. . . und drum herum
Umweltpreisträger Prof. Dr. Rainer Grießhammer zur Energie- und Ernährungswende
Rainer Grießhammer erklärte anhand anschaulicher Beispiele, wie Energie- und Ernährungswende bewältigt werden können. (Foto: lal)
Nicht nur Verhalten, auch Verhältnisse ändern
Wiesenfelden. Wie kann die Energiewende gelingen? Welche Rolle spielt das Fahrrad in der Stadt der Zukunft? Wie kann die ständig wachsende Weltbevölkerung ernährt werden? Auf diese und andere Fragen des gesellschaftlichen Wandels versucht Prof. Dr. Rainer Grießhammer, der 1984 mit dem Spiegel-Bestseller „Der Öko-Knigge“ bekannt geworden ist, Antworten zu finden. Jetzt war der Träger des Deutschen Umweltpreises von 2010 zu Gast bei den Wiesenfeldener Schlossgesprächen.
Der Diplom-Chemiker Rainer Grießhammer verstehe es wie kaum ein anderer, den Umweltgedanken anhand von praktischen Tipps mit Leben zu erfüllen, sagte die Leiterin des Umweltzentrums, Beate Seitz-Weinzierl, zur Einführung ihres Gastes. Das habe Grießhammer schon mit dem Bestseller „Der Öko-Knigge“ bewiesen, zu dessen Präsentation er zum ersten und bislang einzigen Mal in Wiesenfelden war.
Jede Menge habe sich seitdem zum Positiven verändert, blickte Grießhammer zu Beginn seines Vortrags vor rund 30 interessierten Gästen zurück. Damals habe fast jedes Dorf noch seine eigene Mülldeponie gehabt, Luft und Wasser seien stark belastet gewesen, und in der chemischen Industrie kam es immer wieder zu gravierenden Störfällen. Doch trotz aller Fortschritte in diesen Teilbereichen: Bei komplexen Systemen wie der Energieversorgung oder dem Verkehr komme man häufig nur sehr langsam voran. Der Grund: Es gibt zu viele Probleme, die auf mehreren Ebenen der gesamten Gesellschaft zur selben Zeit gelöst werden müssten. Dabei reicht es nicht mehr, wenn viele Einzelne ihr Verhalten ändern, sondern die Verhältnisse im gesamten System müssten angepasst werden.
Nur über den Verbrauch von Strom nachgedacht
Deutlich machte Grießhammer dies daran, wie in den vergangenen Jahrzehnten Strom produziert und verbraucht worden sei. So seien die Kohlekraftwerke ganztägig durchgelaufen und die Unternehmen hätten nach Möglichkeiten gesucht, wie auch der nachts produzierte Strom verbraucht werden könne. Eines der Ergebnisse sei die Entwicklung stromfressender Nachtspeicheröfen gewesen, währenddessen die Art der Stromproduktion unangetastet blieb. Grießhammer bezeichnete dies als eine „Drop-in-Lösung“, die sich an den vorhandenen Strukturen orientiert anstatt nach einer Verbesserung zu suchen. Mittlerweile hätten sich die Vorzeichen in Sachen Energie geändert und Unternehmen überlegten, wie sie möglichst viel von dem günstigen Strom verbrauchen können, den die Photovoltaikanlagen vor allem über die Mittagsstunden erzeugen.
Auf der Suche nach nachhaltigeren Lösungen habe man sich laut Grießhammer ein Erfolgsmodell eines Transformationsprozesses angeschaut: das der industriellen Revolution. Durch die Automatisierung der Produktion im 19. Jahrhundert wurde eine gesellschaftliche Umwälzung eingeleitet, die alle Bereiche betraf – von der Wirtschaft und den Märkten über die Politik und die Forschung bis hin zur Lebensgestaltung eines jeden Einzelnen.
Eine entscheidende Ebene ist dabei das Leitbild, dem sich eine bestimmte Gesellschaft unterwirft. So sei es zwar richtig, dass die Bundesregierung den Atomausstieg ohne das Reaktorunglück von Fukushima 2011 nicht beschlossen hätte. Wahr sei aber auch, dass der Nährboden für diese Entscheidung schon jahrzehntelang vorher durch die Arbeit von Verbänden, Umweltpionieren, Aktivisten und Bloggern geschaffen worden sei, und spätestens seit den 1990er-Jahren auch auf politischer Ebene eine Zukunft ohne Atomkraft skizziert wurde. Demgegenüber stehe etwa das Leitbild des Nachbarn Frankreich, der zur autarken Energieversorgung nach wie vor auf die Atomkraft baut.
Entwicklung des Fahrrads ist beispielhaft
Beispielhaft für einen Transformationsprozess sei auch die Entwicklung des Fahrradverkehrs in der Stadt, führte Grießhammer an. So war in Zeiten des Wirtschaftswunders das Leitbild einer „autogerechten Stadt“ ausgerufen worden, während das Fahrrad als ein „Verkehrsmittel der armen Leute“ galt. Dies habe sich erst mit der Trimm-Dich-Bewegung und einem steigenden Umweltbewusstsein in den 1980er-Jahren und nicht zuletzt mit dem Tour-de-France-Boom durch die Erfolge von Jan Ullrich in den 1990er-Jahren geändert. Das Fahrrad gewann wieder an Prestige, es wurden bessere Räder gebaut und durch die verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale wurde das Fahrrad als Verkehrsmittel zur Arbeit dem Auto steuerlich gleichgestellt. Ein Ende des Fahrrad-Booms sei wegen der höheren Reichweite der E-Bikes noch nicht abzusehen.
„Gammelfleisch brutzelt auf dem Designerherd“
Während Experten die Energiewende etwa bei der Halbzeit angelangt sehen, stehe die sogenannte Ernährungswende noch ganz am Anfang, stellte Bio-Brauer Dr. Franz Ehrnsperger – ebenfalls Umweltpreisträger – in der folgenden Diskussionsrunde fest. Wie auch beim Thema Energie sei hier eine große Diskrepanz zwischen dem, was sich Menschen wünschen, und ihrem Verhalten festzustellen. Während viele in Umfragen bekunden, weniger Fleisch essen zu wollen, „brutzelt auf dem teuren Designerherd das Gammelfleisch“, spitzte Grießhammer zu, sieht aber Bewegung: So hätten mehrere Discounter miteinander zehn Millionen Euro ausgegeben, um sich Gedanken über die Zukunft der Fleischproduktion zu machen. Denn auch die Konzerne hätten kein Interesse daran, durch wiederholte Lebensmittelskandale ihren Ruf, und dann ihre Einkünfte zu verlieren.
Quelle: – lal – /Bogener Zeitung (zeitversetzte Übernahme des Beitrags aufgrund einer 14-tägigen Sperrfrist)
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