Mitterfels
„Waldsterben ist mir zu pauschal“
Viktoria Riedle hat viel Spaß daran, als eine Art Waldverjüngerin Waldbauern und Waldbesitzer zu beraten. Fotos: Fiorella Janker – Vergrößern durch Anklicken!
Unterwegs mit der Waldverjüngerin Viktoria Riedle, Leiterin des Forst-Reviers Mitterfels, zwischen Fichten-Kulturen und seltenen Lärchen. Eine ihrer Aufgaben: der Umbau in einen klimaresistenten Wald.
An einem grauen, wolkenverhangenen Tag gibt Viktoria Riedle, die Leiterin des Reviers Mitterfels, dem größten Forstrevier im Landkreis Straubing-Bogen, eine kleine Führung durch den Wald Münster/Steinach.
Die Reise durch den Wald Münster/Steinach führt in ihrem kleinen Geländewagen vorbei an mächtigen, teils ein Jahrhundert alten Bäumen. „Das ist eine Douglasie. Sie wurde schon in den 1930er-Jahren hier gepflanzt“, erklärt sie und hält neben dem enormen Stamm eines Baumes. Die Krone ist so weit oben, dass man sie aus dem Wagen schon nicht mehr sieht. Wie sich herausstellt, wird diese Douglasie nicht die einzige in diesem Wald bleiben – und das, obwohl der Nadelbaum in Bayern eigentlich nicht heimisch ist. Denn die Douglasie wurde hier angepflanzt und verbreitet sich von selbst. In den bayerischen Wäldern stehen laut dem bayerischen Forstamt mit rund 40 Prozent vorwiegend Fichten.
Relikt: Fichten-Monokultur
Der Wagen holpert weiter über den löchrigen Waldweg. An einer Abbiegung macht die 31-jährige Försterin Halt an der ersten Station. Für sie ist es eine Station, die sie am liebsten nicht im Wald hätte. Ein verheerendes Bild bietet sich hier: eine große, quadratische, leere Fläche ohne Bäume. Nur die braunen Baumstümpfe bleiben zwischen den stachligen Brombeerranken zurück. Rundherum stapeln sich auf einzelnen Haufen die gefällten Bäume. Von vielen dieser Holzstämme fallen Teile der Rinde ab. Was sich darunter verbirgt, ist nicht unbedingt ein Segen für diesen Wald: weiße, fleischige Larven des Buchdruckers und die verzweigten Gänge der braun-schwarzen Käfer. Der Buchdrucker gehört zu den Borkenkäfern, die sich unter die Rinde von Bäumen bohren und so den Baum schwächen. Bevorzugt sind das Fichten – und von denen gibt es in den bayerischen Wäldern mehr als genug.
„Vor 30 oder 40 Jahren war es eine praktikable Methode, Fichten anzupflanzen“, erklärt die studierte Forstingenieurin. Denn die Fichte sei je nach Standort ein relativ schnell wachsender Baum. In langen Reihen stehen die Fichten dort in einer Monokultur, ähnlich wie der Mais auf dem Feld. „Bis vor 20, 30 Jahren hatten wir in Bayern optimale Wachstumsbedingungen für die Fichte, denn sie ist sehr anspruchslos, was die Nährstoffe im Boden angeht“, erklärt sie. Die Fichte stelle aber extreme Ansprüche an Wasser und Wasserverfügbarkeit. „Das heißt, sie kriegt Probleme, wenn es trockener wird. Das ist, was wir gerade feststellen.“ Ob es noch mehr Fichten an dieser Stelle erwischt, kann die Forstrevierleiterin erst im Frühjahr sagen. Dann kontrolliert sie noch mal nach.
Wer solche Szenen vor Augen hat, hat unweigerlich das Wort „Waldsterben“ im Kopf. Ein Begriff, der so endgültig scheint. Gerade auch Schlagzeilen wie „Waldsterben in Deutschland: Grüne Lunge atmet schwer“ („Geo Magazin“, August 2023) oder „Tickende Zeitbombe: Waldsterben“ (ZDF heute, August 2023) zeichnen ein verheerendes Bild. „Dieser Begriff wird von den Medien sehr aufgeblasen. ,Waldsterben‘ ist mir einfach zu pauschal“, sagt Viktoria Riedle. Für sie sei der Wald ein Kreislauf, in dem der Prozess des Sterbens dazugehöre. „Im ersten Moment fühle ich mich nicht gut, wenn ich die sterbenden Bäume sehe. Aber wenn man dann auf die Fläche geht und sich intensiver mit der jeweiligen Situation beschäftigt, kommt bei mir meistens die Hoffnung zurück“, sagt die Försterin. Oft sei es so, dass man trotz Schaden noch etwas Positives rausziehen könne. Denn woran die meisten Menschen bei Borkenkäferbefall nicht denken, ist, dass auf einer Fläche ohne Bäume auch wieder etwas entstehen kann.
Vergrößern durch Anklicken!
Der Wald hilft sich selbst
Auf einer sogenannten Lichtstellung, also einer frei gewordenen Fläche, können wieder andere Bäume wachsen, die zum Beispiel mehr Licht benötigen. Insgesamt nimmt der Wald in Bayern laut dem bayerischen Forstministerium eine Fläche von rund 2,6 Millionen Hektar ein.
Dass der Mensch beim Nachwachsen neuer Bäume nicht immer nachhelfen muss, zeigt die Försterin an der nächsten Station. Das warme Auto verlässt sie über den knirschenden Waldweg in Richtung Buchen, Eichen, Lärchen und Tannen. Bei jedem Tritt knistern die rostroten Blätter der Laubbäume unter ihren schweren schwarzen Schuhen und einzelne Regentropfen finden ihren Weg nach unten. Zwischen den trockenen Blättern am Boden schauen die Spitzen kleiner Bäume aus der Erde. Knöchelhohe Tannen oder Buchen bewachsen die freie Fläche. Sie wurden nicht von der Försterin oder dem Besitzer angepflanzt. Bei der sogenannten „natürlichen Waldverjüngung“ säen sich die Bäume selbst aus und sorgen dafür, dass Bäume nachwachsen. Genau das ist es, was vorbeugend wichtig ist, damit der Wald langfristig gesund bleibt. „Wir brauchen im Wald durchmischte Bestände, also verschiedene Baumarten, damit man das Risiko streut.“ Durch die breite Palette an unterschiedlichen Bäumen passiert das auf dieser Fläche automatisch im Gegensatz zu den Fichten-Monokulturen.
Ein Stück weiter stehen zwei riesige Lärchen. Sie haben ihre Nadeln schon von einem normalerweise satten Grün in ein ausgeblichenes Senfgelb umgewandelt. In den bayerischen Wäldern gibt es laut dem bayerischen Forstamt nur zwei Prozent Lärchen. Sie gehören also eher zu den selteneren Bäumen in Bayern. Neben den beiden großen Lärchen verteilen sich in einem größeren Kreis ganz viele Lärchen – von knöchelhoch bis mannshoch ist alles dabei. Auch das ist ein Beispiel dafür, wie der Wald sich selbst darum kümmert, dass er fortbesteht. Auf dieser kreisrunden Fläche sollen laut der Försterin auch einmal Fichten oder Ähnliches gestanden haben. Jetzt, wo sie weg sind, haben sie den Platz frei gemacht für die lichtbedürftigen Lärchen.
Duft nach Orangen
Als sie bei der vorletzten Station aussteigt, weiß Viktoria Riedle sofort, welche Baumart hier steht – und zwar nicht nur wegen des Aussehens der Bäume. Neben dem leicht herben Duft der Blätter riecht es hier auch ganz leicht nach Orange – ein sicheres Indiz für Douglasien. Sie stehen nicht erst seit Kurzem in diesem Wald, sondern sind schon so lange hier, dass auch sie eine natürliche Waldverjüngung angestoßen haben. Zwischen großen Douglasien finden sich ganz viele kleine. Dicht an dicht wachsen sie und kreieren so ein grünes Meer aus weichen Nadeln.
Die letzte Station zeigt „ein richtiges Schmankerl“, wie es die Försterin bezeichnet. Genau wie bei der ersten Station waren auch hier die Borkenkäfer am Werk. Die Fichten, die hier standen, mussten gerodet werden. Danach wurde auch hier eine große quadratische Fläche frei. Der Waldbesitzer wollte etwas Ungewöhnliches ausprobieren und entschied sich dafür, Esskastanien anzupflanzen. Mittlerweile haben die Bäume ungefähr die Höhe von zwei Metern erreicht, manche sind kleiner oder größer. Noch kann man von ihnen aber nichts ernten. Die leckeren Früchte gibt es erst von ungefähr zehn Jahre alten Bäumen.
Für viele Förster gilt die Esskastanie als „ein Baum der Zukunft“, der dem Klimawandel standhalten kann. Auch die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft schreibt auf ihrer Internetseite zu einem Diagramm: „Aus der Klimahülle der Edelkastanie kann man gut ablesen, dass diese Baumart mit Blick auf den Klimawandel durchaus in Bayern eine Zukunft haben kann.“ Natürlich können auch Förster wie Viktoria Riedle nie genau wissen, wie sich die Bäume an einem Standort wirklich entwickeln.
Als Forstrevierleiterin berät sie Waldbesitzer und Waldbauern dabei, wie sie ihren Wald pflegen und was sie anpflanzen könnten. „Das muss man einfach ausprobieren“, sagt Viktoria Riedle. Grundsätzlich sieht sie aber guter Dinge in die Zukunft: „Wenn wir viel Arbeit investieren und den Wald pflegen, können wir einen möglichst klimaresistenten und nachhaltigen Bestand aufbauen.“
Fiorella Janker/BOG Zeitung vom 4. Januar 2024
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