Mitterfels
Blick aus dem Fenster
Liesl Wacker erinnert sich
Diesen Blick tat ich schon, als es das Fenster – besser gesagt das Haus – noch gar nicht gab! Das kam so: Als meine Eltern Anfang der Vierzigerjahre bei Mitterfels ein Sacherl, also eine kleine Landwirtschaft, erwarben, hieß es sofort: „Das Haus, den Wald, die Wiese und die Felder bekommt später dein Bruder. Dir gehört mal weiter oben das allein liegende Grundstück. Bis dahin sind die drei Fichten unten am Kreuzweg so groß, dass sie den Dachstuhl für dein Haus ergeben.“
An diesem Fenster hat Liesl Wacker schon viele schöne, aber auch traurige Momente erlebt. Liesl Wacker aus Mitterfels hat schon als kleines Mädchen von ihrem eigenen Haus geträumt, besser gesagt von „ihrem Fenster“. Nach vielen Jahren der Arbeit und der Sparsamkeit ist ihr Traum doch noch Wirklichkeit geworden.
Das ganze Gerede verstand ich als kleines Schulmädchen kaum, aber dass da mal mein Haus stehen würde, war schon super. Wenn ich zur Schule ging, schaute ich oft rüber auf mein Grundstück, sah im Geiste mein Haus mit großem Obst- und Gemüsegarten. Natürlich gehörten ein Hühner- und Hasenstall dazu. Kinder spielten vor dem Haus und ein Mann war am Heumachen für die Hasen! Es war jahrelang mein Traum. Wenn wir uns bei der Arbeit abplagen mussten, Distel aus dem Haferfeld stachen oder wenn Rüben oder Dorschen-Pflanzen Stück für Stück gesetzt wurden und es nicht regnen wollte, dann mussten wir aus dem seichten Graben eimerweise das Wasser hochschleppen und mit einer alten Dose Pflänzchen für Pflänzchen gießen. Wenn ich fast vor Anstrengung und Müdigkeit geweint hätte, dachte ich: Reiß dich zusammen, es ist doch für dein späteres Heim!
Dann kam alles anders: Mein Bruder ging ins Rheinland. Er genoss das Stadtleben in vollen Zügen und wollte von der Schinderei im Elternhaus nichts mehr wissen. So bekamen mein Mann und ich das Elternhaus mitsamt meinem Grundstück. Da wir meinen Bruder ausbezahlen mussten, war unser Erspartes weg. Nun ging der Kampf ums Dasein richtig los, aber mein Traum bestand immer noch. Nach 20 Jahren der Arbeit und Sparsamkeit wagten wir den Neubau. Wir ließen einen Plan erstellen, ich ging mit dem Bauunternehmer das Grundstück ab und erklärte ihm genau die Stelle, wo mein Traumhaus stehen sollte. Die Baugrube wurde ausgehoben, das Fundament erstellt, der Keller und die Wände wurden hochgemauert. Um zu sparen, ersetzte ich täglich, trotz meiner anderen Arbeit, einen Handlanger.
Und dann: endlich, mein jahrelang erträumtes Fenster! Warum es sofort das Küchenfenster war, weiß ich nicht. Eigentlich sind es zwei, eins gegen Osten, das andere gegen Norden. Damals sah ich gegen Osten den Buchberg und nördlich das untere Dorf. Mittlerweile ist alles meist durch hohe Fichten zugewachsen. Doch schon frühmorgens geht mein Blick aus dem Fenster und ich sehe den Sonnenaufgang. Bei Gewittern kann ich die Fichten sehen, wie sie sich im Winde beugen und aufrichten. Bei einem Unwetter sah ich mit einem Blick aus meinem Fenster, wie ein Blitz in eine Fichte schlug und sie spaltete. Ich sah, wie die Kinder zur Schule gingen und am Mittag heimkamen. Später, als sie abends ausgingen, stand ich ängstlich am Fenster und erwartete ihre Heimkehr. Einige Pflegekinder, die oft jahrelang bei uns lebten, wurden von ihren Eltern für immer abgeholt und ich schaute weinend hinterher. Vater, Mutter und unser ältester Sohn wurden hinausgetragen. Ja, es gab viele traurige Erlebnisse und immer der Blick durch „mein Fenster“. Doch man sollte nie die fröhlichen Begebenheiten vergessen: Zwei Kinder gingen als glückliche Brautleute aus dem Haus!
Schon immer kann ich die Natur durch mein Fenster beobachten. Ob es die schimpfenden Elstern oder Eichelhäher sind, die in den jungen Buchen am Streiten sind, oder der Buntspecht, der am hohlen Baum oder am Telefonmast hämmert. Wenn die Meisen und allerhand Vögel in dem Fliederstrauch nach Futter suchen oder die Eichkätzchen im Nussbaum nachschauen, ob die Nüsse bald so weit sind. Dieses Jahr war wieder mein heiß geliebter Zaunkönig hier, er versteckte sich meist im Efeu. Nicht vergessen darf ich die Rehe, die überhaupt nicht scheu sind. Mein Blick geht durchs Fenster zur Weißtanne gleich neben dem Haus, wo die Wildtauben dieses Jahr wieder ihr Nest haben. Zurzeit habe ich viele fröhliche Blicke durch mein Fenster. Unsere ehemalige Pflegetochter aus Istanbul ist auf Urlaub hier und fährt mit Papa auf dem Minitraktor Holz und Reisig heim. Manchmal kann ich sie beim Schwammerlsuchen oder Tannenzapfensammeln sehen.
Oft sehe ich den Sohn, wenn er durch das Buschwerk langsam raufkommt und winkt. Schon dann merke ich, ob es ihm heute besser geht oder ob er wieder gesundheitliche Beschwerden hat. Oft schaue ich auch sehnsüchtig aus „meinem Fenster“ und warte auf den Besuch von Enkeln und Urenkeln, leider vergeblich. Und so fällt mein Blick weiterhin aus meinem so lange ersehnten Fenster, manchmal schon wehmütig, denn wie lange ist mir dieser Blick aus „meinem Fenster“ noch gegönnt? Da meine Mutter fast 88 Jahre alt wurde, hätte ich ja noch knappe fünf Jahre. Aber wie heißt es immer: Der Mensch denkt, aber Gott lenkt.
Quelle: Liesl Wacker, in: BOG Zeitung vom 3. August 2016 (Zeitversetzte Übernahme aufgrund einer 14-tägigen Sperrfrist.)
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