Geologie
MM 6/2000. Kunst am Bau: Hans Riesers Stele an der Kreismusikschule Mitterfels
MM 6/2000 – Beispiel 1:Franz Tosch im Gespräch mit dem Bildhauer Hans Rieser
Hans, du hast vor Jahren den Auftrag bekommen, den Eingangsbereich der Kreismusikschule neben der St. Georgskirche in Mitterfels künstlerisch zu gestalten. Was geht in einem Künstler vor, wenn er beauftragt ist, Kunst am Bau zu schaffen. Überfällt dich eine Idee spontan oder reift die Idee dazu langsam?
Ein längerer Prozess ist es allemal, aber Unterschiede gibt es schon. Manchmal bin ich gleich stark fasziniert, weil’s mich selber persönlich anrührt, oder weil der Auftrag mit meinen künstlerischen Ideen, künstlerischen Träumen oder künstlerischen Ausdrucksweisen zusammenfällt. Dann geht’s natürlich schneller oder es ist sogar so ein Funken da, gleich innerlich, dass ich einen höheren Blutdruck habe und an dem selben Tag entweder noch erste Notizen mache, ganz vage, oder an den Ort nochmals hinfahre und dort Skizzen irgendwelcher Art fertige. Der Laie würde wahrscheinlich gar nicht merken, dass das fertige Werk oft recht nahe an diesen ersten Zeichnungen „dran” ist.
Konkret zur Kreismusikschule: Hast du Vorgaben gehabt?
Ich habe hier eigentlich künstlerische Freiheit gehabt.
Ist dir das am liebsten?
Natürlich ist mir das am liebsten. Grundsätzlich habe ich diesbezüglich sehr viel Glück gehabt in meinem künstlerischen Schaffen. Ich lebe nur von der Kunst, war und bin also darauf angewiesen, mich über Aufträge zu verwirklichen - und konnte das auch meistens. Es gibt grundsätzlich ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder man hat die ganze Freiheit oder aber man macht sein Werk zur freien Kunst, d. h. es sind zwar Vorgaben da, aber ich bringe mich so stark ein, dass ich letztendlich sagen kann, wenn ich es für mich frei gestalten könnte, würde ich es auch nicht anders machen. Natürlich ist das auch eine Existenzfrage.
Ein Kunstwerk an einer Kreismusikschule. Da war das Thema von vornherein klar. Stand der Platz für das Kunstwerk fest?
Der Platz war vorgegeben, die Architektur, das Gebäude stand bereits. Für mich - auch als Mitterfelser - war es eine besondere Herausforderung, eine Plastik für die Mitterfelser Kreismusikschule zu schaffen, auch eine reizvolle Auseinandersetzung. Es galt ein sichtbares, sinnbezogenes Zeichen zu setzen als Ausdruck der Tätigkeit dieser Schule und als eine feierliche Ergänzung zur Architektur und zum Vorplatz.
Also hat dein Werk auch eine Funktion, es ist eine Art künstlerisches Türschild - oder ist das zu primitiv ausgedrückt.
Nein, nein, man könnte so sagen. Ich bin mittlerweile auf Grund meiner langen Tätigkeit und der Beobachtung der Kunstszene der Meinung, dass die Kunst am Ort oder am Bau, also die zweckbedingte Kunst, von einer extremen Kunstseite manchmal von oben herab abgetan wird, als sei das nicht die wahre Kunst. Aber alle atmen sie tief durch, wenn sie meinetwegen in Paris auf Notre Dame zugehen und dieses Eingangsportal sehen. Das wird als hohe Kunst anerkannt. Oder nehmen wir die Portale der romanischen Kirchen, da bleibt man fast „stecken” vor Ehrfurcht vor diesen wunderbaren Figuren. Und heute sollte das plötzlich irgendwie nicht mehr den Stellenwert der hohen Kunst haben. Die künstlerische Freiheit schlägt heutzutage fast schon über, so dass manch purer Unsinn als grösste Kunst bezeichnet wird. Das sage ich ganz offen. Aber mittlerweile weiß ich mich in einem sehr guten Kontext mit nicht den geringsten Künstlern. Michelangelo hat das meiste, auch die Pieta, auf Auftrag gemacht, Tizian hat seine sämtlichen Gemälde auf Auftrag gemacht, ebenso ein Henry Moore. Sogar ein Picasso hatte einen Auftrag für dieses wunderbare Gemälde „Guernica”.
Du hast zur Musik ein tiefes Verhältnis. Da spielt bei der Gestaltung eines solchen Werkes der ganze musikalisch-familiäre Hintergrund eine große Rolle.
Mein Verhältnis zur Musik hat eine sehr große Rolle gespielt. In den 70er Jahren habe ich als freie Plastik eine 30-40 cm große Stele gemacht, die ich „Musik” nannte. Sie steht heute noch in meinem Atelier als Galvano-Plastik. Aber einen so schönen Auftrag zum Thema Musik habe ich noch nicht gehabt. Insofern hat’s mich schon gepackt, dass ich das machen durfte.
Zu deiner Frage zur musikalisch-familiären Vergangenheit: Ich bin ein Kriegskind, 1934 geboren. Ich sage das deswegen, weil meine Kindheit und die frühen Jugendjahre eine sehr arme, karge Zeit waren, aber was man trotzdem sehr viel gemacht hat: Man hat musiziert, man hat gesungen. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der das in besonderem Maße getan wurde. Mein Vater war über Jahrzehnte Kapellmeister, war sein Leben lang beim Kirchenchor. Meine Brüder und ich waren alle in der Musikkapelle und später in verschiedenen Männerchören und Kirchenorchestern tätig. Und was konnte man speziell in den Nachkriegszeiten besseres tun, als meist nur ein Zimmer beheizt wurde, in dem sich praktisch alle Leute aufhalten mussten? Man hat gesungen und musiziert. In den 50er Jahren haben wir dann eben aus dieser normalen Hausmusik mehr gemacht, eine kleine Kapelle gegründet, weil alle Kinder - wir waren 9 Kinder, davon 7 Buben - ein, zwei oder drei verschiedene Instrumente gespielt haben, Blas- und Saiteninstrumente, wobei ich Klarinette spielte. Der Sepp, unsere musikalische Vorgabe, hat das Konservatorium in Innsbruck besucht und eine Art Männerchor zusammengestellt ...
... den die Mitterfelser ja schon erlebt haben ...
Richtig, bei der Einweihung des neuen Brunnens vor der Friedenseiche ... Der Sepp hat uns Chöre eingelernt, nur für uns selber, zur eigenen Freude - die Eltern haben natürlich auch große Freude gehabt - aus dem gesamten deutschen Liedgut, von Walther von der Vogelweide bis zu Messen z. B. von Schubert oder Chorsätzen wie „Die Himmel rühmen” von Beethoven; aber auch alpenländische Chorsätze wurden gesungen. Das war allerdings erst nach 1947 möglich, weil da unsere Kriegsheimkehrer aus Frankreich und der älteste aus Russland zurückgekehrt sind. Dann haben wir in einem Doppelquartett - der Vater und sieben Brüder - bei Feierlichkeiten, bei goldenen Hochzeiten, bei Freunden oder zu Weihnachten einfach nur so gesungen, später haben wir schon auch bei richtigen Abendveranstaltungen mitgewirkt.
War dir bei diesem Auftrag von vornherein klar, dass du eine Stele machen wirst, oder hast Du dir auch überlegt, eine Skulptur in Bronze oder einem anderen Material zu gestalten?
Diese Überlegungen hat man zunächst einmal alle. Es hat sich hier aber etwas ausgeschlossen. Auf dem Platz nebenan unter der Friedenseiche habe ich doch den Brunnen aus Granit gestaltet. Also würde ich gleich daneben keinen zweiten Stein aufstellen. Ich denke schon, dass ich fähig wäre, in einer Bronzeskulptur Musik auszudrücken. Man hat allerdings einen finanziellen Rahmen: Es ist ja nicht so, dass einem gesagt wird, jetzt machen sie da was Schönes, egal wie viel es kostet. Gerade für Mitterfels möchte man einfach das Optimale gestalten. Bei einer Bronzeskulptur „geht halt immer gleich die Hälfte des Preises fremd”: für das Material, für die Gießerei. Die Architektur verlangt aber eine bestimmte Größe. Das sind diese Dinge, die man im Vorfeld auch durchmacht. Also musste ich mir ein anderes Material überlegen, mit dem man die der Architektur entsprechende Größe erreicht, und mit dem man seine Vorstellungen ausdrücken kann.
Dann sollte auch ein Gegensatz zum Brunnen auf dem Platz bei der Friedenseiche entstehen, eine ungewöhnliche Darstellung, die dieser neu gegründeten Musikschule entspricht. So ist mir eben die Idee mit der Stele gekommen. Da konnte ich die Wand ausfüllen, konnte auf eine passende Größe gehen.
Ich hab die Stele vor unserem Gespräch noch einmal genau angeschaut. Mir ist dabei folgender Gedanke gekommen: Du hast in den 80er Jahren oft in Griechenland gezeichnet, auch im Vorwald, in Mitterfels. Alle, die deine Zeichnungen gesehen haben, bewundern die Reduzierung auf das Wesentliche: Karg gehaltene Striche, die aber das Charakteristische einer Landschaft, einer Architektur herausheben. Als ich vor der Stele stand und die klaren Schnitte sah, musste ich unwirklich an deine Zeichnungen denken. Kann man sagen, dass diese Art der Gestaltung ein Bindeglied zwischen Zeichnung und Vollplastik darstellt?
Kann man. Das ist nicht schlecht beobachtet, weil ja das, was als Ausdruck heraus geformt ist, das Ensemble von Instrumenten, eine Zeichensprache hat. Weil das Ganze aber in diese stark gebogene Edelstahlplatte eingebettet ist, ist es dann doch eine Plastik.
Mich interessieren die technischen Bedingungen, die das Material vorgibt. Es sind unheimlich eng verlaufende Linien da, Saiten etwa oder Klaviertasten; die Nahtstellen sind oft nur 1/2 cm stark. Du hast dich sicher sehr mit dem Material Edelstahl beschäftigen müssen, damit beim Formen, bei der dabei entstehenden Spannung im Material nicht ein Steg reißt und das Kunstwerk kaputt geht. Ist bei all diesen filigranen Linien nie was passiert?
Zunächst einmal: es ist nichts passiert. Zum anderen muss ich sagen, dass ein echtes Kunstwerk Urschöpfung ist. Ich hab’ sowas noch nicht gemacht, hab’ es auch nicht gesehen vorher, und das Risiko, das man damit eingeht, ist deshalb so groß. Aber nur ist einem das vor Begeisterung nicht bewusst. Wenn man konkret zu arbeiten beginnt, schließt man das sehr wohl in die Überlegung mit ein. Kannst du das noch machen, ist das technisch noch möglich? Klar, du gehst nicht mit der Angst heran, es passiert. Ich habe einen 1:1 Entwurf gemacht, das ist auf einem Foto gut zu sehen (Foto rechts). Bei einem 1:1 Entwurf siehst du dann tatsächlich, was machbar ist. Dann halte ich natürlich Rücksprache mit dem, der sich mit dem Material auskennt. Schon oft wurde mir von den Fachleuten gesagt: Ihr Künstler geht immer bis auf das Äußerste. Bei der Großzeichnung ist alles im Detail zu sehen, z. B. auch die Schattenwirkung. Diese 1:1 Zeichnung war in diesem Fall deswegen so wichtig, weil mir das Material fremd war, weil mir auch die Art und Weise, durch Herausschneiden etwas darzustellen, etwas fremd war. Man hat bei der Arbeit dann im Hinterkopf, was zu unterlassen ist, was nicht mehr geht. Die Zeichnung wurde dann auf den Edelstahl übertragen.
Die Zeichnung wurde auf die Edelstahlplatte übertragen, die Linien dann mit speziellen Sägen herausgeschnitten. Als fachkundigen Mitarbeiter stellte die Firma Gugg ihren Meister Robert Ostermeier zur Verfügung.
Beim Schneiden habe ich mich weiter beraten lassen. Ich hab meine Wünsche gesagt, z. B. wie fein die Sägen sein müssten, weil ich keine Grate bekommen durfte. Mir wurde dann beim Schneiden ein Meister zur Seite gestellt.
Nachdem die Plastik in die halbrunde Form gepresst war, wurde nichts mehr nachgearbeitet?
Nichts mehr. Wir haben nicht ein bisschen ergänzen müssen. Die Formgebung wurde in der Werft in Deggendorf im Auftrag der Firma Gugg, bei der ich meine Arbeit ausführte, vorgenommen. Da war natürlich eine große Spannung in mir. Es ist aber sehr langsam auf eine immer tiefere Rundung hingebogen worden.
„Natürlich stand auch eine große Spannung in mir.”
Wieso kommt es, dass das Werk, obwohl flächig gearbeitet wurde, so plastisch wirkt?
Das ist der eigentlich künstlerische Vorgang. Durch die Schattenwirkung, dadurch, dass der Schatten lebendig aufgetragen ist und nicht überall gleich, wird das Werk auch nicht - im abwertenden Sinn - ein Emblem oder ein Aushängeschild. Ich wollte ja die Instrumente so zeigen, wie sie gespielt werden, und nicht einfach nur Instrumente „hinrappeln”. Um ein Beispiel zu nennen: Es war mir sehr angelegen, dass man z. B. die Posaune, wenn man sie spielt, nach oben nimmt. Der Bass steht sowieso am Boden. Die Gitarre nimmt man über die Hand. Die Spielbarkeit muss herauskommen, das ist das eine. Ich kam vom Inhalt zur formalen äußeren Form. Dieser Inhalt gestaltete sich durch die Überlegung darzustellen, welchen individuellen Beitrag die einzelnen Instrumente in der Musik bringen, z. B. wird die Posaune bei der Eröffnung verwendet (denk nur an die Fanfaren im Alten Testament). Deswegen ist die Posaune in der Stele oben das erste Instrument. Dann der Bass als Fundament und Halt, er leitet Übergänge mit strengem Maße, also etwa von einem Akkord in den anderen, er steht für das musikalische Grundgesetz. Natürlich musste ich auch ein Klavier einfügen. Wenn ich sage, musste ich, so heißt das, es war bei der ersten Idee nicht dabei. Das Klavier hätte ich deswegen gerne herausgelassen, weil es eine derartige Schwierigkeit bedeutet es einzubauen. Wohin stelle ich die Tasten? Es muss ja immer eine Verbindung vorhanden sein zum Muttermetall. Wie will ich diese Tasten zeigen, dass sie trotzdem noch zusammenhängen. Das hat mir großes Kopfzerbrechen gemacht. Der Lernprozess von 20 Jahren karger Zeichnung hat mir dabei geholfen, und ich habe es - glaube ich - geschafft.
Als die Edelstahlplatte auf eine immer tiefere Rundung hingebogen wurde, war auch Gugg jun. (rechts) immer dabei.
Mir fällt auf, dass die Instrumente richtig räumlich einander zugeordnet sind, hintereinander, übereinander - und so eine große plastische Wirkung entsteht.
Ja, richtig, der Bass schneidet z. B. in die Trommel ein. Der Trommler „steht dahinter”.
Auch wenn - rein optisch - keine Spieler dargestellt sind, wirkt das Ganze auf mich wie ein Orchester, als Ensemble, als eine Einheit.
Ja, du interpretierst das ganz großartig. Das ist auch der Unterschied zum Design oder Kunsthandwerk. Mein Endziel war, mit der Darstellung von Musikinstrumenten etwas Lebendiges zu schaffen. Wie du es ausgedrückt hast, man hätte die Vorstellung, dass ein Orchester spielt - das war mein innerster Wunsch.
Gibt es eines Deiner vielen Werke, bei dem sich die Idee, die Ausführung und auch die Anerkennung dafür so decken, dass du sagen könntest, es ist dein liebstes Werk?
Diese Antwort ist schwierig. Es ist fast wie bei einer Mutter: Immer das jüngste Kind ist das liebste. Muss ja so sein, weil die ganze Kraft, die Intention, die ungeteilte Zuneigung ja immer bei dem Werk sein muss, an dem man gerade arbeitet. Es kommt zwar schnell wieder zu einer großen Beziehung, wenn man sich - wie jetzt durch dieses Gespräch - einem früheren Werk nähert. Die Musikstele gehört sicher zu meinen Favoriten. Mein liebstes Werk? Vielleicht die „Balance”, die ich für Bonn machen durfte, aus verschiedenen Gründen, vor allem auch, weil ich den Menschen darstellen durfte.
Hast du eine Wunschvorstellung, wie der Betrachter sich dein Kunstwerk ansehen sollte?
Nein, das habe ich nicht.
Wärst du zufrieden, wenn man sich selber Gedanken macht, selber Interpretationen versucht?
Also, im Grunde genommen, setze ich es nicht voraus. Eine Arbeit muss so gut sein, dass sie selbständig das aussagt, was einem Künstler im höchsten Maße möglich war. Allerdings: Wie du das von Anfang über alle diese Stadien interpretiert hast, das macht mir große Freude. Bei der Musikstele habe ich sehr viele positive Rückmeldungen bekommen. Es ist aber nicht so, dass man darauf wartet. Wer sich hinstellt und sich damit auseinandersetzt und daraus etwas findet, dem wird es Freude geben. Das ist das Schönste für mich.
Danke, Hans, für unser Gespräch!
Quelle: Mitterfelser Magazin 6/2000
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