Haselbach
Begegnung mit Menschen (1). Erinnerungen an Balbina Gall - Hebamme von Mitterfels
1962 verstarb die Mitterfelser Hebamme Balbina Gall. Der nachfolgende Beitrag soll an diese ungewöhnliche Frau erinnern. Von einigen Leuten wurde sie Balwina gerufen; allen jedoch war sie unter dem Namen Balberl bekannt.
Margarete Prandl, von 1946 bis 1952 Schulleiterin der Volksschule in Mitterfels, war mit Balbina Gall eng befreundet. Von ihr stammt die nachfolgende Lebensgeschichte der Balbina. Die Biographie wurde vom Neffen, Sigurd Gall, geringfügig geändert oder ergänzt. Das Wort „ich" bezieht sich also auf Margarete Prandl. - Die Lebensgeschichte gibt uns heute ein eindrucksvolles Bild vom Leben früher und vom Beruf der Hebamme.
Das vierte von sieben Kindern
Balbina Gall wurde am 6. September 1908 als 4. Kind der Schneidermeisterseheleute Josef und Balbina Gall in Uttendorf, Gemeinde Dachsberg (jetzt zu Haselbach gehörig) geboren. Die Mutter war eine geborene Bräuherr aus Gaishausen. Sie stammte aus der Mühle am Bogenbach, die später Albert Gall, ein Bruder der Balbina, erbte, denn die zwei Söhne des Müllers waren im 2. Weltkrieg gefallen. Die Mutter war eine sehr kluge Frau, was ihre überlieferten Aussprüche und ihr glänzendes Schulzeugnis beweisen. Zu Balbina sagte sie einmal: „Wennst ebbs host, mögn dich alle Leut, host nix, mögn dich die eigenen Kinder nicht." „Im Alter nimmt alles ab, nur der Geiz nimmt zu." Wahre Sprüche!
Die Ursprungslinie des Vaters geht zurück auf Haunkenzell. Wenn die Buben (vier an der Zahl) mit argen Blessuren zur Mutter kamen, sagte diese nur: „Bist halt a zraffter Hanganzeller." Großvater Gall, der Vater des Schneiders, saß übrigens einmal wegen Wilddieberei im Mitterfelser Gefängnis. Kann man's ihm verdenken bei diesen herrlichen Gelegenheiten auf den Uttendorfer Fluren?!?
Alle Schneiderkinder, mit Ausnahme des Josef und der Franziska (Franzl gerufen), mussten das Schneiderhandwerk erlernen. Josef wurde aufs Gymnasium nach Straubing geschickt. Er sollte Pfarrer werden. Der Schneider hätte sich halt zu gern als „Pfarrervater" gesehen. Aber ein „blondes Zölibatinchen" durchkreuzte seine Pläne! Josef wurde Jurist.
Das Zeug zum Studieren hätten sie alle gehabt
Familie Gall: Hintere Reihe v. rechts: Josef, Balbina, Albert, Xaver - Mittlere Reihe v. rechts: Alfons, Franziska, Maria - Sitzend: Die Eltern Josef und Balbina - Vergrößern durch Anklicken!
Wenn Sepp in den Ferien nach Hause kam, machte ihm die Mutter „a gretzte Semmel" (Semmelschmarrn), was von den Geschwistern mit scheelen Augen beobachtet wurde. Für sie gab's solche Extraschmankerl nicht. Ein Kind in der damaligen Zeit, nach dem 1. Weltkrieg, zum Studium zu schicken, war eine große finanzielle Leistung; denn es gab ja keinerlei Beihilfen oder Unterstützung. Verständlich, dass die anderen Schneiderkinder sagten: „Wir müssen arbeiten, dass der Sepp studieren kann!" Das „Zeug zum Studieren" hätten auch alle anderen Schneiderkinder gehabt. Bruder Xaver, „Xaal", sollte nach dem Willen des Vaters Lehrer werden. „Xaal" war sehr musikalisch und wurde deshalb in die Präparandie (Vorbildung des Lehrerseminars) nach Deggendorf geschickt. Vorher machte er seinen Geschwistern die Zähne lang, was er dann als Schullehrer für ein gemachter Mann sein werde. Balberl wird dann zu ihm sagen: „Gibst mir du ein Bröckerl Fleisch, dann kriagst von mir ein Stückl Reinmus!" Im Leben wurde es dann umgekehrt; Balberl aß das Fleisch und er meistens Reinmus.
Xaal wurde also nach Deggendorf geschickt. Aber ihn plagte das Heimweh derart, dass er in Deggendorf durchbrannte und zu Fuß nach Uttendorf heimkehrte. Der gestrenge Vater wollte ihn umgehend nach Deggendorf zurückschicken, aber die Mutter hatte Mitleid: „Wann der Bua halt soviel Zeitlang hat!" So wanderte Xaal auf den Schneidertisch, wurde Vaters Lieblingssohn und sollte einmal das „Gschäft" übernehmen. Vater Gall war gegen jede Heirat. „Bleibts schön beieinander, könnts eich jeden Samstag an Kuacha bacha!" Welch eine verlockende Aussicht!!! Vaters Ausspruch wurde ein geflügeltes Wort!
Hier sei noch vermerkt, dass das „Gschäft" eine gutgehende Schneiderei war. Balbina erzählte, dass sie vor den Feiertagen Ostern, Weihnachten etc. oft Nächte durchgearbeitet hatten, denn es gab ja den blödsinnigen Brauch, dass man zum Fest einen neuen Anzug oder ein neues Kostüm wollte.
Der 2. Weltkrieg brachte auch die Schneiderei in Uttendorf zum Erliegen. Die vier Brüder standen zwischen 1939 und 1945 an den verschiedenen Fronten, teilweise als Scharfschützen immer in vorderster Linie. Wie durch ein Wunder überlebten alle vier diesen mörderischen Krieg, jeder jedoch mit einem anderen Körperschaden.
Franzl hatte in der Jugend hochfliegende Pläne. Sie wollte ein „Schulfreilein" werden. Von der Schule weg wurde sie zunächst ein „Bankfreilein". Doch die Bank verkrachte und dies war für Mutter Gall der willkommene Anlass, Franzl zu ihrer Hilfe ins Anwesen zu nehmen. Franzl blieb so der Schneidertisch erspart und sie arbeitete von da ab bis zu ihrem Tod in der Landwirtschaft. Das Uttendorfer Anwesen war durch Zukäufe des Vaters von 15 auf 32 Tagwerk angewachsen und das konnte die Mutter zur täglichen Haus- und Kocharbeit nicht mehr allein schaffen.
Vater hielt das Geld eisern zusammen
Noch eine Anmerkung zum Vater. Er hielt das Geld eisern zusammen, lieh auch Geld aus und es ging das Gerede: Der Schneider ist einer der reichsten Männer der Gegend. In den beiden Inflationen ist sicherlich ein schöner Batzen Geld verloren gegangen.
Noch ein paar Sätze zu Franzl. Sie ist der Beweis dafür, dass früher viele intelligente Menschen nicht zum Studium kamen, weil in den meisten Fällen das Geld fehlte oder sie in der Landwirtschaft gebraucht wurden. Franzl hatte jahrelang einen Freund, den Seign Hans, der in Wiesing ein Anwesen besaß. Die beiden hätten wohl auch geheiratet, ja wenn nicht der saudumme Krieg dazwischen gekommen wäre. Der Seign Hans fiel auf dem sogenannten Feld der Ehre; und Franzl blieb zeitlebens in Uttendorf und rackerte sich hier zu Tode. Was war das für ein Leben! Zwei Reisen führten sie von Uttendorf fort. Die eine nach München, was keineswegs eine Vergnügungsreise war. Sie musste von einer Unfallversicherung aus zu einer Untersuchung in München vorstellig werden. Das 2. Reiseziel war Regensburg, wo die Verwandtschaft von Bruder Sepp lebte.
Xaal und Franzl sparten, wie man sich das heute nicht mehr vorstellen kann. Nie ein neues Kleidungsstück, immer nur von „Herrschaften Abgelegtes"! Der Lebensunterhalt wurde lange von der Kuh bestritten und vom „Weihnachter".
Bruder Albert hatte mit der Schneiderei keine Freude. Sein „Element" waren die Bienen. Schon als 9-jähriger Bub hatte er ein paar Bienenvölker. Vom Schneidertisch weg ging er an das Bienen-Zoologische Institut nach München. Er arbeitete dort sehr gerne und hatte später mit der ererbten Landwirtschaft in Gaishausen wenig Freude. Zum Glück hatte seine Frau Margarete mehr Spaß daran. Obendrein war auch sie noch eine gelernte Imkerin.
Bruder Alfons schlug die gleiche Laufbahn ein. Er landete bei den „Preißn" in Münster in Westfalen, wo er bis an sein Lebensende auch blieb. Seine Tätigkeit am dortigen Bienenforschungs-Institut war für ihn Hobby und Beruf zugleich. Zum vollen Glück fehlte ihm nur der tägliche Blick zum Hirschenstein und die bayerische Freiheit, die Wälder ungestört durchstreifen zu dürfen auf der Suche nach Schwammerl.
Schwester Maria fand ein schönes „Pösterl" bei der deutschen Bundespost. Sie lebt heute (2002) bei Sohn Hans in Hunderdorf im schönen Eigenheim.
Balbina im Alter von 20 Jahren
An Balbina "war a Bua verloren ganga"
Nun zurück zu unserer Balbina. Die Schulzeit dauerte eigentlich nicht lange bei ihr. Nach dem 6. (!!!) Schuljahr - die Schulpflicht dauerte damals 7 Jahre - wechselte sie von der Schulbank auf den Schneidertisch. Der Vater reichte beim Schulamt ein Gesuch um Befreiung seiner Tochter vom Schulbesuch ein. Die Begründung zu wissen, wäre interessant. Man stelle sich dazu heutige Verhältnisse vor. Balbina lernte leicht und gut und hatte ein erstaunliches Gedächtnis. So konnte sie z.B. im Alter von 60 Jahren noch fehlerfrei das himmellange Gedicht „Das Lied von der Glocke" aufsagen. Ein Fach hasste sie: „Handarbeit"! Und so jemand bringt's dann zur Schneidermeisterin! Etwas tat sie furchtbar gern. Wo es ging, suchte sie Raufhändel mit ihren Mitschülern. So wurde halt oft nach dem Unterricht das Dorf hinauf gerauft. Aber wehe, wenn die Tante Waldmann (gegenüber von Plank) die Rauferei sah! Sie fuhr nicht bloß mit kräftigen „Kopfnüssen" dazwischen, sondern betätigte sich obendrein noch als „Nachrichtenübermittlerin" zum Vater. Klar, dass sich zuhause auch noch ein Donnerwetter entlud.
Balbina spielte lieber mit Buben als mit Mädchen. Letztere waren ihr zu zimperlich. So schnalzte sie den „Bummerlhund" (Kreisel) und schoss mit Pfeil und Bogen. Beide Spiele eine Domäne der Buben! Einmal fand die Uttendorfer Bande auf dem Schulweg eine ganze Stange Zigaretten. Die Buben wollten natürlich den Fund ganz für sich. Balbina aber stellte sie vor die Alternative: Entweder prozentualen Anteil oder Meldung beim Lehrer!!! Natürlich wurde geteilt. Nun fing das hoffnungsvolle Mädchen das Rauchen an. Aber das Vergnügen war von kurzer Dauer. Eines Tages entdeckte die Mutter in Balbinas Schürzentasche eine Schachtel Zigaretten. Von da ab unterblieb die Raucherei. Um ein Haar hätte sie noch die ganze Stammburg oder den Stadel beim Rauchen in Brand gesteckt. Zum Glück lag Schnee und der in Brand geratene Strohballen konnte im Schnee gelöscht werden. Ein „Drack" war sie schon!
Anderen Leuten einen Streich zu spielen, bereitete ihr diebische Freude. Frauen und Mädchen trugen zur damaligen Zeit Kopftücher, die am Hinterkopf gebunden wurden. Die langen Enden hingen über den Rücken hinunter. Da wo das Kopftuch gebunden war, warf sie mit Vorliebe und Geschick Steine hinein, natürlich zum Ärger der Trägerinnen.
In der Waldgemarkung der Höllmühle rechten ein Knecht und eine Magd (die spätere Haimerl Lisl, Schuhgeschäft gegenüber Plank) Laub und Streu zu großen Haufen zusammen, die dann heimgefahren als Einstreu im Stall dienten. Als die Uttendorfer Rasselbande von der Schule heimtrottete, sprangen Buben und Mädchen mit wahrer Begeisterung in die Haufen und zerstreuten Laub und Nadeln in alle Winde. Dies sollte aber nicht ungestraft geschehen sein. In den nächsten Tagen lauerte der Höllmühler Knecht der Bande auf und wen er grad erwischte, den „wasserte" er nicht schlecht.
Die Töchter vom Straßmeier Bauern (auf dem heutigen Schlamminger Anwesen) hauten „Stutzbirl" (Reisigbündel) auf dem Waldabhang beim alten Bad. Die fertigen „Stutzbirl" schichteten sie auf. Am nächsten Tag waren sie verschwunden. Die Bande hatte sie den Hang hinuntergerollt. - Es waren oft schon auch ein bißl boshafte Stückl, die die Rasselbande lieferte mit der Wortführerin Balbina!!!
Die "gute" alte Zeit
Kindlichen Freuden war im Hause Gall wenig Spielraum geboten. So hätten die Kinder im Winter gern „geschliffen". „Ja , was eich net einfallt, die Schuh kaputt machen!" So wurden auf die Holzsohlen Lederstreifen genagelt und aus war's mit Schleifen. Übrigens, die Schuhe durften erst angezogen werden, wenn es einen elend in die Zehen fror - und ausgezogen wurden sie im Frühjahr, wenn noch der Reif auf den Wiesen lag. Aber die Schulbuben waren damals auch schon Kavaliere! Sie pinkelten auf den Boden und die Mädchen wärmten sich in der Lake die Zehen!!! Mäntel kannten die Kinder nicht. Bei großer Kälte wickelte die Mutter ihre Töchter in warme Schaltücher und so wanderten sie nach Mitterfels zur Schule. Bruder Josef erlaubte sich da einen Spaß. Weil die Mutter am Morgen bei der Stallarbeit war, musste er die Mädchen in die Schule „richten". Er flocht ihnen Zöpfe mit eiskaltem Wasser und so schickte er sie hinaus in die Kälte. Da kann man nur sagen: „A Guata halts aus!"
Kommunion und Firmung wurden im Vergleich zu heute mehr als schlicht gefeiert. Ein größeres Mädchen aus dem Straßmeier-Hof „richtete" die Balberl zusammen. Mit Hilfe von Papierröllchen drehte sie am Tag zuvor die Haare auf, dass sie am Kommuniontag schön gelockt waren. Dann „bouste" Balbina, schwarze Lederstiefel an den Füßen, hinüber nach Mitterfels. Unterwegs begegneten ihr Vater und Mutter, die von der Frühmesse nach Hause gingen. Von einer Familienfeier oder gar Kommuniongeschenken keine Rede. Die Firmung wurde in Oberalteich gespendet. Firmpatin war die Müllerin von Gaishausen. Da Vater Gall seine rauflustige Tochter kannte, ging er vorsichtshalber mit. So wanderte man also in aller Herrgottsfrüh von Uttendorf nach Gaishausen, nahm die Firmpatin mit und marschierte über Hunderdorf nach Oberalteich. Nach der Firmung gabs ein Kracherl und Würstl, dann Rückmarsch nach Gaishausen. Hier labte man sich an Kaffee und Gesundheitskuchen, den die Müllerin gebacken hatte. Firmgeschenk: Drei Taschentücher!
Noch ein Beitrag zur Lebenshaltung der Familie Gall. Die Gallschen Nachfahren werden es kaum glauben. Es gab keinen freien Zugang zum Brot. Der Schneider bestellte es bei der Brotfabrik Barthmann in Landshut. In großen Körben musste es am Bahnhof Mitterfels abgeholt werden. Die Körbe waren mit grobmaschigem Draht abgedeckt. Was machen die hungrigen Schneiderkinder? Mit einem Taschenmesser schneiden sie ein Loch in den Draht und Maria, die das kleinste Handerl hat, zieht einen Wecken heraus. Ich glaube, dass den Schneiderkindern damals ein Stück Brot besser geschmeckt hat als uns heute das feinste Kuchenstück. - Noch eine Begebenheit, die die „Hungersituation" von damals beleuchtet. Begleiter auf dem Schulweg waren auch die Kinder von Maisenthal. Maisenthal war im Vergleich zum Schneideranwesen ein großer Hof. Dementsprechend fiel auch das Pausebrot aus, das sie manchmal wieder mit nach Hause nahmen. „Wennst uns dei Brot net gibst, schlong ma di recht!" Auf diese handgreifliche Drohung hin zogen es die körperlich schwächeren Maisenthaler Kinder vor, ihren „Brotkeyerer" herauszurücken. Auf die Maisenthaler Sophie hatte es Balberl besonders abgesehen, bis die Sophie einmal „narrisch" wurde und drohte: „I dir Wongsu (Pflugschar) eirenna tua!"
Bei der morgendlichen „sauren" Suppe durften die Kinder nur einen Brotbrocken auf den Löffel nehmen. „Oan Brocka nimmt ma", lautete die väterliche Devise und jedermann hatte sich gefälligst danach zu richten. Am Sonntag gab es einen Schweinsbraten von zwei Pfund Fleisch für 14 Personen! Gesellen und Lehrbuben aßen mit. Für das „gewöhnliche Volk" gab es Schwarzbrotknödel, der Schneidervater bekam Semmelknödel. Schließlich und endlich war er auch das Oberhaupt der Familie.
Bruder Bertl wusste sich gegen den Hunger zu helfen. Wenn am Sonntag früh die Eltern im Gottesdienst in Mitterfels waren, schlug er sich 6 - 8 Eier in die Pfanne oder briet sich vom Surfleisch Schnitzel. Als die Mädchen größer waren, backten sie vor Weihnachten Plätzerl. Sie konnten sie noch so gut verstecken, der „Marder" Bert spürte sie auf und aß sie.
Weil die Balbina eine couragierte und begabte Schülerin war, durfte sie bei einem Feuerwehrfest einen langen Vers aufsagen. Schwester Maria weiß ihn heute noch. Wahrscheinlich hat sie ihn „beim Einstudieren" so oft gehört und mit aufgesagt, dass er ihr im Gedächtnis geblieben ist:
Es war am Floriantag,
was i jetzt wui derzähln,
da sollt' a große Andacht sei
in einer Pfarrkapell'n.
Da war der alte Florian
beim Maler und - o Leit,
der is damit net fertig worn,
es war zu kurz die Zeit.
Da endlich kimmt a guter Rat
dem Mesner voller Freid:
Der Schuster Micherl siehgt eahm gleich,
der muaßn macha heit.
Und richtig, der ist auch bereit,
und sie ziag'n eahm grad so o,
und bald steht unser Micherl do
grad wia der Florian.
Zuerst die Predigt lang und schön,
und drauf a Litanei,
der Micherl, der ist jetzt schon froh,
daß all's so gut vorbei.
Da kimmt auf d' Letzt a Weiberl no,
wia d' Leit scho alle draußd,
geht zum Floriani vor,
ziagt a Kerzerl raus
und pappts an Floriani auf 'n Fuaß
und bet, bis runterbrennt,
so daß eahm scho ganz warm durchs Leder geht.
In der Angst und in der Nout,
da schreit er endli raus:
O mei, o mei, es brennt ja scho!
S' Weiberl moant, ihr Haus gehts o.
Sie macht se glei auf d F'üaß
und rennt davo so schnell wias ko.
Schau, schau, hots gsagt,
hätt net glaubt,
daß er so foppen ko!
Der Micherl aber hat's verschwoan,
daß er sich nimmer als Florian gibt her.
(Der Verfasser ist nicht bekannt.)
Große Schlawiner waren auch die Kiefl-Buben aus dem kleinen Häusel, das unterhalb der „Gallschen Stammburg" lag. Das Kiefl-Haus wurde während und nach dem 2. Weltkrieg abgerissen; heute steht nur noch der Backofen. Hier passierte einmal folgendes: Der Kiefl-Vater war Bahnarbeiter. Als er sich eines Abends die wohlverdiente Pfeife anzündete, explodierte diese und der Kiefl-Vater saß mit rußgeschwärztem Gesicht am Tisch, die Bart- und Kopfhaare versengt, und er wusste wohl im ersten Augenblick nicht, wie ihm geschehen war. Und was hatten die Lauser angestellt? Die Gallischen waren natürlich mit von der Partie. Sie hatten unter den Tabak ein wenig Schießpulver gemengt. Den zu erwartenden saftigen Ohrfeigen entzogen sie sich schleunigst durch Flucht aus den Fenstern. Ich vermute, dass es im Schneiderhaus ein Strafgericht gab, als dem Schneider der Streich bekannt wurde. Und wer hatte den Streich ausgeheckt? Natürlich die Balbina.
Balbina sattelt um: Sie wird Hebamme
Balbina vor Beginn der Hebammenausbildung
Zurück zur Laufbahn der Balbina. Sie saß also circa 15 Jahre auf dem Schneidertisch in Uttendorf, machte Gesellen- und Meisterprüfung. 1935 sollte Xaal das Geschäft übernehmen. Ein Leben lang also in der Schneiderwerkstatt sticheln und nadeln, letztendlich für den lieben Bruder Xaal. Nein! Das mochte Balbina nicht. In ihr reifte der Plan, sich mit Hilfe ihres Heiratsgutes zur Hebamme ausbilden zu lassen. Sie besuchte die Hebammenschule in München und absolvierte - wie von ihr nicht anders zu erwarten - mit Note 1. In München wurde auch schon der Grundstock zu ihrem leiblichen Umfang gelegt. Mit 97 Pfund begann sie die Ausbildung und mit 157 Pfund kehrte sie zurück. Auf die Frage, wie es dazu kommen konnte, meinte sie, sie habe die Teller der anderen sauber gemacht, wenn die „hoaklerweise" Wurst, Butter usw. liegen ließen. - Die Wäsche musste nach Hause geschickt werden. Das Porto für das Paket rechnete der genaue Vater auf das Heiratsgut an!!!
1937 bekam sie ihre Stelle in Mitterfels. Und so begann nun sozusagen der „Ernst des Lebens" oder besser gesagt „des Berufes". Sie bezog ein Zimmer im Hause Plank. In den ersten Tagen erscheint ein Zigeuner und radebrecht: „Frau Baby bekommen - du mitgehen." Etwas bangen Herzens steigt sie in den Zigeunerwagen. Die Geburt geht zwar gut vonstatten, aber die Wöchnerin braucht einen Arzt. Balbina ruft Dr. Müller an. Ob er wohl kommt? Er ist bald zur Stelle. Als ihm Balbina ihre Bedenken von wegen Zigeuner mitteilt, trifft Dr. Müller nur die lapidare Feststellung: „Zigeunerinnen sind oft reinlicher als manche hiesige Bäuerin!"
Als erstes Fortbewegungsmittel leistete ein Fahrrad gute Dienste - und die eigenen Beine. Stundenlange Märsche, auch bei Nacht und im Winter im tiefen Schnee, waren keine Seltenheit. So begleitete sie einmal Schwester Maria im Winter bei tiefem Schnee auf den Gallner. Von der Bahnstation Konzell-Süd arbeiteten sich die beiden hinauf auf den Berg. Maria wollte unterwegs aufgeben, aber Balbina trieb sie mit eisernem Willen an. Es war ein Charakteristikum der Balbina: Durchhalten um jeden Preis, Widerstände waren für sie da, um überwunden zu werden. Ein anderes Mal stapften die beiden im tiefen Schnee hinauf zur „Blöss", einer Einöde hoch über Elisabethszell. Als sie nach mühseliger Wanderung dort ankamen, putzte die schwangere Frau in aller Seelenruhe die Stube aus. Da konnte sich Maria die Bemerkung nicht verkneifen: „Da sehgst as, wia noutwendi du braucht werst." Auf dem Heimweg wäre Maria aus einer Schneewehe beinahe nicht mehr herausgekommen. „Ja mei, so a kloaner Zwack!"
Ein schwerer, aber erlebnisreicher Beruf
Für ihre nächtlichen „Wanderungen" hatte Balbina einen Revolver dabei. Als sie einmal in der Nacht von Elisabethszell nach Mitterfels ging, bemerte sie, wie wenige Meter vor ihr ein Mann in den Straßengraben sprang. Die Hand am Abzug des Revolvers ging sie tapfer weiter. Es war aber Gottseidank kein Wegelagerer, sondern wahrscheinlich einer, der vom Kammerfensterln heimging und nicht erkannt werden wollte.
Ein besonderes Erlebnis hatte sie einmal auf einem Bauernhof in Hinterascha. Als sie in die Stube tritt, sieht sie, wie der Schwiegersohn seine Schwiegermutter an der Gurgel gepackt hatte. Balbina erfasst blitzschnell die Situation. Mit sicherem Griff packt sie den Schwiegersohn am „Gnack", reißt ihn von der Alten los und rettet ihr so das Leben. Alle waren mehlüberstäubt, denn der „brave" Schwiegersohn hatte vorher noch seiner „geliebten" Schwiegermutter das Mehlhaferl über den Kopf geschüttet. Die Schwiegermutter wollte nämlich Küchel backen und das passte dem Schwiegersohn irgendwie nicht in den Kram. Balbina bestand nun darauf, dass er sich umzog und mit zur Taufe nach Pilgramsberg ging. Sie traute dem mühsam geflickten Frieden nicht und befürchtete weiteres Unheil. Der Mann ging brav mit zur Taufe und es passierte nichts mehr.
Es war ein schwerer Beruf, den Balbina gewählt hatte. Allein schon die ständige Präsenz (Anwesenheit am Wohnort). Wenn wir in den Ferien einmal, höchstens zwei Mal einen Halbtagsausflug mit dem Auto unternahmen, musste zuerst eine Hebammen-Vertretung vereinbart werden. Auch musste Frau Dietl, die Hausfrau, oder in der ersten Wohnung die Frau Plank über die Dauer der Abwesenheit informiert werden. Manchmal rief sie unterwegs bei der Hausfrau oder im Monikaheim an, ob nichts „passiert" sei.
Einmal läutete nachts die Hausglocke. Als sie sich am Fenster erkundigte, was los sei, kam dem unten stehenden Mann nur ein einziges Wort über die Lippen: „Kimm!" Balbina wusste natürlich sofort, was die „freundliche" Aufforderung bedeutete. Für uns hieß der „höfliche" Mann in Zukunft nur „der Kimm".
Wenn angerufen wurde, sollte Balbina möglichst schnell an Ort und Stelle sein. Weil das halt nicht ging, kam sofort ein zweiter Anruf: „Balwina, wo bleibst an?" Die unmöglichsten Zeiten suchten sich die lieben schwangeren Frauen aus, besonders zu den Festzeiten. So mancher Heilige Abend wurde zum unheiligen, denn Balbina hätte es sich auch lieber zuhause gemütlich gemacht. Dann kam schon ein Schelterer über ihre Lippen, aber im nächsten Augenblick schickte sie sich zur Fahrt.
Manchmal kam es vor, dass sie nach einer langen „Tagessitzung" heimkam, im Durst eine Halbe Bier „hinuntergurgelte" - und schon läutete das Telefon wieder: „Balwina, es is soweit." Einmal kam eine Bäuerin aus der Neukirchner Gegend nieder. Balbina fragte, was sie vorher noch gegessen habe: „An Gayr und sechs Knon (d. h. einen Gockel und sechs Knödel)!"
Balbina hat darüber nicht Buch geführt, aber das ereignete sich öfters. Sie wurde zu einer Frau gerufen, bei der „es soweit war". Als sie nach kurzer Zeit schon wieder heimkehrte, meinte sie zur Hausfrau nur: „Blinder Alarm, die hat bloß a Schoaß zwickt!" Was sie nicht leiden konnte, waren Männer, die bei der Niederkunft ihren Frauen beistehen wollten. Diese Erfahrung musste auch ein Mitterfelser Lehrer machen. „Di kenma etz da net braucha, des is a Weibersach!" Mit dieser energischen Feststellung wurde er aus dem Zimmer verbannt. Ein Haselbacher Lehrer wurde 1969 nach Hause geschickt: „Fahrn's hoam, Sie irr'n bloß!"
Einmal war ich mit beim Besuch einer Wöchnerin in Landorf. Sie war schon eine etwas ältere Frau und hatte schon zwei Mäderl zur Welt gebracht. Die dritte junge Erdenbürgerin hätte halt ein Bub werden sollen. Das wollte die Mutter aber um keinen Preis zugeben. „Dös Gunderl ham mir uns grad no gwinscht!"
Nach mehrjähriger Tätigkeit stieg Balbina vom Fahrrad aufs Motorrad um. Das brachte wohl in der warmen Jahreszeit manchen Vorteil, im Winter aber wars nicht grad „'s Gsündeste". Bei Eis und schneebedeckten Straßen landete sie oft auf dem „Allerwertesten". - Als sich der 2. Weltkrieg seinem Ende näherte, war Benzin Mangelware und wurde rationiert. Balbina erhielt monatlich nur noch 5 Liter. Und dieser Treibstoff war von minderer Qualität; es war Leuna-Benzin, ein Produkt aus Braunkohle. So konnte sie das Motorrad nur noch in ganz eiligen Fällen benutzen. Dem Motor „schmeckte" dieser Sprit keineswegs und so streikte er des Öfteren. Der Fuhrunternehmer Schmid Max nahm dann den Motor wieder „in die Kur".
Wesentlich besser ging es dann, als sie den ersten VW kaufte. Inzwischen gab es fast keine Hausgeburten mehr, der „Betrieb" verlegte sich ganz nach Straubing ins Monikaheim. Früh und abends musste sie dort „ihre" Frauen versorgen und während des Tages „auf der Pass" liegen, wenn eine Frau zum Entbinden kam. Mehrere Male kam es vor, dass der zu erwartende Erdenbürger schon im Auto „das Licht der Welt" erblickte.
Einmal war sie wieder auf der Fahrt nach Straubing. Als sie in flottem Tempo an Eisenhart vorbeifuhr, schlug etwas mit gewaltigem Krach an die rechte Autotür. Als sie ausstieg, lag ein Reh auf der Straße und tat den letzten Schnaufer. Sie legte es in den Straßengraben und wollte auf dem Rückweg dem Förster Bescheid geben. Aber es war nicht mehr nötig, das Reh war verschwunden. - Einmal verfing sich ein Hase im Lichtkegel ihres Autos. Sie stieg aus - der Hase lag (schein)tot auf der Straße. Sie warf ihn unter die Motorhaube und freute sich schon auf ein „Hasenbratl". Auf einmal fing es unter der Motorhaube zu rumoren an und während sie öffnete, sprang Meister Lampe mit einem gewaltigen Satz in die Freiheit. Ätsch!!!
Bemerkenswert war auch die technische Begabung der Balbina. Egal, ob es sich um Auto, Fahrrad, Nähmaschine, defekte Wasserleitung etc. handelte, Balbina brachte alles wieder in Stand. Als ich in meinem Reihenhaus die automatische Ölzufuhr einrichten ließ, wollte und wollte die Ölpumpe nicht funktionieren. Der Monteur fuhr in seine Firma, um eine andere Pumpe zu holen. In der Zwischenzeit las Balbina die Gebrauchsanweisung durch, bastelte ein wenig an der Pumpe rum und ... die Pumpe lief.
Mut und Unerschrockenheit gehörten zu ihren Tugenden
Mut und Unerschrockenheit gehörten auch zu ihren Tugenden. Als 1945 die Amis einmarschierten, erließen sie für bestimmte Stunden Ausgangssperre. Ausgerechnet in dieser Zeit rief eine Schwangere aus Stallwang an, bei ihr sei es soweit! Balbina bestieg ihr Fahrrad und fuhr seelenruhig nach Stallwang. Nun sollte aber die Frau ins Krankenhaus nach Straubing. Was tun? Balbina ging auf die Straße, hielt einen Ami-Jeep auf und radebrechte: „Frau Baby bekommen - ins Krankenhaus du Frau hinausfahren." Der Ami war ein guter Mensch und fuhr die Schwangere samt Hebamme ins Krankenhaus nach Straubing.
Beim Einmarsch der Amerikaner im April 1945 wurden von den Siegern alle Wohnungen für vogelfrei erklärt; sie konnten jederzeit von den Soldaten betreten und durchsucht werden. Die Wohnung der Hebamme wurde davon ausgenommen; ein Schild verbot jeglichen Zutritt. Ihre Freundin, die Posthalterin Gabriele Sturm, bewohnte im Plank-Haus auf dem gleichen Flur das Nachbarzimmer. Balbina erklärte dieses Zimmer zum Untersuchungsraum und so musste ihre Freundin keine Angst vor ungebetenem Besuch haben.
Balbina verhalf vielen Eltern zum sogenannten „freudigen Ereignis". Gar nicht erfreulich war es allerdings, wenn sich folgendes herausstellte: Eine Frau, die bei ihr „nicht auf der Liste stand", klagte über Leibschmerzen. Für die erfahrene Hebamme stand sofort fest, hier war eine Abtreibung versucht worden. Kleinlaut und reumütig gestand die Schwangere, dass sie vom hohen Heuwagen gesprungen war. Da waren dann viele ermunternde Worte notwendig.
Im Sommer 1945 bat eine Frau - sie stammte aus den Ostgebieten - um „Hilfe". Mehrere Wochen, so sagte sie, war sie von Rotarmisten täglich mehrmals vergewaltigt worden. Sie wollte - durchaus verständlich - das „Russenkind" nicht haben. Unter Hinweis auf ihr Berufsethos verweigerte Balbina die erbetene Hilfe. Nach der damaligen Rechtslage hätte eine solche „Hilfeleistung" das sofortige Berufsverbot zur Folge gehabt.
Einige Monate vor Kriegsende war bei einem Bauern eine Flüchtlingsfamilie aus Jugoslawien einquartiert worden. Alle Familienmitglieder bewohnten eine einzige Stube, arbeiteten beim Bauern mit und bekamen dafür einige Nahrungsmittel. Der Mann war saugrob; darunter litten nicht nur die Kinder, besonders die blauen Flecke der Frau sprachen eine deutliche Sprache. Sie kam mehrmals zu Balbina zur Beratung. Im Spätherbst 1945 sollte sie entbinden. Als sie der Mann wieder einmal mit Fußtritten traktiert hatte und sie kein Lebenszeichen des Kindes mehr spürte und auch schon lang „über die Zeit" war, wollte sie ihrem Leben ein Ende setzen. Sie legte sich, nur notdürftig bekleidet, bei eisiger Kälte in einen Wassergraben. Balbina kam zufällig des Weges. Gutes Zureden verlieh der Frau wieder Lebensmut; zwei Tage darauf schenkte die Frau einem gesunden Kind das Leben.
In der Notzeit nach dem Krieg ließ sich Balberl von den Bäuerinnen teilweise mit Naturalien entlohnen. Und davon profitierte dann auch Bruder Sepp mit seiner Familie in Straubing. Die drei Buben des Bruders schauten beim Erscheinen der „Storchentante", wie sie Balberl nannten, gespannt auf die Tasche und ihren Inhalt. Einige Eier oder gar ein Zenterling Geselchtes ließen da echte Feiertagsstimmung aufkommen.
Was allgemein an Balbina geschätzt wurde, war ihre Beherrschtheit. Es gab kaum etwas, das sie aus der Ruhe bringen konnte. Für eine Hebamme an sich eine gute Eigenschaft, einmal jedoch verlor sie fast ihr seelisches Gleichgewicht. Es war einige Jahre nach dem Krieg. Die Entbindungen fanden nur noch selten in den eigenen vier Wänden statt, die Frauen gingen immer öfter ins Monikaheim nach Straubing. Wenn es die Zeit erlaubte, besuchte Balberl nach vollbrachter Arbeit dort immer ihren Bruder Josef. „Sepp, stell dir vor, was ich heute erlebt habe, ein Kind ohne Arme", das war der erste Satz bei der Begrüßung. Es war die Zeit der sog. Conterganaffäre. Nahmen Schwangere das Schlafmittel Contergan, so kam es zu verheerenden Missbildungen bei den neuen Erdenbürgern. Ähnlich niedergeschlagen war sie immer, wenn die Mutter geschlechtskrank war und das Kind angesteckt hatte.
Ab und zu gab’s auch mal was Lustiges. Als eine Mitterfelser Geschäftsfrau von einem Buben entbunden wurde, sagte sie, nachdem sie wieder ansprechbar war: „Tu ihn mir her, den Affen!” Der „Aff” ist inzwischen mindestens 40 Jahre alt.
Alter schützt vor "Schandtaten" nicht
Rührend war Balbina in der Sorge um ihre an Krebs erkrankte Freundin Gabriele Sturm. Sie pflegte sie bis zu deren Tod in aufopfernder Weise. Gabi Sturm und Balberl passten wunderbar zusammen, besonders im Aushecken von „Schandtaten”. Einmal stöberten die beiden den Speicher. Die alte Trödelware musste an den Mann gebracht werden. So zierte eines Tages eine alte, ausgeleierte Kaffeemühle das Schild des Herrn Dr. Müller. Uralte, zerrissene Paraplues „erfreuten” Lang Zilli und Frau Seebauer. Die Regenschirme hängten sie einfach ans jeweilige Gartentürl. Ein Paar uralte Damenschuhe standen eines Tages vor der Werkstätte des Schuhmachers. Daneben lag ein Zettel: „Lilli Abriel (Wirtin vom Gasthaus Friedenseiche) ersucht, die Schuhe zu doppeln.” Ob der Schuhmacher die Arbeit ausführte, erfuhren die beiden Schelme nicht, zu ihrem Leidwesen. Lilli zu fragen, getrauten sie sich doch nicht.
Einen Waldmann-Gickerl machten sie einmal regelrecht besoffen. Der Gickerl besuchte gern die Plankschen Hennen. Was stellt die Balberl an? Sie tauchte eine Semmel in Bier und warf die Brocken dem Hühnervolk hinunter, das sie wie wild aufpickte. Am meisten erwischte natürlich der Gockel und alsbald torkelte er stockbesoffen über die Straße ins Waldmannsche Anwesen.
Ein arges Strafgericht musste einmal der Planksche Kater über sich ergehen lassen. In der kleinen Küche von Balberl hatte er sich in einem unbewachten Augenblick über den sonntäglichen Schweinebraten hergemacht. Auf frischer Tat ertappt, bezog er zunächst eine Tracht saftiger Prügel und dann steckte sie ihn kurz entschlossen in die Aschentonne im Hof. Alsbald begann der Peterl gotterbärmlich zu miauen, was sogleich seine „Fraule”, die Plankdamen, in den Hof rief. „Ja, wo is denn der Peterl?”, erscholl immer wieder das mitleidsvolle Rufen. Als sich endlich eine der Damen der Aschentonne näherte und den Deckel lüftete, fuhr der Peterl, mit Asche übersät, wie ein Schachterlteifi aus seinem unfreiwilligen Gefängnis. Das ganze Manöver wurde natürlich von der Übeltäterin vom Klofenster aus mit stiller Freude beobachtet.
Ein anderes Mal war die arme Ottilie Feldmeier aus Buchberg das Opfer. Es war an einem stürmischen Wintertag. Es wachelte und schneite, was vom Himmel konnte. Da telefonierten die beiden zum Briefträger Riepl (er hatte damals in Buchberg das einzige Telefon), Ottilie möchte gleich in den Pfarrhof rüberkommen. Ottilie war Jugendführerin. Der Herr Pfarrer wusste natürlich von nichts, wollte dem Schabernack aber doch auf den Grund gehen und fragte bei Frl. Sturm an, ob sie vielleicht wisse, wer telefoniert habe. Sie wusste natürlich von nichts und außerdem gebe es doch so etwas wie ein Dienstgeheimnis! Armer Herr Pfarrer, arme Ottilie!
Mir spielten sie auch einmal einen Streich. Als ich vom Benefiziatenhaus in die Bäckerei Schwarz umzog, führte der Hiendl Schorsch eine Goaß hinter dem kleinen Möbeltransport her. Für eine Maß Bier hatte er sich für den Spaß bereit erklärt und dazu meckerte er selber wie eine Goaß!
Als der Herr Pfarrer Schosser beim Lang-Schreiner einen Ambo anfertigen ließ, sagte Balberl zu ihm: „Herr Pfarrer, die erste Predigt an dem Ambo hab ich gehalten.” Der Pfarrer erstaunt: „Wia dös?” „Ja, beim ‘Lang Wonga’ hob i an dem Ambo die erste Predigt ghalten!” „Über was ham Sie dann gepredigt?” „Über die kinderlosen Ehen!” (Den Text sollte man haben!)
Ihre Tage im Ruhestand waren gezählt
Kurz war der Ruhestand der Balbina, den sie 1970 antrat. Und schon bald stellten sich Anzeichen einer beginnenden, schweren Erkrankung ein: Gewichtsverlust, mangelnder Appetit, krankhaftes Aussehen.
Wiederholte Bitten, doch einen Arzt aufzusuchen, stießen bei ihr auf schroffe Ablehnung. So nahten die letzten Tage. Am Sonntag, dem 29. Juli 1973 fuhr sie noch in ihrem VW mit Schwester Maria in die „Berngrey” zum Schwammerlsuchen. Am Montag, 30.07., stand sie nicht auf. Ein schlechtes Zeichen! In der Nacht von Montag auf Dienstag erlitt sie den 1. Blutsturz, am Dienstagmorgen den zweiten, worauf Dr. Riedl die sofortige Überführung ins Krankenhaus Straubing anordnete. Ich besuchte sie am Dienstagnachmittag. Sie war bei vollem Bewusstsein und stellte mir die bange Frage: „Soll ich mich operieren lassen?” Ich meinte dazu: „Überlass das den Ärzten.” Es war nicht mehr nötig, denn in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch brach der ganze Kreislauf zusammen. Am Morgen des 1. August 1973 um 9 Uhr tat sie ihren letzten Atemzug.
So endet der Text, den uns Margarete Prandl über Balbina Gall hinterlassen hat. - Vergrößern durch Anklicken!
Quelle: Sigurd Gall/Margarete Prandl, in: Mitterfelser Magazin 9/2003 bzw. Schulchronik Mittelschule Mitterfels
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