Glossen, Realsatire & Co.
"De facto hat der BR ein Seppl-Reservat geschaffen"
Bairisch-Förderer Sepp Obermeier über das BR-Betthupferl im Dialekt
Quelle: Ralf Lipp, in: SR-Tagblatt vom 28.Oktober 2011, Seite 9
Foto: Georg Ringsgwandl erhielt die "Sprachwurzel 2011" aus den Händen von Sepp Obermeier
Eigentlich müsste Sepp Obermeier zufrieden sein. Der Bairisch-Förderer hatte vor Monaten einen Brandbrief an den BR-Rundfunkrat geschrieben, damit das tägliche Betthupferl in regionaler Mundart gesendet wird. Er erhoffte sich eine Signalwirkung für den Dialekt, gerade bei den Kindern, die es in der Hand haben, ob das aussterbende Bairisch die nächsten Jahrzehnte überleben wird. Seit September sendet Bayern 1 jetzt seine Gute-Nacht-Geschichten jeweils sonntags in Mundart. Warum Obermeier das aber für ein "Seppl-Reservat" hält, erläutert er im Interview.
Ein Sieg auf ganzer Linie, Herr Obermeier, Ihr Betthupferl-Brandbrief hatte ja durchschlagenden Erfolg?
Sepp Obermeier: Das sehe ich nicht so. Ich hatte ja in meinem Schreiben an den Hörfunkausschussvorsitzenden Hans Roth gefordert, täglich aus sechs Regionalstudios (die Technik des Splittens nutzend) in sechs verschiedenen Mundarten das Betthupferl zu senden. Damit hätte man nach der längst überholten Sprachbarrierediskussion der 1970er-Jahre den Kindern und deren Eltern signalisieren können, dass ihre Muttersprache alltäglich präsent, medienwürdig, salonfähig, gesellschaftlich voll akzeptiert und somit überlebensfähig ist.
Aber es gibt immerhin seit Anfang September jeweils ein Betthupferl in Mundart. Das ist doch toll, oder?
Sepp Obermeier: Jetzt lässt man an einem Sonntag den schwäbischen Kindern oberpfälzische "ou"-Laute vorsetzen, am nächsten Sonntag den Oberpfälzer Kindern etwas vorschwäbeln und am übernächsten Sonntag mit "haaddn" fränkischen "ddees" vergeblich nach ihrer regionalen "Idenddidäd" suchen - das sind doch für Vorschulkinder böhmische Dörfer! Die neue Betthupferl-Chefin Anja Mösing hätte eigentlich den Karl Valentin-Orden verdient, für die BR-Hörfunk-Variante von Valentins genialer Verkehrspolitik: "Montags nur Fußgänger, dienstags nur Radfahrer und mittwochs nur Autofahrer!"
Die neue Betthupferl-Aufteilung hat dem Bairischen also einen Bärendienst erwiesen?
Sepp Obermeier: De facto hat man damit ein Seppl-Reservat geschaffen und werktags ist nach 40 Jahren die wenigstens mittelbairisch gefärbte Stimme der beliebten Monika Schwarz nicht mehr zu hören. An ihrer Stelle schickt jetzt der Kieler Schauspieler Axel Milberg Bayerns Nachwuchs mit einem norddeutschen Einheitsbrei in den Schlaf. Dafür sollte man einen "Nordsprech -Gleichschaltungspreis" aus der Taufe heben. Gegen einen Einheitsrasen vom Großen Arber bis zum Wendelstein würde fast jeder auf die Barrikaden gehen, beim bedrohten Kulturgut Muttersprache scheint der Grundsatz "Vielfalt statt Einfalt" nicht zu gelten. Bis zum 18. September spürten die Kinder wenigstens, dass sie in Süddeutschland ihre sprachlichen Wurzeln haben - jetzt werden sie werktags sprachlich auf ein strammes Nordsprech getrimmt und sonntags babylonisch verwirrt.
Apropos Barrikaden: Geht Ihr Kampf jetzt weiter?
Sepp Obermeier: Wir lassen nicht "luck", weil uns der sprachwissenschaftliche Blick von außen Mut macht und uns bestätigt. So sollten die Mitglieder des Sozialausschusses im Bayerischen Landtag, die im Januar medienwirksam für die allgemeine Förderung der Dialekte Alarm geschlagen haben (inklusive der Rundfunkräte, die im Rundfunkrat speziell für eine richtige Betthupferl-Reform keinen Finger rührten), einen wissenschaftlichen Beitrag aus der schottischen Zeitschrift "Scottish Language", Nr.28, zur Kenntnis nehmen. Von dort aus stuft man die offiziellen dialektfördernden Maßnahmen im Freistaat als bloße Lippenbekenntnisse ein, attestiert eine trostlose muttersprachliche Situation und schlägt vor, uns an Schottland ein gutes Beispiel zu nehmen!
Interview: Ralf Lipp, in: SR-Tagblatt vom 28. Oktober 2011, Seite 9 (Miederbayern/Oberpfalz)
• Info
Sepp Obermeier jun. ist Vorsitzender des „Fördervereins Bairische Sprache und Dialekte" Niederbayern/Oberpfalz und wohnt in Gossersdorf (Kreis Straubing-Bogen). Er hat sich seit Langem dem Erhalt des Bairischen verschrieben. Der Förderverein vergibt alljährlich die "Sprachwurzel ", die Prominente auszeichnet, die sich in aller Öffentlichkeit zu ihrer bairischen Mundart bekennen.
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