Der Texasbayer

 

Er spricht 20 Sprachen, hat aber ein Faible für die Mundart entwickelt. Eine Begegnung im Kaffeehaus in Straubing mit Larry Gibson.

Der US-Amerikaner wundert sich darüber, dass die Einheimischen den Dialekt so missachten.

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"Servus, i bin der Gibson Larry." (Foto: Armin Weigel, ap)

 

Straubing. „Hi servus, i bin der Gibson Larry!" Mit glasklarer bayerischer Grammatik (Nachname zuerst) begrüßt der schmächtige Mann mit dem nichtbayerischen Namen den Reporter am Fuße des Straubinger Stadtturms. Rundherum regt sich weihnachtliches Gewusel, was fast zwangsläufig die Erwartung weckt, der Gibson Larry werde seinen Gruß sogleich um ein Anhängsel erweitern, wie es allabendlich freundliche Menschen im Bayerischen Fernsehen (BR) tun: „...und da bin i dahoam." Das verkneift er sich allerdings, wenngleich Gibson ähnlich wie der Landy, der Stani und der Anderl gut in die BR-Kurzporträtreihe hineinpassen würde.

Larry Gibson ist Texaner. 1943 in San Antonio geboren, sozialisiert in der Zeit der Rassentrennung, hinausgejagt in den Vietnam-Krieg, dann als Sprachlehrer in der ganzen Welt daheim, und jetzt in Straubing wohnhaft. Ist es schon erstaunlich genug, dass er des Bairischen mächtig ist, kann er sich darüber hinaus locker in 20 weiteren Sprachen unterhalten. Kein Wunder, dass die Worte wie ein Wasserfall aus ihm heraussprudeln. Bereits auf dem Weg ins nahe gelegene Café gerät sein Texasblut in Wallung, wie immer, wenn sich Larry Gibson mit dem Thema Sprache konfrontiert sieht. „Sprachen sind für mich wichtig, um zu sehen, wie andere denken", legt er mit Nachdruck in der Stimme dar. Und seitdem er das Bairische versteht, weiß er auch, wie die Bayern denken und ticken. Gibson hat sogar eine wissenschaftliche Theorie entwickelt, die er im Kaffeehaus mit einer leidenschaftlichen Beweisführung zu untermauern versucht.

Der Amerikaner Gibson beherrscht die meisten großen Sprachen dieser Welt, er hat unter anderem Spanisch, Englisch, Chinesisch, Russisch und Hebräisch unterrichtet, er hat Hindi, Japanisch und Griechisch gelernt. Aber nur wenige Idiome haben sein Interesse so sehr entfacht wie jenes, das in Altbayern und zum Teil in Schwaben und in Franken gesprochen wird. „Chinesisch und Bairisch", sagt er, „das sind faszinierende Sprachen", das Englische sei im Vergleich dazu geradezu primitiv konstruiert. Seine Theorie besagt: „Bairisch ist kein Dialekt, Bairisch ist eine eigene Sprache."


Neben den Bayern haben es ihm auch die Etrusker angetan. Ihre Sprache spricht er jetzt ebenfalls.


Aber das ist noch lange nicht alles. Das Bairisch, so glaubt Gibson, sei in seinem Kern so alt, dass es sogar Antworten auf so manches Rätsel der Antike liefern könne. „Ich habe bairische Wörter entdeckt, die mit rätselhaften Wörtern auf etruskischen Felsinschriften verwandt sind", sagt Gibson stolz. Die Etrusker waren ein antikes Volk, das vor gut 2500 Jahren im heutigen Mittelitalien lebte und viele ungelöste Fragen hinterlassen hat. Sie haben es Gibson so sehr angetan, dass er sich das alte Etruskisch als weitere Sprache einverleibt hat. Auf diese Weise will er den Wurzeln des Bairischen möglichst nahe kommen.

Der Einwurf, dass die Bayern in ihrer Mehrheit doch mehr am Internet, an sozialen Netzwerken und am Fußball interessiert seien als an Sprachtheorien, macht Larry Gibson doch ein bisserl fuchtig. Ruckzuck klappt er seinen Rechner auf, zeigt, scrollt, gestikuliert: „Warum kennt ihr eure eigene Geschichte nicht?", fragt er seinen bayerischen Zuhörer mit dem stimmlichen Feuer des Texaners. Ohne eine Antwort abzuwarten, beißt er, Verzweiflung ausdrückend, in seinen quer gestreckten Zeigefinger. Sein Gegenüber schaut ihn an und schweigt betroffen.

Zuletzt hat Gibson als Englischlehrer bei der Firma Thyssen Polymer in der niederbayerischen Stadt Bogen gearbeitet. Dort schulte er das Personal sprachmächtig für den globalen Wettbewerb. Zwangsläufig kam er dabei mit dem altbayerischen Basisdialekt des Gäubodens in Berührung, der in ihm eine nicht auf Anhieb zu erklärende Leidenschaft entfacht hat. Vielleicht lag es daran, dass Gibson, wie vor ihm schon so mancher Politiker, eine Art Seelenverwandtschaft zwischen den Texanern und den Bayern erkannt hat.

Tatsächlich halten ja viele den Freistaat Bayern für das deutsche Texas. Und umgekehrt gilt Texas als das amerikanische Bayern. Im Jahre 2002 wurde diese Nähe sinnfällig demonstriert, indem die Berliner Gastgeber dem damaligen US-Präsidenten und texanischen Ranchbesitzer George W. Bush bei seinem Deutschlandbesuch eine Lederhose ins Reisegepäck steckten, die er dann mit nach Hause nahm. Auch Gibson hält Bayern und Texas für Südstaaten mit eigenem Selbstverständnis. Sprache, Mentalität, Landschaft und Brauchtum - das alles hebe sie von ihren Mutterländern deutlich ab. Nicht zu vergessen das eigene Staatsbewusstsein: Sowohl Texas als auch Bayern waren im 19. Jahrhundert als Republik und Königreich eine Zeit lang eigenständig. Heute sind beide Staaten wichtige Industrie- und Wirtschaftsstandorte, die es locker verkraften, für ihre Eigenarten belächelt zu werden.

Dass diese hüben wie drüben mehr und mehr verflachen, ist die andere Wahrheit. Umso heftiger beklagt Gibson die aus seiner Sicht unzureichende Auseinandersetzung der Bayern mit der eigenen Kultur und die daraus resultierende starke Amerikanisierung der Jugend. „Wenn wir künftig alle wie Amerikaner auftreten, wird doch die Welt viel langweiliger", lautet seine Überzeugung. Er meint damit aber keineswegs jenes Phänomen, über das schon die Soldaten der 3. US-Armee gestaunt haben, als sie im Mai 1945 das bayerische Oberland durchkämmten. Da sprachen die Bauern in der Miesbacher Gegend doch glatt das gleiche dunkle rollende „r" wie sie, wenn sie Wörter wie Kirche, Berg, Dorf und fahrn sagten. Die Dialektologie kennt erstaunlich viele Beispiele für texanisch anmutende Artikulation in Oberbayern, während es umgekehrt in Texas noch bairische Sprachinseln gibt, Relikte der frühen Auswanderer des 19. Jahrhunderts.

Wie diese armen Teufel hatte es auch Larry Gibson als junger Mensch in den USA nicht leicht. Mit seinen mexikanischen Wurzeln und seiner spanischen Muttersprache galt er im amerikanischen Viertel von San Antonio von vornherein als Außenseiter, der sich im Internat und in der High School notfalls auch mit Hieben durchsetzen musste. Gibson erkannte damals schnell: „Bildung ist der Schlüssel, der mich voranbringt." Er studierte an der Universität von Texas Sprachwissenschaften, einen Platz in der tief gespaltenen US-Gesellschaft fand er dennoch nicht.


Im 70. Lebensjahr möchte er noch einmal zu einem großen Werk ausholen


Nach der Militärzeit war es für Gibson Zeit zu gehen, es folgten Studienjahre in Mexiko und in Indien, ein längerer Aufenthalt in einem Kibbuz in Israel, aber Ausgrenzung und Vorurteile, so sagt er, habe er überall erlebt. In Deutschland konnte er sich schließlich eine Existenz als Sprachlehrer aufbauen, der im 70. Lebensjahr noch einmal zu einem großen Werk ausholt. Denn seine durchaus revolutionären Ansichten über das frühe Bairisch, dessen Wurzeln Gibson im viel älteren Etruskischen und Rätischen sieht, will er als Buch veröffentlichen. „Ich bin auf euch Bayern direkt neidisch", sagt Gibson, „ihr habt so eine wunderbare alte Kultur und Sprache, das ist wie eine Schatzkarte, aber leider pflegt ihr sie nicht."

Wenn er mit dem Buch fertig ist, liegt seine Zukunft vielleicht doch wieder in Amerika. „Ich hab nicht viel Geld", sagt Larry Gibson, „aber nur wenn ich zurückgehe, habe ich Anspruch auf eine höhere Rente."

Quelle: Hans Kratzer, in: Süddeutsche Zeitung vom 24.12.2013 / Ressort: München/Bayern

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