Hexenprozesse im Pfleggericht Mitterfels
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Burg Mitterfels (nach einem Gemälde Donauers im Antiquarium der Münchner Residenz von 1590) - Darstellung aus der Zeit, als auch im Pfleggericht in der Burg Mitterfels Hexenprozesse stattfanden.
Autor: Dr. Gerhard Schwertl (in neuer gestalterischer Bearbeitung durch die Redaktion), Erstveröffentlichung im Mitterfelser Magazin 1/1995 (S. 21)
Hexenwahn und Hexenverfolgungen beschäftigen nicht nur seit längerer Zeit die Forschung, sondern faszinieren auch immer wieder die an historischen Fragen interessierte Öffentlichkeit, zumal bei der gegenwärtigen Hochkonjunktur von Esoterik und Okkultismus. Im Gegensatz zur Fülle der mehr oder minder zuverlässigen allgemeinen Literatur zum Thema fehlt es - jedenfalls für Altbayern - fast völlig an Einzeluntersuchungen, was auf die grundsätzlich ungünstige Quellenlage zurückzuführen ist. Überraschende Quellenfunde im Staatsarchiv Landshut haben mir jedoch ermöglicht, eine Geschichte der Hexenprozesse wenigstens für einen kleinen Bereich Niederbayerns, nämlich das frühere Pfleggericht Mitterfels, vorzulegen. Ich habe meine Forschungsergebnisse mit exakten Quellenangaben in einem Aufsatz (erschienen in den „Verhandlungen des Historischen Vereins für Niederbayern“ 116 - 117, Landshut 1990 - 1991, S. 209 - 235) veröffentlicht und verweise bezüglich der Einzelheiten darauf.
Burg Mitterfels (nach einem Gemälde Donauers im Antiquarium der Münchner Residenz von 1590) - Darstellung aus der Zeit, als auch im Pfleggericht in der Burg Mitterfels Hexenprozesse stattfanden.
Leider hat eine dramatische Bearbeitung des von mir beschriebenen Prozesses der Margaretha Würthin von 1724 anscheinend einige alte, durch meine Arbeit bereits widerlegte Klischeevorstellungen erneut aufgewärmt und damit für Verwirrung in Mitterfels und Umgebung gesorgt. Die so entstandenen Missverständnisse durch eine nochmalige sachliche Darstellung der quellenmäßig belegten Tatsachen auszuräumen, ist der Zweck dieser Ausführungen.
Hexerei, Zauberei, Gotteslästerung
Im Mittelalter war Hexerei als eigenes Delikt noch kaum definiert; sie wurde meist im Zusammenhang mit dem Delikt der Zauberei neben Ketzerei und Gotteslästerung von den geistlichen Gerichten abgeurteilt; die Bestrafung der Delinquenten erfolgte dann meist durch die weltlichen Gerichte. Der sich erst im Lauf des 15. Jahrhunderts voll entwickelnde Begriff des Hexenwesens wurde bekanntlich endgültig verfestigt durch die Bulle „Summis desiderantes affectibus“ Papst Innozenz' VIII. von 1484. Sie bildete die Grundlage für das 1487 im Druck erschienene, als Autorität geltende und fast 200 Jahre lang immer wieder aufgelegte Werk „Malleus maleficarum“ (Hexenhammer) der Dominikaner Institoris und Sprenger. Damit sind die Voraussetzungen für die Hexenverfolgungen geschaffen. Die gesamte Zuständigkeit dafür ging in der Reformationszeit bei Ausbildung des landesherrlichen Kirchenregiments an die Landesfürsten und Reichsstädte bzw. deren Gerichte über. Im Herzogtum bzw. Kurfürstentum Bayern setzt die Verfolgung gegen Ende des 16. Jahrhunderts ein, erreicht im 17. Jh. ihren Höhepunkt, um dann schnell abzuflauen und um die Mitte des 18. Jahrhunderts zu enden.
Mallaeus maleficarum (Hexenhammer, 1487)
Als einschlägige Quellen zu den einzelnen Hexenprozessen wären zunächst die Prozessakten heranzuziehen. Doch hier beginnen bereits die Schwierigkeiten. Die Strafprozessakten der kurbayerischen Land- und Pfleggerichte vor 1800 wurden aus rein formaljuristischen Gründen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Nachfolgebehörden, den Landgerichten älterer Ordnung, systematisch makuliert. So bedeutete für mich der Fund des offenbar einzigen (wenn auch nicht ganz komplett) der Vernichtung entgangenen Hexenprozessaktes (Prozess der Margaretha Würthin zu Mitterfels 1724) im Staatsarchiv Landshut eine gewisse Sensation.
Prozess der Margaretha Würthin zu Mitterfels 1724
>>> Vergrößern durch Klick in Abbildung!
Deckblatt zum Prozessakt der Margaretha Würthin von 1724 (Staatsarchiv Landshut, Pfleggericht Mitterfels, A163). „Malefiz- Act. Von No. 1 bis 62 inclusive. Die allhier zu Mitterfels in puncto furti, infanticidii et commixtionis cum diabolo verhafft gewesste und den 15 ten Dezember 1724 mit dem Schwerdt von Leben zum Todt hingerichte und sovolgents zu Aschen verprendt wordene Margaretha Würthin von Pumbhofen betreffend. Dises soll ein Scheidter hauffen sein.“ (Abdruck mit Genehmigung des Staatsarchivs Landshut)
Die sogleich als mögliche Ersatzüberlieferung für die vernichteten Akten erkannten Mitterfelser Gerichtsrechnungen erwiesen sich in ihren Aussagen über die dortigen Hexenprozesse als überraschend ergiebig. Keine der ursprünglichen drei parallelen Rechnungsserien (die beim Pfleggericht und außerdem zur Rechnungsprüfung jeweils noch beim Rentmeister zu Straubing und bei der Münchner Hofkammer hinterlegt waren) ist heute noch vollständig vorhanden. Doch die Rechnungen beginnen mit dem Jahrgang 1584 und reichen (mit zwei größeren Lücken in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts) fast geschlossen herauf bis zum Ende der Hexenverfolgungen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Sie enthalten unter den Ausgaben jeweils eine Rubrik „Ausgaben auf Atzung“, unter der (zu fiskalischen Zwecken) die Kosten für die Verpflegung, aber auch allenfalls für die Folterung und Hinrichtung der in den Eisenfronfesten (Kriminalgefängnissen) Mitterfels und Bogen inhaftierten Delinquenten so genau aufgeführt werden, dass daraus wesentliche Aussagen über die Prozesse zu gewinnen sind.
Pfleggericht Mitterfels - eines der größten in Bayern
Das Pfleggericht Mitterfels war eines der größten Gerichte im Kurfürstentum Bayern. Es umfasste die Märkte Bogen und Falkenstein, die Klöster Oberaltaich, Windberg, Frauenzell und Metten sowie insgesamt 43 Hofmarken, Schlösser und Adelssitze.
Das Pfleggericht Mitterfels war eines der größten Gerichte im Kurfürstentum Bayern. (Karte von 1710)
Als landesherrliche Unterbehörde war es für die hohe und niedere Gerichtsbarkeit, die gesamte innere Verwaltung, die Steuererhebung und das militärische Aufgebot zuständig mit Ausnahme der den Hofmarken zustehenden niedergerichtlichen und administrativen Befugnisse. Das Pfleggericht verfügte über zwei Eisenfronfesten mit „Malefizschrannen“ (Richtstätten) in Mitterfels und Bogen. Gerichtssitz war das Mitterfelser Schloss mit seinen Amtsräumen, der Wohnung des Pflegers bzw. Pflegskommissars und dem Gefängnis. Behördenvorstand und Leiter aller Straf- und Zivilverfahren war ursprünglich der Pfleger, seit Beginn des 17. Jahrhunderts dessen ständiger Vertreter, der Pflegskommissar, der sich seinerseits wieder durch den Gerichtsschreiber vertreten lassen konnte. Beide leitenden Beamten waren stets Volljuristen. Als Hilfsorgane standen ihnen Amtleute (Fronboten, Schergen) und manchmal noch Eisenamtleute (für die Festnahme und Bewachung von Delinquenten) zur Verfügung.
Sitz des Pfleggerichts war das Mitterfelser Schloss (heute Sitz der Verwaltungsgemeinschaft Mitterfels)
Die frühere Eisenfronfeste (Gefängnis), heute Burgmuseum Mitterfels
Wie aus den Rechnungen hervorgeht, hatte das Pfleggericht Mitterfels meist nur die Untersuchungen zu führen und deren Ergebnisse an die nächste Instanz in Strafsachen, die Regierung Straubing, zu berichten, die praktisch die Verfahren schriftlich leitete. Für die Abfassung von Todesurteilen wurde ein eigener, für das ganze Rentamt Straubing zuständiger Bannrichter zugezogen; Folterungen und Hinrichtungen waren Sache des Scharfrichters, der mit seinen Gehilfen bei Bedarf aus Straubing angefordert werden musste. Geistliche Inquisitoren waren in Bayern, zumindest seit Beginn der Neuzeit, nicht tätig. Die einzige Funktion der Geistlichkeit bestand (nach den Rechnungen) darin, besonders verwahrlosten Delinquenten, meist Bettelkindern, Religionsunterricht zu erteilen; zu diesem Zweck musste das Kloster Oberaltaich mehrmals Patres (darunter auch einen „Hexenpater“, der offenbar Erfahrung als Beichtvater in Hexenfällen hatte) abordnen. Rechtliche Grundlage aller Hexenprozesse bildete bis zu deren Erlöschen die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. (die sog. Carolina) von 1532, ergänzt durch die bayerische Malefizprozessordnung von 1616.
Prozesse und Untersuchungen 1584 - 1738
Für den Zeitraum zwischen 1584 und 1738 (mit den erwähnten Überlieferungslücken) konnte ich für das Pfleggericht Mitterfels 48 Prozesse und Untersuchungen wegen der Delikte Hexerei, Magie, Teufelspakt und -buhlschaft sowie Schatzgräberei (mit Teufelsbeschwörung) nachweisen (die Einzelheiten sind meinem Aufsatz zu entnehmen).
Eine kleine Auswahl zeitgenössischer Formulierungen als Beispiele für die Denkweise der Zeit mag hier nicht uninteressant sein. Die Anklagen und Urteile erfolgen
* „(in) causa veneficii“ (wegen Hexerei; häufigste Bezeichnung des Delikts), „teuflischer Verbindtnus und Beschworung halber“ (1675),
* „in puncto intendatae diabolicae coniurationis“ (wegen beabsichtigter Verschwörung mit dem Teufel, 1727),
* „in puncto furti et suspecti pacti diabolici“ (wegen Diebstahls und Verdachts auf ein Bündnis mit dem Teufel, 1722),
* „hex- und aberglaubischer Sachen halb“ (1694),
* „magischer Sachen halb“ (1700),
* „in puncto matricidii et magiae“ (wegen Muttermordes und Zauberei, 1726),
* wegen „Paizerey“ (1670) oder „verdechtigen Wolfpaitzens willen“ (1672; „paizen“ = Schadenzauber verüben),
* „puncto thesauri effodiendi“ (1719), deutsch „Schatzgrab- oder Erhebungs halber“ (1701).
„Beschraitte Hexen Persohnen“ zu Mitterfels werden erstmals 1630 erwähnt. Barbara Luxin, Marktdienersfrau zu Bogen, äußert sich über Magdalena Roßmayrin, verwitwete Schneiderin ebenda: „wolle darauf sterben, daß sye ihren Mann gehext, seye also ein Hex und bleibe ein Hex“ (1687). Anna Zimmermannin beschuldigt sich selbst, „von ainichen Wetter machen khindig zu sein“ (1702). Katharina Pichlerin, Hüterin zu Reisachanger, beschwert sich, daß Jacob Puelespeckh, Weber ebenda, sie „für ein Hex und Gabelfahrerin außgerueffen“ (1708). Der Bettelbub Joseph Pogner von Gottesberg gesteht, er habe „auch mit dem bösen Geist etwelche Gemainschafft gepflogen“ (1710). Barbara Stögpeurin von Hinterholzen gesteht, sie habe beim Bauern zu Tiefenbach „die Oxen und Roß, das sie nit fressen khündten, zaubern wollen“ (1717).
„Ein erschröcklich geschicht Vom Tewfel und einer unhulden / beschehen zu Schilta bey Rotweil in der Karwochen 1533 Jar" - Die "Hexen" wurden in Bayern nicht - wie auf diesem Flug-(Hetz-)Blatt von 1533 bei lebendigem Leibe verbrannt, die Hinrichtung wurde durch Strangulierung oder - wie bei Margaretha Würthin - durch Enthauptung vollzogen. Danach wurden die zum Tode Verurteilten verbrannt.
Von den insgesamt 102 in Mitterfels und Bogen inhaftierten Personen waren 64 Männer und 38 Frauen; auch 11 Kinder beiderlei Geschlechts befanden sich darunter. Nur ein knappes Viertel aller Verfahren, nämlich 11, endete mit insgesamt 16 Todesurteilen. Davon wurden 15 durch Hinrichtung vollstreckt, eines durch Begnadigung aufgehoben. Die Hinrichtungen wurden nicht mehr durch Verbrennung bei lebendigem Leib, sondern, wie bereits seit etwa 1600 üblich und auch in der Malefizprozessordnung von 1616 empfohlen, durch Strangulierung an einer hölzernen Säule vollzogen; anschließend wurden die Leichen verbrannt. Eine Ausnahme bildet nur die 1724 als Hexe und mehrfache Kindsmörderin veruteilte Margaretha Würthin, die mit dem Schwert enthauptet und dann verbrannt wurde. Glimpflicher kamen einige männliche Delinquenten davon, die zu Schanzarbeiten in der Festung Ingolstadt (von einigen Monaten bis zu sechs Jahren) verurteilt wurden.
Pranger in Illmenau
"Schandgeige" - Darstellung im Oberhausmuseum in Passau
Die meisten Verfahren wurden jedoch wegen Mangels an Beweisen (manchmal sogar trotz Anwendung der Folter) eingestellt. In solchen Fällen mussten die Verdächtigen - oft nach Auspeitschung - am Pranger oder mit umgehängter „Hexentafel“ bei brennenden Kerzen an ein bis zwei Sonntagen vor der Kirchentüre stehen und wurden dann entlassen und des Landes verwiesen. Bisweilen wurden Häftlinge nach Straubing oder München überstellt; ihr weiteres Schicksal geht dann aus den Quellen nicht mehr hervor. Verwahrloste Bettelkinder erhielten Religionsunterricht und wurden den Amtleuten oder Bürgern zur Erziehung und Erlernung eines Handwerks übergeben.
Ein abgewogenes Urteil über die Mitterfelser Hexenprozesse darf die Tatsache einer lückenhaften und hauptsächlich die letzte Phase der Verfolgungen dokumentierenden Quellenüberlieferung (in Niederbayern immer noch die beste) nicht ignorieren. Aber auch unter diesem Vorbehalt sind, wie meine Ausführungen zeigen, die sensationslüsternen Klischeevorstellungen über Hexenverfolgungen, jedenfalls für diesen lokalen Bereich, zu korrigieren; die historische Wirklichkeit erweist sich in der Regel als vielschichtiger und farbiger. Was bleibt, ist freilich bitter genug: eine der traurigsten menschlichen Verirrungen, mit deren überheblicher Verurteilung allerdings eine Gesellschaft zurückhaltend sein sollte, in der wieder atavistische Formen von Schwarzer Magie, Satans- und Hexenkult möglich sind.
Fotos: Franz Tosch - außer "Hexenhammer", Flugblatt "Schilta" und Pranger Illmenau (wiki/Commons)
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