Haselbach
Haselbach. „Wir wollten ein Zeichen setzen“
Simon Haas hat auch die Schule in Welykyi Beresnyj besucht und die Kinder dort mit ein paar Süßigkeiten überrascht. Die Schulen der beiden Partnergemeinden sind schon recht gut vernetzt. Fotos: Simon Haas – Vergrößern durch Anklicken!
Der Haselbacher Bürgermeister Simon Haas erzählt im Interview, warum seine Gemeinde ausgerechnet jetzt eine Partnerschaft mit einer ukrainischen Stadt geschlossen hat.
Gut zwei Monate ist es her, dass der Haselbacher Bürgermeister Simon Haas einen Partnerschaftsvertrag mit einer Stadt unterschrieben hat, die sich aktuell mitten in einem Kriegsland befindet. Nicht jeder im Gemeinderat war davon hellauf begeistert, wie Haas im Gespräch mit unserer Mediengruppe zugibt. Doch für ihn war es eine Herzensangelegenheit. Warum, das erzählt er im Interview.
Herr Haas, seit 2. Oktober ist Haselbach offiziell Partnergemeinde der ukrainischen Stadt Welykyi Beresnyj. Wie kam es zu dieser doch etwas ungewöhnlichen Entscheidung?
Simon Haas: Wir hatten das Thema Partnerschaften schon länger auf der Agenda im Gemeinderat. Im vergangenen Jahr waren dann Mitglieder der Haselbacher Feuerwehr bei einem Hilfstransport in die Ukraine von Bäckermeister Reiner Dietl mit dabei. Der Bürgermeister der Stadt Welykyi Beresnyj hat dabei angefragt, ob sie nicht eine Partnergemeinde wüssten.
Und da kamen Sie ins Spiel?
Haas: Ja. Reiner Dietl hat mich gefragt, ob das nicht etwas für uns wäre. Er wusste, dass mir die Hilfe für die Ukraine sehr am Herzen liegt und dass wir auf der Suche nach Partnergemeinden sind. Ich habe ehrlich gesagt gar nicht lange überlegt, das war eine Herzensangelegenheit für mich.
Eine Partnerschaft mit einer Stadt in einem Kriegsgebiet ist ungewöhnlich. Gab es auch kritische Stimmen?
Haas: Sagen wir mal so, es waren nicht alle im Gemeinderat hellauf begeistert. Es gab schon den einen oder anderen, der sich vielleicht eine etwas unkompliziertere Partnergemeinde gewünscht hätte. Vor allem, weil es mit gegenseitigen Besuchen in der jetzigen Situation einfach schwierig ist. Aber es gibt auch welche, die voll dahinterstehen. Und wir haben ja weiter fest vor, uns auch noch andere Partnergemeinden zu suchen.
Sie sagten, es sei eine Herzensangelegenheit für Sie. Warum?
Haas: Ich habe einen sehr guten Freund in der Ukraine. Der kam als Bub in den 1990er-Jahren im Rahmen eines Hilfsprogramms für Tschernobyl-Geschädigte in den Sommerferien immer für drei Wochen zu uns, über sieben Jahre lang. Daraus hat sich dann eine gute Freundschaft entwickelt. Aus diesem Grund hatte ich schon immer einen ganz besonderen Bezug zur Ukraine. Und als der Krieg dort ausbrach, war mir sofort klar, dass wir alle einen langen Atem brauchen werden.
Weil die Hilfsbereitschaft bei derartigen Ereignissen oft nach ein paar Monaten nachlässt?
Haas: Das auch. Und weil es meist dazu kommt, dass die klare Schuldzuweisung irgendwann verschwimmt. Natürlich wird jetzt auf beiden Seiten getötet und gestorben. Es gibt auch Berichte über ukrainische Kriegsverbrechen. Aber man darf nicht vergessen, dass Russland ohne jegliche rationale, moralische Begründung die Ukraine überfallen hat. Mit unserer Partnerschaft wollen wir ein Zeichen setzen und den Menschen in der Ukraine zeigen, dass wir sie nicht vergessen haben und an ihrer Seite stehen. Mein Besuch in Welykyi Beresnyj hat mich darin bestätigt.
Inwiefern?
Haas: Die Menschen haben uns teils mit Tränen in den Augen empfangen. Man hat gemerkt, wie wichtig es für sie ist, dass wir gekommen sind. Dass sie wahrgenommen und nicht vergessen werden.
Wie war die Stimmung vor Ort?
Haas: Es ist eine große Kriegsmüdigkeit spürbar unter den Menschen, sie sind ausgelaugt – obwohl Welykyi Beresnyj weit im Westen und somit auch weit weg von den Kriegshandlungen liegt. Aber der Krieg ist allgegenwärtig. Was ich schockierend fand, war, wie viele Kriegsversehrte es bereits gibt. Männer mit nur einem Auge oder fehlenden Gliedmaßen sind keine Seltenheit. Und es werden wohl noch mehr werden. Von den rund 7000 Einwohnern sind etwa 800 Männer nach wie vor im Krieg.
Wie wird die Partnerschaft nun mit Leben gefüllt?
Haas: Momentan steht natürlich an erster Stelle, den Menschen vor Ort in ihrer konkreten Situation zu helfen. Wir schauen, was wo gebraucht wird. Aber wir planen auch für eine Zeit nach dem Krieg. Wir wollen uns austauschen, uns gegenseitig besuchen. Es soll eine Kooperation zwischen den Feuerwehren geben und vielleicht ergibt sich auch eine Zusammenarbeit zwischen unserer Fachklinik und dem Krankenhaus in Welykyi Beresnyj. Auch unsere Schulen, die schon gut miteinander vernetzt sind, wollen ihre Partnerschaft weiter ausbauen.
Interview: Verena Lehner
Freude auf beiden Seiten: Der Haselbacher Bürgermeister Simon Haas (links) und Wassyl Kerezman, Bürgermeister von Welykyi Beresnyj, haben gerade den Partnerschaftsvertrag unterschrieben. – Vergrößern durch Anklicken!
Eine Stadt mit Blick auf die EU
Die Stadt Welykyi Beresnyj liegt im Westen der Ukraine, nahe der Grenze zur Slowakei. Sie hat rund 7 000 Einwohner und wird als eine sogenannte „Siedlung städtischen Typs“ bezeichnet – ein Begriff, der noch aus Zeiten der Sowjetunion stammt. So wurden Gebietseinheiten genannt, die rein von der Größe her zwischen Dorf und Stadt angesiedelt sind. Sie gleichen von der Einwohnerzahl her einem Dorf, sind infrastrukturell aber eher städtisch geprägt.
Wie Simon Haas von seinem Besuch berichtet, sind auch in Welykyi Beresnyj die strukturellen Probleme deutlich sichtbar, mit denen die ukrainische Bevölkerung zu kämpfen hat. „Man merkt, dass die Ukraine nach wie vor ein dysfunktionaler Staat ist“, sagt Haas. So sei zum Beispiel das Krankenhaus vor Ort in einem desolaten Zustand. „In einem Raum, in dem Kindern Blut abgenommen wird, ist Schimmel unter dem Waschbecken. Der OP-Saal ist völlig veraltet und wird derzeit nur als Abstellkammer benutzt. Alle Ärzte, die operieren könnten, sind an der Front.“ Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Besonders bitter: Von Welykyi Beresnyj kann man von einigen Stellen aus direkt in die Slowakei blicken.
Die EU ist somit in Sichtweite.
Wie Simon Haas weiter erzählt, ist eine große Unzufriedenheit mit der politischen Regierung spürbar. Seit der Krieg ausgebrochen ist, werden die Menschen vor Ort noch mehr alleine gelassen mit ihren Problemen. Wie sie ihre Schulen oder Krankenhäuser erhalten, ist allein deren Problem. Alle staatlichen Gelder für diese Einrichtungen sind gestrichen. Im Gegenteil. Die Kommunen müssen noch mehr Geld an den Staat für die Kriegsbemühungen abgeben.
Obwohl Welykyi Beresnyj im Westen und damit weit weg von den Kriegshandlungen liegt, ist der Krieg trotzdem allgegenwärtig. In den ersten Wochen nach Kriegsbeginn kamen in die 7 000-Einwohner-Stadt etwa 30 000 Flüchtlinge. Hilfe vom Staat zur Bewältigung des Flüchtlingsstroms gab es keine. „Der Bürgermeister musste sich damals selber helfen“, erzählt Haas. Und das müssen sie wohl auch weiterhin, denn noch immer ist kein Ende des Krieges in Sicht. Obwohl die Menschen in der Ukraine mehr als kriegsmüde sind.
Verena Lehner/BOG Zeitung vom 5./6. Januar 2023 (Gen. durch Lokalredaktion)
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