. . . und drum herum
Der Straubinger Stadtturm als Feuerwachturm
Simon-Höller-Straße um 1905 mit Stadtturm. (Foto: Sammlung Hans Vicari)
Eine umständliche Vorschrift für den Thürmer
Im Jahre 1882/83 wurde am Untern Rain ein neues Wasserwerk mit Dampfmaschinenbetrieb und einer Hydrantenanlage für Feuerlöschzwecke in der Innenstadt errichtet. Das Wasserwerk musste im Brandfalle schnellstens informiert werden, um die mit Kohle befeuerten Heizkessel auf Hochleistung zu bringen. Deshalb wurde eine Telefonverbindung Turmwächter-Polizeiwache-Wasserwerk installiert. Nachfolgende Anordnung zur richtigen Benutzung des Telefons wurde 1884 von der Stadtverwaltung erlassen. Sie ist höchst amüsant und liest sich wie eine Anleitung zur Aufführung eines Bauernschwanks. Ich empfehle, ganz scharf mitzudenken und zu versuchen, die aufgeführten Anordnungen im Geiste nachzuvollziehen.
„Der Apparat in der Polizeiwachstube ist in der Regel normal zu stellen; als Normalstellung gilt jene, welche keine der Sprechstationen mit einer anderen verbindet. Verlässt ein Polizeimann die Wachstube, ohne daß irgendjemand Verlässlicher, mit der Behandlung des Thelephons Vertrauter in der Wachstube zurückbleibt, so hat er die Verbindung zwischen dem Thurme und dem Wasserwerke herzustellen und hat dieses dem Thürmer anzuzeigen. Kommt ein Polizeimann in die leer gebliebene Wachstube, so hat er vor allem nach dem Apparate der Telefonleitung zu sehen, die Normalstellung wieder herzustellen und dies dem Thürmer anzuzeigen.
Ruft in der Zwischenzeit das Wasserwerkgebäude (Anm.:Unterm Rain) oder das Maschinenhaus die Polizeiwachtstube oder den Thürmer an, so werden die Rufzeichen in der Polizeiwachtstube nicht, wohl aber auf dem Thurme gehört. Der Thürmer hat hierauf Bescheid zu geben, und falls die Polizeiwache angerufen werden sollte, den Polizeimann nach Rückkunft zu verständigen, worauf dieser die anrufende Stelle von seiner Rückkunft zu verständigen hat.
Der Hausdiener hat jeden Samstag, nach Bedarf öfters die Batterien in der Polizeiwachstube nachzusehen und rechtzeitig nachzufüllen. Für die rechtzeitige Nachfüllung der Batterie im Maschinenhaus hat der Maschinenmeister zu sorgen, für die Nachfüllung der Batterie in dem Wasserwerkgebäude hat Herr Heinrich Joos geeignete Anordnung zu treffen.“
(Anmerkung des Verfassers und kleine Ortsreplik: Heinrich Joos ist zu damaliger Zeit Besitzer des Wasserwerks Straubing am Untern Rain, erbaut 1882 und von ihm konzessionsweise betrieben; noch vor Ablauf der auf 60 Jahre vereinbarten Konzessionsdauer übernahm am 1. April 1906 die Stadt Straubing das Wasserwerk um 390 000 Mark und betrieb es in eigener Regie weiter. Erst 1922 wurde dann das Wasserwerk mit Brunnenanlagen an der Äußeren Passauer Straße errichtet. Ein Kuriosum: das verbliebene Bürogebäude am Untern Rain diente bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts als Entbindungsheim St. Monika. Der Gynäkologe Dr. Walter Gierer ist vielen Straubingern noch ein Begriff. Auch der Verfasser dieser Zeilen ist dort 1937 zur Welt gekommen. Später wurden dann in den aufgelassenen Entbindungszimmern junge Straubinger Burschen untersucht, ob sie wehrtauglich sind, ein Kreiswehrersatzamt/Nebenstelle Landshut schlug dort für ein paar Jahre seine Zelte auf. Jetzt führt die Westtangente durch das geschichtsträchtige Areal.)
Wir fahren fort im Anordnungstext der Stadtverwaltung Straubing, wie sich der Türmer, die Polizeiwachmänner und die Wasserwerker gegenseitig zu verhalten haben, um eine Brandmeldung effizient zu gestalten:
„Wird von der Polizeiwachtstube nach einer der anderen Sprechstationen gesprochen, so werden die Glockenzeichen in folgender Weise gegeben:
Wasserwerkgebäude einmaliges Läuten
Maschinenhaus zweimaliges Läuten
Thürmer einmaliges Läuten
Dieses Rufzeichen ist von der angerufenen Station in ganz gleicher Weise zu erwidern. Im übrigen geben über die Rufzeichen die Tabellen Aufschluss. Erst wenn das Rufzeichen beantwortet ist, nehmen die sprechen wollenden Personen die Hörapparate ans Ohr, sich hart an den Sprechapparat stellend. Der Anrufende beginnt zu sprechen, das Ende des Gesprächs hat der Beginnende mit den Worten anzuläuten: ‘Ich danke’. Zum Zeichen, daß der Angerufene ebenfalls nichts mehr zu sagen hat, hat derselbe zu antworten: ‘Ich danke ebenfalls’.
Erst wenn die Sprechenden sich gedankt haben, werden die Hörapparate wieder eingehangen.
Will man von einer der genannten Sprechstationen, Wasserwerksgebäude, Maschinenhaus, Thurm nach der Polizeiwachstube sprechen, so ist zunächst ein Zeichen mit dem Läutapparat nach der Polizeiwachstube zu geben. Ist der Apparat normal gestellt, so öffnet sich der Deckel einer der verschiedenen Nummern und es beginnt der Läutapparat zu läuten.
Wird das Zeichen gegeben von dem Wasserwerksgebäude, so zeigt der Läutapparat Nr. 2 , für das Maschinenhaus Nr. 2, für den Thurm Nr. 1. Der in der Polizeiwache anwesende Polizei- oder Wachmann hat zunächst die Verbindung der Polizeiwachtstube mit der rufenden Nummer herzustellen, und daß dies geschehen kann, durch ein einmaliges Glockenzeichen anzuzeigen. Der Anrufende hat dann ein wiederholtes Glockenzeichen zu geben, mit wem er sprechen wolle, und zwar in folgender Weise:
Will man im Wasserwerksgebäude oder im Maschinenhaus oder vom Thurme mit der Polizeiwachtstube sprechen, so wird ein einmaliges Glockenzeichen gegeben. In diesem Falle braucht das Glockenzeichen nicht zurückgegeben werden, sondern es kann sofort mit dem Sprechen begonnen werden.“
Kommen Sie, geneigter Leser; noch mit? Wenn ja, und wenn Sie sich recht amüsiert haben, darf ich wohl weiterfahren mit dem Ursprungstext:
„Ist der Apparat normal gestellt, und in der Polizeiwachtstube kein Wachmann anwesend, so läutet der Läutapparat solange fort, bis Jemand an den Apparat kommt und denselben bedient.
Will jemand vom Apparat im Wasserwerksgebäude oder vom Apparat im Maschinenhaus mit dem Thurmwächter sprechen, so hat der Anrufende auf das Zeichen, daß der Apparat Wasserwerk, Polizeiwachtstube gestellt sei, ein zweimaliges Glockenzeichen zu geben. Der Thürmer hat dieses Glockenzeichen in gleicher Weise zu erwidern ... Wird ein Sprechen gehört, so wird weitere fünf Minuten mit der Umschaltung des Apparats gewartet. Die beiden Sprechenden haben sich durch Danken das Ende des Gesprächs anzuzeigen.
Will der Thürmer oder Jemand auf dem Thurm mit der Polizeiwachstube sprechen ...
Polizeimann stellt den Apparat Thurm-Polizeiwache und gibt ein einmaliges Glockenzeichen zurück, welches der Thürmer erwidert, worauf von den Sprechenden die Hörapparate an die Ohren genommen werden und das Gespräch kann beginnen ...
Will jemand im Wasserwerksgebäude mit dem Maschinenhaus sprechen ...
In gleicher Weise wird verfahren, wenn das Maschinenhaus mit dem Wasserwerksgebäude zu sprechen hat ...
Bemerkt der Thürmer einen Brand, so hat er wie in gewöhnlichen Fällen das Zeichen nach der Polizeiwachtstube zu geben, und das Rückzeichen abzuwarten. Bekommt er auf wiederholten Anruf keine Antwort, so hat er die noch vorhandene frühere Glocke zu ziehen, und sich in der bisherigen Weise zu verständigen. Bei einem ausbrechenden Brande hat die Ehefrau des Thürmers ständig am Apparat zu bleiben und ergebende Anfragen zu beantworten.
Der Polizeimann gibt die Mitteilung, daß und wo es brennt, sofort an das Wasserwerksgebäude und in das Maschinenhaus weiter.
Das anrufende Glockenzeichen ist länger zu bemessen als gewöhnlich; wird auf ein wiederholtes Glockenzeichen keine Antwort gegeben, so ist sofort eine verlässliche Person nach dem Wasserwerksgebäude zu schicken. Das Wasserwerk (Masch.Haus und WW-Gebäude) gibt Nachricht, daß das Wasserwerk in Ordnung ist.
Nach Bedarf werden die notwendigen Anfragen und Antworten dem Wasserwerk nachgereicht.
Um beständig vergewissert sein zu können, daß das Thelephon richtig funktioniert, ist jeden Tag mittags 12 Uhr von der Polizeiwachtstube aus eine Probe zu geben und zwar in folgender Weise:
1. Nach dem Thurme
Glockenzeichen,
Glockenzeichen zurück,
Frage: „Thelephon in Ordnung?“
Antwort: „Jawohl!“
2. Nach dem Wasserwerksgebäude
3. Maschinenhaus
Zur sicheren Durchführung der über die Benützung des Telefons getroffenen Anordnungen dienen die bei den einzelnen Apparaten aufgestellten Rufzeichen.
Stadtmagistrat Straubing
Harlander
Egglhuber“
Franz Harlander war in Straubing Bürgermeister von 1874 bis 1887. Die Alarmierung der Feuerwehr durch den Turmwächter erfolgte jedoch weiterhin über die Feuerglocke auf dem Turm.
Ab 1902 war es in der Stadt möglich über 16 Telefonmelder bei Brand oder Unfall die Polizeistation zu alarmieren, die ihrerseits den Turmwächter informierte.
Im Jahre 1922 wurde die Turmfeuerwache eingestellt und aufgelöst. Anlass dazu war, dass in den zurückliegenden drei Jahren sämtliche Brände eher über die elektrische Meldeanlage der Polizei zur Kenntnis gebracht wurden als durch die Turmfeuerwache.
Diese umständlichen Anordnungen der Stadtverwaltung Straubing zu den Modalitäten der Brandmeldung sind doch so verwirrend umständlich gehalten, dass wir nachträglich nur hoffen können, alle Bediensteten Thürmer-Wasserwerker-Maschinisten-Polizeimänner haben alles richtig verstanden. Und noch etwas: vergessen wir die Ehefrauen der Thürmer nicht, die am Telefon hoch oben im Turm eine sehr bedeutsame Funktion innehatten. Wohlan denn, hoffen wir, dass alles sich zum Positiven gewendet hat.
(Zum Schluss noch ein Hinweis vom Verfasser dieses Artikels: Behalten Sie Mut und Ausdauer, lesen Sie manche Abschnitte ruhig zweimal! Nur dann kommen Sie in den Genuss, diese Verwaltungsvorschriften voll und ganz zu verstehen. Ich machte das und habe oftmals sehr lange und ausgiebig schmunzeln müssen. Solche Vorschriften gibt es heute nicht mehr! Oder doch noch?)
Quelle: Hans Vicari, in: BOG Zeitung vom 6. September 2016 – aus: Hans Vicari, Stadtturm Straubing, 2001, Verlag Beck Straubing, S.73 ff. (Zeitversetzte Übernahme aufgrund einer 14-tägigen Sperrfrist.)
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