Glossen, Realsatire & Co.
Ganz schön derb, gelln S'?
In der Vorweihnachtszeit soll man eigentlich friedlich sein, aber manchmal muss man schimpfen.
Kürzlich im Kaffeehaus, wo seit je her die wirklich wichtigen Dinge des Lebens durchdacht und besprochen werden, wobei durchaus vorkommen kann, dass erst besprochen wird und dann erst durchdacht, im Kaffeehaus also ist kürzlich Folgendes geschehen: Ein Geschäftsmann hat eine lustige Geschichte erzählt: Wie sie auf der Weihnachtsfeier alle eine junge Kollegin ein bisserl getratzt haben mit ihrem Dialekt, und insbesondere mit dem "Gelln S'", das sie gern benutzt. ...
Cartoon: Wolfgang Warmdt
... "Gelln S'", das geht gar nicht, fand der Geschäftsmann. So provinziell. So weit weg von Hochdeutsch. Es sei auch in Straubing inzwischen ja so, dass immer mehr Hochdeutschsprecher in die Geschäfte kämen; deshalb müsse man zunehmend auf seine Sprache achten; erst kürzlich sei einNeukunde gekommen, vom Kompetenzzentrum drunten. Solche Kunden, so seine Besorgnis, verstünden seltsame Auswüchse der Bayerischen Sprache wie "Gelln S'" ja gar nicht; darauf müsse man Rücksicht nehmen. Da war er in diesem Kaffeehaus freilich an der ganz falschen Adresse.
Umgehend erschien zwischen den Augenbrauen des Stammgasts W. E. jene tiefe Stirnfalte, für die dieser Stammgast berüchtigt ist. Auch die Miene der Wirtin verfinsterte sich. Gemeinsam fielen wir über den armen Mann her: Ob er die Sprache der Heimat nicht achte; ob er nicht wisse, wie freundlich ein "Gelln S'" sei; und, dass die Wissenschaft bereits in der Lage sei, den Gencode der gesamten Menschheit zu knacken, da würden die tüchtigen Forscher des Kompetenzzentrums an einem "Gelln S'" sicher nicht scheitern; kann sein, dass wir sogar Schaum vorm Mund hatten. So empört waren wir. Staunend vernahm der Geschäftsmann die Tiraden der beiden Furien. Seine Gegenwehr wurde erst matt und dann matter: Gelln S'?
Wie unästhetisch Englisch eigentlich ist...
Nun wollen wir das Ganze nicht allzu hoch hängen, nur eine Seite, also einseitig nur, aber manchmal muss man sich doch etwas wundern. Da jammert unsere Geschäftswelt in einem fort, wie schwer es geworden sei, freundliches Personal zu finden, dann haben sie jemand, der freundlich ist, und dann passt es wieder nicht: weil er in Dialekt freundlich ist, was aber kein Neukunde kapiert: Die Meinung der hiesigen Geschäftswelt zur Intelligenz ihrer hochdeutschen Neukunden scheint ja nicht gerade wahnsinnig hoch zu sein.
Doch eigentlich ist der Grund für das etwas gespaltene Verhältnis zur eigenen Sprache ein anderer: "Gelln S'" ist ja nicht nur die Höflichkeitsform von "gell", das so viel wie "nicht wahr?" bedeutet. Schön daran ist, dass es Gemeinsamkeit herstellt und dennoch Distanz wahrt, viel besser als ein "nicht wahr". Aber dumm daran ist, dass es ein Ausdruck ist, den man im Norden Deutschlands leider nicht kennt. Das ist sehr schlecht. Denn damit ist "Gelln S'" leider provinziell, und wer, außer der Wirtin und mir, will schon provinziell sein?
Und große Häuser am Stadtplatz machen Schulungen, in denen hochdeutsche Experten Mitarbeitern Sätze andressieren, die überall gleich sind, von Flensburg bis Mittenwald: "Guten Tag! Womit kann ich Ihnen dienen?"
Sehen Sie: keiner. Und deshalb hören dialektsprechende Angestellte manchmal, sie sollen "gehobener" reden, da gibt es einige Fälle. Und große Häuser am Stadtplatz machen Schulungen, in denen hochdeutsche Experten Mitarbeitern Sätze andressieren, die überall gleich sind, von Flensburg bis Mittenwald: "Guten Tag! Womit kann ich Ihnen dienen?" Und im Kaffeehaus sitzen zwei Mütter und finden "ein bisschen Dialekt" toll, nur diese hässlichen "ou"-Laute nicht: "Schou" statt "Schuh" und "Bou" statt "Bub" - das, sagen sie, das wollen sie bei ihren Kindern nicht hören. "Ou" klinge so hässlich. Bitte, dürfen die Kids trotzdem Englisch lernen? "Show" und "bow", "though" und "low": mein Gott, wie unästhetisch.
... und wie fair Frank Plasberg ist
Irgendwie scheint da ein sehr starkes Inferioritätsgefühl am Werke zu sein, ein Gefühl sprachlicher Unterlegenheit. Woran könnte das liegen? Ich schlage einen Sündenbock vor: Frank Plasberg. Natürlich nur als ein Beispiel, denn Plasbergs gibt's viele. Zu Plasbergs "Hart, aber fair" war kürzlich ein Steuerberater geladen, aus Fürstenzell. Weil Plasberg ARD und bundesweit ist, hat der Mann nicht Dialekt gesprochen, sondern Standard-Deutsch. Leider die süddeutsche Variante, und mit bayerischem Akzent.
Ein Akzent ist etwas anderes als Dialekt. Ein Akzent ist eine Sprachfärbung, mehr nicht: Dunkles a, rollendes r, diese Sachen, von denen die Sprachwissenschaft sagt, dass das halt im Deutschen so ist: Die einen rollen das r, die anderen nicht, und egal wie man's macht, beides ist okay und gleich gut. Plasberg sieht das anders. Er findet, es ist nicht gleich gut. Dem Steuerberater hat er gesagt, er finde seinen "Dialekt wirklich ganz reizend"; aber jetzt soll er doch bitteschön endlich Hochdeutsch sprechen; Plasbergs Eltern würden sonst schimpfen und sagen, dass sie nichts verstehen.
Eine südliche Färbung reicht aus, um in der ARD als Vollexot vorgeführt zu werden: Er kann kein Deutsch! In der ARD verstehen sie jeden US-Deutschlandkorrespondenten, der ihnen mit US-Akzent den Obama erklärt, aber bei einem bayerischen Akzent blenden sie "O-Ton Süd" ein, oder, noch besser, Untertitel, dann kapiert jeder: Deutsch ist das nicht. Deutsch ist nur noch die norddeutsche Variante. Was davon abweicht, ist Dialekt und nicht zumutbar, außer bei Marianne und Michael, weil als Folklore-Scheiß ist das schön.
Warum Niederbayern echt schlimm ist...
Bei all den Plasbergs, die ständig mehr hart als fair Meinung machen, ist es kein Wunder, wenn wir unsere eigene Sprache letztlich selber abschaffen. Weil wir zum Schluss selber finden, dass man Primitives wie "Gelln S'" keinem Kompetenzzentrumsmann zumuten kann. Ich habe einmal einen Journalisten der SZ gefragt, was die "Süddeutsche" eigentlich an dem Wort "Bub" stört, weil sie stets "Junge" schreibt. "Junge" ist ein Regionalwort, aber eines aus Norddeutschland. Die Antwort war, dass die "Süddeutsche" eben keine Regionalzeitung sei; auch im Norden müsse sie lesbar sein; "Bub" werde dort nicht verstanden.
Sie - die "Plassbergs" - wissen, in welchen englischsprachigen Ländern man "mobile" zum Handy sagt und in welchen "cell phone", wo es "football" heißt und wo "soccer". Aber "Bub" verstehen sie nicht: zu kompliziert. Wen wundert, dass sie bei Pisa nicht ganz so toll dastehen?
Dieser Mann ist ein Mann mit Sinn für die Absurditäten des Alltags. Seine Interviews sind kleine Perlen, ich schätze sie sehr. Er spürt wunderbar wahnsinnigen Fragen nach wie zum Beispiel der, ob es denn richtig sein kann, dass Frauen sich lieber Haustiere halten als einen Mann; dass ein Mensch mit so viel Sinn für Skurriles letztlich behauptet, dass der Norden Deutschlands - er kommt selber aus ihm - zu dämlich sei, um "Bub" zu verstehen, ist schon auch skurril. Sie wissen, in welchen englischsprachigen Ländern man "mobile" zum Handy sagt und in welchen "cell phone", wo es "football" heißt und wo "soccer". Aber "Bub" verstehen sie nicht: zu kompliziert. Wen wundert, dass sie bei Pisa nicht ganz so toll dastehen? Der Spiegel hat einmal eine Geschichte gebracht über einen Lehrer aus dem Saarland. Ein grausames Schicksal hat ihn in eine niederbayerische Kleinstadt verschlagen, "bloß nicht nach Niederbayern" hieß die Geschichte. Sie erzählt das unfassbare Leid dieses Lehrers: Er verstand seine Schüler nicht. Statt "Schere" sagten sie "Schaar". Es war richtig schlimm. Empört stellte der Spiegel die Frage, wie denn ein hochdeutscher Lehrer gerecht benoten solle? Wenn er den bayerischen Schüler doch gar nicht versteht?
... und was Dunham viel besser kann
"'Lebenslang Lernen', das dürfen auch Saarländer", möchte man den Armen hier trösten, und den Hamburger Spiegel gleich mit. Und so schwer kann das Sich-Hineinhören in einen Dialekt ja wohl nicht sein; am Turmair war einst ein Lehrer, der kam, wenn ich mich richtig erinnere, sogar aus Schleswig-Holstein und hat uns trotzdem verstanden. Und dann Jason Dunham, der Tigers-Manager: der versteht Dialekt nicht nur, er spricht ihn sogar. Aber Dunham kommt auch nicht aus Hamburg oder dem Saarland, sondern aus Kanada. Da war er natürlich im Vorteil. Vielleicht war er aber auch nur interessierter.
Eine Verkäuferin hat einer Freundin von dieser Schulung erzählt. "Ich hab gesagt", sagt die Freundin, "ein einziges Mal nur, wenn das ("Guten Tag. Womit kann ich Ihnen dienen?") wer zu mir sagt bei euch, dann bin ich weg." Sie mag normierte Einheitsphrasen nicht.
Und weil jetzt bestimmt einer höhnt, dass gleich noch die Forderung nach Einführung des Dialekts als Schul- und Amtssprache kommt: ja, der Gedanke ist reizvoll. Aber darum geht es nicht. Soll doch jeder reden, so wie er mag. Aber es wäre schon schön, wenn das wirklich jeder dürfte. Es wäre schön, wenn sie auf ihre "Guten Tag! Womit kann ich dienen"-Normierungen einfach verzichten würden. Eine Verkäuferin hat einer Freundin von dieser Schulung erzählt. "Ich hab gesagt", sagt die Freundin, "ein einziges Mal nur, wenn das wer zu mir sagt bei euch, dann bin ich weg." Sie mag normierte Einheitsphrasen nicht.
Ein freundliches "Grüß Gott, kann i Eana helfen?" reicht ihr vollkommen. Sie fühlt sich wohler dabei, es ist ihre Sprache, ihre eigene. Sie ist halt einfach noch nicht normiert genug. Aber leider ist "Grüß Gott" zu provinziell geworden, außerdem könnte "Gott" nichtreligiöse Gefühle verletzen, man konnte sogar schon einmal lesen, dass "Grüß Gott in der Schule" gegen das "Gebot der Trennung von Kirche und Staat" verstoße. Und es wäre schön, wenn man nicht wie ein Kleinkind behandelt werden würde, das Plasbergs Eltern zum Schimpfen bringt mit seinem Süddeutsch.
Was wirklich schön ist
Aber manchmal sind sogar "Schou" und "Bou" von kulturellem Wert. Zu den Kötztinger Waldspielen von Johannes Reitmeier pilgert man regelrecht hin und keiner sagt "derb" oder "gschert" . Da schwärmen dann alle, wie echt diese Sprache ist, und dass man mit ihr einfach alles ausdrücken kann, sogar Büchners Woyzeck und Goethes Faust, und man bewundert diese Sprache auf der Bühne wie ein selten gewordenes Tier in einem Zoo. Im Alltag sagt man wieder: "Derb."
So. Und jetzt wollen wir uns den Schaum vorm Mund wieder wegwischen. Stirnfalte auch weg? Ja? Gut. Patrizia, die junge Angestellte, hat nämlich auch keine Stirnfalte bekommen, sie ist zum Glück lockerer als unsereiner. Und sie hat eine Erfahrung gemacht: "Das kommt bei den Kunden gut an", sagt sie, "wenn man sich in der Sprache verständigt, in der man aufgewachsen ist", und sie stellt eine Frage: "Wer entscheidet, was gehoben ist?"
Vor einiger Zeit hat sie sich von einer Kundin verabschiedet und dabei Pfiad God gesagt; das hat sie daheim gelernt, dass man am Ende "Wiederschaun" sagt, "Wiedersehen" oder eben "Pfiad God". "Da hat", sagt sie, "sich die Kundin noch einmal umgedreht und gesagt, endlich eine, die noch Pfiad God sagt, die hat sich richtig drüber gefreut. Schön." Genau das ist es. Keiner dieser vielen und gutbezahlten "Guten Tag"-Personalschulungstechnokraten wird jemals so etwas schaffen. So, und jetzt ab ins Kaffeehaus. Und wenn der Plasberg drin sitzt, dann wird's heute doch noch recht derb.
Quelle: Wolfgang Engel, in: SR-Tagblatt vom 8. Dezember 2012, Seite 36
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