Bayerische Geschichte
Sechs Bomberstaffeln für ein Gleis nach Bogen
Was fast 1000 Fünfzentnerbomben nicht vermocht hatten, erledigten Pioniere der Wehrmacht mit wenigen Kilogramm Dynamit, bevor die US-Amerikaner am 26. April 1945 in Bogen einmarschierten. Der Mittelteil der Eisenbrücke versank in den Fluten. Foto: Privatarchiv H. Erwert (Vergrößern durch Klick ins Bild!)
Eisenbahnbrücke zerstört – Sekundenbruchteile entscheiden über Wallfahrtskirche
Die Eisenbahnbrücke auf der Strecke Straubing–Bogen hat eine über 100-jährige Geschichte. Ende des Zweiten Weltkriegs war sie Ziel der Zerstörung durch eine große US-amerikanische Bomberflotte geworden. ...
Der Autor Helmut Erwert hat aus US-amerikanischen Quellen eine detailreiche Recherche über den Angriff vom 16. April 1945 auf die Eisenbahnbrücke vorgelegt und in seinem kürzlich erschienenen Buch „Schicksalstage im Herzen Ostbayerns“ veröffentlicht. Wir bringen daraus eine überarbeitete, gekürzte Fassung:
Am 16. April 1945 lag Deutschland ausgeblutet und zerstört am Boden. Die US-Truppen hatten einen Teil von Bayern erobert, waren im Vormarsch auf den Rest des Landes. Die inzwischen riesenhafte Luftüberlegenheit der Alliierten schickte an diesem Tag insgesamt 8 669 Flugzeuge – der USA, der Royal Air Force, der Franzosen – in den Luftraum über dem Restgebiet Deutschlands.
Über die Mission vom 16. April 1945 nach Straubing-Bogen zur Ausschaltung der Donaubrücke verwahrt das US-Nationalarchiv in Washington D. C. viele Hundert Seiten Dokumentationsmaterial. Der gesamte Einsatz ist rekonstruierbar, die Namen aller 620 Besatzungsmitglieder, die damals den Angriff auf die Brücke flogen, sind überliefert.
Die 305. und die 303. Bombergruppe nach Bogen bestand aus je drei Staffeln, jede Staffel aus durchschnittlich zwölf viermotorigen B-17-Bombern. Ziel des Angriffs war die Ausschaltung der Eisenbahn-Nebenstrecke von Straubing über die Donau nach Bogen, Miltach und Cham. Mit dieser Strecke gab es einen Anschluss an die Gleisführung nach Schwandorf sowie über Furth im Wald in das damalige Protektorat Böhmen und Mähren.
Von den insgesamt 76 nach Bogen befohlenen Bombern der zwei Gruppen verfügte jedes Flugzeug über vier Doppelsternmotoren mit einer Gesamtstärke von 4800 PS, war nur mehr mit acht Besatzungsmitgliedern bemannt. 13 schwere Bord-MGs standen pro Flugzeug zur Abwehr gegen deutsche Jäger zur Verfügung.
Der Angriffsflug
Am Morgen des 16. April 1945 lag ausgedehnter Nebel über dem Süden Englands. Für die hundertfünfzig Piloten und Copiloten der zwei Bombergruppen, die auf ihre Mission vorbereitet wurden, hieß das konkrete Flugziel: „Straubing – Railway Bridge“. Keiner von den Männern hatte jemals den Ortsnamen gehört.
Als sich der Nebel gegen Mittag auf den Militärflughäfen Südenglands lichtete, starteten die Bomber – jeder mit zwölf Stück 500-Pfund-HE-Sprengbomben (HE = „High Explosives“) im Bombenschacht, von denen jede umgerechnet 226,8 kg wog. Der lang gezogene Pulk des Bomberstroms wurde von Rotten von Begleitjägern eingeholt und beschützt. Die beiden Gruppen nach Bogen waren alterprobte Flugverbände, hatten sich Kosenamen zugelegt – die 305. Gruppe aus 39 viermotorigen B-17-Bombern hieß „Can-do“ („Du schaffst es!“), die 303. Gruppe hatte sich den Namen „Hell’s Angels“ zugelegt, was den eigenen Leuten Mut machen, für den Gegner nicht gerade beruhigend sein mochte. Vorausfliegende „Pfadfinderflugzeuge“ schossen Rauchraketen auf die Eisenbahnbrücke, die beiden Gruppenführer („Lead Officers“) in ihren Leitmaschinen schwebten in 6000 Metern Höhe voran, zielten auf die zur Brücke weisenden Rauchmarkierungen, in langer Linie folgten ihnen die einzelnen Staffeln.
Beobachtungen am Boden
Am Montag, dem 16. April 1945, wurde nach dem Mittagsläuten in Bogen Fliegeralarm ausgelöst, doch die Bevölkerung hatte keine Befürchtung eines Bombenangriffs auf ihren Ort. Feindliche Flotten hatten oft schon den Markt überflogen. Der jugendliche Zeitzeuge Georg Wagner hinterließ folgende Schilderung: Wenn Fliegeralarm war, liefen wir auf den Bogenberg und verfolgten die Flieger. Die Tiefflieger kamen aus Richtung Oberalteich-Bahnhofstraße über den Bogener Marktplatz und flogen zur Bahnstrecke Straubing–Plattling. Sie schossen auf Lokomotiven, bis diese explodierten. Vom Bogenberg konnten wir gut sehen, wenn die weißen Dampffontänen aufstiegen. Wenn sie nahe der steil abfallenden Felswand vorbeidrehten, konnten wir die Piloten in den Kanzeln gut erkennen.
Die vollständig erhaltenen „Strike photos“ jenes Anflugs zeigen den damaligen Zustand des Donauabschnitts: Reibersdorf am Donauknie, der Lenachhof, der Klosterkomplex Oberalteich, die Alte Kinsach, der Moosgraben, der Kanal der Neuen Kinsach im Norden, im Süden die Mündung der Aitrach bei Unteröbling mit zwei Frachtkähnen, Oberöbling, Ittling, Hofstetten und die Wagenfähre von Sand. Mit verminderter Geschwindigkeit flogen die Bomber hintereinander heran. Um 15.59 Uhr klinkte das erste Leitflugzeug seine 14 Bomben auf den sichtbaren Strich der Brücke in der Tiefe ab – für die anderen das Zeichen für „bombs away“: Die Zielschützen der nachfolgenden Maschinen ließen ihre Bomben hinunter.
Der Bombenabwurf
In Abständen von 30 Sekunden folgte eine Staffel der anderen, ihre Bomben prasselten auf das Eisengestänge der Brücke, sackten in die Wiesen und ins Wasser der Donau, ließen hohe Erd- und Wasserfontänen in die Luft schießen, große Rauchwolken hochsteigen. Insgesamt warfen 76 Bomberflugzeuge 967 Stück Fünfzentner-Sprengbomben im Gesamtgewicht von 219,3 Tonnen hinunter, das waren 219 300 kg Sprengbomben auf eine eiserne Brücke, die von oben wie ein Zwirnfaden aussah.
Elmar Schulz erlebte das Bombeninferno vom Boden aus: An dem Tage war ich gerade an der alten Donau beim Fischen. Das Brummen der Bomber über mir war laut, und schon fielen die Rauchmarkierungen. Wir sahen, wie die Flugzeuge ihre Bomben warfen. Sie fielen aus den Schächten und flogen eine Zeit lang waagrecht. Ein ohrenbetäubendes Krachen erfüllte die Luft, alles schwankte. Nach dem Abwurf ihrer explosiven Last drehten die Bomber-Staffeln scharf nach Süden, sammelten sich in der Gegend über Landau a. d. Isar und leiteten in zwei Wellen den Rückflug ein. Gegen 20 Uhr landeten beide Gruppen auf ihren Heimatbasen.
Abwurfprobleme
Jetzt begann die Auswertung des Geleisteten, Gesehenen, Erlebten. Lückenlos sind alle Strikefotos der Staffeln aus oberer, mittlerer und unterer Ebene erhalten. Bei der Untersuchung zeigte sich, dass einige Staffeln ziemlich zentriert ihre Bomben ins Zielgebiet Eisenbahnbrücke absetzen konnten. Ein Bomber war seine gesamte Explosivlast von 14 Bomben über der Donaubrücke nicht losgeworden. Verzweifelt schaltete der Bombenschütze die elektrische Anlage zur Serienauslösung ein und aus, doch die Torflügel im Schacht öffneten nur einen kleinen Spalt. Es blieb nichts anderes übrig, als die Bomben später irgendwo abzuwerfen. Im ungünstigsten Falle musste der Pilot mit der riskanten Explosivlast eine sanfte Landung auf dem heimischen Flughafen versuchen.
Eine Bordkamera zeigt gefährliche Einschläge am Ende des Marktes Bogen, die von zu spät ausgeklinkten Bomben herrührten. Sie trafen fünf Häuser am südlichen Marktausgang, darunter das Haus der Maler-Fotografin Fanny Bauer und einige Militärbaracken und kosteten drei Militärpersonen das Leben. Einige Bruchteile von Sekunden später und wenige Meter weiter hätten die Bomben die Wallfahrtskirche am Bogenberg zerstört.
Die Brücke selbst war nicht voll getroffen, ein Notübergang noch möglich. Tage später wurde bei Herannahen der amerikanischen Front der Mittelabschnitt von deutschem Militär mit Dynamit in die Luft gejagt. Jetzt stürzte ein ganzes Segment ins Donauwasser (siehe Foto).
Nach dem Angriff
Viele Bewohner der Stadt zog es auf den Donaudamm, um das Ergebnis des Angriffs zu begutachten. Zeitzeuge Georg Wagner dazu: Ich war an dem Tag auf der Heimfahrt nach Bogen. Der Zug hielt in Sand, es hieß, die Brücke sei bombardiert. (...) Wir Buben stiegen über die herabhängenden Bahngleise der Brücke und kamen wohlbehalten am anderen Ufer an. Elmar Schulz, Bogen, berichtete: Wir Buben haben das bombardierte Gelände gleich in Augenschein genommen (...). Es werden etwa 1000 Bomben gewesen sein, die niedergegangen waren, viele davon in die Donau. Auf dem Wasser der alten Donau bildeten sich kreisende Inseln aus toten Fischen. (...) Es roch nach verbranntem Bakelit.
Maria Bogner, Hebamme aus Bogen: Die Flugzeuge hatten schlecht gezielt, die Brücke stand noch da. Für die Eisenbahn war sie aber nicht zu benutzen. (...) Ein Mann wollte zu Fuß über die beschädigte Brücke gehen. Dabei fiel er durch eine große Lücke und landete auf der darunterliegenden Wiese. Er hatte Glück. Ich selbst musste einmal nachts zu einer dringenden Geburt nach Sand. Der Mann der hochschwangeren Frau führte mich auf den seitlichen Eisenplatten im Dunkeln mit Kerzenlicht über die zerstörte Brücke. Es war gespenstisch.
Die Eisenbahnbrücke von Straubing nach Bogen über die Donau hat ihr Aussehen bis heute nicht verändert. Foto: Helmut Erwert (Vergrößern durch Klick ins Bild!)
Heute bringt das altehrwürdige Eisengerüst immer noch die Eisenbahnwaggons über die Donau zum freundlich ausgestalteten Bahnhof Bogen, dem Eingangstor in den Naturpark Bayerischer Wald.
Helmut Erwert (Veröffentlichung mit Genehmigung des Autors)
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