Nationalpark Bayerischer Wald
Schuld an allem ist nur die Eisenbahn
Elegant überspannte die Brücke die Bahnlinie bei Röhrnau. Bei Hitze und Regen bietet sie heute den Wanderern Schutz. Die gleiche Brücke stand in Wiespoint und befindet sich noch beim Bahnhof in Mitterfels. Foto: Otto Wartner - Vergrößern durch Anklicken!
Vor rund 125 Jahren war der Bau der Eisenbahnlinie von Straubing nach Cham in vollem Gange.
Haargenau vor hundert Jahren wurde mit Hochdruck an der Fertigstellung des Abschnittes zwischen Steinburg und Konzell gearbeitet. Fast jede Woche begutachteten die Einheimischen mit kritischen Blicken den zügigen Fortgang der Arbeiten. Bisher nicht gekannte Erdbewegungen beim Durchstich von Erhebungen und die Aufschüttung von Dämmen unglaublicher Länge und Höhe sorgten ebenso für Staunen wie die eleganten Bögen der Brücken. Besonders die Geschicklichkeit der italienischen Brückenbauer wurde gebührend gewürdigt.
Die vielen am Bau eingesetzten Italiener bildeten eine fest verschworene Gemeinschaft. So hatten sie das Maulhof-Anwesen, Gemeinde Obermühlbach (heute Gemeinde Neukirchen), gekauft und sogleich durch eigenhändig gebrannte Ziegel und Natursteine so ausgebaut, dass möglichst viele Landsleute ein Dach über dem Kopf hatten. Während die Mehrzahl der Italiener an der Bahnlinie schuftete, sorgten einige Kameraden auf dem Anwesen dafür, dass die Erzeugnisse aus Feld und Stall als nahrhafte Speisen auf den Tisch kamen. Auch wurde das weitläufige Anwesen so hergerichtet, dass die vielen Pferde, die als Zugtiere für die Rollwägen auf der Baustelle dienten, genügend Platz hatten. Nach Fertigstellung der Bahnlinie wurde das Anwesen wieder verkauft.
Ganz von selbst entwickelte sich zuweilen aus einem staunenden Blick eines Einheimischen ein Gespräch, bei dem meist Gesten eher zur Verständigung führten als Worte. Nicht verwunderlich war es, dass die Italiener mit scharfen Augen nach der Damenwelt Ausschau hielten. Umgekehrt ließ das fremdländische Aussehen bei den einheimischen Mädchen zuweilen das Herz höherschlagen. So war es nicht erstaunlich, dass die nähere Bekanntschaft mit einem Südländer bei einem Mädchen in zunehmender Leibesfülle in Erscheinung trat.
Nun trug sich in einer Ortschaft, die unmittelbar von der Bahnlinie berührt wurde, etwas Seltsames zu. Im Jahr nach dem Baubeginn der Eisenbahnlinie waren in diesem Dorf alle Frauen - mit einer Ausnahme - schwanger. In der näheren Umgebung sorgte der erste „Italiener-Bankert” für reichlich Gesprächsstoff. Da trat ein Mann auf einen Bauern, dessen Frau hochschwanger war, zu mit der Frage: „Hast du auch schon Deinen Italiener?” Der Bauer brauchte einen Augenblick, um die Frage zu verstehen. Doch dann verzerrten sich seine Gesichtszüge zu einem furchterregenden Anblick, Zornesröte stieg in sein Antlitz. Die Finger ausstreckend und wieder zur Faust ballend schritt er seinem Hof zu. Die Haustür fiel lauter als gewöhnlich hinter ihm ins Schloss. Wortlos ging der vermeintlich Gehörnte auf seine Frau zu und verprügelte sie ordentlich. Die Frau konnte sich das Verhalten ihres Mannes nicht erklären und weinte still vor sich hin. Der Haussegen hing für einige Tage schief. Als die Frau kurz darauf einen gesunden Buben gebar, warf auch der Bauer einen Blick in die Wiege. Er staunte nicht schlecht, dass der Bub gar keine südländischen Züge aufwies, sondern ihm, dem Vater, wie aus dem Gesicht geschnitten glich. Die Gesichtszüge des Bauern wurden wieder heiter. Nach einem versöhnenden Gespräch mit seiner Frau stand für beide fest: Schuld an allem ist nur die Eisenbahn!
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