Berufsfachschulen Mitterfels. Die Wohlfühlgestalterin

2025 10 14 Marion Alter BFS 

Auf ein Pläuschchen mit der Leiterin des Internats Marion Alter. Sie arbeitet seit rund 32 Jahren an den Berufsfachschulen Mitterfels. Foto: Helena Wittmann

Marion Alter leitet das Internat der Berufsfachschulen Mitterfels.

Zwischen persönlichen Grenzen, Jungs, die sich ins Internat schleichen, und der Zeit, als es nur zwei Telefone gab.

Und dann klingelt es mitten in der Nacht an der Zimmertür von Marion Alter. Davor steht ein junges Mädchen, eine Bewohnerin des Internats der Berufsfachschulen Mitterfels. Es sind die 90er-Jahre. Was sie zu sagen hatte? Jungs hätten sich in das Zimmer einer anderen Bewohnerin geschlichen.

„Natürlich war ich ziemlich aufgeregt, als ich zu dem Zimmer ging“, sagt Alter heute. Damals war sie eine der Erzieherinnen am Internat, heute ist sie die Leiterin. Als sie dann den Raum betrat, sah sie es sofort: Im Zimmer war tatsächlich ein junger Mann. Ein absolutes Tabu – damals wie heute, sagt Alter. Jetzt passiere aber so etwas nicht mehr, weil jedes Mädchen im Internat durch das Handy viel stärker mit ihren Freunden und auch Familien verbunden ist, vermutet sie.

Diese Geschichte ist nur eine von vielen, die Alter während ihrer rund 32 Jahre am Internat erzählen könnte. Und wenn die Leiterin von ihrem Alltag berichtet, dann sprüht sie vor Lebensfreude. Für sie ist das Wohnheim, das direkt an die Berufsfachschulen angegliedert ist, ein Ort, an dem sie „eine schöne Zeit verbringt“. Wenn sie um 13 Uhr die Räumlichkeiten betritt, fühle es sich nicht wie Arbeit an. Bei aller Quirligkeit merkt man Alter auch an, dass sie in sich ruht. Sonst hätte sie wahrscheinlich nicht bei den Deutschen Ü40-Meisterschaften im einarmigen Sportschießen den zehnten Platz belegt – und das ohne viel Training oder einen Trainer.

Einen Großteil ihres Arbeitsalltags verbringt Marion Alter mit zwölf Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren. Sie und zwei weitere Erzieherinnen sind die Ansprechpartner für die Bewohnerinnen. „Wenn es den Mädchen gut geht, dann geht es auch mir gut.“ Was die Jugendlichen brauchen, sei oft ganz einfach: „Sie wollen gehört werden – und nicht sofort korrigiert werden.“

Traurig wird Marion Alter, wenn sie merkt, dass die Mädchen so wenig an sich selbst glauben. Und im schlimmsten Fall dann ihre Ausbildung abbrechen. „Da kommt man an seine Grenzen.“ Sie hinterfrage sich dann selbst, ob sie etwas übersehen habe. „Manchmal muss man die Entscheidung dann einfach akzeptieren.“

Die Beziehung zu den Mädchen sei heute nicht mehr von Hierarchie und Angst geprägt, sondern von einem respektvollen Miteinander auf Augenhöhe, erklärt Alter. Auch der Tagesablauf für die Internatsbewohner soll kein Drill sein, sondern Struktur vorgeben. Beispielsweise ist täglich eine Stunde Lernzeit eingeplant. In den 90er- und teilweise noch in den 2000er-Jahren fand diese noch kontrolliert im Klassenzimmer statt, erklärt Alter. Heute schauen die Erzieherinnen während der Lernzeit nicht in jedes Zimmer. „Jedes Hineingehen ins Zimmer ist wie eine Kontrolle“, sagt sie. Oberste Devise für das Zusammenleben im Internat sei, eine Wohlfühlatmosphäre zu kreieren.

Bis sich ein Mädchen wirklich eingelebt hat, vergehen oft einige Wochen. Der Alltag im Internat wiederum verändere die Mädchen. Sie werden viel selbstbewusster und wachsen an sich selbst.

Inzwischen entscheiden sich die Mädchen freiwillig für das Internatsleben, sagt Alter. Früher hätten sie keine Wahl gehabt, weil die jungen Frauen sonst nicht zur Schule gekommen wären. Auch heute sei die Busverbindung nicht optimal. Da die Mädchen übers Wochenende nach Hause fahren, sei sonntags immer Anreisetag. Doch ausgerechnet dann, sagt die Leiterin, halte kein Bus direkt vor der Schule.

Wenn die Mädchen im Internat sind, muss immer eine Erzieherin über Nacht bleiben, erklärt Alter. Nach dem letzten Rundgang zieht sie sich in das sogenannte „Kämmerchen“ zurück – den Schlafraum der Aufsicht. Dort stehen drei schlichte Einzelbetten für die Aufsichtspersonen. Und wie schläft es sich so im Internat? „Ein Ohr ist immer auf Lauschfunktion, das andere im Dämmerschlaf“, erzählt Alter. Sie sei stets besorgt, dass in der Nacht das Klingeln ertönt und jemand beispielsweise gesundheitliche Hilfe braucht. „Richtig schlafen kann man das nicht nennen.“ Seit der Sanierung und dem Umbau des Internats sei auch die Hellhörigkeit der Räume verschwunden. An diese komplette Stille musste sie sich erst mal gewöhnen, sagt die Heimleiterin.

Im Internat können zwölf Mädchen in den frisch renovierten Doppelzimmern mit eigener Nasszelle wohnen. Die Leiterin gibt sich optimistisch, dass auch in Zukunft alle Plätze belegt sein werden. Zum Vergleich: Als Alter 1993 im Wohnheim anfing, war die stärkste Internatsbelegung überhaupt. 120 Mädchen lebten damals in oder bei der Schule – 100 im Haupthaus, 20 im nahe gelegenen Schwesternwohnheim, das heute einem Sanitärbetrieb gehört.

Und alle teilten sich gerade einmal zwei Telefone. Mit dem einen Telefon konnten die Schülerinnen bei den Eltern anrufen. „Da war man allerdings nicht alleine bei dem Gespräch“, erzählt die Leiterin. Neben der Telefonierenden stand immer ein Mädchen, das Telefondienst hatte, und hinter ihr eine Schlange Mädchen, die telefonieren wollten. Gleichzeitig durfte nur insgesamt fünf Minuten gesprochen werden. Da sagt niemand: „Mama, hol mich ab, wenn 25 Mädchen mithören.“

Das zweite Telefon befand sich im hinteren Hausteil – dort konnten Außenstehende ins Internat telefonieren. Die Mädchen mussten schon am Wochenende zu Hause ausmachen, wann jemand anrufen würde. „Damit das Mädchen tatsächlich auch neben dem Telefon saß und in der Nähe war.“

Doch nicht nur Telefone waren in den 90er-Jahren knapp – auch die Jobangebote für die Absolventinnen waren rar. Müsste sie schätzen, würde Alter sagen, dass rund 80 Prozent der Mädchen nach ihrer Ausbildung keine Anstellung in Kindergärten oder in der Hauswirtschaft fanden. „Die standen wie auf der Straße da“, sagt sie. Heutzutage werden diese Fachkräfte händeringend gesucht.

Mit manchen ehemaligen Internatsbewohnerinnen steht Alter immer noch in Kontakt. „Ich habe zum Beispiel zu Frauen, die vor 30 Jahren hier waren, noch ganz intensive Bindungen“, erzählt sie. Sie tausche sich mit ihnen über WhatsApp aus. „Ganz komisch“ war für sie: Als die ersten ehemaligen Schülerinnen ihre Töchter fürs Internat angemeldet haben. „Das will man dann nicht wahrhaben – dass die Zeit so schnell vergeht“, sagt sie. Und irgendwo sei es auch eine stille Bestätigung für ihre Arbeit. „Die würden niemals mit ihren Töchtern hierherkommen, wenn es ihnen nicht gefallen hätte.“

Helena Wittmann/BOG Zeitung vom 14. Oktober 2025 (Gen. der Lokalredaktion)

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