Nationalpark Bayerischer Wald
Das Holz, das Wild und der Käfer - Kampf für einen wilden Urwald
Hans Bibelriether, der Gründungsleiter des Nationalparks Bayerischer Wald, kämpft in den 1970er-Jahren gegen Vorurteile und alte Gewohnheiten
Kennen Sie das Zitat ‚Die Natur Natur sein lassen‘? Ja? Das ist von mir“, sagt Hans Bibelriether und muss dabei ein bisschen schmunzeln. „Wir haben aber Jahrzehnte gebraucht, um das auch umzusetzen. Und der Weg dahin war schwer.“ Bibelriether hat Pionierarbeit geleistet. Er war der erste Leiter des ersten deutschen Nationalparks. Der gebürtige Mittelfranke hat den Grundstein für den Nationalpark Bayerischer Wald, wie ihn Touristen und Einheimische kennen und lieben, gelegt. Heute lebt er bei Thyrnau im Landkreis Passau in einem alten Bauernhof mit großem Garten. In einem Nebengebäude hat er noch immer sein eigenes Büro, Akten und und Notizen bewahrt er hier sorgfältig auf. Auf einen Computer allerdings verzichtet er. „Mit so was kommt man sonst nicht mehr zum Lesen.“ Der 85-Jährige erzählt gelassen von seinen Erlebnissen als Nationalparkleiter, nur manchmal schnaubt er ein bisschen ob der Widerstände, die er in all den Jahren zu bewältigen hatte. Nachdem der Nationalpark Bayerischer Wald im Juni 1969 vom Landtag beschlossen worden war, berief die Regierung Bibelriether im Oktober desselben Jahres zum Leiter. „Ich hatte damals noch keine Ahnung, wie schwer das Projekt werden würde“, erinnert sich der heute 85-Jährige. Ein erstes Vorzeichen auf die kommenden Jahre bekam Bibelriether dann aber bei seiner offiziellen Einführung in den Dienst am 5. November 1969 in Spiegelau durch Regierungsdirektor Kilian Baumgart. „Da hat der zu mir gesagt ‚Da tun wir jetzt mal drei Jahre so als ob, dann erledigt sich das von selber‘. Ich hatte also bei der Einführung schon den Auftrag bekommen, das Projekt Nationalpark auslaufen zu lassen.“ Die zentralen Probleme stellten laut Bibelriether die Förster und Jäger dar. Denn schon damals hatte Bibelriether, der vor Amtsantritt einige internationale Parks besucht hatte, um sich vor Ort ein Bild zu machen, genaue Vorstellungen von einem Nationalpark Bayerischer Wald. Die Natur sollte weitestgehend unberührt bleiben und damit auch das Holz und die Tiere in ihr. „Die Förster waren absolut gegen die Nicht-Nutzung des Holzes. Die hatten da ein psychologisches Problem damit, dass der Wald auch ohne sie wächst.“
Wildnis: Früher verteufelt, heute begehrt
Vor 30, 40 Jahren, erklärt Bibelriether, sei auch das Wort „Wildnis“ noch absolut negativ belastet gewesen. Die Natur hatte damals ordentlich zu sein. Erst langsam habe sich diese Einstellung der Menschen geändert. „Heut wachsen mehr Menschen in Städten auf, die Natur ist ihnen nicht mehr so nahe wie früher“. Daher, so seine Theorie, wollen die Menschen, wenn sie dann mal in die Natur kämen, alles so wild und urig wie möglich. Früher jedoch musste Bibelriether erst einmal um jeden umgefallenen Baum im Nationalpark kämpfen. Erst ein Sturm im Jahr 1972 legte eine erste Grundlage zur Umsetzung des Mottos „Natur Natur sein lassen“. Der eher kleine Sturm riss etwa 5 000 Fichten zu Boden, Bibelriether und seine Mitstreiter setzten durch, dass zumindest 30 der Bäume liegen bleiben durften. Elf Jahre später, 1983, trug ein erneuter Sturm zu einer zukunftsweisenden Entscheidung bei. „Ein echter Glücksfall“, wie Bibelriether beschreibt. Denn diesem Sturm fielen 30 000 Festmeter Fichtenstammholz zum Opfer. Erneut entbrannte eine Diskussion darüber, wie mit dem umgeworfenen Holz umzugehen sei. Verschiedene Politiker machten sich zusammen mit den Verantwortlichen des Nationalparks ein Bild der Lage vor Ort. „Ich habe das geschickt angestellt“, erinnert sich Bibelriether. Denn zuerst habe er die Politiker, allen voran der dem Nationalpark ohnehin gut gestellte Landwirtschaftsminister Hans Eisenmann (CSU), zu der Stelle geführt, an der elf Jahre zuvor der Windwurf liegen gelassen worden war. „Dort war inzwischen ein abwechslungsreicher neuer Wald entstanden.“ Das liegen gelassene Holz sorgte beispielsweise dafür, dass Rehe und Hirsche den Jungwuchs nicht zerstören konnten. „Minister Eisenmann war beeindruckt.“
Urwald für Kindeskinder entstehen lassen
Erst danach besuchte man die Stelle mit den neuen Windwürfen. „Da sagte Eisenmann etwas Wegweisendes: ‚Die Windwürfe bleiben liegen. Wir wollen hier einen Urwald für unsere Kinder und Kindeskinder.‘“ Dieses Zitat war für Bibelriether ausschlaggebend, das Besucherzentrum in Neuschönau in Hans-Eisenmann-Haus umzubenennen und darin diese Aussage auf einer Bronzetafel auszustellen. In den kommenden Jahren musste Bibelriether weiter für die Akzeptanz des Nationalparks kämpfen. Nicht nur das Holz und das Wild waren Streitpunkte mit Förstern und Jägern, auch das Thema Borkenkäfer kam mehr als einmal auf den Tisch. Auch als Bibelriether 1998 als Leiter der Nationalparkverwaltung abgelöst wurde – seine Nachfolger stießen immer wieder auf Widerstände von außen.
„Bräuchten Buchenwald als Nationalpark“
Auch heute noch ist Hans Bibelriether eng mit dem Nationalpark verbunden. „Ich gehe immer noch ab und an zum Wandern rein“, erzählt er. Vor allem den Seelensteig könne er empfehlen. Die Anregung zu diesem Wanderweg, an dem immer wieder literarische Texte beziehungsweise Zitate zu lesen sind, hatte er sich seinerzeit in einem Nationalpark in Kanada abgeschaut. Trotz seines Ruhestandes interessiert sich Bibelriether weiterhin für alle Themen rund um Nationalparks. Auch die derzeitige Diskussion, ob und wo denn nun in Bayern ein dritter Nationalpark entstehen soll, verfolgt er. „Wir bräuchten dafür mal einen Buchenwald, und den gibt es im Spessart.“ Ein Laubwald wäre laut Bibelriether absolut sinnvoll. Er glaubt auch daran, dass die Mehrheit der Menschen im Spessart für diesen Standort sei. „Nur die Jäger und die Förster sind dagegen – und die sind eben gut organisiert.“ In den Donau-Auen, die in der öffentlichen Diskussion als einer der alternativen Standorte eines neuen Nationalparks genannt werden, sieht Bibelriether ein Problem: „Die sind zu klein!“ Ein solches Projekt brauche ein großes, zusammenhängendes Gebiet.
Anfeindungen, Hass und Drohbriefe
Auch wenn Bibelriether mit dem Nationalpark Bayerischer Wald ein Stück Geschichte geschrieben hat, einfach war der Weg zum Tourismusliebling nicht. Nicht nur mit heftiger Gegenwehr vonseiten der Jäger, Förster und Anwohner musste er zurechtkommen. Auch Beleidigungen und Drohungen waren an der Tagesordnung. Etwa, als Mitte der 1990er-Jahre eine hitzige Debatte um die Erweiterung des Nationalparks entbrannte, hieß es in einem anonymen Brief: „Sollte dein Vorhaben ausgeführt werden, dann geht’s um deinen Kopf, dann brennt der Wald und du mit: garantiert!“ Bibelriether hat derartige Drohungen laut eigener Aussage nie ernst genommen. „Ach woher! Ich hab da gar nicht drauf reagiert“, erzählt er unserer Zeitung. Immerhin seien den vielen Drohungen nie Taten gefolgt.
Die Entstehung des ersten Nationalparks
Über die Hürden und Erfolge des Nationalparks Bayerischer Wald während der ersten beiden Jahrzehnte schreibt Hans Bibelriether in dem Buch „Natur Natur sein lassen – Die Entstehung des ersten Nationalparks Deutschlands“. Das Buch erschien Mitte 2017 im Lichtland-Verlag. „In meinem Alter vergisst man vieles, vor allem Details wie Zahlen“, erklärt der 85-jährige Bibelriether. Bei seinem Buch half es ihm daher, dass er zu seiner Zeit als Nationalparkleiter detailliert Tagebuch geführt hatte. Außerdem habe er noch viele Dokumente, Briefe und andere Schriftstücke. Er hat außerdem versucht, die Geschichte durch kleine Anekdoten aufzulockern. Auch wenn er sich kurz halten wollte – am Ende sind rund 250 Seiten entstanden. Kritik am Buch habe es bisher noch nicht gegeben – entgegen seinen Erwartungen. „Ich schreibe ja schon deutlich, wer damals was gesagt und gemacht hat, wer dafür und dagegen war.“ Aber vielleicht, so Bibelriether, habe sich niemand beschwert „weil sie ja wissen, dass ich recht habe“.
Quelle: Jessica Seidel/BOG Zeitung vom 17. Februar 2018 (Zeitversetzte Übernahme aufgrund einer Sperrfrist)
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