Nationalpark Bayerischer Wald
Nationalparks als Bastion gegen den Artenschwund in Bayern
Der Zottenbock ist dank der jahrzehntelangen, natürlichen, vom Menschen unbeeinflussten Waldentwicklung im Nationalpark Bayerischer Wald wieder regelmäßig anzutreffen. (Foto: Rainer Simonis/Nationalpark Bayerischer Wald)
Grafenau/Berchtesgaden. Ist ihnen beim Autofahren schon einmal aufgefallen, dass kaum noch Insekten auf den Windschutzscheiben kleben? Wundern sie sich, wo all die Schmetterlinge hin sind? Und warum sterben vielerorts Bienen und Hummeln in großer Zahl? Diese Fragen bewegen viele Menschen in Deutschland. Gerade in den vergangenen Jahrzehnten wird vielerorts ein dramatischer Rückgang selbst häufiger Insektenarten beobachtet. Die intensive Landnutzung lässt nicht mehr nur Rebhühner und Feldlerchen verschwinden, sondern inzwischen auch viele Tagfalter und andere fliegende Insekten.
Eine international viel beachtete Publikation lieferte 2017 den Beweis: Die Zahl der Insekten nimmt in Deutschland seit vielen Jahren dramatisch ab. Der Arten- und Biomasseschwund an Insekten betrifft dabei nicht nur einzelne Gebiete, sondern ist ein großräumiges Problem. Fachleute vermuteten dieses Phänomen schon lange, verlässliche Daten waren bislang rar. Nun ist es traurige Gewissheit: Forscher verzeichnen an rund 60 Probestellen im gesamten Bundesgebiet einen Rückgang um mehr als 75 Prozent an Biomasse bei Fluginsekten.
Die Ursachen des Artensterbens sind vielfältig, könnten jedoch eine Kombination aus Klimafaktoren, Intensivierung der Landwirtschaft oder noch unbekannten Lebensraumfaktoren sein. In den beiden bayerischen Nationalparks ist die aktuelle Entwicklung der biologischen Vielfalt erfreulicherweise umgekehrt. Hier darf sich die Natur auf großer Fläche ohne menschliches Zutun entwickeln. In nicht genutzten Wäldern dürfen Bäume alt werden, Borkenkäfer und Stürme schaffen Totholzstrukturen und Lücken im Wald.
Insektenforscher bestätigen in jahrelangen Untersuchungen massive Verluste an Biomasse bei Fluginsekten. (Foto: Dr. Christian Stettmer/ANL)
In einer kürzlich veröffentlichten, langjährigen und ehrenamtlich durchgeführten Forschungsarbeit im Nationalpark Berchtesgaden konnte Dr. Walter Ruckdeschel in zahllosen Nachtstunden über 600 Nachtfalterarten nachweisen. Das sind 60 Prozent aller Nachtfalterarten Bayerns. Davon stehen 160 Arten auf der Roten Liste der in Deutschland gefährdeten oder vom Aussterben bedrohten Arten. Ein Vergleich mit älteren Daten erlaubte schließlich Aussagen zum Artenschwund: „Da weite Gebiete des Nationalparks nicht oder im Fall der Weiden nur extensiv bewirtschaftet werden und die vielfältigen Biotope im Nationalpark kaum Umweltbelastungen ausgesetzt sind, hat sich das Artenspektrum im Vergleichszeitraum nur wenig geändert“ so Schmetterlingsexperte Ruckdeschel.
Einen besonderen Fund machte Nationalpark-Leiter Dr. Roland Baier im Sommer 2017: Am Ufer des Königssees entdeckte der Forstwissenschaftler ein totes Exemplar des „Augsburger Bären“. Dieser in weiten Teilen Europas extrem selten gewordene Nachtfalter aus der Familie der Bärenspinner gilt als in Bayern weiträumig ausgestorben. Der Falter reagiert empfindlich auf Lebensraumveränderungen: Überall dort, wo der Mensch zu sehr gestaltend eingriffen hat, ist diese Art verschwunden. Umso größer war die Freude bei Nationalparkleiter Baier: „In Zeiten des vieldiskutierten Artensterbens wurde mit dieser Entdeckung ein Erstnachweis für den Nationalpark Berchtesgaden erbracht.“
Auf solchen Versuchsflächen werden im Nationalpark Bayerischer Wald unter anderem totholzbewohnende Insekten erforscht. (Foto: Bernhard Huber)
Auch die Forschungsergebnisse aus dem Nationalpark Bayerischer Wald stimmen zuversichtlich: Totholzforscher Dr. Sebastian Seibold betreut hier mehrere Versuchsflächen. Ein toter, grüner, glänzender Bockkäfer nördlich des Zwieslerwaldhauses auf einem toten Baum ist ihm jüngst besonders ins Auge gefallen. „Das war ein Ungarischer Ahornbock, der ist neu für den Nationalpark“, stellt er fest. „Dieser seltene und gefährdete Käfer ist ein europäischer Endemit, kommt also außerhalb des Kontinents nicht vor. Seine Larven fressen in den Stämmen des Bergahorns“.
Seibold ist einer von mehreren jungen Forschern, die die Artenvielfalt an Totholz in Waldlücken und an den Gewässern im Nationalpark Bayerischer Wald umfangreich untersuchen. Unglaubliche 2168 Käferarten konnten auf diese Weise für den Nationalpark nachgewiesen werden. Das sind 40 Prozent aller in Bayern vorkommender Käferarten. 55 Prozent der nachgewiesenen Arten sind typische Waldarten, zehn Prozent gelten als Bewohner der naturnahen Gewässer im Nationalpark. Darunter sind 384 Arten der aktuellen Roten Liste Deutschlands. Unter den fast 600 Totholzkäferarten unterstreichen die 16 Urwaldreliktarten die Naturnähe des Nationalparks. Damit führt der Nationalpark Bayerischer Wald die Champions-League der Waldschutzgebiete in Bayern an. Viele der einst schon ausgestorben geglaubten Arten wie der urige Zottenbock oder der Goldfüßige Schnellkäfer sind dank der jahrzehntelangen, natürlichen, von Menschen unbeeinflussten Waldentwicklung mit Totholz und offenen Stellen im Wald wieder regelmäßig anzutreffen. „Eine derart hohe Konzentration dieser Urwaldrelikte gibt es nirgendwo sonst in Bayern“, resümiert Nationalparkleiter Dr. Franz Leibl.
Damit sind die Nationalparks Bayerischer Wald und Berchtesgaden wichtige Säulen der Bayerischen Biodiversitäts-Strategie gegen den Artenschwund. Die beiden Nationalparkleiter Dr. Roland Baier und Dr. Franz Leibl sind froh, mit ihren Schutzgebieten einen wichtigen Beitrag gegen das Artensterben zu leisten. Für Leibl steht fest: „Große Schutzgebiete mit Raum für überlebensfähige Populationen und genügend Puffer zur intensiven Landnutzung sind unabdingbar für den Arten- und Biotopschutz. Ebenfalls wichtig ist jedoch der Naturschutz in der Fläche. Schutzgebiete sind bedeutsame Rückzugsräume, wir müssen uns aber auch um die Normallandschaft und die Vernetzung unserer Kerngebiete kümmern.“ Und Roland Baier ergänzt: „Die Studien zeigen, dass die beiden bayerischen Nationalparks zuverlässig Arten schützen und für künftige Generationen erhalten. Diese großflächigen Landschaften, in denen natürliche Prozesse ungestört ablaufen können, sind damit bewährte und unverzichtbare Elemente der Naturschutzbemühungen.“
Quelle: Pressemitteilung der NP-Verwaltung
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