Geologie
Sie schlägt weder Tag noch Stunde
Die alte Uhr auf dem maroden Burgturm: Als ob die Zeit stehen geblieben wäre.
Das traurige Schicksal der Falkenfelser Turmuhr
Sie war schon ein sehr dienstbarer Geist und begleitete die Falkenfelser über Generationen durch den Tag und die Woche, durch Jahr und Zeit. Sie mahnte am Morgen zum Aufstehen, schickte die Kinder zum Kirchgang oder in die Schule, bestimmte den Arbeitsrhythmus der Erwachsenen, rief zu den Mahlzeiten und erlaubte nach des Tages Last müde ins Bett zu sinken, um am nächsten Morgen wieder bereitwillig ihre Dienste anzubieten, Tag für Tag, Woche für Woche und Jahr für Jahr.
Deshalb haben sie die Falkenfelser ins Herz geschlossen, ihre Turmuhr, die mit ihrem Rundgesicht und den weithin sichtbaren Zeigern die Zeit ansagte und die Stunden schlug. Ein herabstürzender Balken, der ihre Antriebswelle verbog, brachte sie zum Stehen.
Das Zifferblatt mit römischen Ziffern und Zeigern mit echtem Doppelgold, das Angebot für die Falkenfelser Turmuhranlage stammt vom 12. Nov. 1945, eingebaut wurde sie aber erst im Frühjahr 1948.
Weil in einer Zeit von Armbanduhren und sonstigen Zeitmessern der Mohr seine Schuldigkeit getan hatte, wurde sie nicht mehr repariert und fand schließlich bei der Renovierung des Burgturms keinen Platz mehr an gewohnter Stelle in der östlichen und nördlichen Turmfassade. Sie wurde abgenommen und verstaubt mittlerweile in einer dunklen Ecke des Gemeindeschuppens. Und dabei hatte es so viel Mühe und Herzblut gekostet, bis die Uhr unmittelbar nach Kriegsende im Turm installiert werden konnte, wie aus dem Briefwechsel zwischen der Firma Rauscher in Regensburg, die die Uhr lieferte, und der Kirchenverwaltung hervorgeht.
Eigentlich hatten die Falkenfelser auch damals schon eine Uhr auf ihrem Burgturm. In einem Schreiben vom 28. September 1945 an die Firma Rauscher kommt vom damaligen Vorstand der Kirchenverwaltung Franz Heindl die Anfrage, ob er nicht bereit wäre, diese Kirchenuhr zu reparieren, da sie schon seit Jahren keine Zeit mehr einhält und immer eine recht große Zeitspanne vorgeht. Eine Nachsicht von einem Fachmanne und eventuell eine Generalüberholung täte sicher einmal bitter not, da das Werk auf etwa 50 Jahre geschätzt wird.
Nach vorgenommener Überprüfung des alten Uhrwerks teilte die Firma Rauscher am 29. Oktober 1945 dem damaligen Sazellan Friedrich Kindl mit:
. . . Die drei Hauptwellen sind vollständig ausgelaufen. Das Stiftenrad und die meisten Lager müssen ersetzt, der Hammerzughebel und einige andere Teile müssen erneuert werden. Ich halte daher die Anschaffung einer neuen Uhr für besser. Ich würde Ihnen gerne ein Angebot für eine neue Turmuhr übersenden. Ein neues Werk hält dann zwei bis drei Jahrhunderte. Wir würden Ihnen entschieden zu einer neuen Uhr raten als noch Geld in das alte Dilettantenwerk zu hängen. Ein Fachmann hat nämlich die alte Uhr nicht gemacht, sondern ein Pfuscher. Teilen Sie mir also das Gewicht der größten Glocke mit.
Aus dem Kostenangebot, das die Firma Rauscher am 12. November übermittelt, geht hervor, dass das Präzisionsturmuhrenwerk in höchster Vollendung und mit allen technischen Neuerungen zusammen mit einem verschließbaren Uhrschrank, zwei Paar Zeigern mit echtem Doppelgold, dem notwendigen Zubehör und dem Mehrpreis für automatischen Selbstaufzug mittels eines Elektromotors ohne Montage 3.650.- RM kostet. Die katholische Kirchenverwaltung erteilt umgehend der Firma Georg Rauscher in Regensburg-Stadtamhof den Auftrag zur Anfertigung einer Turmuhrenanlage laut Angebot vom 12. November 1945. Unterzeichnet ist der Werkvertrag vom Sazellan Friedrich Kindl und den Mitgliedern der Kirchenverwaltung, Albert Semmelmann, Johann Knott, Josef Irrgang und Johann Lanzinger.
Bei der Beschaffung des Materials scheint es allerdings Probleme gegeben zu haben. In einem Brief vom 13. Februar 1946 teilte die Firma Rauscher der Sazellanie in Falkenfels mit:
Da wir den Motor für die Turmuhr ohne Genehmigung durch die Militärregierung nicht erhalten können, ersuchen wir Sie den beiliegenden Antrag bei der dortigen Militärregierung genehmigen zu lassen und an uns wieder zurückzusenden.
Die Falkenfelser konnten es offensichtlich gar nicht erwarten, bis die Turmuhr an ihrem vorgesehenen Platz installiert war. Dies geht aus einem Schreiben des damaligen Kirchenpflegers Albert Semmelmann vom 10. März 1946 hervor.
Werter Herr Rauscher!
Es tut mir leid, daß ich Sie in meinem Briefe mit einer Bitte belästigen muss. Ich kenne es selber ein, daß es Ihnen schwer fällt, meine heutige Bitte zu erfüllen, aber ich will Ihnen meine Angelegenheit doch vortragen. Die Sache ist kurz gefaßt die: Unser H. H. Sazellan hat uns heute in der Kirche bekannt gegeben, daß vom Palmsonntag, den 14. April bis Ostersonntag, den 21. April eine Glaubenswoche von einem Missionar abgehalten wird. Da wäre es halt ganz lieb und recht, wenn bis dorthin die Uhr schon im Gange wäre. Aber wegen dieser Angelegenheit will ich Ihnen, Herr Rauscher, doch meine Bitte und Herzensangelegenheit offenbaren. Ich meine so: Es wird Ihnen keiner in Übel nehmen, wenn Sie sagen: Schau her, lieber Kund’, so ist es, ich meine es wird ein jeder einsehen wegen dieser Angelegenheit.
Herr Rauscher, wir kennen uns jetzt schon. Ich salbe die Uhr wieder gut ein, damit nichts einfriert und verrostet. Herr und Frau Rauscher, werden Sie deshalb nicht böse und unwillig, ich habe meine herzliche Bitte nur vorgetragen... Das letzte Mal habe ich den Weg von Straubing nach Falkenfels zu Fuß gemacht, vier Stunden lang.
Für heute grüßt Sie und Ihre Frau und auch Ihren Sohn und Tochter herzlich
Albert Semmelmann, Kirchenpfleger
(Amen)
Zwischen der Falkenfelser Kirchenverwaltung und der Firma Rauscher aus Regensburg, die den Auftrag für die Lieferung der Turmuhr erhalten hatte, entwickelte sich ein reger Briefwechsel, denn der Einbau wurde - für die Falkenfelser unverständlich - immer wieder hinausgezögert.
Trotz des Amens am Ende, mit dem der Bittsteller sein Anliegen gleichsam zum Gebet erhöhen wollte, ließ die Lieferung der Turmuhr weiterhin auf sich warten. In einem Brief ohne Datum schrieb der neue in Falkenfels tätige Sazellan Alois Wensauer:
Sehr geehrter Herr Rauscher!
Wie Sie sehen, ist es uns gelungen, einen Elektromotor aufzutreiben. Damit glaube ich, ist nunmehr die letzte Schwierigkeit geschwunden und ich hoffe auf das Bestimmteste, dass Sie nunmehr Ihr Versprechen einhalten und in Bälde die Uhr aufstellen werden. Die bei meinem Besuche in Aussicht gestellte Frist wäre ja schon lange wieder abgelaufen. Angst habe ich ja schon, ob Sie nicht wieder eine neue Bedingung stellen und einen neuen, verlängerten Termin stellen werden.
Recht schöne Grüsse!
Alois Wensauer
Sazellan
Was die Bittsteller aus Falkenfels nicht ahnten und wussten, das Problem lag nicht nur an der schwierigen Beschaffung des Materials, sondern war in den besonderen Umständen der damaligen Zeit, in den politisch-wirtschaftlichen Verhältnissen zu suchen. Ein Jahr nach dem Kriegsende verdichtete sich mehr und mehr das Gerücht einer bevorstehenden Währungsreform, die Abschaffung der Reichsmark und die Einführung einer neuen Währung. Um nicht bei bezahlten Rechnungen auf der alten und wertlosen Reichsmark sitzen zu bleiben, zögerten die Handwerker die Lieferung der verabredeten Dienstleistungen so lange wie möglich hinaus. Da kam es der Firma Rauscher gerade gelegen, wenn sie sich auf die Firma Gugg in Straubing hinausreden konnte, die - wahrscheinlich aus den gleichen Gründen - die Lieferung der beiden in ihrer Gießerei bestellten Glocken in die Länge zog. Aber um die Uhr und den Glockenschlag montieren zu können, mussten erst die Glocken im Turm hängen. Und so schob die Firma Rauscher in Regensburg den Schwarzen Peter auf die Gießerei Gugg in Straubing und umgekehrt.
Grund für die Verzögerung bei der Lieferung der Turmuhr war das Gerücht einer bevorstehenden Währungsreform, die Abschaffung der Reichsmark. Die Firmen wollten nicht gute Ware gegen bald wertloses Geld hergeben. Die1000 RM-Banknote ist die letzte aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Zwar steht auf der Banknote "22.2.1936", doch ausgegeben wurde sie ab September 1944.
Am 22. Oktober 1946 schreibt Kirchenpfleger Semmelmann an die Firma Rauscher:
Liebe Frau und Herr Rauscher!
Ich will Ihnen mitteilen, daß mir der Herr Gugg die sechs (?) Glocken bis 25. November bestimmt versprochen hat. Ich bitte Sie Herr Rauscher, machen Sie mir die Uhr auch bestimmt bis dahin!
Es grüßt Sie
Albert Semmelmann
Kirchenpfleger
Mit der versprochenen Lieferung der Glocken wurde es offensichtlich nichts, wie aus einem Schreiben der Firma Rauscher an die Sazellanie vom 21.12.46 hervorgeht.
Anbei übersenden wir Ihnen die Zeichnung für den Uhrschrank und ersuchen Sie, diesen von dem dortigen Schreiner fertigen zu lassen. Wir sind dabei, die Turmuhr fertig zu stellen und hoffen, das fehlende Material für den Aufzug in Kürze zu erhalten, so dass die Anlage im Frühjahr aufgestellt werden kann. Die elektrische Zuleitung (Drehstrom 380 Volt) kann in der Zwischenzeit bis zum Uhrboden, wo die alte Uhr gestanden ist, verlegt werden. Sehr erwünscht wäre es, wenn bis dahin auch die Glocken montiert sind, damit gleich das Schlagwerk mit eingebaut werden kann.
Und so wird der Schwarze Peter weiterhin hin- und hergeschoben. Am 20. Januar 1947 schreibt Kirchenpfleger Semmelmann an die Firma Rauscher:
Werter Herr Rauscher!
Am vergangenen Donnerstag, wie ich bei Ihnen war, bin ich dann zum Herrn Gugg gegangen und er hat mir bestimmt gesagt, daß er die Glocken bestimmt im Februar 47 liefert. Ich kann Ihnen auch noch mitteilen, daß wir vier Räder zum Aufzug von der Uhr auch haben, die oberen vier, wo die Seile laufen.
Es grüßt Sie
Albert Semmelmann
Aber auch dieser Termin verstrich, ohne dass die Glocken geliefert worden wären. Deshalb schreibt Kirchenpfleger Semmelmann einen Monat später am 25. März 1947:
Lieber Herr Rauscher!
Ich war am 24. III. bei Herrn Gugg wegen die Glocken, vor Ostern nimmer. Die Formen waren bereits fertig bis zum Guß. Herr Rauscher, die Sache ist so. Ich möchte Ihnen mitteilen, wenn wir am Montag, den 31. März die Uhr holen dürften und der Herr Gilch in Straubing (= Elektriker) kommt noch in dieser Woche und macht die Leitung hinauf, denn wir haben wieder so viele Flüchtlinge bekommen und kommen noch welche. Bitte Herr Rauscher telefonieren Sie mir auf der Post, ob wir am Montag kommen dürfen, damit ich noch was tun kann.
Es grüßt Sie
Albert Semmelmann
Doch auch dieser Termin kam nicht zustande. Der Urmacher entschuldigte das, mit dem fehlenden Seilrollen-Anschlag, den die Gießerei noch nicht geliefert hatte. Nach einer weiteren Wartezeit von mehreren Wochen erlaubt sich Sazellan Wensauer in einem Brief vom 8. Juli 1947 nachzufragen, ob nun endlich dieses fehlende Teil geliefert wurde. Weiter schreibt er:
Ich erfuhr, dass Sie Herrn Albert Semmelmann geschrieben haben. Er blieb Ihnen schon zu lange aus. Sie erwarten ein Wiedersehen mit ihm. Leider muß ich Ihnen heute die traurige Mitteilung machen, Albert Semmelmann wird nicht mehr kommen, Sie zu besuchen. Anfangs Mai wurde er krank. Am 6. Mai ist er gestorben im Krankenhaus zu Straubing und am 10. Mai haben wir ihn hier in Falkenfels beerdigt. Eine treue Seele war er, die sich um alles mühte. Kein Weg war ihm zu weit, kein Wetter zu schlecht, kein Opfer zu groß. Sie haben ihn ja selber kennen gelernt. Darum verstehen Sie auch, was wir an ihm verloren haben. Doch es war halt Gottes hl. Wille.
Ob sich der Urmacher durch dieses traurige Ereignis erweichen ließ, wissen wir nicht. Tatsache ist jedoch, dass im Frühjahr des Jahres 1948 die Uhr tatsächlich aufgestellt wurde.
Am 22. April 1948 schickte die Firma Rauscher die Rechnung doch noch in Reichsmark. Am 20. Juni des gleichen Jahres wurde durch die Währungsreform die Deutsche Mark als Zahlungsmittel eingeführt.
Wahrscheinlich ist, dass die Firma Gugg in der Zwischenzeit die Glocken fertig gestellt hatte, die ja auch im Jahre 1948 geliefert wurden. Jedenfalls bat Sazellan Wensauer in einem Brief vom 3. April 1948 um die Zusendung der Rechnung für die gelieferte Turmuhr, auch wenn noch einige Teile fehlten. Am 22. April 1948 schickte die Firma Rauscher die Rechnung für die Turmuhrenanlage laut Angebot vom 12. November 1945 einschließlich der Fahrtkosten und Montage in Höhe von 3.627 Reichsmark, die Sazellan Wensauer zwei Tage später per Scheck beglich. Warum er es mit der Zahlung so eilig hatte, wird verständlich, wenn man weiß, dass nur ein paar Wochen später am 20. Juni 1948 durch die Währungsreform die Deutsche Mark als neues Zahlungsmittel eingeführt wurde.
Das Herzstück der Turmuhr, das elektrische Uhrwerk, das die Zeiger zum Laufen brachte
Alle Falkenfelser, bis auf den, der sie sich am meisten wünschte, hatten nunmehr ihre Freude an der Turmuhr, die ihnen täglich zuverlässig und genau ihre Stunden schlug. Bis auf ein paar kleinere Wartungsarbeiten waren in der Folgezeit kaum Reparaturen notwendig und sie hätte sicher auch noch länger ihren Dienst getan, wenn sie nicht durch einen herabstürzenden Balken für immer außer Gefecht gesetzt und schließlich entfernt worden wäre.
Ein herabgestürzter Balken schlug der Turmuhr ihre eigene Stunde.
Trotz eigener Armbanduhr würde so mancher Falkenfelser gerne noch auf die Zeiger der alten Turmuhr schauen, um zu wissen, was es geschlagen hat. Sicher nicht, weil sie genauer ging, eher wohl deshalb, weil sich ihre Zeiger nicht so hektisch, sondern ruhiger und gemütlicher bewegten und mithin eine andere, eine "gute alte" Zeit ansagten. Alle diejenigen aber, die der alten Turmuhr gar keine Träne nachweinen wollen, sollen zumindest wissen, wie schwer es damals war und wie viel Mühe und Zeit es gekostet hat, bis die Zeiger zum Laufen kamen.
Schriftliche Quellen:
Briefverkehr zwischen der Firma Rauscher aus Regensburg-Stadtamhof und der katholischen Sazellanie und Kirchenverwaltung Falkenfels freundlich zur Auswertung überlassen von Resi Sieber, Falkenfels
Bilder: Wilfried Buck, Falkenfels
Auch im Innenbereich der Burg wie hier am Hochzeitsturm gingen die Renovierungsarbeiten zügig voran, wovon sich einige Mitarbeiter des MM bei der Burgbesichtigung am 25. Oktober 2008 überzeugen konnten.
Quelle: Theo Breu, in: Mitterfelser Magazin 15/2009 S.80f
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