Stadtmodell Straubing. Mit den Fingerkuppen spazieren gehen

Wie Künstler Egbert Broerkens Faible für Stadtmodelle entstanden ist

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Egbert Broerken hat Straubing als Stadtmodell realisiert. Gegossen wurde es in der Glockengießerei Gugg, mit der der westfälische Bildhauer bei Projekten in Süddeutschland gerne zusammenarbeitet – noch ein sympathischer Straubing-Bezug. (Foto: Ulli Scharrer)

Der Rotary Club Straubing hat den Straubingern ein Stadtmodell geschenkt, das fest am Theresienplatz vor der Jesuitenkirche platziert ist. Man kann dort mit den Fingerkuppen spazieren gehen, als Einheimischer Lieblings-Gebäude erfühlen oder sich als Gast an unbekanntes Terrain herantasten. Als Sehender übrigens genauso wie als Sehbehinderter.

Solche Stadtmodelle gibt es inzwischen in vielen deutschen Städten, auch in der Schweiz, Frankreich und den Niederlanden. Egbert Broerken, daheim in einem Wasserschloss nahe dem westfälischen Soest, ist einer, der viel Erfahrung und vor allem viel Passion für solche Modelle hat. Die Rotarier haben ihm Straubings Neustadt rund um den Stadtplatz und seinen Umgriff anvertraut.

„Auf Fingerkuppen durch die Straßen spazieren. Die Anordnung der Plätze und Gassen ertasten. Die Größenunterschiede zwischen Häusern und Kirchen erkennen. Architektur und Stadtgeschichte erfahren“, das ist die Absicht, die hinter dem Modell steht. Wenn Blinde zum ersten Mal ihre Stadt befühlen, deren Dimensionen sie bisher nicht begreifen konnten, ist es für sie eine begeisternde Erfahrung, erzählte Egbert Broerken gestern mit ansteckender Begeisterung.

Für die Stadt Münster entwickelte der Bildhauer das erste Stadtmodell, eine Bronzeskulptur, die einen Teil der Altstadt maßstabgetreu zeigt. Kleine Punkte in Blindenschrift (Braille) geben notwendige Erläuterungen zu Bürgerhäusern, Kirchen, Straßen und Plätzen. So können Sehbehinderte im wahrsten Sinne des Wortes ihre Stadt ertasten, erfahren, begreifen. Tasten ist hier kein Notbehelf. Insofern verstehen sich seine Stadtmodelle nicht nur als künstlerischer, sondern auch als menschlicher Beitrag zur Integration behinderter Mitbürger.

Die bronzenen Stadtskulpturen geben aber nicht nur den blinden Mitbürgern die Möglichkeit, dreidimensionale architektonische Erfahrungen zu machen. Auch in der sehenden Bevölkerung stoßen die Stadtansichten auf große Resonanz. Eröffnen sich doch durch den ungewöhnlichen Blickwinkel ganz neue Perspektiven auf die eigentlich gewohnte Heimatstadt. Von oben erschließen sich bauliche Strukturen einfacher und werden für den Betrachter sinnlich nachvollziehbar, sagt Broerken. Und Sehende könnten nachvollziehen, welchen Aufwand ein Blinder treiben muss, um sich zu orientieren.

Nach dem Abitur und einer Schriftsetzerlehre studierte Broerken an der Fachhochschule Münster Design. Von Anfang an faszinierte ihn der Werkstoff Metall. Der Bildhauer begann vor über 20 Jahren mit der Fertigung bronzener Blinden-Stadtmodelle. Mit Schülern und Lehrern der Westfälischen Blindenschule in Soest entwickelte er die optimale Tastbarkeit der Modelle und mit der Bronzegießerei ein spezielles Verfahren für die filigranen Erläuterungen in Blindenschrift. Die Stadtmodelle erstehen im Wachsausschmelz-Verfahren, einer alten handwerklichen Kunst, die Detailtreue und Unverwüstlichkeit der bronzenen Reliefs garantiert. Gegen Vandalismus sind sie weitestgehend gefeit.

Egbert Broerken gab seine Lehrtätigkeit an der Fachhochschule für Design in Dortmund auf, um sich ganz der Fertigung von Blinden-Stadtmodellen zu widmen, inzwischen zusammen mit seinem Sohn Felix. Über 100 Stadtskulpturen sind inzwischen im Atelier der beiden Künstler entstanden. Straubing ist ihre jüngste.

Quelle: - mon - BOG Zeitung vom 19. Oktober 2016 (Zeitversetzte Übernahme aufgrund einer 14-tägigen Sperrfrist.)

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