Kulturelles Leben
Ein genauerer Blick zeigt: Die Krippen-Idylle gibt es gar nicht!
Pfarreiengemeinschaft Mitterfels-Haselbach. Christmette 2023 in der Heilig-Geist-Kirche Mitterfels. Fotos: Franz Tosch – Vergrößern durch Anklicken!
Pfarreiengemeinschaft Mitterfels-Haselbach. Predigt in der Christmette 2023 von P. Dominik Daschner
Alle strömen zur Krippe. Nicht nur vor und nach den Gottesdiensten zieht es viele Menschen hin zu den Krippen, die in unseren Kirchen aufgebaut sind.
Die Krippen-Szenerie berührt offensichtlich viele Menschen
Genauso bei Krippenausstellungen, die es landauf, landab gibt. Sie sind beliebte Ausflugsziele in der Advents- und Weihnachtszeit, bei denen es viel zu bestaunen gibt: eine liebevoll gestaltete Landschaft, Schafe und Hirten, die auf dem Weg nach Betlehem sind; und – noch ein Stück weiter weg – die Heiligen Drei Könige im Anmarsch in prächtigen Gewändern und mit großem Gefolge. Dann der Stall mit Ochs und Esel, Maria und Josef – und genau in der Mitte schließlich die Futterkrippe. Darin liegt, auf Stroh gebettet, das kleine Jesuskind. Der Stern von Betlehem darf auch nicht fehlen, und natürlich die Engel. All das – diese ganze weihnachtliche Szenerie – berührt offensichtlich viele Menschen.
Es ist wohl die friedliche Idylle – ein Stück heile Welt
Was macht Krippen für uns so anziehend? Es ist wohl die friedliche, stille Idylle, die sie vermitteln. Ein Stück heile Welt, Geborgenheit, die wir ersehnen; eine Ahnung von Frieden und Heil – wie es sein könnte -, die von den Krippen ausgeht. Das spüren wir, wenn wir die Krippe hier in unserer Kirche oder daheim betrachten.
Heile Welt – von wegen!
Dabei wissen wir doch alle nur zu gut: Diese heile Welt, Geborgenheit und Harmonie, die wir in den Krippendarstellungen finden, die ist alles andere als Realität – von wegen! Wir brauchen nur die neuesten Nachrichten über die Kriege in dieser Welt abrufen: den weiter tobenden, brutalen Stellungskrieg in der Ukraine, der nun schon bald zwei Jahre lang Leid und Tod, Zerstörung, Flucht, Hoffnungslosigkeit und Trauer über Millionen von Menschen bringt; den kriegerischen Konflikt im Nahen Osten mit dem Bangen um die noch immer verschleppten Geiseln und ihr unklares Schicksal und dem Kampf Israels gegen die Hamas, der im Gazastreifen Häuser, Kliniken, Arbeitsplätze und Infrastruktur der dort lebenden Palästinenser dem Erdboden gleich macht. Wie soll man dort in Zukunft leben können? Und dazu die vielen anderen Kriege auf der Welt, die wir aus unserem Bewusstsein weitgehend verdrängt haben: in Syrien, in Afghanistan, im Jemen, und, und, und. Wir brauchen bloß die Zeitungen aufschlagen, den Fernseher oder das Radio einschalten, in die sozialen Medien auf unserem Smartphone eintauchen, sie liefern uns die vielen Krisen unserer Zeit frei Haus.
Und nicht nur im großen Weltgeschehen, schon in unserem nächsten Umfeld gibt es oft vieles, was die Welt dunkel macht: in unseren Familien, in der Nachbarschaft, der Gemeinde, am Arbeitsplatz, auch in uns selbst. Jede und jeder von uns kennt wohl solch dunkle Stimmungen und Situationen.
Weihnachten – nur purer Kitsch und Wirklichkeitsflucht?
Die heile Welt, die uns an den Krippendarstellungen so sehr anspricht, sie ist sehr gefährdet – oftmals gerade zu Weihnachten. Für die einen ist Weihnachten die allerschönste Zeit im Jahr, für die anderen purer Kitsch, unerträglich süß, schlimmste Wirklichkeitsflucht. Ausgerechnet Weihnachten ist für manche eine schwierige Zeit. Die hohen Erwartungen, die mit diesem Fest verbunden sind, werden leicht enttäuscht. Spannungen in der Familie entladen sich; Unstimmigkeiten treten zu Tage; es gibt gegenseitige Vorwürfe und Streit. Ist die Krippe also nur ein Sehnsuchtsort, fern jeder Realität – mehr nicht?
Bei genauerem Blick: Die Krippen-Idylle gibt es gar nicht!
Doch wenn wir einen genaueren Blick auf die Krippe werfen: Hier liegt ein Neugeborenes in einer Futterkrippe. Kaum bekleidet, liegt es auf kratzigem Stroh. Vermutlich war es bitterkalt. Es wurde geboren in einem baufälligen Stall, unter unhygienischen Zuständen zwischen Tieren. Es hat kein Dach über dem Kopf. Die Eltern – Maria hochschwanger – sie mussten sich auf den Weg machen, weil ein römischer Herrscher willkürlich einen Befehl gab. Der neue Erdenbürger, Jesus, findet sich gleich bei seiner Ankunft wieder in einer Welt voller Probleme, Ungerechtigkeiten und Gewalt. Eine harmlose, romantische Krippenidylle war die Geburt Jesu Christi von Anfang an nicht.
… anrührend, aber nicht rührselig …
Die biblischen Texte, die wir in dieser Heiligen Nacht hören, sind sicher anrührend, aber niemals rührselig, sie sind gewiss gefühlsbetont, aber nicht kitschig und sentimental. Sie transportieren Inhalte, die unmittelbar mit der Realität unseres menschlichen Lebens zu tun haben. Sie sprechen von der berührenden Liebe Gottes, der den Menschen seinen Sohn schenkt; nicht um romantische Gefühle zu bedienen, sondern weil die Welt ihn nötig hat – bitternötig.
Das Jesus-„Kind“ als Gottes Geschenk an die Mensch: bitternötig
Das Jesuskind ist Gottes Geschenk an diese Welt, für alle Menschen. In der Heiligen Nacht begegnen wir ihm als Kleinkind, in Windeln gewickelt. Gleich zweimal werden in der Weihnachtserzählung des Lukas ausdrücklich die Windeln erwähnt – sicher nicht zufällig. „Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe“, heißt es von Maria. Und die Hirten, die sich auf den Weg nach Betlehem machen, sie würden – dem Wort des Engels zufolge - den Gottessohn daran erkennen, dass er „in Windeln gewickelt in einer Krippe liegt“. Babywindeln, das ist etwas sehr, sehr Menschliches. Mit seinem Hinweis auf die Windeln unterstreicht der Evangelist Lukas das wirkliche, wahre Eingehen Gottes in unser Mensch-sein. Gott hat in seinem Sohn unser Mensch-sein angenommen, ganz und gar, mit allem, was dazugehört; nicht nur zum Schein. So wie wir alle - als kleiner Windel-Scheißer - kommt er in die Welt. Ein Wickelkind ist den Hirten und uns allen zum Zeichen gegeben. Es zeigt: Gottes Reich, das er unter uns gründen will, seine neue Schöpfung, sie steckt noch in den Windeln; es ist bis heute den Kinderschuhen noch nicht entwachsen. Es wird uns nicht fix und fertig in den Schoß gelegt. Es muss erst noch wachsen. Gott wartet darauf, dass wir daran mitbauen.
Der erwachsene Jesus nahm sich der Randgruppen an
Als der erwachsene Jesus später seine Sendung in dieser Welt antreten wird, da hat er sich deshalb vor allem jener Menschen angenommen, die schief gewickelt sind, wie wir so sagen. Schief gewickelt - das bedeutet, dass etwas danebengegangen ist; dass einer dasteht, als hätte er die Hosen gestrichen voll; dass jemand komplett schräg drauf ist. Die schief Gewickelten, sie brauchen ihn, nicht die perfekt Gepamperten. Da, wo sich das Leben – entschuldigen Sie das drastische Wort – wo sich das Leben beschissen anfühlt und ist, da ist Gott durch seinen Sohn Jesus zur Stelle. Denn er weiß, wie sich das anfühlt, hatte er einst doch selbst in vollen Windeln gelegen.
Sein Leben begann in Windeln - und endet (aber nicht endgültig!) nach dem Kreuzestod in Leinentüchern
Stofftücher rahmen das Leben Jesu ein. Am Karfreitag hören wir erneut davon. Als der tote Jesus vom Kreuz abgenommen wird, wird er in ein Leinentuch gehüllt. Sein Leben beginnt, in Windeln gewickelt in einem fremden Stall, und es endet, in ein Leichentuch gehüllt in einem fremden Grab. Wie gut, dass wir auch das allerletzte Kapitel seiner Lebensgeschichte kennen. Da laufen Simon Petrus und Johannes am Ostermorgen zum Grab und finden darin nur leere Leinenbinden.
… aber da ist noch das allerletzte Kapitel!
Sie liegen nicht da wie die achtlos zerknüllten Geschenkpapiere nach dem großen Auspacken bei der Bescherung am Heiligabend. Das Stück Tuch, das der Auferstandene im leeren Grab zurücklässt, ist fein säuberlich gefaltet. Es ist die Spur einer Verheißung, die uns gegeben ist. Und sie enthält den Auftrag: Geht los! Baut mit an Gottes neuer Schöpfung! Ihr wisst ja nun, was jetzt und allezeit zu tun ist, bis die Welt an ihr Ziel kommt. In Jesus hat Gott es uns gezeigt. So kommt Gottes Reich zur Welt.
Darum feiern wir Weihnachten: nicht, um eine romantische Idylle zu bedienen, sondern als Trost und Zusage in den Wechselfällen des Lebens.
Der Haselbacher Kirchenchor unter Leitung von Franz Schötz gestaltete die Christmette – an der Orgel Wilma Tosch. - Vergrößern durch Anklicken!
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