Brauchtum
Artaban, der vierte König
Die Magier Caspar, Melchior und Balthasar, als die Heiligen Drei Könige bekannt, sind von dem Stern, der die Geburt Christi anzeigte, zu einem verdorrten Dornbusch in einem wüsten Steingebirge geführt worden. Dort sollten sie einen weiteren König, Artaban, treffen.
Die Legende
Die Magier Caspar, Melchior und Balthasar, als die Heiligen Drei Könige bekannt, sind von dem Stern, der die Geburt Christi anzeigte, zu einem verdorrten Dornbusch in einem wüsten Steingebirge geführt worden. Dort sollten sie einen weiteren König, Artaban, treffen. Als der nach mehreren Stunden Wartens nicht zur Stelle war, ritten sie nach Jerusalem und Bethlehem weiter.
Nach drei Tagen kam Artaban mit seinem hinkenden Pferd zur Palme. Bei einem Sturz hatte es sich das Bein verletzt. Aus Mitleid schonte er seinen Weggefährten. Das war der Grund für die Verspätung. So musste der vierte Magier allein dem Stern folgen.
Über Jerusalem führte ihn der Stern nach Bethlehem. Dort sah er viele weinende Frauen. Eine Mutter, die mit drei älteren Kindern am Boden lag, fragte er nach der Ursache. Die ein- und zweijährigen Knaben dieser Frauen seien von den Soldaten des Herodes umgebracht worden. Auch ihr jüngster Sohn habe sein Leben verloren. »Sie haben mich aus dem Haus gejagt«, klagte die Frau. »Wie soll ich diese drei Kinder ernähren? Wo sollen wir wohnen?« Da dachte Artaban an sein Geschenk für das Jesuskind – drei rote Edelsteine - und gab der Frau einen davon. Zwei Steine sollten dem Christuskind wohl reichen, dachte er sich und wollte dem Stern weiter folgen.
Als er sich nach ihm umsah, konnte er ihn nicht mehr sehen. Das machte ihn sehr traurig. Also musste er das Christuskind auf eigene Faust suchen. Aber er fand in Bethlehem niemanden. Er wusste nicht, warum ihn der Stern, der ihn doch zu dem Kind hätte führen sollen, verlassen hatte. Unsicher geworden zweifelte er an sich. War er unwürdig geworden? Hatte er etwas Böses getan?
Da er gehört hatte, dass eine Familie mit einem kleinen Kind, das drei Magier besucht hatten, nach Ägypten geflohen sei, ritt er dorthin. Nach einigen Jahren der Suche in Ägypten und vielen anderen Ländern erschien ihm der Stern wieder. Frohen Herzens folgte er ihm. Ganz sicher würde er ihn jetzt zu dem göttlichen Kind führen. Beim Durchqueren einer Wüste fand er in der prallen Sonne ein schon völlig geschwächtes Mädchen liegen. Es war von seinen Eltern ausgesetzt worden. Artaban gab ihm zu essen und zu trinken und hob es auf sein Pferd. Zusammen ritten sie dem Stern nach, der sie zu einer Stadt führte. Sollte er hier endlich das Christuskind, das schon ein großer Junge sein musste, finden?
Der Stern führte ihn durch das Straßengewirr zu einem ganz armseligen Haus. Sollte es hier sein? Große Freude hatte Artaban ergriffen. Er klopfte an die Tür. Eine ältere Frau öffnete sie. Artaban fragte nach dem Christuskind. Das war dort unbekannt. Die Frau sah das Mädchen, hatte Mitleid mit ihm und lud beide ein hereinzukommen. Nachdem das Mädchen gewaschen war, setzte sie den Gästen Brot und Wasser vor: »Mehr habe ich nicht«, entschuldigte sie sich für das karge Mahl. Artaban erzählte, wie und wo er das Mädchen getroffen hatte. Da sagte sie Frau: »Ich hätte so gerne ein Kind. Aber ich bin bettelarm. Bei mir würde es verhungern.«
Artaban schenkte der Frau den zweiten Stein mit dem Wunsch, dass es das Mädchen bei ihr gut haben solle. Vor der Tür hielt er Ausschau nach dem Stern. Doch der war verschwunden. Abermals überfiel den Magier große Traurigkeit. Wie zuvor irrte er weiter durch viele Gegenden auf der Suche nach Christus.
Wieder nach einigen Jahren erschien der Stern und führte ihn in eine Gebirgsschlucht. Dort begegnete er einer Räuberbande, die drei Frauen gefangen hatte und zum Sklavenmarkt bringen wollte. Er tauschte die Frauen gegen seinen letzten Edelstein und sein Pferd ein. Den Frauen schenkte er die Freiheit.
Als er weiterziehen wollte, um Christus zu finden, war sein himmlischer Begleiter wieder verschwunden. »Bin ich ein so schlechter Mensch, dass er mich immer im Stich lässt?«, fragte er sich. Er wanderte weiter, half Menschen, so gut er konnte, fand aber weder das Christuskind noch den Weg zurück in seine Heimat.
Nach vielen Jahren, in denen er Kranke gepflegt und anderen Notleidenden geholfen hatte, obwohl er selber bedürftig war, lag er erschöpft am Wegesrand und bereitete sich auf das Sterben vor. »Was hast du falsch gemacht, dass du nicht zu Christus gefunden hast?«, fragte er sich. Da erschien der Stern und die alte Kraft kam wieder. Der Stern zeigte ihm den Weg nach Jerusalem. Dort verweilte er über einem Hügel. Mit großer Kraft drängte sich der alte Mann durch die Menschenmassen, die ebenfalls auf den Hügel wollten.
Erschüttert sah er den leidenden Christus am Kreuz. »Herr, ich habe dich endlich gefunden. Segne mich!« Christus lächelt ihn an. In diesem Moment erbebte die Erde, der Stern fuhr als Blitz in den Tempel und Christus starb. Vor dem Kreuz lag Artaban, lächelnd, leblos am Boden.
Die Heiligen Drei Könige – Vorläufer der Amtskirche
In Krippen und auf Gemälden kommen die Heiligen Drei Könige oft in einem prächtigen Aufzug heran. Sie anerkennen als Heiden (!) Jesus als Inhaber auch der weltlichen Macht. Legenden erzählen, dass die Drei nach der Rückkehr in ihrer Heimat in den Tempeln den Stern mit dem Kindlein und Kreuz aufstellen ließen (siehe: http://ak-heimatgeschichte.mitterfels-online.de/joomla/index.php?option=com_content&view=article&id=1203:lux-aeterna-anmerkungen-zu-einer-krippe-von-tobias-haseidl-oberammergau&catid=41:was-gibts-sonst-noch&Itemid=71, 26.12.2014). Daraufhin wandten sich die Menschen von den alten Göttern ab und beteten das Kindlein an. Nach vielen Jahren taufte der Apostel Thomas die Könige und weihte sie zu Bischöfen. Nach ihrem Tod taten sie viele Wunder. Das erzählt Johannes von Hildesheim (1320/20-1375).Jetzt liegen ihre Gebeine im Kölner Dom. (Siehe dazu: Manfred Becker-Huberti: Die Heiligen Drei Könige. Geschichte, Legenden und Bräuche, Köln 2005)
Artaban – der Individualist
Artaban, dessen Geschichte ich im Stil einer Legende oben nach verschiedene Vorlagen (nach)erzählt habe, verfolgt einen völlig gegensätzlichen Weg: Er hilft anderen. Damit ist er ein Beispiel für die tätige Nächstenliebe von Christen. Sein religiöses Leben schwankt zwischen Hoffnung, wenn der Stern auftaucht, und Zweifel, wenn er verschwunden ist. Sein Inneres führt ihn aber doch zur Erfüllung eines christlichen Lebens.
Drei Erzählelemente von Legenden habe ich in meiner Geschichte verbunden:
1. Artaban kommt zu spät zur Krippe, weil ihn seine Mildtätigkeit aufgehalten hat.
2. Eine Erzählergänzung ist, dass er der Heiligen Familie nach Ägypten folgt, sie aber nicht findet, bis er als Diener in einem Wirtshaus die Geschichte von Christus erzählt bekommt.
3. Er irrt so lange durch die Welt, bis er Christus am Kreuz findet und gleichzeitig mit ihm stirbt.
Diese Stränge habe ich verbunden und ein wenig modifiziert (z. B., dass er sein verletztes Pferd aus Mitleid schont und deshalb zu spät kommt. Manchmal werden auch die Tiere in den weihnachtlichen Kontext gestellt.)
Erfülltes Leben
Die vorletzten Worte von Christus sind: »Es ist vollbracht!« (Johannes 19,30) Dies habe ich mit dem Lächeln der Zufriedenheit über die erfüllte Aufgabe ausdrücken wollen, das zugleich Artaban signalisiert, dass sein (Leidens/Lebens)Weg auch zu Ende ist, und zwar glücklich. Beide haben ihre Lebensaufgabe erfüllt: sich für andere zu opfern. Das Lächeln zeigt auch, dass hier die »Begegnung« stattfindet wie die der drei Könige an der Krippe.
In einer anderen Erzählung erklärt Christus, dass er immer bei ihm, Artaban, gewesen sei, wenn er Armen und Notleidenden geholfen habe: »Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.« (Matthäus 25, 40), Bei einem anderen Autor beklagt Artaban den Verlust der Steine, die er Christus ursprünglich habe schenken wollen. Nun könne er ihm nur seine Armut, seine Schwäche und seinen Glauben schenken könne. Daraufhin stirbt er lächelnd.
Einordnung in die Literaturgeschichte
Eine Einordnung in den literarischen Kontext meiner Version nimmt Gerhard Bogner vor: Er vergleicht Artaban mit der Königin von Saba. »Diese beiden heidnischen Einzelgänger des Orients suchen auf der wundersamen Reise nach Westen ihre Erfüllung. Mit den Argonauten, Odysseus und der Ariadne wesensverwandt, geraten sie auf der legendären Wanderschaft durch die Jahrhunderte in die christliche Heilsgeschichte. Sie repräsentieren das Wagnis des Fortgehens und das späte Erreichen eines Zieles auf vielen Umwegen durch den festen Glauben, durch das Wissen einer geheimen Führung (durch den Stern) und die Erfahrung ihrer Mitmenschlichkeit.« (Das neue Krippenlexikon, Lindenberg 2003, S. 127)
Die Legende behandelt also den Aufbruch zu Neuem (Christus), die Mildtätigkeit und den unbeirrbaren Glauben an das Neue, also an Christus.
Auch moderne Autoren haben den Legendenstoff neu bearbeitet. Der amerikanische Theologe Henry van Dyke erzählt sie in »The Story of The Other Wise Man« (1992). Edzard Schaper sieht in seinem Roman »Der vierte König« (1961) in der Legende eine Metapher für seine erlittenen Verfolgungen und Fluchten unter Hitler und Stalin. Wie leicht könnte man doch die Problematik von Asylsuchenden mit der Geschichte von Artaban erläutern.
Das Ich und die Institution
Warum hat die Geschichte von Artaban bis in unsere Zeit überlebt? Die Hirten bleiben als »Volk« auf ihrem Platz. Die Führungsschicht (Könige) hatte die Mittel zu reisen. Die drei Könige übertragen ihre Reiseerfahrung auf ihre Heimat und garantieren einen Fortschritt. Sie machen aus ihren Erfahrungen eine Organisation. So wird Religion zum Instrument der Gesellschaftsgestaltung. Artaban entpuppt sich als der ewige Wanderer, der einen Weg individuell gehen will.
Vergleicht man Artaban mit den drei Königen, so finden sich viele Gegensätze.
Verblüffend drängt sich die Aktualität auf. Denn der Papst Franziskus hat, wie der Heilige Franz von Assisi, Kritik an der prunkvollen Machtentfaltung der Kurie geübt und im Sinne der Nachfolge Christi Armut und tätige Nächstenliebe gefordert. Es schließt sich damit der Kreis unserer Darstellung der Lebensgeschichte des vierten Königs mit den weihnachtlichen Äußerungen des Papstes Franziskus, der die Kardinäle des Vatikans tadelt und von allen Menschen mehr Nächstenliebe fordert. Dafür ist Artaban ein gutes Vorbild.
Die Figur auf dem Bild stammt aus der Krippe des Autors und wurde von Tobias Haseidl, Oberammergau, angefertigt.
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