Mitterfels
Als goldene Perlen vom Himmel fielen
Der trotz mehrerer direkter Treffer scheinbar unbeschädigt wirkende Kölner Dom steht inmitten der vollständig zerstörten Innenstadt von Köln. Hinter der Kathedrale ist der zerstörte Hauptbahnhof, so wie weiter östlich die eingestürzte Hohenzollernbrücke zu erkennen. (wikimedia/gemeinfrei – Urheber: U.S. Department of Defense. Department of the Army. Office of the Chief Signal Officer)
Lesergeschichten. Liesl Wacker (Mitterfels) erinnert sich.
Was sie als Kind im Krieg erlebt hat, hat Liesl Wacker aus Mitterfels bis heute nicht vergessen. Eine besonders eindringliche Erinnerung hat sie in „Als goldene Perlen vom Himmel fielen“ niedergeschrieben. Damals lebte sie mit ihrer Familie noch in Köln – des Nachts in ständiger Furcht vor Fliegerangriffen ...
Es war der Kriegswinter 1940 bis 1941, wir wohnten damals noch in Köln, zwar mitten in der Großstadt, aber in einem Hinterhaus. Dies war für uns Kinder ein Paradies, es war sozusagen ein großer Spielplatz ohne jeden Straßenverkehr. Dann kam der schlimme Zweite Weltkrieg. Die erste Zeit gab es ja nur hin und wieder, hauptsächlich in den Nächten, Fliegeralarm. Aber dies verschlimmerte sich, sodass wir jede Nacht zwei- bis viermal geweckt wurden.
Unsere Eltern hatten meinem Bruder und mir Trainingsanzüge für die Nacht gekauft. Kam nun Voralarm, raus aus dem Bett, schnell Schuhe und einen Mantel übergezogen und die Treppe runter. Nun entpuppte sich unser langer Hof als große Gefahrenzone, da der Luftschutzkeller im Vorderhaus war.
Mein Vater nahm immer meinen Bruder auf den Rücken und stülpte sich eine Waschwanne über den Kopf. Mutter nahm schnell einen immer bereitstehenden Rucksack, mich an eine Seite mit der anderen Hand hielt sie eine dicke Steppdecke über uns. Dies war zum Schutz gegen Granatsplitter, dann ging es im Laufschritt über den L-förmigen Hof. Oft heulten da schon die Sirenen, Hauptalarm, das bedeutete, jeden Augenblick konnten die ersten Bomben fallen. Ganz gespenstisch schien es mir als Kind, wenn die Scheinwerfer der Flak den Himmel absuchten. Vorm Treppenabgang stand immer der böse Mann und brüllte uns an, weil wir des weiten Weges immer die Letzten waren.
Dieser Herr Schmitz war immer in Uniform und hatte eine Aufsichts-Kontrollfunktion. Da mein Vater in seiner knappen Freizeit für den Luftschutzkeller Bänke gezimmert hatte und sonst auch immer sehr hilfsbereit war, konnten die Leute ihn halt besser leiden als diesen Herrn Schmitz. Er drohte sogar eine Meldung zu machen, weil wir immer so spät in den Keller kamen. Auch das liebe, alte, fast taube und sehbehinderte Fräulein Maibach vom dritten Stock kam meist recht spät runter. Ich sehe sie heute noch, sie kam immer rückwärts, klammerte sich mit beiden Händen am Geländer ein und mühte sich Stufe um Stufe runter.
Im Luftschutzkeller befanden sich zwei Nischen, für die machte unser Vater je ein Stock-Etagenbett. Eines war für uns gedacht, oben schliefen mein Bruder und ich, unten unsere Eltern. Das zweite Bett war für Oma Maibach und drei kleinere Kinder einer jungen Kriegerwitwe bestimmt. Mittlerweile kam man ja kaum noch ins Bett, da die Sirenen fast pausenlos heulten. Nach dem ersten Alarm blieben wir im Keller.
Dann kam die schlimmste Nacht, wir sprangen wie üblich beim Voralarm raus aus den Betten, schnell in die Mäntel und Schuhe und runter zur Haustüre. Vater stand schon fertig da, Mutter wollte gerade die Haustüre abschließen. Ich schaute zum Himmel und sah was ganz Ungewöhnliches. Ganz aufgeregt zeigte ich hinauf und rief: „Mama, Papa, schaut doch, da fallen goldene Perlen vom Himmel.“ Mein Vater schaute hinauf und rief ganz entsetzt: „Um Gottes willen, schnell, schnell, das sind Leuchtbomben.“ Wir rannten los, der lange Hof wollte kein Ende nehmen. Die Waschwanne und Steppdecke wurden abgeworfen und wir stolperten die Kellertreppe hinunter, Vater hob meinen Bruder und mich rauf aufs Bett, Herr Schmitz konnte gerade noch die Sicherheitstüre schließen und schon begann ein Brummen, Heulen und Beben.
Ich weiß noch, dass ich immer wieder das „Jesulein“ betete, mein Bruder sagte ganz weinerlich: „Hör doch auf, das Jesuskind hört dich heute nicht.“ Die anderen Kinder weinten und schrien, die Frauen beteten meist. Herr Schmitz stand mit erhobenem Arm da und brüllte die damals üblichen Lieder. Ein alter Opa schrie: „Warum haut diesem Dreckskerl keiner in die Fresse?“ Nur gut, dass dies in diesem Chaos Herr Schmitz nicht hörte. Damals war ja Vorschrift, dass die Luftschutzkeller alle durch eine Öffnung in der Wand verbunden waren, sodass man bei Gefahr von Keller zu Keller flüchten konnte, das wurde uns fast zum Verhängnis.
Da nach unserem Haus die breite Hofeinfahrt kam, war das wie eine Sackgasse. Als nun in dieser Nacht stadteinwärts drei Häuser weiter ein Volltreffer einschlug, kam in unseren Luftschutzraum eine furchtbare Druckwelle mit Staub, Geröll und ein ohrenbetäubender Lärm. Unser Vater hatte blitzschnell seinen Kopf zu uns gelegt und die Zudecke über unsere Köpfe gezogen. „Ganz ruhig, nicht weinen und ganz langsam einatmen, es wird gut“, sprach er immer wieder.
Wir mussten damals stundenlang in diesem Raum ausharren, bis wir ausgeschaufelt wurden. Vater erklärte mir viel später, dass meine goldenen Perlen Leuchtbomben gewesen wären, die von den feindlichen Fliegern abgeworfen wurden, um ganze Teile der Stadt taghell zu erleuchten. Die nachkommenden Bomber konnten ihre meist tödliche Fracht dann gezielt abwerfen. Damals spürte ich zum ersten Mal, was Abschiednehmen für immer bedeutet, denn die Geschwister Lilli und Manfred, mit denen ich oft mit den Rollschuhen unterwegs gewesen war, konnten nur noch tot aus dem Geröllhaus geborgen werden.
Zwei Wochen später brachte Vater meinen Bruder und mich zur Sicherheit zu seiner Schwester nach Grafenwiesen im Lamerwinkel. Wir Kinder spürten zwar vom Krieg fast gar nichts mehr, aber die Sehnsucht nach den Eltern war noch schlimmer. Als unsere Eltern ein halbes Jahr später in Mitterfels ein kleines altes Bauernhaus erwarben, waren wir wieder alle vereint.
Quelle: Liesl Wacker, in: Bogener Zeitung vom 31. Januar 2015 (zeitversetzte Übernahme des Beitrags aufgrund einer 14-tägigen Sperrfrist)
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