„Theure Schwalben”
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1993 entstanden zwei Tafeln am Rundweg unter der Burgmauer
Vor den beiden Schrifttafeln hinter der Burgmauer stehend muss ich an das Lied vom Fremdenlegionär denken, der, gefangen in maurischer Wüste, schier umkommt vor Sehnsucht ...
... nach der Heimat und seinen Lieben. Abgeriegelt von der Welt kann er nur den teuren Schwalben eine Botschaft mitgeben an die Seinen.
Auch er, der Beschrifter der Tafeln, hat oft in den Jahrzehnten seines Aufenthaltes in Norddeutschland die Schwalben beneidet, weil sie auf dem Weg in ihr Winterquartier Mitterfels überfliegen dürfen, wo sein Daheim ist. Ihm aber bleibt die ersehnte jährliche Heimkehr verwehrt.
Als Inwohnerssohn wächst er hier auf, arm zwar, aber in familiärer Geborgenheit. Als Kind schon lernt er das Mithelfen, das Miternähren. Er sammelt Beeren, Schwammerl, Holzbirnen, hilft beim Ährenauflesen von den abgeernteten Feldern und schneidet Besenreiser und Korbweiden für den Vater. Nach der Werktagsschule wird er zu einem Bauern gegeben als Hütbub. Diese Trennung vom Elternhaus schmerzt den Dreizehnjährigen und die Eltern gleichermaßen, aber ein Esser weniger am Tisch, das muss halt sein. Mit siebzehn wird er noch zum Kriegsdienst geholt. Er kommt heil durch, aber eine vieljährige Gefangenschaft am Ural schließt sich an. Das Band zum Daheim ist gerissen. Das Heimweh lastet oft schwerer auf ihm als die harten Lebensbedingungen. Schließlich aber kehrt er wieder heim. Doch wie sieht die Welt nun aus: Die Mutter gestorben, das Inwohnerhäusl ist abgebrochen, Arbeit gibt es nicht, auch keine Unterstützung. Ohne richtiges Zuhause und ohne Einkommen muss er erkennen: Hier ist kein Bleiben!
Doch in den Städten werden Arbeiter gebraucht. So verlässt er wieder seine Heimat, wie so viele andere auch zu dieser Zeit. In einer norddeutschen Stadt findet er eine Anstellung auf einem Bauhof. Nach einem Jahr, denkt er, wird er Urlaub machen und sein Mitterfels besuchen. Aber daraus wird nichts. Er findet eine treue Lebensgefährtin. Das wäre zwar ein Grund für eine Hochzeitsreise in die Bayerwaldheimat, sie aber hat eine andere Vorstellung. So schiebt er die Heimreise auf, und es werden viele Jahre daraus. Das erste Kind ist da, es muss gespart werden, er wird eingebunden in neue Pflichten. Nur zweimal kommt er heim in den rund vierzig Jahren bis zur Rente: Einmal zur Hochzeit der Schwester und dann zur Beerdigung des Vaters. Dennoch erlischt nie die Sehnsucht nach den Stätten der Kindheit. Sie wächst fortwährend zu wie die Jahresringe eines Baumes. 1993 geht er in Rente, da hält ihn nun nichts mehr: Für zwei Wochen kehrt er heim.
Es ist ein fast fremdes Mitterfels geworden: alles größer, alles erneuert, und viele, viele unbekannte Menschen. Unverändert geblieben aber sind der Schlossberg und das Perlbachtal; an die hat er sich am liebsten in all den Jahren erinnert. Der Schlossberg ist sogar noch schöner geworden, begrünt allüberall, und die Bäume efeuumrankt. Das war früher anders. Der Schlossberg war Tummelplatz je-den Tag während der „großen” Pause, da wurde gespielt und auch gerauft, da konnte sich kein Unterwuchs entwickeln. Jeden Steig geht er nach, alles nimmt er wahr und er verspürt das Bedürfnis, dies festzuhalten und auch anderen mitzuteilen. Jedermann soll wissen, dass es der Herrgott besonders gut mit den Mitterfelsern gemeint hat, indem er ihnen das Perlbachtal schenkte. Und so entsteht der Plan, seine Gedanken auf beständige Holztafeln zu bringen und diese am obersten Schloßbergweg jedem Vorübergehenden kundzutun. Er besorgt sich zwei Birkenscheiben und einen Lötkolben und schuftet nun viele, viele Stunden in der Werkstatt eines Schulfreundes. Fast fünftausendmal muss er den Lötkolben ansetzen, um die 586 Buchstaben feinsäuberlich, Pünktchen um Pünktchen, in das Holz einzubrennen. Die fertigen Tafeln schraubt er an einen Pfosten, schützt sie noch gegen Verwitterung mit einem Kupferdach und bringt das Werk am Rundweg hinter der Burgmauer an. Dann malt er sich aus, wie viele Menschen sich wohl erfreuen werden im Laufe des Jahres, bis er wiederkommt. Bei der Wiederkehr 1994 aber ist alles verschwunden, es hat sich wohl ein Andenkenjäger daran vergriffen.
Die Leser können trotzdem teilhaben an seinem Glück, denn ich habe die Texte sorgfältig abgeschrieben und so können sie die Lobeshymne an die Heimat hier nachlesen:
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