. . . drin im Woid
Polednik
Letztes Tageslicht am Polednik/Mittagsberg - Vergrößern durch Anklicken!
„… meinen Rucksack auf dem Buckel, der unbeschreiblich schöne Böhmerwaldstunden in sich verborgen hält.“
7. - 8. August 2020. Ja, ich freue mich, hier unterwegs sein zu dürfen und zu können! Wer die Langsamkeit entdeckt, erkundet das Leben gemächlicher eben.
Ich sehe mehr, fühle mich selbst, jede versteckte Muskelfaser, von der ich nie im Leben dran dachte, sie jemals für irgendeine Bewegung nützen zu können, meinen Rucksack auf dem Buckel, der unbeschreiblich schöne Böhmerwaldstunden in sich verborgen hält und Geschichten von weltvergessenen Pfaden erzählen könnte, - hey ich lebe!
Vom Scheuereck den Böhmweg hinauf ins Gsenget, der rauschende Marchbach im Gsenget holt mich aus meinen holprigen Gedanken, meinen Kopf ins kalte Wasser tauchen ist ein Genuss! Der Weg hinüber, die Brücke, diese andere Welt, entlang alter Feldsteinmauern bergauf: Hörst sie wispern, die urigen Ahorne, Blätter tuscheln von damals ein wenig, hörst das Ächzen der Ochsenkarren, holst das Scheppern der schweren Steine zurück in unsere Zeit, begleitet vom Knacken meiner Kettenschaltung. Wenn ich zwischen den uralten, mit Flechten und Moos überzogenen Steinmauern dahinziehe, droben auf dem Kamm der Wind vom Böhm herüber weht, mächtige Fichten raunen, ist all diese Anstrengung vergessen, dann komm ich dorthin, wo es mich hinzieht, nach Hause irgendwie!
Zdanidla/Steindlberg - Vergrößern durch Anklicken!
Leise singt das Gras im Augustwind, Glockenblumen, Johanniskraut – und diese berührende Abendstimmung, keine Menschenseele, Nichts und Niemand, einfach, schlicht und leise! Hat nicht jeder diesen Ort auf der Welt, den er immer wieder gerne besucht? Wer weiß, woher ich komm, wer weiß, wohin ich geh? Der Zdanidla/Steindlberg, einsamer Wächter an der Grenze, einsamer Berg mit wundervoller Aussicht. Er kennt seine Menschen, diese Tritte und Wunden, die Verstecke, die Steige, seit Tausenden von Jahren wird gewandert: Säumer, Brüder, Händler, Schweden, Schmuggler, Wilderer, Armeen, Schleußer – unterwegs, um alles Mögliche zu erhaschen. Salz, arme Seelen, allerlei Waren, Vieh, Macht, Wild, Ruhe, Erholung, ein wenig Zeit. Hinüber und herüber, Menschen kommen und gehen, gibt Blitz und Donner, Dürre und Regen, die Täler, Berge und Hügel bleiben, lassen vieles über sich ergehen! Ihre Gelassenheit, diesen inneren Frieden finden wir, wenn wir uns einlassen, ihren Rhythmus annehmen, uns zurücknehmen, einfach sein, mit diesen kleinen Dingen, die Freude bereiten. Diese Zeit ist meine Zeit, ist unsere Zeit!
Der Blick hinüber zum Turm erinnert mich dran, weniger zu träumen. „Schau, dass du weiterkommst, es lasst sich radeln aufn Polednik!“ Mein altes Bike, der Besen einer Böhmerwaldhex! Lass es laufen, bergab hinunter nach Prasily. Ich freue mich so sehr, rolle dahin, drunten am Dorfrand grüßen die ersten Häuser, das erste freundliche Dobry den. Das alte Forsthaus hütet ein wenig Nostalgie, ein Stück übriggebliebener Fürst Schwarzenberg, marode und bröckelig, altehrwürdig irgendwie, Vorhänge wallen in zugigen Fenstern, Stimmen und Lachen von dort, alte und graue Majestät und so viel Leben drin!
Altes Forsthaus in Prasily/Stubenbach - Vergrößern durch Anklicken!
Nach Gruberg ist es nicht weit, von dort geht’s hinauf, 7 km zum Polednik. Trittst dahin, spürst irgendwann den Rucksack, die Packtasche, die drei Liter Wasser, Schlafsack und Isomatte, Jacke, Pullover, lange Hose, Brotzeit und eine Halbe Bier - wie war das, mit dem Ochsenkarren?! Das Tal zieht sich aufwärts, in diesen Wäldern ringsumher gibst unendlich viele Schlupfwinkel, Böhmerwaldland, Sumava, ein zauberhafter Ort. Droben über der Seewand ragt der Turm in den Himmel. Der höchste Punkt des Polednik: nur ein unauffälliger Felsriegel mit einem hölzernen kleinen Kreuz. Dort hinauf kamen nur Holzhauer, Jäger und der Fürst zur Auerhahnbalz, unterm Felsriegel stand damals eine Balzhütte. Der Weg dorthin ist auch ein Ziel, er ist es wert unterwegs zu sein. Am Wegesrand blitzt violett im letzten Tageslicht ein Ungarischer Enzian, die Sonne fingerlt ihre abendlichen Strahlen über den Seewandkamm, Schmetterlinge gaukeln, das ist bunte Lebensfreude. Dort oben unterm Turm bleibe ich heute, diese kleine Insel im Waldmeer. Die letzten Höhenmeter dahinstrampeln, durch zerrupften Wald, langsam wird er wieder grün, wachsen kleine Fichten, haben es nicht leicht hier heroben, der Wind fegt übern Gipfel, es herrschen lange, eisige Winter, Sommertage heiß und knochentrocken. Kyrill hat den Hochwald verwüstet, graue Säulen nur sind geblieben, an denen nagen Zeit und Himmelskräfte. Gibt eben manches, das sich schwer berechnen lässt, das wir nicht erreichen und beeinflussen können. Den Dingen ihre Zeit und ihren Lauf lassen, frei und ungezwungen, zu gern würden wir vereinnahmen, Landstriche und Menschen formen nach irgendwelchen Ideologien. Dann ist es doch nur ein Schnips in der großen langen Weltenzeit, ein wenig Dunst und Tratscherei. Wild und frei zu sein ist nicht nur für Bäume besser, es fühlt sich einfach saugut an: Hier ist niemand, der irgendetwas von dir will, es ist alles gut, wie es ist, egal wie ich zum Himmel stinke!
Die Sonne verschwindet schnell aus diesem Tag, ihr rötliches Licht bleibt lange am Horizont, ein frischer Wind weht über den Waldkamm. Bäume rauschen, erzählen die ganze Nacht. Wie viele Male wird der Fürst hier gewesen sein, in seiner Balzhütte bis zum Morgengrauen ausgeharrt haben, wie viele Hähne hat seine Durchlaucht wohl stolz nach Stubenbach ins Forsthaus gebracht, wo sie im Reindl einer Böhmischen Köchin saftig gebraten wurden? Im Stirnlampenlicht stochere ich in meinem Wurstsalat herum, eine Tomate, ein wenig Käse, Dosenbier, es ist saukalt hier auf dem Gipfel.
Vergrößern durch Anklicken!
In einem Wanderführer aus dem Jahre 1922 finde ich den Hinweise auf den Gasthof zum Auerhahn, drunten in Prasily, - eine kalte, frischgezapfte Maß Bier und ein knuspriger Auerhahnhax …! Ja, ich träume nur so vor mich hin, zu damaliger Zeit, wars eben ganz normal. Zufriedenheit, ist auch so etwas, das du hier draußen wiederfindest.
Die Sterne funkeln und der Turm, das Monstrum einer anderen Epoche, ragt finster und düster in den Himmel. Zeiten ändern sich, eine Handvoll Menschen findet heute Nacht hier Unterschlupf. Ich freue mich einfach hierher kommen zu können, sich verstehen hat viel mit dem Herzen zu tun. Sonnenaufgänge auch! Der Tag beginnt, ein neuer Anfang, drunten im Tal der Kremelna liegt erster Nebel, weiß und zäh, schwarze Waldbuckel reihum, kein Laut, nur der Wind und diese mystische Stille. Über Zhuri geht die Sonne auf, eine rote Kugel, wie gemalt von magischen Kräften emporgezogen.
Letztes Abendlicht auf dem Polednik - Vergrößern durch Anklicken!
Sonnenuntergang überm Lakaberg - Vergrößern durch Anklicken!
Der Vollmond überm Polednik - Vergrößern durch Anklicken!
Nebel drunten an der Kremelna - Vergrößern durch Anklicken!
Sonnenaufgang über Zhuri - Vergrößern durch Anklicken!
Früh unterwegs zu sein ist schlichtweg schöner, in diesen Sonnenaufgang zu radeln ist ein Genuss. Hinunter fahre ich nach Zelena Hora, auf der alten Verbindungsstraße zwischen Prasily und Javori pila bin ich unterwegs, es geht bergab über Jezerni. Diese weiten Wege, die damals zu Fuß zurückgelegt worden sind, heute unvorstellbar. Sie kamen auch zum Tanzen von Buchenau herüber nach Prasily/Stubenbach und mit etlichen Maß, zwei Tage später, wieder nach Hause. Die Kirchenbesuche, in schweren, kratzigen Gewändern und beinharten Schuhen, Stunden waren diese Menschen unterwegs und sie hatten Zeit!
Hinunter nach Seeberg - Vergrößern durch Anklicken!
Seeberg - Vergrößern durch Anklicken!
Es duftet nach Heu und Kräutern, ich zupfe eine Handvoll Thymian. Der Berg Kremelna breitet sich überm Flusstal, nichts, ich höre nichts! Nur Summen über den Seeberg, Wiesen, Schmetterlinge gaukeln, Stille, Sonnengefunkel und friedliches Dasein, wieder eine böhmische Insel in unserer umtriebigen Welt. Im Prasilsky Jezero, im Stubenbacher See, kühle ich meine Betriebstemperatur herunter. Es ist ziemlich kalt, ein unbeschreibliches Gefühl: diese herrlichen Böhmerwaldwasser sind pure Energie und reine Lebensfreude!
Prasilsky Jezero/Stubenbacher See - Vergrößern durch Anklicken!
Etwas später sitze ich in Prasily, nasche meinen Frühstückskuchen und freue mich über einen richtig guten Cappuccino! Es geht etwas gemächlicher zu, es ist diese andere Welt, eine andere Mentalität, einfacher, weniger ist oftmals mehr! Am Forsthaus vorbei geht es hinauf ins Gsenget, fast etwas wehmütig strample ich dahin. Dort am Weg nach Obersteindlberg steht die Bank, der Rest vom Wurstsalat fällt mir ein, es lässt sich immer ein Grund finden, um noch mal ein wenig Zeit zu schinden! Es gibt diese Gedanken, die ich hinüber schicke zum Polednik, die ich frech in den Marchbach murmle, der Zdanidla/Steindlberg, blinzelt herüber, schaut mir nach, weiß eh, das ich bald wiederkomme!
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