Kinderhilfe Nepal Mitterfels hilft Jugendlichen auch nach dem Schulabschluss

 

Aus Kindern werden Leute
Herbert Schneeweis kann jede Menge Geschichten erzählen. Geschichten von seinen Trekking-Reisen nach Nepal. Von der Mentalität der Nepalesen, vom Tourismus, von der Sozialstruktur und den politischen Gegebenheiten in diesem großen Land zwischen China und Indien. Und er kann vor allem Geschichten darüber erzählen, was in diesem Land alles falsch läuft, und wie die Menschen dort darunter zu leiden haben. Weil er eben jene Geschichten kennt, gründete er zusammen mit seiner Frau Ursula vor 15 Jahren den Verein "Kinderhilfe Nepal Mitterfels". Das Mitterfelser Ehepaar konnte seitdem viel Gutes tun: Ein Kinderheim wurde gebaut und vielen Kindern damit eine Schulausbildung, geregelte Mahlzeiten und ein Dach über dem Kopf ermöglicht. Doch das war dem Ehepaar nicht genug - sie wollten aus ihrem Projekt noch mehr Nachhaltigkeit schöpfen: Den Kindern nach ihrer Zeit im Heim, den Sprung ins Berufsleben ermöglichen.


Den Menschen fehlt es am Nötigsten
15 Jahre ist es nun her, dass Ursula und Herbert Schneeweis ihren Verein gegründet haben. Die "Kinderhilfe Nepal Mitterfels" hat derzeit 34 Mitglieder. Mitgliedsbeiträge, Spenden und der Erlös aus Aktionen wie dem Verkauf auf dem Bogenberger Christkindlmarkt fließen eins zu eins in ihren Spendentopf, der vor allem den Kindern zugutekommt, die in dem Heim leben, das durch Spenden des Mitterfelser Vereins gebaut werden konnte. Insgesamt 70 Kinder können untergebracht werden, derzeit leben dort 43. Das Heim befindet sich im Südwesten des Kathmandutals, einer Bergregion, deren Zentrum Kathmandu, die Hauptstadt Nepals, ist. Eingebettet in das Mittelgebirge Nepals erstreckt sich dieses Tal auf einer Fläche von rund 950 Quadratkilometern. Im Jahr 2011 lebten dort fast 1,5 Millionen Menschen, Tendenz steigend. "Dieses Tal ist riesig. Den vielen Menschen, die dort am Stadtrand von Kathmandu leben, fehlt es am Nötigsten. Und Kathmandu selbst ist ein Moloch", erzählt Herbert Schneeweis. Und er weiß, wovon er spricht. Seit rund 20 Jahren reist er regelmäßig nach Nepal. Anfang der 1990er Jahre führte ihn eine seiner Reisen zum ersten Mal gemeinsam mit seiner Frau in den südasiatischen Binnenstaat. Wie die meisten Touristen unternahmen sie eine Trekkingtour durch die Bergregionen. "Und jedem, der mit offenen Augen durch dieses Land geht, fällt die Not auf, die dort herrscht."

Ein Schlüsselerlebnis führte zur Gründung des Vereins
Auf einer dieser Nepalreisen hatte das Ehepaar Schneeweis ein Schlüsselerlebnis, das sie zur Gründung des Vereins bewegte: Ihre Tour führte sie damals in die Everest-Region. In einem Kloster, in dem sie Station machten, wurde gerade das Vollmond-Fest gefeiert, ein besonderes nepalesisches Fest, bei dem der Lama die Menschen segnet und ihnen ein langes Leben wünscht. Ulli und Herbert Schneeweis wollten sich dieses Fest nicht entgehen lassen und entschlossen sich, etwas länger zu bleiben. Ihrer Tour hinkten sie dadurch einen halben Tag hinterher. Als das Ehepaar am nächsten Morgen seine Tour fortsetzen wollte, machte ihnen das Wetter einen Strich durch die Rechnung: Über Nacht hatte es über einen halben Meter geschneit. Da es immer weiter schneite, konnten sie ihre Tour auch nach einem Tag Pause nicht weiter fortsetzen und entschlossen sich, einen Weg zum Abstieg zu suchen. Dabei fielen ihnen Hubschrauber auf, die immer wieder in das Berggebiet flogen -genau in die Richtung, in die auch ihre Tour gehen sollte. Wenig später haben sie dann erfahren, dass diese Hubschrauber Touristen bergen mussten. Denn die Übernachtungslodge, in der auch das Ehepaar Schneeweis gewesen wäre, wurde in jener besagten Nacht von einer Lawine erfasst. "Das hat uns natürlich zum Grübeln gebracht. Da wird man demütig und wir haben beschlossen, dass wir diesem Land etwas zurückgeben wollen", erzählt Herbert Schneeweis. Kurz vor ihrer Heimreise lernten sie dann am Flughafen in Kathmandu Jürgen Dahm kennen. Ein Deutscher, der als Reiseleiter oft monatelang in Nepal lebt und es sich zur Aufgabe gemacht hat, Kinder in Kathmandu zu unterstützen so gut es geht.


Ehemalige Heimkinder haben es viel schwerer
Dahm erzählte dem Ehepaar von einem Kinderheim, in dem damals rund 30 Kinder untergebracht waren und das aus finanziellen Gründen kurz vor der Schließung stand. Wieder zu Hause gründeten Ulli und Herbert Schneeweis den Verein "Kinderhilfe Nepal". Seitdem konnten sie schon viel bewirken. Neben dem Bau eines neuen Kinderheims unterstützt die Kinderhilfe Nepal mittlerweile die verschiedensten Projekte. "Das Problem ist nur, dass uns unsere Hilfe nicht nachhaltig genug war", sagt Schneeweis. Deshalb kämpft die Kinderhilfe Nepal seit rund drei Jahren noch an einer anderen Front: Sie will ehemaligen Heimkindern den Sprung in ein normales Leben mit einem Beruf und einem geregelten Einkommen ermöglichen. "Denn das ist nämlich die eigentliche Herausforderung."

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Die Kinder vor dem Heim, das durch die Spenden der Kinderhilfe Nepal Mitterfels gebaut werden konnte.


Schneeweis erklärt die Problematik, die dahintersteckt: Die Kinder kommen etwa in einem Alter von drei bis sechs Jahren in das Heim, gehen zwölf Jahre zur Schule und machen dann ihren Abschluss. Diese Zeit sei für die Kinder mehr oder weniger ein Leben wie in einem Fünf-Sterne-Hotel. Es wird geputzt, gekocht und für einen geregelten Tagesablauf gesorgt. "Mit dem wirklichen Leben in Nepal hat das aber eigentlich nichts zu tun."
Dann müssen sie das Heim verlassen und trotz Schulabschluss wartet dann eine harte Zukunft auf die Kinder. "Als ehemaliges Heimkind hast du es in Nepal immer schwerer als andere", erklärt Schneeweis. Um den jungen Leuten eine Chance zu geben, hat der Verein nun am Stadtrand von Kathmandu zwei Wohnungen angemietet. Dort leben momentan insgesamt 14 Jugendliche, getrennt in einer Mädchen- und einer Buben-WG. Sie bekommen monatlich vom Verein ein Taschengeld. "Damit müssen sie einkaufen und ihren Lebensunterhalt bestreiten und weiter in berufsorientierte Schulen gehen", erklärt Schneeweis. "Das ist für alle am Anfang ziemlich hart gewesen, weil sie erst lernen mussten, mit ihrem Geld richtig umzugehen." In der Regel leben die Jugendlichen drei Jahre in diesen Wohngemeinschaften. In dieser Zeit wird ihnen von der Kinderhilfe Nepal eine Berufsausbildung beziehungsweise ein Studium finanziert. Der Abschluss nach dieser Zeit ist dann in etwa vergleichbar mit dem europäischen Bachelor-Abschluss. Die meisten der Jugendlichen machen derzeit eine Ausbildung im Hotelbereich, manche sind auch im medizinischen Sektor tätig. Mit einer Ausbildung dort wäre auch ein anschließendes Medizin-Studium möglich. Wer in dieses weiterführende Projekt aufgenommen wird, entscheidet Herbert Schneeweis gemeinsam mit der Heimleitung. "Ich lass mir von jedem Kind die Zeugnisse zeigen, damit ich weiß, wer geeignet für ein weiterführendes Studium ist und wer nicht." Für manche sei auch eine einfache Berufsausbildung der bessere Weg.


„Im Nachhinein hätten wir vieles anders gemacht"
Schneeweis ist mit der Entwicklung des neuen Projektes derzeit zufrieden. "Wir geben unseren Heimkindern damit eine tatsächliche Chance auf eine einigermaßen gute Zukunft - sofern das in diesem Land möglich ist." Trotzdem ist Herbert Schneeweis selbstkritisch und sagt, dass er und seine Frau im Nachhinein vieles anders machen würden. Auf die Frage, was das denn sei, sagt er, ohne lange nachzudenken: "Wir würden unsere Spendengelder in eine andere Region bringen, nicht ins Kathmandutal."
Den fragenden Blick beantwortet Herbert Schneeweis ebenfalls schnell: "Was wir und viele andere Vereine und Hilfsorganisationen falsch machen ist, dass wir mit unseren Heimen die Kinder und die Menschen aus den ländlichen Regionen abziehen. Wir fördern die Landflucht, und das ist nicht gut." Im Grunde sei es nicht die richtige Entwicklungshilfe für dieses Land. "Aber was ist richtige Entwicklungshilfe", fragt Schneeweis. Eine Antwort auf diese Frage habe er noch nicht gefunden. Und während Herbert Schneeweis all diese Geschichten erzählt, wird einem klar, dass er all die Jahre tatsächlich nach einer Antwort gesucht hat.
"Wir waren damals natürlich ein wenig blauäugig, wollten unbedingt etwas tun, den Kindern helfen." Doch mit den Jahren lernte das Ehepaar Schneeweis das Land mehr und mehr kennen. "Das Schlimmste war die Erkenntnis, dass man mit seiner Hilfe in dem Land einfach nichts ändern kann", sagt Schneeweis. Ihnen ist bewusst, dass ihre Hilfe nur der berühmt berüchtigte Tropfen auf den heißen Stein ist. Ob sich da nicht all die Jahre ein Frust aufgebaut hat? "Ein wenig vielleicht", sagt Schneeweis. "Aber wenn ich in Kathmandu aus dem Flughafen komme, weiß ich jedes Mal wieder, warum wir das alles tun."
In den 15 Jahren hat das Ehepaar Schneeweis auch viele andere Vereine und Hilfsorganisationen kommen und gehen sehen. "Viele geben schnell wieder auf, weil es einfach mühsam ist, Hilfe in ein solches Land zu bringen." Für das Ehepaar Schneeweis kam das trotz vieler Rückschläge nie wirklich infrage. "Uns ist bewusst, dass wir durch unsere Hilfe Verantwortung übernommen haben. Verantwortung für Kinder, die wir nicht einfach von heute auf morgen im Stich lassen können." Trotzdem haben sie beschlossen, dass der Verein "Kinderhilfe Nepal" ein endliches Projekt sein wird. "Ich bin jetzt 60 Jahre, der Verein kämpft mit schwindenden Mitgliederzahlen. Wer soll es denn nach uns machen?" sagt Herbert Schneeweis. Deshalb haben Ulli und Herbert Schneeweis mit der Leitung ihres Kinderheims vereinbart, dass sie nur noch die Kinder unterstützen werden, die im Jahr 2011 ins Heim aufgenommen wurden. Bis es so weit ist, dass diese Kinder auf eigenen Beinen stehen, werden zehn Jahre vergehen. "Dann bin ich 70 und wer weiß, ob wir es dann überhaupt noch machen könnten."

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Schüler präsentieren zum Abschluss des Schuljahres ihre Arbeiten.


"Wir haben keines unserer Kinder verloren"
Denn die Kinderhilfe nimmt jede Menge Zeit in Anspruch. Neben dem Sammeln von Spenden, der Buchführung und viel anderem Papierkram, fliegt Herbert Schneeweis einmal pro Jahr nach Nepal, um sich vor Ort ein Bild zu machen. "Ich habe es mir auch angewöhnt, ab und an mal unangemeldet zu kommen." Schneeweis wirft dann einen Blick in die Bücher, schaut sich die Zeugnisse der Kinder an und überprüft das Heim. Eine böse Überraschung hat er bis dato noch nicht erlebt. Im Gegenteil. "Unser Kinderheim ist beispielsweise immer tipptopp sauber, egal ob die wissen, dass ich komme oder nicht." Das Heim wird geleitet von einer jungen Frau, die ebenfalls einmal ein Heimkind war, und dessen Mutter. "Diese familiär geführte Struktur macht unser Heim auch zu etwas Besonderem."
Und während Herbert Schneeweis so von "seinem" Kinderheim und den Kindern dort erzählt, ist ihm anzumerken, wie wichtig ihm sein Projekt ist. Ob es dabei etwas gibt, worauf er besonders stolz ist? "Dass wir noch kein einziges unserer Kinder an die Straße verloren haben, das ist wirklich etwas sehr Schönes."


• Info
Wer die Kinderhilfe unterstützen möchte, kann dies mit einer Mitgliedschaft oder einer Spende machen. Infos gibt es unter www.kinderhilfe-nepal-mitterfels.de oder direkt bei Ursula und Herbert Schneeweis, Telefon 09961/8101.


 

Quelle: Verena Lehner, in: SR-Tagblatt vom 20. Juli 2013, Seite 27

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