Nationalpark Bayerischer Wald
Sie waren Lehrbuben auf Schloss Falkenfels
Das Foto zeigt die Lehrwerkstätte mit Lehrlingsheim auf Schloss Falkenfels. 1. Reihe von links nach rechts: Küchenpersonal Leni aus Geiselhöring und Emmi Eidenschink, Maschinenschlossermeister Josef Reitmeier aus Frauenau, Ausbildungsleiter Oberingenieur Franz Schmid aus München, Maschinenschlossermeister Ruppert aus dem Egerland, Büroangestellte Frau Kiel; - 3. Reihe, Mitte links: Spenglermeister Matthias Pellkofer aus Straubing; - 3. Reihe, Mitte rechts: Ausbilder Ehrmann aus Schwäbisch Hall; - letzte Reihe, rechts außen: Lehrling Alfons Dietl aus Falkenfels; - 2. Reihe, 2. von links: Lehrling Johann Wanninger aus Oberalteich
Lehrwerkstätte für Flugmotorenschlosser und Metallflugzeugbauer vom Sommer 1944 bis Kriegsende 1945
(Quelle: Mitterfelser Magazin 5/1999)
Eigentlich begann ihre Lehrzeit im Fliegerhorst Mitterharthausen. Dort legten sie eine Eignungsprüfung ab, die Rechnen und das Lösen technischer Probleme an Hand von Zeichnungen umfasste. Der Kurs fing am 1. April 1943 mit zwanzig Schulabgängern an. Darunter war Alfons Dietl, der Sohn des Dorfschmieds von Falkenfels, dessen Onkel in Mitterharthausen Schmied war und ihm diese Stelle vermittelt hatte. Ihr Berufsziel war Flugmotorenschlosser.
Der zweite Lehrgang begann ein Jahr später und hatte als Ausbildungsziel Metallflugzeugbauer. Da war Johann Wanninger aus Oberalteich dabei, dessen Vater im Flughafen Mitterharthausen arbeitete und hier eine Chance erblickte.
Man wohnte und werkte in zwei Baracken; das Mittagessen wurde im festen Bau der Nachrichtenhelferinnen eingenommen. Doch plötzlich unterbrachen feindliche Tiefflieger um Straubing die Lehrzeit jäh. Kurzerhand entschloss sich die Leitung zu einem raschen Wechsel. Die Lehrwerkstätte wurde im Sommer 1944 auf Schloss Falkenfels verlegt, das damals dem Gutsbesitzer Degen gehörte und leer stand. Zunächst musste es nutzbar gemacht werden. Die 40 Lehrbuben mit ihren Werkmeistern und dem Leiter der Werkstätte richteten zusammen mit einheimischen Handwerkern das Gebäude her. Dazu mussten Dachteile abgedichtet, Fenster verglast, Böden verlegt, sanitäre Anlagen installiert, Wände eingezogen und elektrische Leitungen angepasst werden. Der Rittersaal wurde zum Maschinenraum umfunktioniert und mit Fräsen, Hobelmaschinen und Drehbänken bestückt. Die jetzige Gaststube diente als Werkraum mit Bohrwerk. Die Schmiede und die Schweißerei lagen über dem Torbogen. Der heutige Frühstücksraum wurde zum Lehrsaal aufgewertet. Die Umsiedlung hatte am 10. Juli 1944 begonnen. Die Instandsetzungsarbeiten zogen sich bis Mitte September hin.
Die Lehrwerkstätte wurde von Oberleutnant Franz Schmid, einem Gewerbelehrer aus München, geleitet und war dem Grundsatz verpflichtet: „Einer für alle, alle für einen.” Die Büroarbeiten erledigte Frau Kiel. Mehrere Handwerksmeister standen als Ausbilder zur Seite, so der Spenglermeister Matthias Pellkofer aus Straubing, die Maschinenschlossermeister Josef Reitmeier aus Frauenau und Ehrmann aus Schwäbisch Hall. Drei Ausbilder kamen aus dem Egerland: die Spenglermeister Woller und Artner, welcher auch stellvertretender Ausbildungsleiter war, und der Maschinenschlossermeister Ruppert, wobei letzterer bei den Buben besonders in Erinnerung blieb wegen seines Spruches: „Buama, mirkts enk düs für die Zukunft und euer späteres Lebn.”
Der Maschinenschlossermeister Franz Cychy stammte aus dem Hultschiner Ländchen, das ist ein ehemaliges schlesisches Teilfürstentum nordwestlich von Ostrau, das 1919 an die Tschechoslowakei abgetreten worden war. Er hat nach dem Krieg in Falkenfels eingeheiratet und ist hier geblieben.
Bis zu acht Stunden in der Woche war für den theoretischen Unterricht reserviert, die übrige Zeit musste praktisch gearbeitet werden. Eine Aufgabe wurde nach Material, Werkzeug, Arbeitsgang, Unfallverhütung besprochen, eine Werkzeichnung angefertigt, dann das Werkstück von jedem Lehrling maßgerecht an der Werkbank erstellt. Als Beispiel sei die Werkzeichnung für das Thema „Biegen von dünnem Draht” angeführt.
Jede Werkeinheit wurde von einem Spruch begleitet, wie „Die Natur ist die größte Lehrmeisterin der Technik.” „Um sein Recht bettelt man nicht, um sein Recht kämpft man.” Auch kleine Geschenke, wie Aschenbecher mit Spatz, Metallherzen, Kerzenleuchter wurden gefertigt. Man lernte die großen Maschinen bedienen und übte an einem Flugmotor.
Der Alltag war streng geregelt. Bis zu neun Jungen schliefen in einem Zimmer in Stockbetten. Jeder hatte seine Habseligkeiten in einem eigenen Spint aufzubewahren. Auf einem Zettel an der Außenseite der Stubentüre waren alle Namen aufgeführt, der des Stubenältesten und des jeweiligen Stubendienstes eigens markiert.
Um 6 Uhr morgens wurde mit einer Trillerpfeife geweckt. In einer Reihenwaschanlage und in Gemeinschaftsbrausen konnte man sich frisch machen. Das Frühstück nahm die Gruppe am Zimmertisch ein. Der Kaffee wurde in einer Blechkanne geholt. Dann ging’s ins Freie. Die Fahne wurde gehisst, Lieder gesungen, Frühsport getrieben. Das Mittagessen bereiteten Frau Leni aus Geiselhöring und Frau Emmi Eidenschink in der Schlossküche zu. Es wurde in einem eigenen Speiseraum eingenommen. Statt eines Tischgebetes hatte man einen Spruch, den der Schüler vom Dienst - das war jede Woche ein anderer - sprach, während man um den Tisch stand und sich an den Händen fasste: „Kampf dem Verderben heißt die Parole, drum leert die Schüssel bis zur Sohle. Wir haben alle großen ......Hunger”. In das Wort „Hunger” fielen alle ein. Nach dem Essen hieß es: „Wir sind alle gut satt.”
Das Abendessen bestand meist aus belegten Broten. Um 8 Uhr abends war Bettruhe angesagt. Die Versorgung war zu damaliger Zeit nicht immer ganz einfach, aber doch gut geregelt. Die Lehrbuben wurden als Milchholer in verschiedene Häuser geschickt, denen die abgezweigte Milchmenge bei ihrem Ablieferungssoll angerechnet wurde. Fürs Schuhflicken war der Schuster Amesmeier in Oberhof zuständig. Der Militärzahnarzt von Mitterharthausen kümmerte sich um die Zähne und Dr. Müller aus Mitterfels um die Gesundheit der Jungen. Kohlen wurden am Bahnhof Mitterfels angeliefert, mit einem Holzgaser nach Falkenfels transportiert und in den Bierkellern des Schlosses gelagert. Damals führte natürlich noch keine Teerstraße nach Falkenfels herauf, und in Winterszeiten war die Beförderung besonders kritisch. Da blieb tatsächlich einmal so eine Fuhre am Weinberg auf der Höhe der Wasserreserve hängen, und man musste die Ladung „zwifartln” (in zwei Fuhren aufteilen). Die zurückgelassenen Kohlen mussten von den Buben in kalter Winternacht gegen Diebstahl bewacht werden.
Im Sommer und Herbst sammelten die Jungen die Früchte, welche die heimische Natur bot. Schlehen und Hagebutten wurden in Glasballons angesetzt und zu Wein vergoren. Wenn das gewundene Glasröhrchen am Ballonverschluss zerbrach, half die Knott-Kramerin schnell aus der Not. Der Wein wurde dann bei der gemeinsamen Weihnachtsfeier im Saal des Gasthofs Semmelmann getrunken. Da für jeden Lehrjungen auch vom Fliegerhost Mitterharthausen eine Flasche Wein geliefert wurde, konnte sich eine recht fröhliche Stimmung entwickeln. Auch sonst wusste man die Freizeit zu gestalten: Spielen und Klettern auf Mauerresten im Schlosshof, Baden im Dorfweiher, Schifahren in Richtung Schweinzür einschließlich dem Bau von Sprungschanzen, Geländemärsche in Uniform und alle vier Wochen eine Fahrt nach Hause, denn das Heimweh blieb hartnäckiger Begleiter. Zu Pfingsten 1944 wurde ein dreitägiger Ausflug unternommen mit einer Wanderung vom Osser über den Schwarzensee zum Panzer bei Böhmisch-Eisenstein. Dabei war Rucksackverpflegung angesagt.
Es lässt sich leicht denken, dass die 40 kraftstrotzenden Jungen gelegentlich der Übermut ritt. Da wurde dann ein Kartoffelknödelwettessen ausgetragen, aus dem Johann Wanninger mit 12 Stück als Sieger hervorging; bei den Semmelschnitten brachte es der Hungrigste auf zwanzig. Ein andermal wurde der alten Frau Reischl, die in einem Zimmer im Schloss hauste und sich in einem Bretterverschlag auf dem Schlossgelände ein paar Hühner hielt, eine Henne abgezweigt und selbiger mit einer Zange der Kragen umgedreht, damit sie im Suppentopf landen konnte. Gut, dass Meister Fuchs in Verdacht geriet, denn erwischen lassen durfte man sich nicht. Die Strafe folgte auf den Fuß. Für eine unerlaubte Heimfahrt ins Elternhaus mit dem Fahrrad musste Johann Wanninger die breite Schlossstiege mit der Wurzelbürste putzen und 300-mal schreiben: „Ich darf ohne Abmeldung die Lehrwerkstätte nicht verlassen.” Diese Disziplin wird auch nötig gewesen sein, damit der Ausbildungsleiter nicht dauernd seine Schützlinge in der Dunkelheit des Abends mit der Taschenlampe im Dorf suchen musste.
Als die Lehrlinge gar einmal an die Zigarettenpakete gingen, die vom Fliegerhorst Mitterharthausen nach Schloss Falkenfels ausgelagert waren, wurde eine regelrechte „Verhandlung” abgehalten.
Man setzte hohe Erwartungen in die Lehrbuben und ihre Ausbildung sollte umfassend sein. Deshalb wurden sie vom 30. Juli bis 16. August 1944, während im Schloss Falkenfels die Instandsetzungsarbeiten dauerten, zu einem Segelfluglehrgang auf den Reisberg bei Regenstauf geschickt, den sie mit der A-Prüfung abschlossen. Zum Start des Segelfliegers mussten die einen vorne ziehen, dass er Fahrt bekam, einer hinten das Halteseil aushaken, und der Fluglehrer gab das Kommando. Der Flugschüler segelte den Hang hinunter auf den Richtpunkt zu. Wenn er Pech hatte, landete er auf den „Kornmandln” eines Getreidefeldes, und der Bauer erwartete ihn mit der Mistgabel. Eingeweihte erkennen auf den Bildern den Segelflugzeugtyp SG 38, im Volksmund „Bauernadler” genannt. Genaue Betrachter bemerken die Tarnung des Flugzeugs mit Zweigen, es war Kriegszeit.
Etwa 15 Lehrjungen wurden vom 28. Februar bis 2. März 1945 in München auf Wehrfliegertauglichkeit überprüft. Das spielte sich im Gebäude des Kaufhauses Hertie ab, das zum Soldatenheim mit eigenem Luftschutzraum umgestaltet worden war, der selbige Tage tatsächlich aufgesucht werden musste. Übernachtungsmöglichkeit bot den Jungen ihr Ausbildungsleiter Schmid in seinem Haus in Ottobrunn bei München.
Im Frühjahr 1945 wurden noch 20 Schulabgänger zu einem dritten Lehrgang wiederum mit dem Ausbildungsziel Metallflugzeugbauer aufgenommen. Georg Achatz aus Oberalteich gehörte dazu. Auch Wilhelm Stapf aus Mitterfels „schnupperte” hinber auf Empfehlung von Hauptlehrer Heiß. Aber bis Kriegsende waren nur mehr vier Wochen.
Der Unterricht wurde gelegentlich in die Schlosskeller verlegt, die man als Luftschutzraum mit eigens gegrabenem Notausgang hergerichtet hatte, der seitlich vor dem Schlosstor in Richtung Norden ins Freie führte. Statt Unterricht bekam man schon einmal eine Goebbelrede am Radio zu hören. SS-Werber suchten Kriegsfreiwillige unter den Jungen. Als Feind-Piloten aus einer viermotorigen Lightling abgesprungen waren, rückte die ganze Werkstattbesatzung aus, um sie am Kühberg einzukreisen und gefangen zu nehmen. Nachdem sich diese aber bei der Polizei in Ascha selbst gestellt hatten und nach Mitterharthausen gebracht worden waren, durften die Lehrlinge die Gefangenen dort in der Kommandatur anschauen - auch Farbige waren darunter -, um den “Feind” von Angesicht kennenzulernen, freilich bewacht: Pro „Feind” ein Mann Bewachung. Flugblätter der Amerikaner, auf denen die Bevölkerung aufgefordert wurde, sich kampflos zu ergeben, mussten von den Lehrlingen eingesammelt und vernichtet werden.
Doch im Mai 1945 rückten die Amerikaner von Riederszell, Herberszell nach Falkenfels zum Schloss heran. Oberleutnant Franz Schmid zog seine Uniform an, verabschiedete sich von seinen Lehrbuben und ließ sich unterm Torbogen des Schlosses gefangen nehmen und abfahren. Zuvor ließ noch seine Frau von oben seine Dienstwaffe heruntergleiten. Als er sie anlegen wollte, gingen die Amerikaner dazwischen. Oberleutnant Schmid verbot sich das, die Waffe gehöre zu seiner Uniform. Dieses Argument ließen die Amerikaner gelten. Nach kurzer Zeit wurde er wieder entlassen und soll später Berufsschullehrer in Vilshofen gewesen sein.
Ein Teil der Lehrjungen hatte sich schon einige Tage vorher aus dem Staub gemacht in Richtung Elternhaus. Einer von ihnen traute sich in dem Wirrwarr der Übergangszeit den weiten Weg nach Hause bis in die nördliche Oberpfalz nicht zu; er versteckte sich im Stadel der Gastwirtschaft Semmelmann auf dem Heustock und wurde mittels eines Korbes, den man voll mit Essen hinaufzog und leer wieder herunterließ, versorgt. Es blieben aber auch etliche Lehrlinge zurück und bewachten die Werkeinrichtung, bewaffnet mit einem Arm voll Holzscheite. Sie verschwand in der herrenlosen Zeit dennoch spurlos.
Es sei noch vermerkt, dass die Mehrzahl der Lehrjungen im weiteren Leben in ihrem Beruf blieben, in verwandten Sparten tätig waren oder mindestens nebenbei ihre Fähigkeiten einsetzen konnten.
Alfons Dietl schloss 1947 seine Lehre mit der Gesellenprüfung als Schmied ab, wechselte aber 1962 zum Postboten. Johann Wanninger war schon mit 25 Jahren selbständiger Spenglermeister in Oberalteich. Georg Achatz, der in nur vier Wochen sich Grundkenntnisse erworben hatte, lernte Müller, und als solcher konnte er diese ebenfalls gut einsetzen, dass die Mühlräder in Schwung blieben.
Alfons Dietl arbeitete mit seinem Werkstattmeister Franz Cychy auch später noch gelegentlich zusammen, beispielsweise als sie das Auto des Stallwanger Arztes Dr. Deml nach der Währungsreform reparierten. Die Arbeit wurde bar entlohnt. Mit dem Geld gingen beide ins nahe Gasthaus in der Absicht, so oft zu essen, wie sie wollten. Das war dreimal. Wieder hatte das Motto der Lehrwerkstätte gesiegt: „Wir sind alle gut satt.”
Mündliche Quellen:
Alfons Dietl, Falkenfels;
Johann Wanninger, Oberalteich;
Georg Achatz, Straubing-Hornstorf;
Cilli Penzkofer, Willerszell;
Wilhelm Stapf, Mitterfels.
Schriftliche Quelle:
Berichtsheft des ehemaligen Lehrlings Johann Wanninger
Fotos bei Cilli Penzkofer (S. 1) und Johann Wanninger
Bemerkung: Die Schreibweise der Personennamen im Text wurde meist nach dem Gehör vorgenommen.
Quelle: Edda Fendl, in: Mitterfelser Magazin 5/1999, S. 11ff
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