Musik, Theater
50 Jahre Kammerchor Straubing: Erfolgreicher Spagat zwischen Kontinuität und Erneuerung
Drei Kammerchor-Generationen blicken zurück und gleichzeitig nach vorne: Chorgründer Gerold Huber sen., Gründungsmitglied Christa Höcht, der derzeitige Chorleiter Stefan Frank und Nachwuchs-Mitglied Marie Artinger (von links).
Bachs Matthäus-Passion am Sonntag, 2. April, 15 Uhr in der Kirche St. Josef
Seit 50 Jahren ist der Kammerchor Straubing eine feste Größe, eine Marke im Kulturleben der Stadt. 1967 hob Gerold Huber sen. das Ensemble aus der Taufe und leitete es bis 2008, bevor er die Nachfolge in jüngere Hände legte. Stefan Frank garantiere in seiner Doppelfunktion als Musiklehrer am Anton-Bruckner-Gymnasium weiterhin für Nachwuchs aus dem Oberstufenchor, ein nicht alltägliches Modell, das den Chor nachhaltig vor Überalterung schützt. Das Jubiläumsjahr, das eingeläutet wird mit der Aufführung von Bachs Matthäuspassion am 2. April, war Anlass für ein Gespräch mit drei Kammerchor-Generationen: mit dem Chorgründer, dem aktuellen Dirigenten, dem einzigen noch aktiven Gründungsmitglied Christa Höcht sowie mit der 19-jährigen Nachwuchssängerin Marie Artinger.
Straubinger Tagblatt: Herr Huber, was war damals der Auslöser, den Kammerchor zu gründen?
Gerold Huber: Ich hatte immer schon eine gewisse Zuneigung zum Chorsingen und zwei Lehrer, die mich sehr geprägt haben. Das war einmal Heinz Behner, der mit dem Schulchor am damaligen Deutschen Gymnasium Außerordentliches geleistet hat. Zum anderen Rudolf Schindler, er hat später in Regensburg den dortigen Chorkreis gegründet. Ich habe auch als Student schon einen kleinen Chor geleitet. Die Ausbildung hat mich aber dann nach Bayreuth verschlagen und damit war das unterbrochen. Als ich wieder zurück in Straubing war, wurde ich immer wieder aufgefordert und gedrängt, in Straubing einen Chor zu gründen. Wir waren damals so 16 bis 18 Mitglieder, also ein echter Kammerchor. Christa Höcht: Von Anfang an waren viele ehemalige Schüler vom Bruckner-Gymnasium dabei, also sowohl Studenten als auch Lehrer. Viele hatten schon im Schulchor gesungen und wollten nach dem Abitur weitermachen. Ich war natürlich auch bei Rudolf Schindler im Chor, aber in Straubing gab es nichts und wir wollten halt auch hier singen. Was war das erste Konzert? Huber: Das war 1972 die Lauretanische Litanei von Mozart mit kleinem Orchester. Eine sehr feine kleine Sache mit zwei Geigen, Bass, Cello, vier Solisten …
Was gab es für Meilensteine?
Huber: Auf jeden Fall die erste Aufführung der Johannes-Passion 1975, was für uns damals ein Berg von Arbeit war, denn dieses Werk macht man nie mit leichter Hand, das ist technisch sehr schwer für den Chor. Die erste Aufführung war in der Josefskirche, damit haben wir sehr früh einen wunderbaren Raum für unsere Oratorien gefunden.
Höcht: Für mich war die Marienvesper von Monteverdi 1994 ein wichtiger Höhepunkt. Gab es ein Konzert, das komplett danebenging? Höcht: Kann ich mich eigentlich gar nicht erinnern. Vielleicht die Psalmensinfonie von Strawinsky, das hat nicht so ein Echo gegeben vom Publikum. Huber: Das war sehr schwer fürs Orchester und da hat sich der Chor nicht so präsentieren können.
Herr Frank, seit wann ist für Sie der Kammerchor ein Begriff?
Stefan Frank: Als Bruckner-Schüler war der Gedanke an den Schulchor und damit auch an den Kammerchor ganz selbstverständlich. Ich wurde von Gerold persönlich ausgewählt, worauf ich sehr stolz war. Ich kann mich noch an die erste Probe erinnern, da wurde wieder einmal die Johannes-Passion geübt, in einer – wie ich glaubte – Endphase der Probenarbeit. Die anderen Bässe sind wie D-Züge links und rechts an mir vorbeigefahren. Aber dann macht man es nächstes Jahr wieder und man wächst dann schon rein. Das hat mich damals so fasziniert, dass man in dem Klangkörper dabei sein darf. Und auch wenn man dem nicht ganz gewachsen ist, was die anderen machen, aber man geht bei jeder Probe einen Schritt weiter mit. Vielleicht liegt mir deshalb die Johannes-Passion auch so nahe. Marie, wie war das bei dir? Marie Artinger: Der Kammerchor hat einfach dazugehört. Ich bin durch den Papa schon als kleines Kind in den Konzerten gewesen. Ich war dann immer ganz erstaunt, zum Beispiel wie hoch der Sopran singen kann. Mein Vater hat immer gesagt, wenn du alt genug bist, darfst du auch mitsingen. Das war schon immer mein Ziel und ab der 10. Klasse war ich dann dabei.
Gab es das öfter, dass mehrere Generationen im Kammerchor vertreten waren?
Höcht: Ja natürlich, meine Tochter Andrea hat mitgesungen und mein Enkel Maxi kommt demnächst auch. Huber: Bei mir waren meine drei Musiker-Kinder und meine Frau dabei, sie war sogar Gründungsmitglied.
Herr Frank, haben Sie jemals damit gerechnet, den Chor eines Tages zu leiten?
Das war natürlich völlig außerhalb der Vorstellung, weil mich zunächst Chorleitung auch nicht sehr interessiert hat, ich war immer der Organist und habe Orgel als Konzertfach studiert. Chorleitung war nicht meine Priorität. Das Interesse ist dann erst gekommen, als ich Kirchenmusiker war in Vaterstetten, da habe ich den dortigen sehr guten Kirchenchor übernommen. Mit der Versetzung nach Straubing und dem Angebot von Gerold mitzuarbeiten, eröffneten sich Möglichkeiten, Werke einzustudieren, die man sonst nie so kennenlernen würde, wie jetzt gerade die Matthäus-Passion.
Herr Huber, wie haben Sie es geschafft, rechtzeitig die Weichen für die Zukunft zu stellen, bevor Sie jemand zum Aufhören drängte?
Huber: Da hatte ich ein warnendes Beispiel, dieser Chorleiter Rudolf Schindler, der den Regensburger Chorkreis gegründet hat und ihn 30 Jahre oder mehr geführt hat. Er hat jedoch nicht rechtzeitig übergeben und ich bin seinerzeit zum letzten Konzert anlässlich der Auflösung gefahren, der Chor war völlig überaltert. Das wollte ich nicht erleben. Das macht ja auch keinen Spaß, wenn man einen schönen Stand hat und dann gleitet einem das aus der Hand … Ich hätte ja keinen Nachwuchs mehr beibringen können, als ich nicht mehr Lehrer am ABG war. Darum war das eine ganz wichtige Entscheidung, dass der, der den Schulchor leitet und damit an der Quelle sitzt, das übernimmt.
Gibt es dieses Modell öfter, dass ein Chor so eng mit einer Schule verbunden ist und daraus seinen Nachwuchs heranzieht?
Huber: Nur gelegentlich, mir fällt da Freising ein. Ich weiß aber andererseits, dass es in Amberg keine Verbindung gibt zwischen dem städtischen Chor und dem dortigen musischen Gymnasium und das immer bedauert wird. Höcht: In Kempten sind Musikschule und das Gymnasium verbunden. Huber: Es ist aber eigentlich eher ein glücklicher Zufall. „Letztlich kommen wir nicht los von Bach“
Das ist ja auch nicht die Regel, dass der langjährig Amtierende freiwillig aufhört, viele machen weiter, bis hinter ihrem Rücken schon gelästert wird …
Frank: Das war bei Gerold eher umgekehrt, da gab es Petitionen, dass er weitermacht. Huber: Ich hab mich jedenfalls sehr gefreut, als ich nach der Übergabe die Riege junger Mädchen und Buben gesehen habe.
Herr Frank, wie war es in der Anfangszeit, in so große Fußstapfen zu steigen?
Frank: Ich hatte natürlich einen Riesenrespekt! Es wurde mir aber erleichtert durch die kluge Vorgehensweise von Gerold. Ich bin so ganz langsam hineingerutscht. Erst habe ich korrepetiert beim Elias bei einer Probe, das war 2005. Mit dem Chor hatte ich da noch gar nichts zu tun, das war nur, damit man das Gesicht schon einmal gesehen hat. Beim A-cappella-Konzert 2006 hatte ich erstmals die Leitung. Im Jahr danach haben wir getauscht und ich habe die Carmina Burana und ein Liszt-Konzert dirigiert. Nach einem normalen Schulmusik-Studium war das schon eine große Herausforderung und ein dementsprechend großer Kloß im Hals. Es war keine Angst, aber auf jeden Fall ein gesunder Respekt.
Huber: Du hattest eine große Sicherheit von den Partituren her. Frank: Ja, da habe ich viel Zeit investiert.
Was ist das Besondere am Kammerchor?
Artinger: Der Kammerchor hat mich immer begleitet, unterstützt und weitergebracht. Vor allem weil man ja am Anfang noch unerfahren ist. Wenn man dann in einen Chor kommt, der sich schon sicherer ist, lernt man immer mehr. Man macht Megaerfahrungen, die wirklich überwältigend sind!
Wird man von Gleichaltrigen nicht komisch angeschaut, wenn man als Teenager in einen Chor geht und barocke Oratorien einstudiert?
Artinger: Mir war das immer schon egal, das ist das, was ich machen wollte und was mir Spaß macht. Am Anfang war es schon ein bisschen komisch, denn im Schulchor sind ja lauter Gleichaltrige, aber im Kammerchor hat einem auch jeder geholfen. Es ist fast schon wie eine Familie, deswegen hab ich mich ziemlich schnell daran gewöhnt.
Gab es persönliche Sternstunden?
Huber: Das ist schwer zu beantworten, es gibt bestimmte Vorlieben, zum Beispiel das Brahms-Requiem ist mir ungemein unter die Haut gegangen oder die Marienvesper von Monteverdi, das waren zwei so Eckpunkte. Oder auch der Bach immer wieder, letztlich kommen wir nicht los von Bach. Deswegen freu ich mich so auf die Matthäus-Passion. Diesmal bin ich übrigens erstmals Zuhörer und spiele nicht einmal im Orchester mit.
Höcht: Abgesehen vom Musikalischen war für mich auch immer das Menschliche fast genauso wichtig wie das Singen. Gerade wenn es einem in bestimmten Lebensphasen nicht so gut geht und man hat eine Gemeinschaft, in der man sich aufgehoben fühlt und in der man viele Leute kennt, ist das sehr wertvoll. Früher haben wir ja auch nach den Konzerten die Feiern selber gestaltet.
Frank: Es ist halt die Frage, ob man den Chor in der Größe halten will, um auch die Oratorien aufführen zu können, dann kann es keine intime Gemeinschaft sein. Das hat mehrere Facetten.
Huber: Die Größe des Chores einerseits und der Wunsch, auch intime A-cappella-Musik zu machen, das ist beides sehr wichtig, aber es ist schon ein Balanceakt. Wenn man das Kleinere macht, ohne Orchester, was für die Chorerziehung ganz unabdingbar ist, sonst wird er ja ein Brüllhaufen, wie man von reinen Oratorienchören weiß, dann fallen halt ein paar wieder ab. Auch das Publikum ist beim A-cappella-Konzert kleiner.
Frank: Andere singen auch wieder nicht mit, weil ihnen der Chor zu groß ist. Manche interessieren sich, kommen sogar bis aus Regensburg und springen aber wieder ab, weil sie einen kleineren Kreis erwartet hatten. Für mich waren die Sternstunden im Übrigen die Projekte, wie das Brahms-Requiem und der Paulus, bei denen es gelungen ist, sehr viele jüngere Leute zu gewinnen. Dieses Erfolgserlebnis, dass ich Jugendliche, die sonst Justin Biber oder so was kennen und mit dieser Art von Musik gar nichts am Hut haben, gewinnen kann, weil sie schön singen können. Und dann bekomme ich nach dieser Probenphase gesagt: Das ist so eine fantastische Musik! Wenn das gelingt, dass man Leute zu dieser klassischen Musik hinführt, das sind die größten Erfolgserlebnisse.
Welche Wünsche gibt es für die Zukunft?
Höcht: Ich würde gerne wieder einmal das Stabat Mater von Dvorak singen.
Huber: Ich bin eigentlich wunschlos glücklich … Es sind viele Dinge gemacht worden, die ich noch nicht verwirklicht habe, wie Paulus oder auch letztes Jahr das Magnificat von Rutter. Natürlich würde ich mich sehr über den Elias freuen! Wenn wir auch noch diesen Straubinger Gesangsstar (Christian Gerhaher, d. Red.) dafür gewinnen könnten, wäre es besonders schön …
Frank: Jetzt sagt er Elias, weil ich das auch sagen wollte! Beim Kammerchor ist es ja fast schwer, bedeutende Werke zu finden, die der Gerold noch nicht gemacht hat.
Huber: Ich hab mich ja auch wiederholt. Es ist für einen Chor undenkbar, dass man ein Mozart-Requiem, ein Brahms-Requiem nicht wiederholt, einen Elias, Messias …
Frank: Was mich besonders freut, dass ich mich mal an die Matthäus-Passion getraut hab. Da hatte ich lange Zeit großen Respekt.
Huber: Wir haben dieses Werk bisher ja auch nur einmal in Straubing gemacht und dann in Florenz wiederholt. Da fällt mir ein, das war das Lustige, dass Bach in Italien nicht so verbreitet war. Bei der Johannes-Passion in Bologna gab es ein Plakat von ein paar Jahren zuvor von einem anderen Chor mit der Aufschrift „Italienische Erstaufführung“, das war vielleicht 1982.
Höcht: War das das Konzert, wo sie das falsche Plakat aufgehängt hatten, mit einem Bild von Händel, obwohl sie Bach aufgeführt hatten? Wir haben alle schallend gelacht.
Huber: Ja genau. Und hinterher hat mir Ministerpräsident Romano Prodi die Hand geschüttelt, ich habe erst gar nicht gewusst, wer das ist.
Höcht: Und die Kirche war brechend voll.
Artinger: Also wenn ich einen Wunsch äußern darf: Ich weiß ja nicht, wo es mich jetzt demnächst hinverschlägt. Aber ich wünsche mir, dass beim Kammerchor alles noch genauso ist, wie es war, wenn ich wieder in Straubing bin.
Interview: Eva Bernheim/BOG Zeitung (Zeitversetzte Übernahme aufgrund einer 14-tägigen Sperrfrist.)
Info: Wer den Kammerchor live hören und sehen will, hat dazu Gelegenheit am Sonntag, 2. April, 15 Uhr in der Kirche St. Josef mit Bachs Matthäus-Passion. Karten gibt es im Vorverkauf beim Leserservice des Straubinger Tagblatts, Telefon 09421/940-6700.
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