Nationalpark Bayerischer Wald
Mit neuem Ballett zu neuer Wildnis-Ästhetik
Das Bayerische Junior Ballett überrascht mit der Aufführung von Choreographie-Bausteinen
Junge Tänzerinnen und Tänzer studierten jüngst im Nationalpark Bayerischer Wald erste Choreographien für ein neues Werk zum Thema Wildnis ein. (Foto: Berny Meyer)
Zwieslerwaldhaus. Seit jeher sind der Bayerische Wald und der angrenzende Böhmerwald, gemeinsam das größte zusammenhängende Waldschutzgebiet Mitteleuropas, bekannt für ihre Mythen und Sagen. Die Frage, wie das Sagenumwobene überhaupt in den Wald hineinkommt, versuchte am vergangenen Wochenende das Bayerische Junior Ballett München zu beantworten. So ist ein gutes Dutzend junger Tänzer und Tänzerin zu besonderen Wildnis-Orten im Nationalpark Bayerischer Wald gewandert. Im Hans-Watzlik-Hain gab’s etwa Urwaldriesen und bemoosten Felsen zu bewundern, an denen im Rahmen der Aufführungsreihe Ballett und Wildnis wunderliche Figuren und Kombinationen einstudiert wurden. Eine erste öffentliche Kostprobe unter den Urwaldriesen des Hans-Watzlik-Hains fand großen Anklang bei den Gästen.
Angeleitet durch Ballettchef Ivan Liška und Choreographin Martina La Ragione wurden erste Choreographie-Bausteine erarbeitet. Gekleidet waren die Künstler in Kostüme, die im Zeitraffer die ganze Menschheitsgeschichte mitsamt ihrer Mythen spiegelten: Von Tierfellen der menschlichen Frühzeit, über Tüll und Seidenbrokat des Barock oder märchenhaft-romantischen Feenkleidchen bis hin zu den zeitlosen Tutus des klassischen Balletts, um schließlich bei den knallbunten Kunstfaser-Trikots des modernen Tanztheaters zu landen.
Das Projekt Ballett und Wildnis wurde 2003 vom Bayerischen Staatsballett begonnen und seither mit dem Bayerischen Umweltministerium als Kooperationspartner durchgeführt. Ziel des Projekts ist unter anderem die künstlerische Darstellung der ästhetischen und ethischen Dimensionen von Naturerfahrung in Prozessschutz-Biotopen, also in der Wildnis. 2014 übernahm das Bayerische Junior Ballett München unter Leitung von Liška die Fortführung des Projekts.
Der in Prag geborene Liška ist Vorstandsvorsitzender der Heinz-Bosl-Stiftung. Das renommierte Ausbildungszentrum für Ballett-Tänzer in München ist eine der wichtigsten Talentschmieden für moderne Ballettkompanien. Dort ist auch Platz für neue Ideen. Liška hat schon in seiner Jugend viel Wildnis erlebt und erwandert. „Heute sehe ich in der Wildnis auch ein Korrektiv in einer immer übermächtigeren digitalen virtuellen Realität“, so der Künstler. „Da ist es umso wichtiger, dass wir die Bedeutung von natürlichen Prozessen an den Ballett-Nachwuchs und so auch an unser Publikum weitergeben“.
Mittelfristiges Ziel von Liška und seinem Team ist die Erarbeitung eines Schlüsselwerkes anlässlich des Festakts zum 50. Geburtstag des Nationalparks Bayerischer Wald im Jahr 2020. Eine gemeinsame Absichtserklärung dazu unterzeichneten Liška und Bayerns Umweltminister Dr. Marcel Huber bereits am 6. Mai. Für das geplante Bühnenwerk soll die positiv veränderte Beziehung des Menschen zur wilden Natur künstlerisch aufbereitet werden.
Damit die Künstler freilich auch verstehen, was sie später umsetzen sollten, nahm sich Nationalparkleiter Dr. Franz Leibl einen ganzen Tag lang Zeit, die Künstler durch wilden Wald zu führen und sie in einige seiner Geheimnisse einzuweihen. Dazwischen und im Anschluss gab es immer wieder Gelegenheit sich vor laufender Kamera des Kameramannes Michael Springer und des Fotografen Berny Meyer in Position zu bringen und einige Tanz-Kombinationen auszuprobieren.
Die Mitglieder des Bayerischen Junior Balletts unter Leitung von Ivan Liška tanzten auch auf den Schachten. (Foto: Franz Leibl/Nationalpark Bayerischer Wald)
„Bitte weniger Ästhetik und mehr Natürlichkeit! Bitte wieder die Linien aufbrechen!" Die Zurufe von Choreographin La Ragione an die Tänzer und Tänzerinnen während der Vorarbeiten ließen bereits erahnen, wohin die Entwicklung des Werkes ging. Die Künstler des Junior Ballett wussten sofort, die Kommandos umzusetzen. Es ging um traditionelle Ästhetik und die eingespielten Bewegungen des klassischen Balletts, die die jungen Künstler zwar zur Perfektion beherrschten, aus denen sich aber „durch Unterbrechungen neue Qualitäten und auch eine neue Ästhetik entwickeln lässt“, so La Ragione.
Dies ist auch ganz im Sinne von Nationalparkleiter Leibl. „Vor fast fünfzig Jahren hat man sich entscheiden, der natürlichen Entwicklung im Nationalpark den Vorrang zu geben. Durch Sturmereignisse und Borkenkäfer entstanden im Laufe der vergangenen Jahrzehnte eine neue Waldnatur und eine bis dahin unbekannte Waldästhetik. Dass die Künstler des Junior Balletts dies aufgreifen; unterstützt und kommuniziert die Nationalparkphilosophie Natur Natur sein lassen in ganz besonderer Weise.“
Mit Aufführungen, Ausstellungen und kleinen Filmen erreicht das Projekt Ballett uns Wildnis inzwischen ein weltweites Publikum, unter anderem in Alaska und Mexiko. 2007 wurde das Bayerische Staatsballett als weltweiter Botschafter der Wildnis von der internationalen WILD Foundation ausgezeichnet. Wegen der grenzüberschreitenden Weiterentwicklung nach Tschechien bekam die Kooperation Ballett und Wildnis 2016 zum zweiten Mal das Prädikat als ausgezeichnetes Projekt der UN-Dekade für Biologische Vielfalt.
2020, das Jubiläumsjahr des ersten Nationalparks in Deutschland, ist gleichzeitig auch das Zieljahr der UN-Dekade für Biologische Vielfalt, welches von den Vereinten Nationen erklärt worden war, um die Weltöffentlichkeit aufzurufen, sich für den Erhalt von Arten und Lebensräumen einzusetzen. Liška jedenfalls will die künstlerischen Erkenntnisse des Projekts Ballett und Wildnis weitertragen, von den Gastspielen in Deutschland hinaus in die Welt.
Pressemitteilung NP-Verwaltung
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