Falkenfels
Schloss Falkenfels als Flüchtlingslager
Schloss Falkenfels um 1445 (Foto bei Hermine und Ludwig Schmid, Roth 8) - Vergrößern durch Klick in Foto!
.... und jedes Haus bis in den letzten Winkel belegt
Der Zweite Weltkrieg hat viele Tränen gesät und eine Wanderbewegung von unvergleichlichem Ausmaß ausgelöst.
"Bombenflüchtlinge" während des Krieges
Unsere Familie, das sind meine Eltern, meine Schwester, mein Bruder und ich, lebte zu Kriegsbeginn in Berlin. Wegen der drohenden Bombardierungen wurde meine Mutter samt uns drei Kindern zusammen mit neun weiteren Berliner Müttern am 1. Mai 1941 für ein Jahr nach Ronsberg, Kreis Bischofteinitz im Böhmerwald, verschickt und dort in der Bürgerschule untergebracht. Anschließend fuhren wir zu den Eltern meiner Mutter nach Söcking/Starnberg. Im September 1942 kehrten wir nach Berlin zurück. Jede Nacht wurde durch Bombenalarm unterbrochen und wir mussten uns in den Luftschutzkeller flüchten. Am 1. August 1943 waren die Straßen Berlins mit Flugblättern übersät: Frauen und Kinder verlasst Berlin, heute Nacht noch! Meine Mutter raffte das Nötigste zusammen und wir erreichten den letzten Zug nach Straubing, wo wir auf der Plattform zwischen zwei Waggons gerade noch Platz fanden. Von Straubing wurden wir auf einem Lastauto nach Falkenfels befördert, der Heimat meines Vaters. Dort fanden wir bei Verwandten in der Dachkammer provisorischen Unterschlupf. Am 1. September 1943 wichen wir wieder nach Söcking/Starnberg zu den Eltern meiner Mutter aus. Als mein Vater am 1. November 1943 Heimaturlaub von der Front bekam, führte er uns zunächst wieder nach Falkenfels zurück, um von dort aus die bereits eingefädelte Evakuierung nach Ostpreußen zu organisieren. Als er mit der zuständigen Stelle telefonierte um die genaueren Einzelheiten zu erfragen, hieß es: „In Ostpreußen steht der Russe vor der Türe. Lassen Sie Ihre Familie, wo sie ist." Daraufhin besorgte uns unser Vater eine kleine Zweizimmerwohnung in Forst/Falkenfels und unsere Odyssee hatte ein Ende gefunden. Das war das Letzte, was unser Vater für uns noch tun konnte. Er erhielt zwar im Januar 1944 für einige Tage „Bombenurlaub", weil wir am 23. November 1943 in Berlin total ausgebombt worden waren, trat im Januar 1945 nach einer Verwundung einen achttägigen Genesungsurlaub an, schrieb auch einen Brief aus der Kaserne in Berlin, aber seitdem ist er vermisst.
Damals hielten sich weitere „Bombenflüchtlinge" aus den Großstädten des Dritten Reiches in Falkenfels auf: Hamburger Buben und Mädchen in einzelnen Familien, weitere Großstädter auf den Tanzböden der beiden Wirtshäuser Moro und Semmelmann, die kurzerhand zu Notlagern umfunktioniert worden waren.
Im Tanzsaal und in der Hochzeitsstube im 1. Stock des Gasthofs Semmelmann lebten 40 Wiener Frauen und ihre Kinder. Jede Familie bekam eine kleine Fläche zugeteilt, die durch Bierbänke abgegrenzt wurde. Man schlief in Strohsäcken; im Winter wurden Wolldecken zugeteilt, denn der kleine Ofen spendete nur unzureichend Wärme. Es standen zwei Trockenklosetts zur Verfügung und ein Pumpbrunnen mit einem Holzzuber im Hof. Wenn in der Sommerhitze sein Wasser versiegte, wurde er für die Allgemeinheit gesperrt und nur noch die Metzgerei Semmelmann bedient. In einem neuwertigen Odelfass holte man dann mit dem Pferdefuhrwerk von der Hilm (so wurden seichte Wasseransammlungen genannt) bei der Nikolauskirche, deren Quellen unerschöpflich sprudelten, Wasser für die bescheidenen Bedürfnisse der „Wiener". Die Essenszubereitung wurde durch Konservenbüchsen erleichtert. Diese wurden im großen Waschkessel des Waschhauses im geschlossenen Zustand und alle zusammen erwärmt, wobei jede Familie ihre Dose mit einem Zeichen markierte.
Zu der äußeren Not gesellte sich die seelische, das war die Angst um das Leben der Angehörigen an der Front oder in den Großstädten, und so manche schlimme Botschaft wurde von der Post übermittelt. Da wurde dann nachts das schmerzliche Schluchzen der einen zur Schlafmelodie der anderen.
Flüchtlingsflut 1945
Ende Februar 1945 begann die eigentliche Flüchtlingswelle anzurollen und überschwemmte Falkenfels. Die Flüchtlinge1 besaßen nicht viel mehr als die Sachen, die sie am Leib trugen. Sie trafen auf eine einheimische Bevölkerung, die seit jeher unter ärmsten Verhältnissen lebte. Verschiedene Kulturen, Religionen, Bildungsgrade, Berufe und Ansprüche prallten aufeinander zu einer Zeit, als ganz Deutschland am Boden lag. Harte „Bandagen" mussten auf beiden Seiten angelegt werden um die Situation überhaupt zu bewältigen.
Zunächst ging es um ein Dach über dem Kopf. Jede Flüchtlingsfamilie hatte nur Anspruch auf einen einzigen Wohnraum, Alleinstehende mussten sich zu zweit zusammenfinden. Bei der einheimischen Bevölkerung wurden rigoros Zimmer beschlagnahmt. Es versteht sich von selbst, dass die Ankommenden unter diesen Umständen nicht gerade mit offenen Armen aufgenommen wurden. So mancher Trick wurde versucht, indem man beispielsweise eine Türe mit einem Schrank verstellte.
Die erste mächtige Flüchtlingsflut zog von Schlesien (Breslau und Umgebung) heran und ergoss sich nach einigen Vorboten am 23. Februar 1945 über die Gemeinde mit 33 Erwachsenen und deren Kindern. Es fällt auf, dass Familienverbände und regionale Gruppen möglichst zusammengeblieben waren. Die Flüchtlinge wurden überall auf die Häuser verteilt, drei Erwachsene im Schulhaus einquartiert und weitere sieben im Schloss. Von den Kindern fehlen uns die Zahlen, sie wurden bei den Eltern belassen.
Die zweite Woge aus Litauen, Polen und hauptsächlich Ostpreußen landete am 25. März 1945 in Falkenfels mit 18 Erwachsenen und ihren Kindern, wovon 12 Erwachsene im Schloss einzogen, die Kinder wiederum nicht mitgerechnet.
Dazwischen und danach „tröpfelte" es weiter aus den angeführten Gebieten, aber auch aus dem Banat, Buchenland, Rumänien und Bessarabien.
Ab 15. Mai 1946 musste der Schwung Sudetendeutscher aufgefangen werden, der sich in kleineren Schüben bis zum 6. Oktober 1946 bewegte. Ihre größeren Verbände stammten aus Tetschen, Heinrichsgrün, Krumau, Luditz und Trautenau. Da seit Ende des Krieges im Schloss die Lehrwerkstätte für Flugmotorenschlosser und Metallflugzeugbauer (Mitterfelser Magazin 5/1999) aufgelöst war, konnte über die Hälfte der zugewiesenen Sudetendeutschen hier Herberge finden.
Diese Flüchtlingsbewegung lässt sich nüchtern in Zahlen ausdrücken: 1939 hatte die Gemeinde Falkenfels 736 Einwohner, 1946 war die Einwohnerzahl auf 1001 gestiegen (Volkszählung vom 29.10.1946).
„Damals war ich zehn"
Die menschliche Tragödie schildert am besten ein Zeitzeuge. Lassen wir einen Sudetendeutschen zu Wort kommen, der als zehnjähriger Junge die Vertreibung erlebte: „Ich stamme aus Lipkowitz, Kreis Luditz, Egerland. Bei uns erschienen eines Tages nach Kriegsende Tschechen und wir und mehrere Nachbarn mussten innerhalb einer Viertelstunde unsere Anwesen verlassen. Damals kamen wir in ein Lager. Von dort zogen wir zu einem Bruder meiner Mutter, der das Ausnahmshaus leer stehen hatte. Hier lebten wir einige Zeit, vielleicht ein halbes Jahr. Dann mussten wir auch dort wieder zusammmenpacken. In Viehwaggons wurden wir nach Straubing transportiert und von dort auf einem Laster nach Falkenfels, wo wir im Schloss zu viert, meine Mutter, meine Schwester, mein Opa und ich, in ein Zimmer im dritten Stock gesteckt wurden. Es waren keine Möbel darin. Wir bekamen Feldbetten und von einer Brauerei einen Klapptisch und Klappstühle. Im Gang war eine Wasserstelle für viele und im zweiten Stock befanden sich zwei Spülklosetts. Da musste man oft lange warten, bis man seine Notdurft verrichten konnte, weil im Schloss eine ziemlich große Zahl von Flüchtlingsfamilien untergebracht war. In der Schlossküche stand ein großer Herd, wo jede Familie ihr eigenes Süppchen kochte, bis wir einen Ofen in unser Zimmer bekamen. Ich weiß nicht mehr, woher unsere Mutter das Geschirr nahm. Nur an die Milchkanne erinnere ich mich ganz genau. Sie war aus mehreren Konservendosen zusammengelötet und durch zwei Löcher ein Draht als Henkel gezogen. Mit ihr wurde ich regelmäßig zum Milchholen ins Gut nach Steinach über St. Johann und Dexenhof geschickt. Das waren in einfacher Richtung etwa acht Kilometer Fußmarsch, größtenteils durch dichten Wald. Häufig leerte ich die Kanne auf dem Heimweg schon halb, weil ich so voller Hunger und Durst war.
Im Herbst horchte ich oft in die Nacht hinaus, ob der Wind wehte. Dann konnte ich frühmorgens Fallobst zusammenklauben. Aber auch da wurde mir manchmal ein Hund nachgehetzt. Selbst unter uns Kindern gab es Kämpfe zwischen Einheimischen und Flüchtlingen. Wir retteten uns dann meist in den Schlosshof, wo wir das Tor verrammeln konnten.
Als ich aus der Schule kam, fuhr ich zusammen mit einem befreundeten Arbeiter in den Wäldern des Landkreises herum zum Grubenholzschneiden. Es wurde zum Abstützen von Kohlengruben gebraucht. Ich war froh, dass ich 1950 eine Lehrstelle als Bauschreiner in der Äußeren Passauer Straße in Straubing bekam. Zusammen mit einem älteren Arbeiter fuhr ich täglich außer sonntags mit dem Fahrrad die 20 km lange Strecke dorthin und abends wieder heim nach Falkenfels. 1952 zogen wir nach Hunderdorf in die Siedlung, wo ich heute noch lebe. Mir gefallen Landschaft und Natur in der ganzen Umgebung und ich bin gern hier."
Flüchtlingsschicksale
Für den Gottesdienst der zugezogenen evangelischen Flüchtlinge hatte man zuerst ein Schulzimmer ins Auge gefasst, einigte sich aber dann auf die Kirche St. Johann (Mitterfelser Magazin 4/1998).
Der nun folgende Zeitabschnitt war nur noch von kleineren Wanderbewegungen bestimmt, die durch Familienzusammenführungen ausgelöst wurden. Dabei galten strenge Maßstäbe. Frauen durften zu ihren Ehegatten, Kinder zu ihren Eltern, hilfsbedürftige Eltern zu ihrem Sohn, wenn er in der Lage war sie zu ernähren. Entlassene Kriegsgefangene konnten ihren Stammwohnsitz wählen oder den derzeitigen Aufenthaltsort ihrer Familie. Im Einzelnen entwickelten sich die verschiedensten Fälle.
Am 28. Februar 1946 beantragte ein alleinstehender zwölfjähriger polnischer Junge, der bei Landwirt Josef Geith in Roth war, bei nächster Gelegenheit zu seiner Mutter nach Polen befördert zu werden. Er war mit seiner Pflegemutter, die inzwischen in Bogen verstorben war, nach Falkenfels gekommen.
Mehrere Kriegsgefangene ließen sich in den Jahren 1946 bis 1949 zu ihren Familien nach Falkenfels entlassen. So schleppte sich am 1. Januar 1948 ein junger Mann mit aufgedunsenem Gesicht und in zerlumpten Kleidern durch den Ortsteil Roth und trat schließlich bei Janker (heute Schmid, Haus-Nr. 8) in die Fletz, klopfte an die Türe rechter Hand, worauf ihn das achtjährige Schulmädchen hereinbat, bei seinem Anblick dann aber einen Schrei ausstieß. Daraufhin öffnete die Flüchtlingsfrau gegenüber ihre Zimmertüre und fiel dem „Fremden" weinend um den Hals. Es war ihr Sohn.
Einem anderen Heimkehrer wurde der Zuzug nach Falkenfels zunächst verweigert, weil er bereits einen anderen Wohnsitz hatte. Erst als er geltend machte, dass er aus russischer Gefangenschaft entflohen und deshalb an seinem Stammwohnsitz in der DDR verhaftet würde, griff das Asylrecht.
Ein Volksschullehrer aus Jugoslawien kam aus jugoslawischer Gefangenschaft und ließ sich nach Altötting entlassen, wo er seine Angehörigen wähnte. Als er sie dort nicht fand, schlug er sich zum ihm vertrauten Kollegen Fendler, auch aus dem Banat stammend, nach Falkenfels durch. Er durfte bleiben, nachdem seine Entlassung nach Altötting rückgängig gemacht und Falkenfels als Entlassungsort eingetauscht war.
Ein DDR-Bürger hatte weniger Glück. Er bewirtschaftete seit August 1945 die Landwirtschaft eines vermissten Soldaten in der DDR. Sein Zuzug nach Falkenfels wurde abgelehnt mit der Begründung, seine Frau könnte von Falkenfels zu ihm ziehen, wo sie ihr Auskommen hätten, wogegen es hier keine Arbeit gäbe und sie auf Unterstützung angewiesen wären.
Diese Unterstützung hieß damals Fürsorge und war ein sehr geringer Betrag zum Lebensunterhalt, den die Gemeinden aufzubringen hatten, weshalb sie versuchten, die Anzahl der Fürsorgeempfänger niedrig zu halten. Auch meine Mutter mit uns drei Kindern lebte davon. Einmal wurde verlangt, meine Mutter solle in der Strohschuhfabrik im Schloss ihr Geld verdienen (Mitterfelser Magazin 7/ 2001). Da machte sich meine Mutter zu Fuß zum Landratsamt nach Bogen auf und drohte, sie werde ihre drei fünf-, sechs- und siebenjährigen Kinder ins Landratsamt bringen und dort lassen. Daraufhin wurde nachgegeben. Sodann verlangte man, sie solle zu ihrem Vater nach Oberbayern ziehen, bei ihm in seiner Landwirtschaft mithelfen und dafür mitleben. Meine Mutter nahm wieder den weiten Fußmarsch nach Bogen auf sich und wurde dort beim Roten Kreuz vorstellig mit der Begründung, ihr im Krieg vermisster Ehemann und Ernährer der Familie habe eigens seine Heimat Falkenfels als Wohnsitz für seine Angehörigen bestimmt, als er wieder in den Krieg zog. Auch dieses Mal wurde meine Mutter Sieger. Aber sie hat in dieser Zeit viel geweint. Die Fürsorge haben wir später mit unserer Rente zurückbezahlt.
Ein Forstbediensteter mit seiner Ehefrau und deren Schwester erhielt ein Bleiberecht in Falkenfels gegen eine Austauschfamilie. Austauschverfahren waren gängige Praxis. Ein Werkmeister der Firma Baier erhielt 1947 eine Aufenthaltsgenehmigung für die Dauer seiner Beschäftigung in Falkenfels. Umgekehrt musste die Gemeinde in jedem einzelnen Fall eine schriftliche Versicherung abgeben, einen Einwohner, der auswärts Arbeit fand, nach Beendigung seiner Tätigkeit wieder aufzunehmen. Selbst für Besuche bei Verwandten bedurfte es einer Aufenthaltsgenehmigung. Fürs Wegziehen von Falkenfels waren in der ersten Zeit die Anträge selten.
Es war insgesamt das ernste Bestreben, alle Flüchtlinge baldmöglichst sesshaft zu machen; denn die Militärregierung befürchtete Unruhen und herumstreunende Horden, zumal in einem Flüchtlingslager andernorts wegen der unmenschlichen Bedingungen bereits ein Hungerstreik ausgebrochen war. Genaue gesundheitliche Kontrollen beim Wegzug aus einem Lager sollten Seuchen vorbeugen helfen.
Zugeteilt und registriert
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Viele Menschen hatten damals keine Ausweispapiere mehr. Nur einzelne besaßen eine Kennkarte oder gar einen Reisepass. Als Ausweispapiere fanden Verwendung: Fahrradschein, Zeugnis der Handwerkskammer, Stammbuch, Registrierschein der Militärbehörde, Entlassungsschein aus der Gefangenschaft, bei den Sudetendeutschen Transportzettel für Evakuanten. Mitte 1946 begann die Regierung eine Registrierungsaktion zwecks Ausstellung einer Kennkarte. Dazu mussten alle Erwachsene ein Formular ausfüllen und den Abdruck beider Daumen, eingefärbt auf einem blauen Stempelkissen, darauf hinterlassen (Kopie auf der nächsten Seite).
Die Angaben in den Formularen enthalten aufschlussreiche Hinweise. In der Zeit vom 20. Februar 1945 bis Juni 1949 traf in der Gemeinde Falkenfels in etwa auf drei Erwachsene jeweils ein Flüchtling, wobei sich insgesamt 175 erwachsene Flüchtlinge registrieren haben lassen. Von den Kindern fehlen uns die Zahlen. Dabei waren die Schlesier und die Sudetendeutschen mit ungefähr gleich mächtigen Gruppen am stärksten vertreten, gefolgt von der etwa halb so großen Gruppe der Ostpreußen, Polen und Litauer und weit abgeschlagen die kleine Minderheit aus Jugoslawien, Rumänien und Bessarabien.
Im Schloss waren folgende erwachsene Flüchtlinge untergebracht: 13 Schlesier, 26 Sudetendeutsche, 16 Ostpreußen (einschließlich der Flüchtlinge aus Polen und Litauen) und 6 Flüchtlinge aus Rumänien. Dazu gehörte natürlich jeweils wieder eine größere oder kleinere Schar Kinder, zu deren Zahlen wir aber ebenfalls keinen Schlüssel haben. Lediglich aus Schülerbögen sind knapp 60 Flüchtlingskinder für Falkenfels herauszufinden.
Im Lehrerwohnhaus zu Falkenfels fanden Lehrer Fendler mit Frau, zwei Kindern und die Schwiegermutter Platz, dazu sein aus Jugoslawien stammender Kollege; ferner die als Lehrerin eingesetzte Katharina Minsfen aus Schlesien mit ihrer Schwester und Mutter; außerdem der ehemalige Leiter der aufgelösten Lehrwerkstätte im Schloss, Franz Schmid aus München, und seine Ehefrau. Diesen hatte im Januar 1947 jemand beim Flüchtlingskommissar im Landratsamt Bogen „verpfiffen", dass er einer Flüchtlingsfamilie den Wohnraum wegnehme. Er konnte aber einen Mietvertrag vom 1. September 1945 mit dem damaligen Bürgermeister von Falkenfels nachweisen für die Wohnung des ehemaligen Falkenfelser Lehrers Kracher, die er benutzte. Zu diesem Zeitpunkt waren Wohnräume noch nicht beschlagnahmt gewesen.
Die übrigen Flüchtlingsfamilien wohnten in den Häusern der verschiedenen Gemeindeteile. Diese hatten kein fließendes Wasser und das Toilettenhäuschen stand im Hof. Dagegen konnte die Wasserleitung im Schloss erneuert werden, weil dafür Mittel zur Verfügung gestellt wurden.
Das Mindeste zum Leben
Der nächste Schritt war die Beschaffung einer Mindestausstattung wie ein Tisch, Stühle, ein Kasten, ein Ofen, eine Bettstelle, Bettdecken und Geschirr. Dazu wurden Handwerker aus den Reihen der Einheimischen und Flüchtlinge herangezogen, aber es fehlte schon an Material und Werkzeug. Der Bürgermeister wurde von allen Seiten bedrängt, so dass er sich einmal nicht mehr anders zu helfen wusste als zu sagen: „Ja, Leute, ihr dürft nicht so anspruchsvoll sein!" Dabei stand aber ohnehin nur das Notwendigste zu Gespräch. Wer keine Kochgelegenheit hatte, musste bei der Hausfrau am Herd geduldet werden. Im Schloss stand zunächst die Schlossküche zur Verfügung, bald aber war für jedes Zimmer ein Ofen bereit. Gegenstände fürs tägliche Leben wurden für längere Zeiträume ausgeliehen bzw. manchmal beschlagnahmt nach dem Motto: „Wer zwei Dinge hat, gebe eines dem, der keines hat." So wurde beispielsweise im Februar 1947 im Forst ein Ofen beschlagnahmt.
Zur Lösung der anfallenden Probleme war im Landratsamt ein Flüchtlingskommissar eingesetzt, wurden unter den Flüchtlingen Vertrauensleute gewählt und half seit Anfang 1947 ein hauptamtlicher Flüchtlingsobmann, der im Landkreis zu Sprechstunden herumgeschickt wurde.
Lebensmittelmarken und eigene Ideen
Die Hauptsorge galt dem Nahrungsbedarf. Die Lebensmittel wurden durch Marken zugeteilt bzw. rationiert, was kaum den größten Hunger stillte. Manche Flüchtlinge halfen in der Landwirtschaft mit, dabei galt beispielsweise folgende Taxe: „Für einen Zentner Kartoffeln musste man eine ganze Woche von Morgendämmerung bis Abendgrauen Kartoffeln klauben. Und Kartoffeln bildeten das Hauptnahrungsmittel; Brot war eine Köstlichkeit, für dessen Beschaffung man oft lange Schlange stand (Mitterfelser Magazin 4/1998). Im Sommer wurden die Früchte des Waldes, hauptsächlich Pilze und Heidelbeeren, gesammelt und durch Trocknen auch für den Winter haltbar gemacht. Im Herbst wurden Getreideähren auf den Feldern nachgelesen und Bucheckern geholt und Backöl damit eingetauscht. Da zog dann der Gestank und Rauch von dem minderwertigen Öl zur Kochzeit durch alle Gänge des Schlosses. Manchmal bekam man von einer mildtätigen Hand etwas geschenkt.
Etliche Flüchtlinge lachten sich auch eine einheimische „Liebe" an und waren dadurch etwas besser gestellt. Einer hat es einmal, als er bei einem „Stelldichein" überrascht wurde, so kommentiert: „Nicht wahr, jeder muss zusehen, wie er zu seiner Butter kommt."
Flüchtlingskinder und Kinder der Einheimischen zusammen in einer Klasse der Schule Falkenfels (Schuljahr 1948/49: 3./4. Jahrgangsstufe mit Sazellan Alois Wensauer und Lehrerin Kiesl) - Vergrößern durch Klick in Foto!
Schulspeisung und Gartenpacht
Ab 1947/48 gab es Schulspeisung, deren Zutaten der Sazellan verwaltete. Frau Hauke, eine Schlesierin, kochte. Damit wurden zum Teil auch die einheimischen Kinder bedacht, die ja in der Regel auch nur dürftig ernährt waren. Wenn eine Familie drei Kinder hatte, durften jeweils nur zwei daran teilnehmen; nach einem Monat wurde gewechselt. Besondere Freude brach immer über eine Tafel Schokolade aus, die einmal im Monat zugeteilt wurde, manchmal reichte es aber nur zu einem Schokoladepudding.
Damit man im Winter eine warme Stube hatte, trug man Tannenzapfen und Zänken (dürre Äste) heim, der Waldboden lag wie ausgefegt. Man schnitt auch heimlich manchmal in einer Vollmondnacht einen dürren Baum um, eine Gewissensbelastung, die meine Mutter einmal in den Beichtstuhl trug und dafür als Zuspruch erntete: „Da haben Sie aber recht gehabt." Selbst die Polizei schaute darüber hinweg und gab meiner Mutter den Tipp, immer zu Hause gleich das unterste Stück des Baumstämmchens abzuschneiden, damit man nicht mehr feststellen könne, woher es komme.
Seit 1947 lief bayernweit eine Gartenpachtaktion für Flüchtlinge; sie sollten ein Stück Garten selber bewirtschaften können. In Falkenfels ging die Sache nur schleppend voran. Zunächst wurde das Baumland nächst dem Schulhaus ins Auge gefasst. Als die Besitzerin sich weigerte, drohte man gar mit Enteignung; da kam aber ein Wink vom Landrat, man möge davon Abstand nehmen. Im April 1948 versuchte man die Angelegenheit kurz und schmerzlos zu lösen, indem für 13 Flüchtlingsfamilien der Quartiergeber ein Stück Hausgarten abtreten und die übrigen eine Parzelle vom Gemeindegrundstück in Riederszell erhalten sollten. Herr Gronau aus den Reihen der Flüchtlinge wurde als Gartensachbearbeiter aufgestellt. Die Lösung war aber schon wegen der Entfernung von Falkenfels nach Riederszell nicht praktikabel. Im Juni 1948 einigte man sich auf ein Gartenland beim Turnplatz. Die Anteile waren sehr begehrt. Als einem Pächter 1950 eine Parzelle abgenommen und weitervergeben wurde, weil er zwei hatte, stellte er Schadenersatzansprüche für:
5 Fuhren (große Handwagen) Komposterde 3,50 DM
Wagenleihgebühr 1,00 DM
4 Pfund Lupiniensamen als Gründünger 2,00 DM
1 Pfund Kunstdünger 1,00 DM
3 Stunden Grabezeit im Herbst 2,10 DM
Wir wissen nicht, ob der Pächter entschädigt worden ist; denn in der Stellungnahme der Gemeinde ans Landratsamt wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er das Grundstück schon im Frühjahr 1949 bekommen und deswegen schon einmal geerntet habe.
Man baute nicht nur Gemüse, sondern hauptsächlich auch Kartoffeln an. Wenn dabei die Kartoffelkäfer überhand nahmen, beschwerten sich wiederum die einheimischen Besitzer der angrenzenden Felder und die Säumigen wurden zum Kartoffelkäferklauben aufgerufen.
Ein weiterer drängender Punkt war die Arbeitsbeschaffung. Als erster ergriff Herr Heinz von Schimmelmann, damals Besitzer von Schloss Falkenfels und Flüchtlingsobmann, die Initiative und begann die Fabrikation von Strohschuhen (Mitterfelser Magazin 7/2001). Als Mitarbeiterinnen konnte er zwei Damen aus Polen und neun aus Schlesien gewinnen, darunter die Aufsichtsperson, die in ihrem ursprünglichen Beruf Buchhalterin gewesen war und mit ihren 50 Jahren schon gesetzteren Alters. Einige Damen konnten sich als Schneiderinnen ein Zubrot verdienen. Drei Frauen aus Heinrichsgrün und eine aus Graslitz waren im Klöppeln bewandert und tauschten schon einmal einen geklöppelten Kragen oder ein Deckchen gegen ein Stück Fleisch, Wurst oder Butter. Ansonsten gab es keine Arbeitsmöglichkeiten, insbesondere nicht für Männer, die damals als Ernährer einer Familie angesehen wurden.
Kinder, die während des Zweiten Weltkrieges wegen der Bombenangriffe aus den Großstädten nach Falkenfels evakuiert waren, zusammen mit Einheimischen vor dem Gasthaus Moro: Helga und Resi Schwitzgebler (3. und 5. v. l.); Linda .... (8. v. l.), die bei Schreiner Rupert (heute Bayerwaldstr. 24) einquartiert war. (Name nicht mehr bekannt.)
Die Erwachsenen (v. l.): die Wirtsleute Josef und Maria Moro und die Postbotenseheleute Anton und Maria Dietl.
Einheimische Kinder: Josef Moro (links), Maria Moro (6. v. l.), Hildegard Dietl, Postbotenstochter (3. v. r.), Helene Dietl, Schmiedemeisterstochter (2. v. r.), Xaver Fuchs, Mesnersohn (rechts) - Foto bei H. und E. Ebenbeck, Sossau - Vergrößern durch Klick in Foto!
Abwanderung
So begann nach der Währungsreform 1948 die Abwanderung aus Falkenfels. Zur Wahl des Flüchtlingsvertrauensmannes am 11. März 1951 wurden noch 57 Flüchtlinge in der Liste geführt. Für das Schloss war am 30. Juni 1951 eine Meldung der Bewohner an das Flüchtlingsamt fällig. Es wurden 53 Personen aufgezählt einschließlich der Kinder; davon waren aber 10 Personen keine Flüchtlinge. Die Einwohnerzahl der Gemeinde Falkenfels sank bis 1950 auf 871 herunter, bis 1952 sogar auf 751.
1951 war Schloss Falkenfels an einen neuen Besitzer übergegangen, F. X. Baier aus Straubing, der 1952 ein Hotel darin eröffnete und vorher die völlige Räumung des Schlosses betreiben musste. Ein Teil der Flüchtlinge im Schloss fand in der neuen Siedlung in Hunderdorf Unterkunft. Der neue Schlossbesitzer bot den Umzugswilligen bei sofortigem Packen einen kostenlosen Transport an. Bei der Ankunft hatte die Bäckereibesitzerin von Hunderdorf in jeder Wohnung schon warm eingeheizt in der Vorfreude auf neue Kunden. Als der Landrat zur Besichtigung kam, war fast alles belegt, obwohl er die Hälfte der Wohnungen für Flüchtlingsfamilien aus dem übrigen Landkreis reserviert haben wollte. Als er bei Herrn Baier monierte, dass es so nicht gehe, bekam er zur Antwort: „Du siehst, dass es schon gegangen ist!"
Rückblickend kann man sagen, dass trotz der schweren Lebensumstände Flüchtlinge und Einheimische letztlich doch zu einem gedeihlichen Miteinander fanden und auch von einer inneren Zuversicht getragen waren. Und die in Falkenfels geborenen Flüchtlingskinder haben den Ort schon als ihre Heimat angenommen. So wird von einem in Falkenfels geborenen Schlesierjungen erzählt, er habe sich nach dem Umzug der Familie nach Straubing 1954 auf die Stuben des neuen Eigenheims gehockt und lamentiert: „Wa ma z' Fokafels blieb'n!"
1 Wir verwenden den Begriff „Füchtlinge" als Sammelbegriff - wie es im allgemeinen Sprachgebrauch üblich war - für Flüchtlinge und Heimatvertriebene.
Schriftliche Quellen:
Archiv der Gemeinde Falkenfels, lfd. Nr. 22 und 44
Amtl. Gemeindeverzeichnis für Bayern: Ortsansässige Bevölkerung nach der Volkszählung vom 25.10.1946, Heft 10
Historisches Gemeindeverzeichnis, Heft 192 der Beiträge zur Statistik Bayerns, hrgb. vom Bayer. Statistischen Landesamt
Therese Fendl, Das war mein Leben (unveröffentlicht)
Mündliche Quellen:
Richard Hauke (Schlesier), Straubing
Ein Sudetendeutscher (Name ist der Verfasserin bekannt) aus Lipkowitz, Kreis Luditz
Cilli Penzkofer (Semmelmann-Enkelin), Willerszell
Hilde Ebenbeck, geb. Dietl, Sossau
Hilde Scheichl, früher Falkenfels, später Dominikanische Republik
Hermine Schmid, geb. Janker, Roth
Eigene Erinnerungen als Kind, evakuiert aus dem zerbombten Berlin
Quelle: Edda Fendl, in: Mitterfelser Magazin 10/2004, Seite 115
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- MM 11/2005. Die schrecklichen Erlebnisse des Homberger Jakl aus Mitterwachsenberg
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- Filmteam zu Gast in Mitterfels