Glossen, Realsatire & Co.
Mühlen an der Menach (19): Die Ziermühl
Die Ziermühl, etwa am Mittellauf der Menach gelegen, gehört zur Gemeinde und Pfarrei Haselbach.
Sie zählt zu den ganz alten Mühlen an diesem Bach, ihre Entstehung liegt im Dunkel der Geschichte. Urkundlich erscheint sie erstmals in den „Windberger Schenkungen”, die vor 1191 niedergeschrieben wurden.
Die Ziermühl einst - mit dem Wappen über der linken Tür
Das Wappen, das auf dem Foto zu Beginn des Artikels über der Tür der Ziermühl sichtbar ist, existiert nur noch als Bruchstück im Mitterfelser Museum.
Geschichte
Von Fachleuten wird als Entstehungszeit dieser Schriftstücke die Zeit um 1150 angenommen. Aus diesem Dokument erfahren wir auch den Vorbesitzer der Mühle. Die verhältnismäßig große Entfernung der Mühle zur Besitzerfamilie gewährt uns auch einen kleinen Einblick dahin, dass die Besitzverhältnisse vor rund 1000 Jahren nicht immer arrondiert waren, sondern sich über das Land zerstreuten. Erbschaften, Heiratsgüter, Schenkungen oder auch gewaltsame Wegnahme waren die Ursache dafür.
Bayer. Staatsbibliothek; cod. lat. 22204 fol. 228 um 1150. Reproduktionserlaubnis: 25.11.02 F 023417.
Der Text lautet ohne Abkürzungen: molendinum in dem Haselbach, quod dedit nobis Christanus de harnlunge. (Deutsch: Die Mühle in dem Haselbach, welche uns Christian aus Harrling gegeben hat.)
Interessant am zuerst abgedruckten Dokument ist noch folgendes: Bei allen Ortsangaben in diesen mehrere hundert Seiten umfassenden Schenkungen heißt es bei Ortsangaben immer „de” (von) oder „in” (in). Nur bei dieser Mühle heißt es - obwohl der Text sonst in Latein abgefasst ist - „in dem”. Dies bedeutet, dass hier der Bachname genannt wird, von dem der Ort dann seinen Namen bekommen hat.
Die Mühle ging also in den Besitz des Klosters Windberg über. In der Abgabenliste aus der Zeit um 1250 erfahren wir auch, welche Steuern diese Mühle an das Kloster durch den Lehensnehmer zu entrichten hatte. Auch hier erscheint der heutige Name noch nicht, sondern es wird von der Mühle gesprochen. Da aber in der Zeile vorher der Name Haselbach genannt wird, die nächste Zeile mit „et” (und) beginnt, so kann mit der hier genannten Mühle in Haselbach nur die Ziermühle gemeint sein, zumal in der Zeile darauf der Ort Plassenberg erscheint.
Bayer. Staatsbibliothek München; cod. lat. 22237 fol. 171 um 1250. Reproduktionserlaubnis: 22.01.98 F 980372.
Der Text lautet: In Haselbach haben 3 bestimmte Männer 60 Pfennig zu zahlen. Und die Mühle hat 64 Pfennig zu zahlen.
Der Text zeigt uns eine Besonderheit aus der damaligen Zeit: Um nachträglich Änderungen oder Fälschungen auszuschließen, hat man die Zahlen oft am Anfang und am Ende mit einem Punkt versehen. In der ersten Zeile sind die römischen Zahlen III (arabisch 3) und LX (60), in der zweiten Zeile die Zahl LXIIII (64) mit diesen Punkten genau markiert.
Zu welchem Zeitpunkt der Name Ziermühl erstmals auftaucht, konnte noch nicht ermittelt werden. In den Pfarrmatrikeln von Haselbach erscheint jedenfalls der Ort ab 1643 immer mit dem jetzigen Namen, auch wenn die Schreibweise etwas abweicht.
1643 heißt es Zürnmill (PfM./Ha. Bd . 1) , 1686 Zihrmihl (PfM./Ha. Bd. 1), 1722 Zührmill (PfM./Ha.Bd.2) und 1776 Ziermihl (PfM./Ha. Bd. 4). - Der Name leitet sich ab von dem althochdeutschen Wort ziari oder vom neuhochdeutschen Wort zieri; beide bedeuten herrlich, schön, prächtig. Diese Prachtmühle erlebte im letzten Jahrhundert einen ungewöhnlichen Aufstieg aber auch einen dramatischen Absturz.
Bei der Ziermühl hat die Menach ein starkes Gefälle.
Das eiserne Rohr erinnert noch an die Wasserzuführung zu den Turbinen.
Hier wurde der Wasserzulauf zur Mühle reguliert (Bild links). - Der Mühlbach verlandet immer mehr. (Alle Fotos: S. Gall)
Blick zurück: Frau Agnes Danner erzählt
Im Januar 1945 lag der Bauer Josef Danner (verheiratet mit Anna Neumeier) von Ziermühl im Sterben. Deshalb bekam sein Sohn Johann drei Tage Sonderurlaub von der Front, um daheim die Formalitäten der Übernahme zu erledigen. Kurz darauf geriet er in Gefangenschaft, aus der er erst am 18. Mai 1948 heimkehrte. Ich war eine geborene Kronfeldner von Ratzing (bei Elisabethszell) und heiratete also in die Ziermühl ein. Wir führten die 55 Tagwerk umfassende Landwirtschaft. Der Bruder meines Mannes, Josef Danner, leitete zu dieser Zeit mit seiner Frau Anna, geborene Neumeier, die Mühle und das Sägewerk.
Der große Brand
Der 21. Juli 1921 war ein schöner Sommertag. In der Ziermühl war man mit dem Dreschen von Hafer beschäftigt. Bei der günstigen Witterung wurde das gedroschene Stroh nicht gleich in den Stadel eingebracht, sondern im Freien zwischengelagert. Niemand beachtete den vorbeifahrenden Zug. Ein Funke aus dem Kamin der Dampflokomotive setzte das Stroh in Brand. Das Feuer breitete sich rasend schnell aus. Es begann ein Rennen um das eigene Leben. Alle Kinder mussten mithelfen die Tiere aus dem Stall zu treiben. Der Vater packte das Wichtigste und Nötigste zusammen. Die Mühle und das Wohnhaus mitsamt der Einrichtung wurden ein Raub der Flammen, ebenso der Dachstuhl des Stalles. Neun Kinder hatten plötzlich kein Bett mehr. Beim Wegräumen des Brandschuttes suchte der Vater nach der „Dofe” (Tafel): „Wa wenn de ned vobrennd is, na wiads wieda mit uns.”
Die “Dofe” (aus Bronze) galt lange als “Geburtsurkunde” der Ziermühl; ihr Vorhandensein wurde als Garant für den Weiterbestand angesehen. Foto: S. Gall
Neuanfang
Die Tafel hatte die Brandkatastrophe überstanden. Schon im Jahr darauf war die neue Mühle betriebsbereit. Aller Fleiß der Müllersleute schien aber sinnlos zu sein, denn die rasende Inflation von 1923 warf alle Berechnungen und Kalkulationen über den Haufen. Kostete 1 Pfund Butter zunächst noch 60 Millionen, so stieg der Preis bis zum Höhepunkt der Geldentwertung auf glatte 5 Billionen Mark für dieses eine Pfund. Eine Semmel kostete gleichzeitig 1 Milliarde. Die Geldumstellung am 20. November 1923 - 1 Billion = 1 Rentenmark - brachte wieder Ruhe ins Wirtschaftsleben. So wurde schon 1924 von der Ziermühl nach Haselbach eine Stromleitung gelegt. In der Ziermühl erzeugte ein Generator Gleichstrom. 1934 wurden zwei neue leistungsstärkere Turbinen mit 13 und 17 PS eingebaut. Diese taten Dienst, bis dann ab 1947 das Land von der OBAG mit Wechselstrom bedient wurde.
Der Neubau 1933
Bis zum Jahr 1933 existierte in der Ziermühl auch eine kleines Sägewerk mit nur einem Sägeblatt. In diesem Jahr wurde nun eine leistungsfähigere Säge mit drei Sägeblättern errichtet; zusätzlich wurde ein Sägegatter für sehr „dicke” Stämme montiert. Trotz großer Eigenleistung kam der Neubau auf 15.000 Mark. Dieses Werk benötigte eine Energiemenge, die mit Hilfe der Wasserkraft nicht erzeugt werden konnte. Deshalb wurde 1938 ein eigener Dampfkessel errichtet, „Lokomobil” genannt.
Unter dem hohen Kamin erzeugte das “Lokomobil” die Energie für die Säge.
Diese Dampfmaschine tat ihren Dienst, bis die Ziermühl an das Stromnetz der OBAG angeschlossen wurde. Dann „wanderte” das Lokomobil nach Niedermenach. Im Zuge des Neubaus von Sägewerk und Mühle wurde etwa 100 m bachaufwärts ein Stauwehr errichtet und das Wasser durch den neu angelegten „Mühlbach” der Mühle zugeführt. Durch die Stauwirkung wurde ein gleichmäßiger Wasserzufluss erreicht. Zu dieser Zeit wurden in der Mühle die Mühlsteine durch Walzenstühle ersetzt und der Mahlvorgang weitgehend automatisiert. Das oberschlächtige Wasserrad hatte einen Durchmesser von etwa zwei Meter und war sehr breit, denn es musste den „ganzen Bach” aufnehmen.
Josef Danner vor seinem "Lastwagen"
Arbeit in der Mühle
In der Ziermühl gab es eine Besonderheit. Am Tag arbeiteten in der Mühle der Besitzer, zwei Lehrlinge und ein angestellter Meister. Sie verarbeiteten durchschnittlich 100 Doppelzentner Getreide (Weizen, Roggen, Gerste) am Tag. Die Erzeugnisse wurden mit einem eigenen Lastwagen abgefahren. Abnehmer waren neben Privatkunden auch Bäckereien in Lam, Cham und Regensburg. In der Nacht konnten die Bauern aus der Umgebung ihr eigenes Getreide mahlen lassen und dann das „eigene” Mehl heimfahren. Die Walzenstühle bediente dabei der Müller, sein Sohn oder der angestellte Meister. Ansonsten war die Mühle eine Umtauschmühle, d. h. Mehl wurde gegen Getreide getauscht.
Mühle und Sägewerk in den Glanzzeiten
Arbeit in der Säge
In der Säge wurde rund um die Uhr gearbeitet. Am Tag arbeiteten von 7 - 17 Uhr meist 15 Arbeiter. Eine Möbelfirma aus Holzminden war Großabnehmer der Schnittware. In der Nachtschicht waren 4 Helfer beim „Bauernschnitt” tätig. Hierbei konnten die Bauern ihre Stämme selbst sägen und die Schnittware gleich heimfahren. Der Stundenlohn betrug damals rund 4 DM; die reine Arbeitszeit umfasste 9 Stunden. Für das Schneiden von 1 m3 zahlte das Werk in Holzminden 10 DM. Als Holzaufkäufer hatte diese Firma eigens einen Förster hierher abgestellt, der bei den Bauern das geeignete Holz aufkaufte. Um leichter Zugang zu den hiesigen Bauern zu gewinnen, nahm dieser Förster öfter den Sägewerksbesitzer mit zu seinen Einkäufen. Josef Danner bekam für diesen „Beistand” je Stunde 1 DM „Vermittlungsgebühr”.
Hochwasser
Mühle und Sägewerk arbeiteten all die Jahre hindurch - Gott sei Dank - ohne schwere Unfälle. Kleinere Verletzungen gab es bei solchen Arbeiten schon. Ein Unglück von besonderem Ausmaß brachte allerdings das Hochwasser im Sommer 1954. Der Bach war zum reißenden Fluss geworden und schwemmte viele Bretter weg und beschädigte das Mauerwerk an den einzelnen Gebäuden. In der Küche des landwirtschaftlichen Anwesens stand das Wasser so hoch, dass es in das Bratrohr des Ofens lief. Fußböden und Möbel wurden stark in Mitleidenschaft gezogen. Ein Hochwasser derartigen Ausmaßes hat es seither nicht mehr gegeben.
Hochwasser in der Ziermühl: rechts die Mühle, in der Mitte das Wohnhaus des Sägewerksbesitzers und Müllers, dahinter die Säge.
Der Bahndamm wurde hier abgetragen. So verschand die enge Zufahrt zur Ziermühl. Auf der ehemaligen Bahntrasse läuft heute ein Rad- und Wanderweg.
Ende
Mein Mann hatte seinem Bruder immer wieder geholfen, Mühle und Sägewerk zu erhalten. Beide Werke standen von Anfang an unter einem unglücklichen Stern, obwohl die Auftragslage zeitweilig günstig war. 1967 war die Frau meines Schwagers gestorben; von da ab ging es schnell bergab. 1970 kam das Aus für beide Betriebe. Sie wurden mitsamt dem zugehörigen Wohnhaus an Herrn Zimmermann von Edt (Gemeinde Haselbach) verkauft. Die Konkurrenz der großen Kunstmühlen und unglückliches Management und die Steuerlast auf die Gebäude veranlassten den neuen Besitzer, Mühle und Sägewerk abzubrechen.
Oma Danner
Oma Danner denkt mit Wehmut, Freude und auch Bitterkeit an die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts zurück. Hat sie doch fünf Kindern das Leben geschenkt (wovon vier überlebten) und mit ihrem Mann das Anwesen gut und ertragreich geführt. Sohn Helmut führt jetzt mit seiner Frau Christina, geb. Schmid von Irschenbach, den landwirtschaftlichen Betrieb nach modernen betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten. Das Familienglück von Oma Danner war jedoch zuweilen stark beeinträchtigt durch die Malariakrankheit, die der Mann aus dem Krieg heimgebracht hatte. 19mal brach die Krankheit aus und warf den Mann immer wieder nieder.
Gern erinnert sie sich an das reiche Tierleben im Bach. Nur wer selbst noch 50 oder 60 Jahre zurückdenken kann, wird die Worte von Oma Danner bestätigen können: „Wenn ich die Schüssel mit dem Spülwasser in den Bach schüttete, brauchte ich nur die Schüssel ein paar Sekunden im Wasser untertauchen und schon waren einige Forellen darin. Die Kinder meckerten schon, weil so oft Fisch auf dem Speiseplan stand.” Gute alte Zeit!?
Quelle: Sigurd Gall, in: Mitterfelser Magazin 9/2003 - Seite 86 ff - Alle SW-Fotos: Archiv Josef Brembeck
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