Bairisch
"Mir mögen net preißisch werden!"
Abbildung: Szene aus der kriegsentscheidenden Schlacht von Königgrätz; Georg Bleibtreu (1828 – 1892) zugeschrieben (wikimedia gemeinfrei): Der preußische König Wilhelm I., Bismarck und General Moltke beobachten die größte Umfassungsschlacht der Kriegsgeschichte: Am 3. Juli 1866 standen sich etwa 180.000 Österreicher und 200.000 Preußen gegenüber. 1.500 Geschütze kamen zum Einsatz. Mit dem Sieg der preußischen Armee eröffnete sich der Weg für eine Reichseinigung unter preußischer Führung – ohne Österreich.
Vor 150 Jahren mündete der Streit um die Vormacht im Deutschen Bund in einen Krieg, der die Abneigung zwischen Bayern und Nordlichtern begründete.
Kanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Horst Seehofer pflegen auf der politischen Bühne einen rustikalen Umgangston. So ist das halt, wenn zwei Alphatiere aufeinanderprallen. Allerdings wurzelt die von Merkel und Seehofer zelebrierte Rivalität weitaus tiefer. Unübersehbar spiegelt sich in dieser lebhaften Beziehung jener Nord-Süd-Konflikt, der die deutsche Geschichte seit Jahrhunderten belebt.
Dass die Bayern einst die Preußen hassten, ist eine unverrückbare Wahrheit, und umgekehrt hatten auch die Preußen für die Bayern oftmals nichts als Hohn und Spott übrig. Noch heute kann sich die Staatsregierung im Freistaat jederzeit Meriten erwerben, wenn sie aufmüpfig gegen das "preußische" Berlin agiert. Der Münchner Publizist Johann Christoph von Aretin hat diese Grundstimmung schon 1810 präzise auf den Punkt gebracht: "Die Nordteutschen verachten und hassen die Südteutschen, glauben sich weit vor ihnen voraus, und werden nie den herzlichen, unbefangenen Sinn derselben zu fassen oder zu schätzen wissen."
Im gleichen Atemzug schilderte Aretin die damals im Süden herrschende Grundskepsis gegenüber dem deutschen Norden: "Wenn es ihnen gelingt unsere üppige Lebensfülle mit ihrer nördlichen Kälte und Steifheit zu ersticken, so ist unser Vaterland unwiederbringlich zu Grunde gerichtet."
Eine der heftigsten Eruptionen des Preußen- wie auch des Bayernhasses hat sich vor 150 Jahren zugetragen. Manche Folgen dieses Krisenjahres 1866 sind noch heute zu spüren, etwa in den großen Fußballarenen, wo die Schlachtgesänge der Fans durchs weite Rund dröhnen. "Zieht den Bayern die Lederhosen aus . . .!"
Die Spannungen entluden sich in einem blutigen Krieg
Ein Deutschland im heutigen Sinne hat es 1866 noch nicht gegeben. Stattdessen existierte der Deutsche Bund, der beim Wiener Kongress anno 1815 ins Leben gerufen worden war. Dass auch die Großmächte Österreich und Preußen diesem Staatenbund angehörten, war friedenstechnisch keine Ideallösung. Der große Staatsmann Bismarck, noch machtfeuriger als Seehofer und Merkel zusammen, strebte eiskalt nach der Vorherrschaft Preußens, was Österreich logischerweise nicht goutierte. Im Juni 1866 entluden sich die Spannungen in einem blutigen Krieg. Die süddeutschen Mittelstaaten, darunter auch das Königreich Bayern, stellten sich auf die Seite Wiens, denn ein von Berlin aus gelenkter Nationalstaat, den die Preußen anstrebten, war den auf ihre Unabhängigkeit erpichten Bayern ein Graus.
Der deutsche Bruderkrieg setzte wegen der neuen Waffentechnik eine bis dahin unvorstellbare Zerstörungskraft frei. Die wenigen Fotografien, die das Elend dokumentieren, zeigen furchtbare Zerstörungen, die mancherorts den Schrecken des maschinell geführten 1. Weltkriegs vorwegnahmen. Nur ist der Krieg von 1866 wegen der folgenden Katastrophen in Vergessenheit geraten, aber weniger grausam wurde er deshalb nicht geführt.
Die Entscheidung fiel am 3. Juli 1866 im böhmischen Königgrätz, wo Österreichs Armee schwer geschlagen wurde. Danach folgten in Franken noch ein paar sinnlose Scharmützel mit den militärisch weit überlegenen Preußen, die den Bayern jedoch große Opfer abverlangten. Allein das Gefecht bei Kissingen am 10. Juli 1866 forderte 244 Tote und gut 1300 Verwundete, die zu versorgen waren. Dazu musste die Bevölkerung mindestens 20 000 preußische Soldaten verpflegen, die am nächsten Tag durch die Kurstadt zogen.
Das Land Bayern war damals, einige Jahrzehnte nach dem hohen Blutzoll unter Napoleon, immer noch kriegsmüde und militärisch geschwächt. Dazu regierte ein König, der den Krieg und den Militarismus hasste. Ludwig II., erst zwei Jahre im Amt, hatte sich deshalb im 1866er-Krieg deprimiert auf die Roseninsel zurückgezogen, während sein kleiner, fast noch kindlicher Bruder Otto als Mitglied des Königshauses aufs Schlachtfeld ziehen musste. Das Kriegselend, die Schmerzensschreie der Verwundeten und der Anblick von Gefallenen erschütterten dessen sensibles Gemüt, Ottos Geist verwirrte sich von da an zunehmend, weshalb er später den bayerischen Thron nicht besteigen konnte.
Ein Nordlicht durfte sich auf keinen Fall in Bayern blicken lassen
Der Vater, Bayernkönig Maximilian II., war indessen von der Überlegenheit des norddeutschen Kultur- und Geisteslebens so überzeugt, dass er viele Wissenschaftler und Literaten nach München holte. Die Bevölkerung hielt die "Nordlichter" dagegen für arrogant und besserwisserisch. In diesem Sinne lehnten auch Maximilians Söhne Ludwig und Otto einen Einheitsstaat unter preußischer Führung ab.
Fatalerweise musste das Königreich Bayern im Friedensvertrag von 1866 eine Klausel akzeptieren, wonach sich Bayern und Preußen künftig als Bündnisgenossen gegenseitig Hilfe zu leisten hätten. Vier Jahre später trat der Ernstfall ein. Frankreich erklärte am 19. Juli 1870 Preußen den Krieg und verlor letztlich gegen die von Bayern unterstützte preußische Streitmacht. Nun hatten die Preußen endgültig Oberwasser. Im Januar 1871 kam es in Versailles zur Gründung des Deutschen Kaiserreiches unter der Führung Preußens, Bayern verlor seine Souveränität. Und der Bayernprinz Otto klagte nach der Proklamation: "Der deutsche Kaiser, das Deutsche Reich, Bismarck, die laute preußische Begeisterung, die vielen Stiefel, das alles macht mich unendlich traurig."
Otto sei so erbost gewesen, hieß es, dass er sich als einziger geweigert habe, auf den neuen Kaiser anzustoßen. Wie kolportiert wurde, soll Otto sogar aus lauter Wut in die Hose gemacht haben. In Bayern erzählte man sich beim Bier, Otto habe auf Preußens Kaiserkrone gesch . . .
Wie groß die Wut auf die Preußen war, zeigt recht anschaulich eine Episode des Dichters Ludwig Thoma aus dem Ort Dürnbuch, wo der Preußenhass anno 1867 eine kleine Revolution angezettelt hatte. Als Nordlicht durfte man sich um diese Zeit auf keinen Fall in einem bayerischen Dorf blicken lassen, wenn man heil davonkommen wollte. Unter den Burschen herrschte eine epidemische Angst, in preußische Militärdienste gestellt zu werden. Der Militarismus war der Treibstoff für den Preußenhass. Viele Bayern wiesen später auch die Schuld an den Weltkriegen dem übersteigerten preußischen Militarismus zu.
"Mir mögen net preißisch werden!"
Der Norden blieb freilich nicht stumm. Seit dem Eintritt ins Deutsche Reich anno 1871 bis hinein in die frühe Bundesrepublik hagelte es Kritik, Spott und Diffamierung über die Bayern. Als stur, eigenbrötlerisch und widerständig waren sie verschrien, was aber erst recht die CSU und deren Identifizierung mit Bayern stärkte. Gleichwohl scheuten die Widersacher aus dem Norden und Osten nach dem Krieg nicht davor zurück, scharenweise in den Freistaat überzusiedeln.
Es spricht für die Integrationskraft der Bayern, dass die Eingliederung reibungslos funktioniert hat. Immerhin ist die Kompliziertheit dieses Vorgangs im alten Schimpfwort Saupreuße verewigt. Es wurde zum mittlerweile liebevollen Generalbegriff für alles, was aus dem Norden kam. Das Wort resultiert jedoch aus der tiefen Verwundung der Bayern in der Ära 1866 und 1870/71, als die Bauernburschen überall skandierten: "Mir mögen net preißisch werden!" Und die hiesigen Zeitungen druckten in ihrer Wut erstmals das Wort Saupreußen.
In der Publizistik flammt die alte Rivalität gelegentlich heute noch auf. Nachdem der Autor Wilfried Scharnagl vor einigen Jahren ein Plädoyer für einen eigenen Staat Bayern vorgelegt hatte ("Bayern kann es auch alleine"), folgte umgehend eine scharfe Replik aus dem Norden. Eine Spiegel-Kolumnistin lästerte, Bayern solle sich ruhig abspalten. "Und am besten die Seppls errichten dann auch noch eine Mauer um ihren Freistaat, auf dass möglichst wenig Oktoberfeststimmung in den Rest des Landes schwappt."
Quelle: Hans Kratzer, in: Süddeutsche vom 9. Juli 2016
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