Andere Zeiten, andere Sprache

Warum das Englische zu Recht unsere derbe bayrische Mundart immer mehr verdrängt – eine Satire

Von Professor Helmut Zöpfl ( Straubinger Tagblatt, 6.8.2011)


Also, das einzige, was be­ständig ist, ist der Wechsel, könnte man sagen. Sogar ein so nach Ewigkeit klingender Be­griff wie "Geist" ist, wie sich immer mehr herausstellt, dem Wechsel un­terworfen und treibt als "Zeitgeist" auch oft unter dem Deckmantel "Mode" oder kurz "In" sein Unwe­sen. Neu ist die Erkenntnis nicht, denn bereits der Vorsokratiker He­raklit hat das bekanntlich mit dem Wort "Alles fließt" (Panta rhei) aus­gedrückt. Daher ist die ständige Klage gerade unserer Mundart­freunde, dass das Bayrische immer mehr ausstirbt, zwar verständlich, aber eben leider auch unrealistisch.

Versuchen wir uns also auch mit dem unvermeidlichen Wechsel an­zufreunden, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und uns den Gege­benheiten der Moderne zu öffnen. Sehen wir auch die guten Seiten des Fortschrittes im Sinne einer immer mehr globalisierten Welt und ganz anderer Kommunikationschancen als mit einer doch auf engen Raum beschränkten Mundart und z. B. dem früheren, keineswegs am One-World-Denken orientierten Frei­zeitverhalten von Kindern. Welchen Sinn hätte beispielsweise der von wohlwollenden Sponsoren so groß­zügig unterstützte Aufruf "Deutsch­land bewegt sich" früher gehabt, wo sich die Freizeit auch in der rauhe­ren Jahreszeit weitgehend im Freien abgespielt hat? Wir spielten also die meiste Zeit "outdoor".

Wenn man im Nachhinein daran denkt, was sich beispielsweise in meinen Kindertagen draußen ab­spielte, ohne dass uns Heerscharen von Psychologen, Psychotherapeu­ten, Sozialpädagogen, Ergothera­peuten, Streetworkern usw. betreu­ten oder die Pharma-Industrie vor Risiken und Nebenwirkungen warn­ten, z. B. bei der nach Teer riechen­den Ichthyolsalbe - neben dem arg brennendes Jod das Allheilmittel bei ständig aufgeschlagenen Knien, beim Barfußlaufen eingetretene Nä­geln oder Glasscherbenverletzun­gen. Es grenzt also fast an ein Wun­der, dass meine Generation diese Gefahren unbeschadet überstanden hat. Stellen Sie sich nur einige der damaligen Risiken vor: Unreflek­tiertes Essen ohne Ernährungsbera­ter, ohne Kalorientabelle, Unwis­senheit über den Cholesteringehalt des erhamsterten Schweineschmalzes, Fangermandel ohne sportmedi­zinisch erprobtes "Warm-up" eines "Personal Trainers" und dessen Blick auf unsere Herz- und Pulsfre­quenzen. Barfußlaufen womöglich noch in einer schwer zu definieren­den Mixtur aus Feuchtigkeit und Erde (bzw. Dreck) mit dem schönen Wort „Baaz". Unvorstellbar, dass sich ein Teil unserer Spiele bzw. unseres Sports im grauen Hinterhof abspielte, wo als einziges - vom Sport-TÜV nicht überprüftes - Ge­rät die Teppichstange prangte.

Ja, in meiner Jugend stand dem Fußballnachwuchs für sein Einzel­training lediglich eine Hauswand und bestenfalls ein uralter Tennis­ball zur Verfügung. Sogar Franz Be­ckenbauer, so heißt es, soll noch mit diesen bescheidenen Mitteln sein Ballgefühl erworben haben. Unvor­stellbar, wenn der kleine Franz seine sportwissenschaftlich so unbetreu­ten Bubentage mit einem jeweiligen "Warm up" und den modernsten Geräten eines Fitnessstudios mit entsprechender Fachberatung ver­bracht hätte. Da hätte er es sicher noch viel weiter als zum Kaiser ge­bracht. Aber damals war auch er gezwunden, sein fußballerisches Rüstzeug ohne Laktat-Test mit solch albernen Spielen wie Fuß­abwehr oder Ausscheiderl zu erwer­ben. Schon diese Begriffe zeigen ih­ren wissenschaftlichen Unwert in aller Deutlichkeit. So ist es wohl sicher für mein Image besser, wenn ich sage, dass ich "Foot-Defensive" und "Exclusion" trainierte mit den anderen Buben, die allerdings da­mals noch keine "Jungs" waren und nicht Kai-Uwe, Jens und Sven, son­dern Buale, Gagi und Wiggerl hie­ßen und noch Spezeln und keine Gameboys waren.

Aber ganz ehrlich, vielfach mil­dern moderne Ausdrücke die Härte bayrischer Wörter und Sätze auch ab. Ist es nicht wesentlich angeneh­mer, statt als übergewichtiges Kind mit dem Begriff "Wambo" oder "Blunzen" bezeichnet zu werden, einfach als XXXL eingestuft zu werden? Es ist verständlich, dass der Ausdruck "Kracherl" für eine Limonade nicht mehr Verwendung findet, weil er eventuell Assoziatio­nen mit einem kleinen Terroran­schlag herbeirufen könnte. Da klingt doch bei aller Liebe zur bay­rischen Sprache ein "Softdrink" schon viel friedlicher. Wie treffend heißt es statt dem akustisch schon problematischen Begriff "Klapperl" oder "Latschen" modern "Flip-­Flop"!

Auch ein etwas „lätscherter Unterricht" wird heute wohlwol­lend mit dem "Burn-out" des Leh­rers entschuldigt, der sich eben im­mer öfter nach seiner "After-Work-­Time", seinem Feierabend, sehnt.

Viele moderne Ausdrücke haben vielleicht doch einen besseren Klang, um nur einige Beispiele zu nennen: Die "Ratsch-Kathl" wird zur "Small-talk-Cate" und, sofern ihr Wirkungskreis größer ist, sie also eine "Quadrat-Ratschn" darstellt, zur  "Talkmasterin" . Statt "seltsam­er Kauz" klingt doch besser: "Out­sider". Statt "Luader", "Ziefern" oder "Schicksn" sagt man heute lie­ber: "Glamourgirl". Statt "oider Krauderer" einfach "Oldie". Statt "Hundskrippei" und „Lausdean­del": "Teenies" oder "New Generation". Statt "Bißguarn" und "Zwie­derwurzn": "Emanze". Statt "Haus­drachen": “Powerfrau''. Statt „Lät­schenbene": "Unmotivated".

Kein Zweifel besteht wohl auch daran, dass wesentlich charmanter als "zaundürre Heugeign" der Aus­druck "Germany's Next Topmodel" ist. Ein "oagschichtiger Junggsell" wird zum "Lonely Boy". Jemand, der, um mit Sigi Sommer zu spre­chen, weniger Haare hat wie ein Tischtennisball oder eine Billiard­kugel und den man bayrisch oft als "platterten Semmelgeist" bezeich­nete, hört sicher lieber den Aus­druck "Topless".

Wie soeben gezeigt, lässt sich auf Englisch vieles leichter an den Mann bringen. Niemand hätte meine Frau früher dazu gebracht, den von mir schon immer heißgeliebten Millikaf­fee zu trinken. Heute, wo er als Latte Macciato für teures Geld angeboten wird, ist es ihr Lieblingsgetränk ge­worden. Die von mir heißbegehrte Haut lehnt sie noch immer ab. Viel­leicht wird der Latte Macciato aber einmal "Caffee con pelle" eine neue Spezialität.

Natürlich klingen auch einige Tä­tigkeiten anders ausgedrückt viel netter und interessanter: Das "Hat­schen" kann zu "Nordic Walking" werden. Wenn man "alle Viere grad sein lässt", "gstinkert faul" ist, klingt "Relaxing" doch bedeutend schöner. "Fensterln" wird zum "Window Climbing" , "Beichten" zum "Outen".

Und das unschöne: "Mi frierts wia an nackerten Schui­lehrer" würde sich - mein Vorschlag - ganz anders anhören, wenn man sagt: "I am coollike an underdressed teacher". Und ganz ehrlich, ist die Aufforderung "Take it easy" nicht dezenter als unser "Geh lass dich doch am Arsch lecken"?

Ganz zum Schluss noch etwas in eigener Sache. Wie oft wurde ich mit dem Ausdruck Heimat- oder Mund­artdichter bezeichnet. In manchen Ohren und Augen bedeutet das ein Image, als würde man rechtzeitig zur Frühjahrszeit, also im Lenz Hand in Hand mit Florian Silberei­sen auf de Oima zu da Koima aufe­steign, dort den Sommer mit der Sennerin jodelnd verbringen, um dann im Herbst zusammen mit Ma­rianne und Michael gerade noch rechtzeitig wieder zu den besonders in der staaden Zeit angesagten Hoa­gaschts wieder da zu sein, damit man das Schneeberl im Wald besin­gen kann. So habe ich mich ent­schlossen, im Sinne des eingangs zi­tierten "Tempora mutantur, nos et mutamur in illis" auf meine Home­page in der Hoffnung auf mehr Re­spekt zu schreiben: "www.helmut­-zoepfl.de" native and aboriginal ba­varian language speaker@de." Ver­gelts Gott bzw. Thank you for your attention.

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