Mitterfels
Ein Schritt in die Selbstständigkeit
Noch ist es eine Baustelle, aber bald wird das für Christian Dietl (Zweiter v. l.), Christian Wolf (Dritter v. l.) und Martin Prommersberger (r.) ihr neues Zuhause sein. Gemeinsam mit Axel Weigert (l.) und Tina Helmbrecht (Dritte v. l.) von der Katholischen Jugendfürsorge (KJF) machten sie einen Rundgang durch den Rohbau des neuen KJF-Wohnheimes in der Pröllerstraße. Fotos: Verena Lehner – Vergrößern durch Anklicken!
Ein neues Wohnheim in Mitterfels …
… ermöglicht Menschen mit geistiger Beeinträchtigung und erworbener Hirnschädigung etwas, das für die meisten selbstverständlich ist: Unabhängigkeit erleben.
Wer in den vergangenen Monaten durch die Pröllerstraße in Mitterfels gefahren ist, dem ist sie sicher aufgefallen: die riesige Baustelle. Seit Monaten wird dort gemauert, gesägt und gehämmert. Doch für Christian Dietl, Martin Prommersberger und Christian Wolf ist das Ganze viel mehr als nur eine Baustelle. Hier entsteht ihr neues Zuhause. Sie sind drei von insgesamt 24 Menschen, die im Herbst in das neue Wohnheim der Wohngemeinschaft Sankt Hildegard der Katholischen Jugendfürsorge (KJF) einziehen werden, das gerade in der Pröllerstraße 17 entsteht. Gemeinsam mit den drei künftigen Bewohnern durfte unsere Mediengruppe einen Rundgang durch die Baustelle machen.
Die Vorfreude auf das, was kommt, ist den drei jungen Männern anzumerken, während sie durch die Baustelle gehen. „Für mich ist das natürlich ein großer Schritt“, sagt Christian Dietl. Er ist 38 Jahre alt und hat bislang bei seinen Eltern gewohnt. „Doch die werden auch nicht jünger und so haben wir gemeinsam beschlossen, dass ich den Schritt in die Selbstständigkeit wage und hier einziehe.“ Ob er nervös ist? Nein. Die Vorfreude überwiegt, sagt er. Und seine Eltern hätten die Gewissheit, dass er hier gut versorgt ist.
„Ich will mir beweisen, dass ich selbstständig sein kann“
Auch Christian Wolf, 36 Jahre alt, kann es kaum erwarten, bis er im Herbst hier sein eigenes Appartement beziehen kann. Er wohnt ebenfalls noch bei den Eltern und hat vor allem ein Ziel: „Ich will es mir selbst beweisen, dass ich es auch ohne Eltern schaffe. Dass ich selbstständig sein kann.“
Mit bei dem Rundgang dabei sind Axel Weigert und Tina Helmbrecht. Weigert ist Leiter der Wohngemeinschaft Sankt Hildegard, Helmbrecht ist vom pädagogischen Fachdienst. Sie erklären das Besondere an diesem Wohnheim, das so in dieser Form in der Region komplett neu ist. Denn, so erklärt Weigert, das Wohnheim ist nicht nur für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, sondern auch für Menschen mit einer sogenannten erworbenen Hirnschädigung. „Diese Bewohner haben spezielle Bedürfnisse, auf die wir hier eingehen können“, erklärt Helmbrecht, die nicht nur am pädagogischen Konzept für die neue Einrichtung mitgearbeitet hat, sondern auch die Gespräche mit den künftigen Bewohnern führt. „Es ist natürlich wichtig, dass die Menschen, die hier einziehen, sich wohlfühlen und auch irgendwie zusammenpassen“, sagt sie. Das ist auch ein Grund, warum die künftigen Bewohner von Anfang an in die Planung miteinbezogen wurden. „Wir haben unser Konzept an die Bedürfnisse unserer künftigen Bewohner angepasst, aber sie auch bei der Einrichtung der Räume miteinbezogen“, erklärt Weigert. So durften sie beispielsweise bei der Wahl Küchenfronten oder der Bodenbeläge mitreden und sich einbringen.
Insgesamt sechs der 24 Plätze in dem Wohnheim sind für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung vorgesehen. Martin Prommersberger ist einer von ihnen. Der 44-Jährige war bis zu seinem 42. Lebensjahr gesund. Doch ein Schlaganfall hat sein Leben von einem Tag auf den anderen verändert. „Ich benötige überall dort, wo man zwei gesunde Hände braucht, Hilfe“, erzählt er. Seine linke Hand sei gelähmt. Er wohnt momentan noch bei seiner Mutter. Doch auch die sei nicht mehr die Jüngste. Er freue sich, dass er mit diesem neuen Wohnheim die Möglichkeit bekommt, wieder selbstständiger zu leben.
Solche Wohn-Angebote für Menschen wie Martin Prommersberger gibt es nicht viele. Denn ihre Bedürfnisse sind speziell. Doch wie sich diese von Menschen mit einer angeborenen geistigen Beeinträchtigung unterscheiden, darauf können Weigert und Helmbrecht keine pauschale Antwort geben: „Jeder, der hier einzieht, bringt individuelle Bedürfnisse mit“, sagt Helmbrecht. Wichtig seien zum Beispiel genügend Rückzugsmöglichkeiten, und dass die Mitarbeiter sehr flexibel sein müssen. „Denn es wird kein Tag wie der andere sein. Bei den Bewohnern wird es gute und schlechte Tage geben. Dadurch ergeben sich für unsere Mitarbeiter neue Arbeitsmethoden, in denen wir sie gut schulen müssen.“
Auch die psychologische Betreuung ist wichtig
Auch die psychologische Betreuung spiele bei Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung eine größere Rolle, erklärt Weigert. „Diese Menschen haben ja oft eine lange Zeit ein normales Leben geführt. Und von einem Tag auf den anderen ist das vorbei. Wegen eines Schlaganfalls, eines Unfalls oder einem anderen Schicksalsschlag.“ Dies sei nicht immer leicht zu verarbeiten. „Und auch dabei werden wir unsere Bewohner begleiten und ihnen Hilfe bieten.“
Ein Blick in den ersten Stock: Alles ist sehr großzügig angelegt.
Das Wohnheim im Überblick
Wieviele Bewohner haben Platz, wie hoch sind die Baukosten, was ist alles geboten – das neue Wohnheim im Überblick:
• Die Baukosten: Die Gesamtkosten betragen aktuell 6 667 218 Euro. Die KJF erhält eine Förderung in Höhe von 3 174 400 Euro von der Regierung von Niederbayern und 529 060 Euro vom Bezirk Niederbayern. Den Rest bestreitet die KJF.
• Das Wohnkonzept: Insgesamt 24 Bewohner werden einziehen. 18 Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, sechs Plätze gibt es für Menschen mit erworbener Hirnschädigung. Das Wohnkonzept besteht aus vier Sechsereinheiten. Zwei Einheiten sind Wohngemeinschaften. Das heißt: Jeder hat sein eigenes Zimmer und sein eigenes Bad. Es gibt eine gemeinsame Küche und einen großen Gemeinschaftsraum. Insgesamt vier Zimmer sind rollstuhlgerecht gebaut. Die restlichen zwölf Plätze sind Einzelappartements. Die Bewohner haben hier zusätzlich zum eigenen Bad auch noch eine eigene Kochnische. Außerdem gibt es unter anderem noch einen Therapie- und einen Hobbyraum.
Bei der Gestaltung der Räumlichkeiten wurde wert darauf gelegt, dass zum einen alles sehr offen ist, zum anderen aber auch genügend Rückzugsmöglichkeiten vorhanden sind. Man wolle weg von dem Krankenhaus-Flair mit langen Klinikfluren und weg von den starren Wohnkonzepten, sagt Axel Weigert. Das gilt auch für das Betreuungskonzept. „Wir wollen Alltagskompetenz stärken und so viel Unabhängigkeit wie möglich gewährleisten. Wir unterstützen unsere Bewohner nur da, wo es nötig ist“, erklärt Tina Helmbrecht.
• Die Anlage: Rund um das Wohnheim wird noch ein Garten angelegt, der unter anderem ein Rondell für gemeinsames Grillen oder Zusammensitzen hat. Da unter den Bewohnern auch ein leidenschaftlicher Gartler sein wird, ist auch ein kleiner Gemüsegarten mit Hochbeet geplant.
• Das Personal: Wieviel Personal genau für das neue Wohnheim benötigt wird, kann laut Axel Weigert erst gesagt werden, wenn alle Bewohner feststehen, da man sich an deren Bedürfnissen orientieren muss. Nach ersten Schätzungen werden es aber zwischen 15 und 20 Leute sein, die dort arbeiten.
Verena Lehner/BOG Zeitung vom 25. Mai 2024 (Gen. der Lokalredaktion)
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