Heimatliche Pretiosen (Burgen, Hiensölde, Totentanz . . )
Die Votivtafel am Altar der St.-Nikolaus-Kirche in Falkenfels
„Die Kirche St. Nikolaus in Falkenfels am Nordende des Dorfes scheint eine sehr alte Kirche zu sein, ja es existiert sogar eine alte Volkssage, daß an der Stelle früher ein Heidentempel gestanden sei. Auch eine Begräbnisstätte soll früher daselbst gewesen und noch vor kurzer Zeit ein Totenschädel, der früher herausgegraben worden, auf dem Dachboden vorhanden gewesen sein soll. Früher soll dieselbe auch eine Orgel besessen haben, welche nach dem Schloßbrande 1807 nach St. Johann wandern mußte, während die Orgel der Johanniskirche in die Schloßkirche St. Josef versetzt wurde. Der Altar der Kirche St. Nikolaus wurde im Jahre 1868 durch den Maler März in Straubing um 20 fl. (Gulden) neugefaßt.”
So beschreibt Sazellan Jakob Christoph in seiner Agende aus dem Jahre 1879 die kleine Filialkirche von Falkenfels, die dem hl. Nikolaus geweiht ist. Diese historischen Anmerkungen fallen vergleichsweise mit seinen geschichtlichen Notizen über die zwei weiteren Kirchen des Ortes äußerst spärlich aus und resultieren wahrscheinlich aus einer geringeren Wertschätzung, die diese Kirche zur Zeit seines Wirkens in der Sazellanie Falkenfels vom 5. Juni 1877 bis 28. Mai 1884 fand. Tatsächlich hatte die Nikolaus-Kirche an Bedeutung verloren, nachdem sich die Burgkapelle im Laufe der Zeit zur Hauptkirche entwickelt hatte, da der Sazellan in ihrer unmittelbaren Nähe wohnte und diese Kirche nicht nur der Burgherrschaft, sondern - wenn auch in großer Enge und unter sehr provisorischen Bedingungen - der damals noch recht spärlichen Dorfbevölkerung Raum bieten konnte. Nachdem im Jahre 1897 unter dem Sazellan Johann Junk mit der Erweiterung der Schlosskapelle begonnen wurde, die noch im selben Jahr abgeschlossen werden konnte, wurde St. Nikolaus als Ausweichraum für Gottesdienste sogar noch entbehrlicher.
Die Tatsache, dass früher im Umkreis der Kirche Totenschädel ausgegraben wurden, deutet darauf hin, dass ursprünglich hier der Friedhof angelegt war und in den Anfängen der Ortsgeschichte die Toten in St. Nikolaus beerdigt wurden.
Die Außenansicht des kleinen Kirchleins trägt zweifellos romanische Züge, die auf eine Entstehungszeit zwischen dem Ende des 10. Jahrhunderts und der Mitte des 13. Jahrhunderts schließen lassen. Will man aber dem Inhalt der alten Volkssage, dass hier früher ein Heidentempel gestanden sein soll, Glauben schenken, würde dies bedeuten, dass die ersten Anfänge dieser Kirche sogar bis in vorchristliche Zeiten zurückreichen würden und dieser Standort als Nachfolger einer heidnischen Kultstätte gewählt wurde. (Bild 1 und 2)
Die Altaranlage von St. Nikolaus (Bild oben) ist ihren stilistischen Merkmalen nach eindeutig in die Zeit des frühen Barock (2. Hälfte des 17. Jh.) einzuordnen. Im Mittelpunkt des gesamten Ensembles steht die Figur des hl. Nikolaus, flankiert von zwei Relieffiguren, links Johannes der Täufer und rechts der hl. Christophorus. Im Altaraufsatz befindet sich die Figur des hl. Sebastian, dessen Leidensweg und Martyrium von zwei barocken Engeln verherrlicht wird.
Nur dem aufmerksamen Betrachter des Altarbildes fällt zusätzlich ein spätgotischer Altarschrein ins Auge, der an der sonst üblichen Stelle des Tabernakels in den Altar eingearbeitet wurde und sich in einem deutlichen stilistischen Gegensatz zum Gesamtbild des Altares befindet. (Bild unten)
Das Votivbild zeigt eine Darstellung der Anna selbdritt, der hl. Anna also zusammen mit Maria und dem Jesuskind, deren Verehrung sich in unserem Kulturkreis im Laufe des Mittelalters festigte, deren Fest jedoch erst im Jahre 1485 verbindlich vorgeschrieben wurde. In zeitgenössischen Darstellungen wird Anna selbdritt nicht nur allein mit Maria und dem Jesuskind abgebildet, sondern zum üblichen Gesamtensemble gehören auch Heilig-Geist-Taube und darüber Gottvater. Die Heilig-Geist-Taube ist auf dem oberen Bildrand nur noch in Ansätzen zu sehen, Gottvater fehlt in der Darstellung gänzlich.
Dieser Umstand darf wohl als Hinweis gewertet werden, dass dieses Bild nicht von vorneherein zum Altaraufbau gehörte, sondern erst nachträglich in das Altarbild eingearbeitet wurde.
Rechts unten im Bild ist ein Ehepaar abgebildet, das sich in ehrfürchtiger und flehender Haltung an die Hl. Familie wendet und das sich in ihrer Renaissance-Kleidung deutlich von der Kleidertracht der hl. Anna und der hl. Maria unterscheidet, die in gotischer Kleidung abgebildet sind. Die Inschrift des linken Spruchbandes, die im Gegensatz zum rechten Spruchband noch recht deutlich zu lesen ist, hat den Inhalt „Hilf, liebe Frau Anna Selbdrit” und deutet darauf hin, dass es sich um ein Votivbild handelt, das in ganz bestimmter Absicht gestiftet wurde. Da damals üblicherweise die Anna selbdritt von Ehepaaren angerufen wurde, die kinderlos geblieben waren, ist das Anliegen der beiden Bittsteller in diesem Zusammenhang zu suchen.
In der Ahnenreihe der Burgherren von Falkenfels gibt es mehrere Geschlechter, die ohne eigene Erben geblieben waren. Zeitlich gesehen trifft diese Situation vor allem auf Wilhelm von Paulsdorf zu, der 1494 nach seinem Vater Hans von Paulsdorf Herr von Falkenfels geworden war. Dieser Wilhelm von Paulsdorf heiratete viermal. Seine erste Frau war Ursula von Haibeck zu Wiesenfelden, mit der er 1487 die Ehe einging und die ihm 1488 den Besitz Wiesenfelden als Heiratsgut einbrachte, ihm aber keinen männlichen Erben schenken konnte. Die zweite Ehe schloss er mit Anna von Hohenrain, der heißersehnte Stammhalter blieb ihm auch mit ihr versagt. Als dritte Frau führte er 1517 Helena von Ortenburg an den Traualtar, aber auch diese Verbindung scheint kinderlos geblieben zu sein. Deshalb versuchte er es mit einer vierten Frau, nämlich Margaretha von Stauf, die ihm aber erst nach seinem Tode den so heiß-ersehnten Stammhalter gebar, und der „kaum daß er die vier Wände beschrieen hatte“ wieder verstarb.
Wenn man zudem weiß, dass diesem Wilhelm von Paulsdorf im Jahre 1506 das sogenannte „Primogeniturgesetz” ausgerechnet von seinem Intimfeind und großen Widersacher seines Vaters Hans von Paulsdorf im Löwlerkrieg dem Bayernherzog Albrecht IV. (1465 bis 1508) vor die Nase gesetzt wurde, das nicht nur die Unteilbarkeit der im Herzogtum Bayern vereinigten Fürstentümer regelte, sondern vor allem auch die erbliche Nachfolge auf den Erstgeborenen im Mannesstamm beschränkte, dann ist unschwer zu ahnen, welche Bedeutung für Wilhelm von Paulsdorf die Geburt eines männlichen Nachkommens hatte.
Gerade dieser Herzog Albrecht IV. hatte seinem Vater Hans von Paulsdorf im Löwlerkrieg arg zugesetzt und übel mitgespielt, als er 1492 seinen Feldhauptmann Burkhard von Knörringen zusammen mit einigen Haubitzen und Viertelskanonen nach Falkenfels, das damals ein Mittelpunkt des Aufstandes war, schickte, der mit 300 wehrhaften Männern die Burg belagerte, schließlich am 8. Juni desselben Jahres eroberte und in Schutt und Asche legte. Hans und Wilhelm von Paulsdorf wurden gefangengenommen und gefesselt nach Straubing gebracht, aber nach kurzer Inhaftierung wieder in die Freiheit entlassen.
Grabstein der Paulstorfer im Nationalmuseum in München (Foto: Theo Breu)
In Anbetracht dieser Ereignisse wird man verstehen, dass Wilhelm von Paulsdorf seinen Besitz Falkenfels nicht durch das Ausbleiben eines männlichen Nachkommens verlieren wollte. Aber auch die große Fürbitte bei Anna selbdritt scheint nicht geholfen zu haben. Dieser Wilhelm von Paulsdorf musste, da seine Ehen kinderlos, d. h. zumindest ohne männlichen Nachkommen geblieben waren, sich als sogenannter „Herrenpfründner” zu Lebzeiten in das Kloster Windberg einkaufen, und seine letzte Frau Margarethe von Stauf heiratete um 1525 den Ritter Sebastian von Seyboldstorff, wodurch das Herrschaftsgut Falkenfels in den Besitz derer von Seyboldstorff, einem alten bayerischen Adelsgeschlecht, überging. (Bild 4)
Den sichersten Beweis für die Identität Wilhelms von Paulsdorf als Votant bei Anna selbdritt liefert das Wappen, das auf der linken Seite des Votivbildes zu sehen ist. Das Wappenzeichen, eine schräge Vierung in den Farben weiß und rot, stellt das Familienwappen der Paulsdorfer dar, wie es auch auf dem Grabstein seines Vaters Hans von Paulsdorf († 1494) zu sehen ist und wie es noch heute Teil des Wiesenfeldner Gemeindewappens ist. Das zweite Wappen auf der rechten Seite des Votivbildes muss seiner dritten Frau Helena von Ortenburg zugeordnet werden. Der weiße Zinnenbalken von links oben nach rechts unten auf rotem Grund ist das Wappenzeichen der Familie Ortenburg.
Über die auf dem Votivbild zwischen den beiden Wappenzeichen zu lesende Jahreszahl 1682 darf weiter spekuliert werden. Ziemlich sicher ist, dass diese Jahreszahl in keinem Zusammenhang zum Inhalt des Bildes zu sehen ist. Vermutlich dokumentiert diese Zahl das Jahr, in dem das Votivbild, das vordem wahrscheinlich Teil des Hochaltares der Burgkapelle gewesen war, nach St. Nikolaus transferiert wurde. Ob damals die Burgkapelle renoviert wurde oder gar eine neue Innenausstattung bekam, ist eine Frage, die durch keine Quellen belegt werden kann.
Es ist aber anzunehmen, dass die Burgkapelle im Laufe seiner Geschichte mehrere Male restauriert, umgestaltet und dem jeweiligen Zeitgeist oder dem künstlerischen Empfinden der jeweiligen Besitzer angepasst wurde. Dieser Umstand ist um die fragliche Zeit von 1682 sehr leicht möglich gewesen, da die damaligen Besitzer von Falkenfels aus dem Geschlecht derer von Weichs als sehr kirchenfreundlich und religiös galten.
Demnach könnte diese Umgestaltung der Schlosskirche unter der Herrschaft eines Simon Freiherrn von Weichs stattgefunden haben, der im Jahre 1686 verstarb. Auch seine Frau Theresia von Hörwarth hatte für die Kirche viel übrig, gründete sie doch in ihrem Todesjahr 1699 durch Testament vom 24. April des Jahres jenes „fidei comis”, in dem sie Stiftungskapitalien an mehrere Kirchen verfügte, unter anderem auch für die Sazellanie Falkenfels in Höhe von 5ooo Gulden, ein Kapital, das übrigens bei der Buchstetten’schen Gant 1820 verlorenging.
Auch die Kirche St. Nikolaus scheint in dieser Zeit eine Erneuerung oder Umgestaltung erfahren zu haben. Der frühbarocke Altarrahmen wurde wahrscheinlich zu damaliger Zeit angekauft und mit den Bildern und Figuren der alten Kirche bzw. der Schlosskapelle ausgestattet. Einen Hinweis darauf liefern auch die Ausmaße des Altaraufbaues, dessen Proportionen die kleine Apsis der Kirche deutlich überfordern. So verdecken die Aufbauten des Altares zum großen Teil das Deckengemälde, das Gottvater und die Heilig-Geist-Taube darstellt. Wenn man dieses Deckenbild als sinngemäße Ergänzung der fehlenden Teile des Votivbildes sehen will, dann wäre damit die Darstellung der Anna selbdritt wieder vollständig.
So gesehen gibt dieses Votivbild im Hochaltar der Kirche nicht nur ein sehr persönliches Schicksal aus dem Leben einer herrschaftlichen Familie preis, es gehört zudem selbst zu den ältesten historischen Zeugnissen unserer Ortsgeschichte, das allein durch seine Auslagerung im Jahre 1682 vor den verheerenden Flammen jenes Brandes, der im Jahre 1807 unsere Burg heimsuchte, gerettet wurde und der Nachwelt erhalten blieb.
Quelle: Theo Breu, in: Mitterfelser Magazin 2/1996 (in neuer Bearbeitung und Bebilderung)
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