Die Kettenreaktion

Zwiegespräch mit vielen Besonderheiten unserer Mundart

Originaltitel „Kraft mal Weg”; Szene von Anselm Heyer - Bearbeitet von Dr. Emil Vierlinger - Neubearbeitung und Erweiterung: Sigurd Gall

 

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In so stattlichen Bauernhäusern traf man sich zum Roigoatn, Hoagartn, zur Rockaroas, zur Sitzweil. Hierbei wurden Sagen, Geschichten und geschichtliche Ereignisse erzählt und somit weitergegeben. Stand ein solches Haus direkt auf dem Erdboden, so war der unterste Balken ein oachana (aus Eiche), da er der Fäulnis besser widerstand.

Anmerkungen:

Im folgenden Zwiegespräch tauchen sehr viele Eigenheiten unserer Mundart auf; dies ist beabsichtigt, um nachfolgend diese Eigentümlichkeiten genauer betrachten zu können. Der Versicherungsdirektor (V) spricht nur die Schriftsprache. Der Bürgermeister (B) spricht drei „Sprachen”: einmal reinen Dialekt, dann die allgemein verständliche bayerische Mundart und auch hochdeutsch. Diese Dreisprachigkeit ist gewollt, um den Dialog flüssig ablaufen zu lassen und nicht ständig durch Nachfragen zu blockieren.

B:      Grüaß Good!

V:      Guten Tag! Sie wünschen?                              

B:      Grüß Good, bittschön, bini da richti bei da Dings, bei da - woartns, i hon an Brejf dabei - da isa, da steht drom: Bei da Unfallversicherungsgesellschaft Nepp. Bini da recht?

V:      Gewiß doch! Was können wir für Sie tun?

B:      Für mi? Wiaso?

V:      Ja, was wollen Sie denn? Weswegen kommen Sie her?

B:      Ja, des woaß do i net! Sie ham mia gschriebn. Oda vielleicht net?

V:      Ich? Wer sind Sie denn?

B:      I bin da Burgamoasta.

V:      Aha!

B:      Vo Schwoarzndoi; Schwarzenthal wird’s geschrieben.

V:      So!

B:      Da, wos an Nepomuk a so zamgricht hot.

V:      Was hat es wen?

B:      Daloabit hots n, an Nepomuk.

V:      Wie bitte?

B:      Erleibelt hat es ihn. - Verunglückt is er hoit, da arm Daife, da arm!

V:      Ach so, er war Versicherungsnehmer bei uns, und jetzt ist der Versicherungsfall eingetreten.

B:      Jawoll! Ein Fall ist eingetreten. Sie und wos für oana! Glei sieben Meter hou oba, hoch herunter.

V:      Ach so, er ist gestürzt?

B:      Jawoll! Ja, na, des hoaßt eigentli, eigentlich nein! Er ist scho auffigflogn, da Nepomuk!

V:      Hinaufgeflogen? Ja, das gibt es doch gar nicht!

B:      Ja freili gibts des! Und drom, da is a nacha min Zuba zammaboußt.

V:      Was ist er?

B:      Sie, mit Eana redt ma se fei hart. - Zusammengestessen! Mit dem, mit dem Zuber; Bottich hoaßt man im Schriftdeutschen.

V:      Ja ist denn das die Möglichkeit? Hinaufgeflogen und mit dem Bottich zusammengestoßen? Ja wo    denn?

B:      I da Luft hoit.

V:      Wo bitte?

B:      In der Luft.

V:      In der Luft? Ach natürlich, natürlich! Ich erinnere mich. Das war doch der Fall in, in …

B:      Schwarzenthal.

V:      Stimmt, so heißt der Ort.

B:      Ja, des werd na net stimma, wo i da Burgamoasta bi.

V:      Ja, das war der Versicherte - wie hieß er doch gleich? Nepomuk a

B:      Nepomuk Schratzhofer.

V:      Richtig, richtig! Und Sie sind also der Bürgermeister; das ist aber dankenswert, dass Sie sich selbst herbemüht haben, Herr Bürgermeister.

B:      Nix zun danga, i moan, nichts zu danken.

V:      Das ist ganz liebenswürdig. Wissen Sie, unter uns gesagt: Die Berichte der Ehefrau des Versicherten waren etwas verworren. Und der Polizeibericht spricht da von einer Verkettung unglücklicher Umstände und von einer Kettenreaktion. Darum haben wir Sie hergebeten, um den genauen Unfallhergang zu ermitteln.

B:      Ja, für so wos, do bin i da. Und für die Erläuterung von so einem schwierigen Fall, da ghört ja dennert oana her, der se mit da Schprach z’hejffa woaß.

V:      Wie bitte?

B:      Der sich richtig ausdrücken kann.

V:      Ja, Herr Bürgermeister, Sie werden mir den Fall ja sicher aus dem Gedächtnis rekonstruieren können.

B:      Ja, leicht! Des war a so, newar! - Da Nepomuk is in unsana Gmoa dafüa bekannt, dass er seine ganze Arbeitskraft für das Blühen, Wachsen und Gedeihen unserer Demokratie einsetzt. Ja, drum wollt er an Saustoj macha.

V:      Wie bitte?

B:      Er wollte einen Schweinestall bauen.

V:      Ach so!

B:      Hams mi? Und da dazua braucht ma bekanntlich Zejglstoi - Ziegelsteine!

V:      Aha, und die hatte er nicht, der Nepomuk?

B:      Freili hot er’s ghot! Was redn’s denn für an Schmarrn daher? Da Nepomuk und koi Zejgl net? Grad gnua hot er ghot. Aba de han am Houbon drom gwen. Woaßt, de han übabliebn, er woit da Fremdnzimma ausbaun.

V:      Wo?

B:      Auf dem Dachboden droben!

V:      So, so!

B:      Was hoaßt „so, so”?

V:      Äh, zu dumm, wollt ich sagen.

B:      Ajso, des sehgn’s ei, gej, dass sozusagen ein Saustallbau aufm Dachboden aus ökonomischen Erwägungen nicht in Betracht kommt; und dass scho deswegn de Zejgl in Hof ham awimüaßn, nuntermüaßn.

V:      Ja, das ist klar! Und wie ist nun der Versicherte dabei zu Werke gegangen?

B:      Ha, schlau, ajso ganz schlau! Unta uns gsagt: I hätt an Nepomuk sovui Intelligenz gar net zuatraut!

V:      Ah!

B:      Ja, passens guat auf! Ja scho für den Fall, dass Sie a amoi an Saustall macha woin.

V:      Ja, ja.

B:      Ajso, zerscht da hot ea vo sein oban Schrout, also vom oberen Balkon aus, am Firschtbretten, i moan, am Firstbalken, ein Rad angebracht, so ein Aufzugsrad; und hot a Seuj, a Seil, üba des Radl zogn.

V:      Und hat vergessen, es zu sichern.

B:      Ja, da feit si scho gar nia nix! Da is da Nepomuk scho da. Ganz fest hat er das Rad afghängt, Nacha isa, ist er, in Hof abiganga und hot an Zuba an des Seuj hibundn und hot an Zuba bis in Schrout aufizogn.

V:      Aha, jetzt haben wir es, ohne das freie Ende zu sichern!

B:      Ja, Du waarst schee, ja was glauben Sie denn. Na, nein den Gfalln ho Eich da Nepomuk net do, ja pfeigrod net. Ganz guat hat er’s gsichert. Herunt hot er nämli des Seuj an sein schwaarn Traktor hibundn.

V:      Na, da bin ich aber gespannt, wie es zu dem Unfall kommen konnte.

B:      Laß da dawei! Lassens Ihnen nur Zeit! Ajso wissens, da Nepomuk is am Houbon aufigstiegn und hot’n Zuba mit Zejglstoj ogfuit.

V:      Ja.

B:      Und nacha is a wieda oaj, nunter, hot des Seuj glejst, gelöst, host mi?

V:      Jawohl, das wärs, um die Last langsam abzulassen. Sehr klug!

B:      Ja, wos host Du gmoant? Ja mei Liaba, da Nepomuk der is hej auf da Plattn, wui sogn, der is schlau. Aba, a wengerl hot a si do vodo bei dera Gschicht; i moan, er hat sich ein wenig geirrt. Die Last von den, vo de Stoj is nämli schwaara gwen als wia da Nepomuk. Und da Zuba is obagsaust, trotzdem dass da Nepomuk net auslassen hot.

V:      Donnerwetter! Und der Herr Nepomuk wurde dadurch in die Höhe gerissen.

B:      Genauso is gwen! Woher wissen Sie ejtz des?

V:      Ich kann mir’s ausrechnen. Und bei der Begegnung mit dem vollen Bottich auf halbem Wege erlitt der Versicherte seine Verletzungen.

B:      Net olle. Da Zuba hot’n sched i da Wajaseitn gstroaft und a weng agschrefet.

V:      Da hab ich jetzt kein Wort verstanden.

B:      Ich sagte: Linksseitig hat ihn der Zuber gestreift und etwas abgeschürft.

V:      Das muß ich genau protokollieren.

B:      Dass i weidavozej, weitererzähle: An Nepomuk hot’s aufizogn und da hot’s eahm a drei Finga obdruggt.

V:      Was hat es?

B:      Er hat sich drei Finger gebrochen, da er mit der Hand zwischen Seil und Rolle geraten ist.

V:      Ein Unglück kommt selten allein.

B:      Sie, und des hot an gheringa Boussa do.

V:      Was hat es?

B:      Es hat einen ordentlichen Schlag getan, wia da Nepomuk da obn mit’m Schedl an den Firschtbrettn gestessen is.

V:      Daher die Schädelfraktur! Die Ehefrau berichtete dergleichen.

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Und der Herr Nepomuk wurde dadurch in die Höhe gerissen. - ... des hot an gheringa Boussa do ...

B:      Ja, und durch den Aufprall am Hof is da Bon vo dem Zuba durbrocha und de Stoj han aussakugelt.

V:      Ganz logisch!

B:      Ja und durch des is ejtz da Zuba leichta gwen ajs wia da Nepomuk, und da Nepomuk is wieda owagfahrn, heruntergefahren.

V:      Und der leere Bottich ohne Boden fuhr wieder hoch. Teufel, Teufel!

B:      Ja, ja, Sie, da homs recht, des is wirkli mit’n Teife zuaganga. Und da hot der Nepomuk, Sie wia ham Sie gsagt? Bei der Begegnung auf halbem Wege mit dem leeren Zuber hot er dann wieda Abschürfungen erlitten.

V:      Auf der linken Körperseite!

B:      Na desmoi af da Handseitn, ich meine: auf der rechten Seite. Wej da Nepomuk en Hofpflosta aufkemma is

V:      Sie meinen, bei dem Aufschlag des Nepomuk auf dem Hofpflaster

B:      da hot se da Nepomuk a no de zwe Haxn brocha.

V:      Da erlitt der Nepomuk auch noch einen doppelten Beinbruch.

B:      Richti! Ja, und wei er ejtz nimma bo eahm sejba gwen is, ich meine, weil er jetzt ohnmächtig gewesen ist, hot er das Seil ausloussen.

V:      Na endlich war die Fallserie zu Ende!

B:      Ja, na. Wie er das Seil fahren laßt, saust natürli da laare Zuba wieda owi und an Nepomuk direkt ins Gnack, ins Genick, und da hot’s eahm as Schlüsselboa oghaut.

V:      Sie wollen sagen: Er erlitt also auch noch einen Schlüsselbeinbruch.

B:      Ejtz hamas!

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... bei der Begegnung auf halbem Wege ... - ... direkt ins Gnack

V:      Und durch diese Verletzungen ist eine fachärztliche Untersuchung auf Zurechnungsfähigkeit des Versicherten ausgeschlossen?

B:      So is! No ebs, noch etwas, ghört da gsagt: Wia hoaßt’s da bei da siebtn Frog in Engam Wisch, in Ihrem Schreiben? - Ja, da draf ko i an Amtseid leistn. Alle sicherheitsrelevanten Unfallverhütungsvorschriften wurden genauestens beachtet.   

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In diesem Schulhaus dürfte kaum hochdeutsch gesprochen worden sein. Das Gebäude stand in Simbach bei Landau. Heute ist es im Museumsdorf Dreiburgensee (bei Tittling) zu bestaunen.


Veröffentlicht im "Mitterfelser Magazin 3/1997" (vergriffen)    

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