Nationalpark Bayerischer Wald
Vor 100 Jahren: Der ungesühnte Raubmord
Am 12. Oktober des Jahres 1920 stapfte in der Frühe der Mühl- und Sägewerksbesitzer Franz Xaver Merl von Wenamühl dem Bahnhof Mitterfels zu. Der Frühzug brachte ihn ...
... planmäßig nach Straubing. Herr Merl hatte eine „dicke” Brieftasche bei sich, denn auf dem Straubinger Rossmarkt wollte er ein kräftiges Pferdegespann kaufen, das aus dem heimischen Wald die schweren Stämme zum Sägewerk ziehen sollte. Trotz eifriger Suche fand er nicht die passenden Gäule und so genehmigte er sich in einem Wirtshaus eine Stärkung. Dabei dürfte sich etwa dieser Dialog abgespielt haben: „Ist da noch frei?” „Ja freilich!” „Hast dich auch ein wenig bei den Rössern umgeschaut?” „Zum Holzreißen hätt’ ich ein schweres Paar gebraucht.” „Schaut mich so an, als ob du nichts gefunden hättest, sonst wärst jetzt nicht da herinnen, sondern auf dem Heimweg. Na ja, dann bringst wenigstens das Geld wieder heim.”
Nach dem kurzen Frage- und Antwortspiel zeigte der Fremde ein auffallendes Interesse an den Aus- und Umbauplänen, von denen Herr Merl erzählte. Die Neugierde des unbekannten Tischnachbarn gipfelte schließlich in der Frage, ob er sich „die ganze Sach” in Wenamühl ansehen dürfte. So bestiegen der Mühl- und Sägewerksbesitzer und der scheinbar wissbegierige Unbekannte den Abendzug nach Mitterfels. Einigen Mitreisenden kam der Unbekannte etwas komisch und seltsam vor; und als dieser sich zwischen Steinburg und Wiespoint auf die Plattform begeben hatte, wurde Herr Merl deshalb von Mitreisenden angesprochen. Er aber schöpfte keinen Verdacht, und so entstiegen diese beiden Fahrgäste in Mitterfels dem Zug, um auf dem Bahnkörper ihrem Ziel zuzugehen. Gegen 7 Uhr abends hörten einige Rogendorfer einen Schuss, dem aber um diese Jahreszeit niemand eine Bedeutung zumaß.
In Mitterfels bestieg am nächsten Morgen eine junge Frau den Frühzug, um an ihre Arbeitsstelle in Konzell zu gelangen; sie erlernte dort nämlich den Beruf einer Näherin. Sie setzte sich an einen Fensterplatz und schaute dem heraufziehenden Morgen entgegen. Schon nach kurzer Fahrt machte sie eine eigenartige Entdeckung: Am Bahndamm lag ein Mann, das Gesicht mit einem Hut bedeckt; neben der Gestalt steckte ein Spazierstock fest im Boden. Sie meldete ihre Beobachtung sofort dem Schaffner. Vom Bahnhof Haselbach wurde die Polizei in Mitterfels verständigt. Diese konstatierte bei dem Toten im Hinterkopf eine Schussverletzung. Ein Spürhund wurde auf die Fährte gesetzt. Der Hund erschnüffelte eine Spur, die von der Leiche ca. 30 Meter zu einem Tümpel führte, dann wieder zurück zum Bahndamm und zurück zum Bahnhof Mitterfels. Hier sprang der Hund im Wartesaal auf den Tisch, um dann eine Spur zum Gleis zu verfolgen, die sich aber hier verlor.
Die weiteren Ermittlungen ergaben: Der unbekannte Begleiter von Herrn Merl schrieb sich Z. (Der Name darf aus Datenschutzgründen nicht genannt werden.) Bei dem Aufenthalt auf der Plattform zwischen Steinburg und Wiespoint hat er mit Sicherheit seine Pistole geladen. Vom Bahnhof Mitterfels gingen die beiden Männer auf den Schwellen zwischen dem Schienenstrang, das Opfer voraus, der Täter hinterdrein. Die Spur zum Tümpel besagt wohl, dass der Täter entweder eine falsche Fährte setzen wollte oder sich die Schmauchspuren von Gesicht und Händen gewaschen hat. Dieser Herr Z. gab an, Herrn Merl nur bis zur Brücke, die das Gleis kurz nach dem Bahnhof Mitterfels überspannt, begleitet zu haben, um dann wieder umzukehren, da er an einer Besichtigung der Wenamühle nicht mehr interessiert war. Er sagte weiter, dass er mit dem letzten Zug dann die Fahrt nach Straubing angetreten hätte. Trotz massiver Verdachtsmomente konnte er als Täter nicht überführt werden. Eine Tatwaffe wurde nicht gefunden. Der Tote hatte weder Geld noch Brieftasche bei sich.
Dieser Raubmord wurde somit nie gesühnt. Die Witwe verkaufte den gesamten Besitz in Wenamühl und erwarb das sog. Lankes-Haus in Mitterfels. Herr Z. wanderte nach Amerika aus. In der Heimat normalisierte sich das Leben; nach und nach wuchs über die Mordtat das sprichwörtliche Gras.
Viele, viele Jahre später drang nach Haselbach die Kunde durch, dass der Tatverdächtige auf dem Sterbebett den Mord gestanden hat.
Die Information stammt von Herrn Josef Schmid aus Dachsberg, dem Enkel des Ermordeten.
>>> Zur "Wechselvollen Geschichte der Wenamühle" gibt es im Rahmen unseres Mühlenthemas einen ausführlichen Beitrag von Sigurd Gall [... hier]. Der Aufbau geht schneller, wenn Sie durch Scrollen mithelfen.
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