Mitte der 1990er und Mitte der 2000er Jahre).
Das großflächige Altfichtensterben durch Borkenkäfer-Befall hinterließ zwar ein messbares Nitrat-Signal im Oberflächenwasser des Untersuchungsgebietes. Allerdings handelte es sich dabei in der Regel um Konzentrationsschwankungen von jeweils wenigen Milligramm pro Liter mit Konzentrationsspitzen bis zu 10 mg/l. Die höchste während des gesamten Untersuchungszeitraums gemessene Nitratkonzentration von 25 mg/l trat nur in einem einzigen Jahr und nur in einem kleinen Quellbach auf. Auch im untersuchten Grundwasser, wie es für die kommunale Trinkwasserversorgung genutzt wird, blieben die Nitratkonzentrationen in dem für das Oberflächenwasser beobachteten niedrigen Bereich. Damit lagen trotz intensiver Borkenkäferdynamik alle Werte immer sehr weit unterhalb maßgeblicher Trinkwasser-Grenzwerte für Nitrat, wie dem der WHO bzw. der deutschen Trinkwasserverordnung von 50 mg/l.
„Unsere Beobachtungen über einen so langen Zeitraum machen deutlich: Die Versorgung mit sehr gutem Trinkwasser aus dem Nationalpark ist zu jeder Zeit gewährleistet; der Borkenkäfer ändert daran nichts“, kommentiert der langjährige Nationalpark-Hydrologe Burkhard Beudert die Ergebnisse des von ihm koordinierten Gewässer-Monitorings. „Die Untersuchungen im Einzugsgebiet der Großen Ohe sind repräsentativ für andere Nationalparkgewässer. Das wird von der jahrzehntelangen behördlichen Überwachung der im Nationalpark liegenden zur Trinkwasserversorgung genutzten Quellen bestätigt, bei denen ebenfalls zu keinem Zeitpunkt überhöhte Nitrat-Werte gemessen wurden“, so Beudert weiter.
Nicht nur landschaftlich ein Juwel: Die Bergbachsysteme im Nationalpark Bayerischer Wald haben sich als Lieferant von dauerhaft ausgezeichneter Trinkwasserqualität erwiesen, unabhängig von Borkenkäferdynamik im Einzugsgebiet.
Um die Auswirkungen des Borkenkäferbefalls auf die Artenvielfalt zu untersuchen, wurden außerdem über drei Jahre hinweg im gesamten Nationalpark das Arteninventar von Borkenkäferflächen mit dem von vergleichbaren, nicht befallenen Lebensräumen verglichen. Die Untersuchungen zur Artenvielfalt belegen für viele Artengruppen einen markanten Anstieg im Artenreichtum durch die vom Borkenkäfer geschaffenen Lebensraumbedingungen: Von 19 untersuchten taxonomischen Gruppen, was insgesamt rund 2.300 erfassten Arten entsprach, zeigte knapp die Hälfte – insgesamt acht Artengruppen – eine deutlich höhere Vielfalt. Dieser positive Borkenkäfer-Effekt, den sich die Forscher vor allem mit einer neu entstandenen Vielfalt von mosaikartig aneinandergrenzenden Mikro-Lebensräumen erklären, umfasst dabei Flechten, Moose und Gefäßpflanzen sowie Spinnen, Schwebfliegen, Käfer, Wespen und Bienen. Bemerkenswert war dabei vor allem ein signifikanter Anstieg von in Bayern und deutschlandweit gefährdeten „Rote Liste“-Arten, wie beispielsweise der Gartenrotschwanz, der äußerst seltene Goldfüßige Schnellkäfer oder Deutschlands einzige Totholz-Zikade, Cixidia lapponica. Nur eine einzige Artengruppe – die der holzbewohnenden Pilze – reagierte mit einem Rückgang der Artenvielfalt in Borkenkäferflächen.
„Zwei der wichtigsten Kernaufgaben von Schutzgebieten sind die Bewahrung und Förderung der Biodiversität sowie die Sicherstellung von sogenannten Ökosystemdienstleistungen, zu denen beispielsweise auch der Trinkwasserschutz gehört. Die jetzt erstmals ermöglichte einmalige Kombination aus jahrzehntelangem Gewässer-Monitoring und systematischer Artenerfassung im selben Raum belegt, dass Prozessschutz – das Zulassen von natürlichen Störungsdynamiken und den damit verbundenen positiven Naturschutzfolgeeffekten – und effektiver Trinkwasserschutz Hand in Hand gehen“, so Dr. Jörg Müller, Forschungsleiter des Nationalparks Bayerischer Wald, zu den Ergebnisse der Gesamtstudie. „Zudem hat sich einmal mehr der unschätzbare Wert eines Nationalparks als einzigartiges Natur-Forschungsareal gezeigt, in dem solche Langzeituntersuchungen überhaupt erst möglich werden und uns helfen, so langfristige Prozesse wie natürliche Waldentwicklung mit allen ihren Auswirkungen zu verstehen und für zielführende Naturschutzpolitik auszuwerten“, so Müller abschließend.
Fragen zu der Studie beantworten:
Burkard Beudert | Fachgebiete Integriertes Ökosystemmonitoring, Hydrologie
Tel.: Tel. 08552 – 9600 147 | Mobil: 0151 – 12 10 74 97 | Email: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Dr. Jörg Müller | Stellv. Nationalparkleiter und Leiter des Sachgebiets Naturschutz und Forschung
Tel. 08552 – 9600 179 | Mobil 0160 – 90 96 64 75 | E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Quelle: Pressemitteilung der NP-Verwaltung vom 19. Februar 2015
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