Brauchtum
Um die Losnächte zwischen den Jahren
Von Josef Fruth, Fürsteneck - aus: Der Bayerwald 4/2010
Die Nacht um Sankt Andreas (30. November) hat im Wald die Losnächte eingeleitet. Nach uraltem Volksglauben sind darin vom Abendläuten bis zur Hahnenkraht die Geister los; der Bann ist von ihnen genommen.
In der Bauernstube rückt man nach Feierabend zusammen zur Kurzweil um den eichenen Tisch. Zufälligen Bleigebilden suchen die Jungen Sinn zu geben in dunkler Deutung. Mit Traumaugen forscht manches Mädchen hinter dem Nornenschleier der Zukunft. Die Magd geht in die frostige Gartennacht, ein Bäumchen rütteln; nach den vier Winden wirft sie den Schuh, wo darauf der Hahn kräht oder ein Hund in den Mond bellt, von dort wird der Liebste kommen, sie heimzuholen. Diese Nacht senkt die ersten Schicksalschatten in die Träume der Schläfer, wer dabei einen Leichenzug schaut, wird schweren Verlust erleiden. Mancher sah sich im Traum die eigene Leiche begleiten und ist gestorben im folgenden Jahr, so sagt uns die Waldbauernahne, die in der Dämmerung auf der Ofenbank sitzt; ihre alten Werkelhände ruhen noch nicht, sie spinnt Wolle für die Wintersocken.
Fünf Tage später erscheint der Nikolo. Der glänzende Percht, eine Lichtgestalt aus der Heidenzeit, hat sich in den Heiligen Nikolaus verwandelt, den schenkenden Kinderfreund mit Zuckerstern, Äpfeln und Nüssesack. Aus seinem Gefolge brechen Krampus und Klaubauf, die dem Rudel der wilden Heidenperchten entstammen, in die Kinderwelt ein.
Früher wurden sie im Wald von der Habergeiß, einem riesigen Ungetüm mit Geißenhaupt, begleitet. „Schwingerl voll Darm!“ - ruft am langen Vorabend von St. Luzia, der Lichtbringerin, ein schauriges Winterweib durch das Walddorf. Sie wetzt am Hoftor das lange Messer, manchmal kriecht sie auf allen Vieren fellbekleidet in die dämmernde Stube hinein. Am liebsten möchte sie die bösen Buben schlachten. Um den Luzientag erscheint im oberen Wald an der böhmischen Grenze auch der Sülvogel, ein dunkles Seelentier der Vorzeit. Mit seinem Riesenschnabel schaut er durchs Fenster und geistert weiter durch die Losnächte. Am Thomasabend pumpert der blutige Thamerl mit seinem Hammer an die Tür und streckt durch einen Spalt seinen Haxen herein, der mit Saublut beschmiert ist. Sein Hammer ist ein heidnisches Fruchtbarkeitssymbol; mit ihm schlug der Donnergott auf die Gewitterwolken. Der bluatige Thamerl ist bekannt als Sautod. Wie heute unsere Mettensau, wurde in der vorchristlichen Zeit der Suleber geschlachtet zum Festmahl für die Wintersonnenwende.
Als die Waldbauernahne noch jung war, übten neugierige Evastöchter in der Thomasnacht gerne das Strohsacktreten mit dem Sprüchlein: „Bettstatt i tritt‘ di, Sankt Thomas, i bitt‘ di, lass mir erscheinen den Herzliebsten meinen!“ Bei der Ahne ist es, wie sie erzählt, wahr geworden, dass sie später zur Bäuerin von einem Mannsbild genommen wurde, das im Traum der Losnacht als ihr damals noch Unbekannter in ihre Kammer eingedrungen ist.
Ja, damals ist es noch scheuchtsamer gewesen, sagt sie, in den Losnächten, die geheimnisumwittert sind, von der Unterwelt bedroht. Da haben es die Jungen einmal gewagt, auf die Rockenreise zu gehen zum Veiten in die Einöd hinauf. Dieser Bauer war ein rescher Mann, der es ihnen nicht übel nahm, wenn sie zwischen dem winterlichen Dreschertakt abendliche Kurzweil trieben in der Spinnstube. Aber in der Losnacht sollte man nicht arbeiten, noch einer Tanzmusik frönen. Das Jungvolk hat aber damals rundauf geflankelt und der lustige Hannes hat die Spinnerinnen unter den Klängen der Mundharmonika wieder heimgebracht. Es war im dämmernden Zwielicht, da ist dem Musikanten die lustige Weise ausgeblieben, als sie in der windigen Nacht übergangen wurde von einem Meckern, wie von einer riesigen Geiß, von einem Wiehern, rau und gespenstisch anzuhören, von einem Jaulen und Hatzgeschrei, als wäre die Hölle losgebrochen, so dass sie alle das Grausen packte. Dunkle Gestalten tauchten um sie auf aus Ast- und Wurzelwerk. Sie warfen sich zur Erde, weil das Nachtgejaid in wilder Fahrt über sie hinwegbrauste. Als die Rockenreiser den Wald hinter sich hatten und wieder glücklich daheim waren, gelobten sie, nie wieder musizierenderweise den Weg der Nachtgeister zu kreuzen, denen freie Bahn gegeben ist in den Losnächten.
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